Nicht ins Grab genommene Wahrheit

Satire zum Thema Ehrlichkeit

von  loslosch

Vixi, quemadmodum volui; quare mortuus sum, nescio (Corpus Inscriptionum Latinarum, CIT - Sammlung antiker lateinischer Inschriften [seit 1847, zuletzt unter der Federführung der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, BBAW]). Ich habe gelebt, wie ich wollte; warum ich tot bin, weiß ich nicht.

Da ist einer offenbar im Delirium tremens verstorben. Die Grabaufschrift zeugt weniger von der Aufrichtigkeit des Toten als vielmehr von der Mitteilsamkeit seiner Angehörigen. Eine sprachlich zweifelsfrei gelungene Umschreibung einer sog. Säuferleber. Ich fand zu Beginn dieses Jahrhunderts einmal eine Todesanzeige in einer regionalen Zeitung (Westerwälder Zeitung). Dort stand u. a. (sinngemäß, im Original gereimt): Bevor mein Denkapparat aussetzt (wenn ich nicht mehr spüre, weiß, dass ich in die Hosen scheiß ...), will ich lieber tot sein. Im Kleingedruckten dann  der Hinweis: "Aus einer privaten Mitteilung des Toten an seine Angehörigen mit dem Wunsch, dies zu gegebener Zeit zu veröffentlichen." Der Verstorbene hatte zu Lebzeiten alles detailgenau geregelt.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 ViktorVanHynthersin (01.12.10)
Es ist zu Lebzeiten nicht leicht zu entscheiden, ob und welche Wahrheiten man/frau besser mit ins Grab nimmt. Sehr gerne gelesen.
Herzlichst
Viktor

 loslosch meinte dazu am 01.12.10:
Der Betroffene sollte das selbst entscheiden. Sofern er geschäftsfähig war, sollten die Angehörigen seinen Wunsch umsetzen, aber nicht übereifrig sein, wie vermutlich in der lat. Sentenz. Lothar
wishfulthinking (45)
(01.12.10)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 loslosch antwortete darauf am 01.12.10:
Eine Ehefrau zu ihrem vom Tod gezeichneten Mann: Wenn dich was bedrückt, sag es mir jetzt! - Das kann auch Ausdruck von hundsgemeiner Neugier sein. Lo

 Lala (01.12.10)
Hallo loslosch,

die Inschrift finde ich großartig! Eine Liebeserklärung ans Leben und der ultimative Stinkefinger an den Tod. Das gefällt mir und ich finde es ist kleingeistig hier nur Suff und Prasserei zu vermuten. Träfe letzteres zu, so zeugt der Spruch von der Mißgunst und Sparkassengesichtigkeit der Hinterbliebenen, die sich selbst versagten was der Zecher sich gönnte. Aber mir gefällt der Spruch, weil er den Tod missachtet. Er gibt ihm keinen Raum. Er fand im leben dieses Lebendigen nie statt. Das ist zu beneiden.

Prost

Lala

 loslosch schrieb daraufhin am 01.12.10:
Sicherlich ein "bewegender" Spruch. Im www fand ich keinerlei Interpretationshilfe. Wohl eher eine ironische Bemerkung der Angehörigen. Die Römer waren immer für deutliche Grabsprüche gut. Wenn es nicht der Wunsch des Toten war, dann wäre es moralisch vorwerfbar, wenn auch witzig formuliert. Der verstorbene Westerwälder war übrigens Dipl.-Architekt mit vermutlich einigen Schrullen. Die Angehörigen sind in diesem Fall moralisch auf der sicheren Seite. Lothar

 Bergmann (01.12.10)
Das Leben - ein Traum. Der Tod - (wahrscheinlich) kein Traum.

 loslosch äußerte darauf am 01.12.10:
Äußerst wichtig, das Eingeklammerte. Schön zweideutig. Ein Wortspiel wäre: Das Leben - ein Traum. Der Tod - ein Alptraum. Es würde wohl bei den meisten Menschenkindern zutreffen. Mein Verdacht: sowohl Christen wie Agnostikern. :) Lo

 Theseusel ergänzte dazu am 01.12.10:
Wobei ich bei ich bei einem Dialektiker wie Uli immer davon ausgehe, dass er meint hier den Stein der Weisen gefunden zu haben, denn die Synthese als reine Essenz steckt in der Antithese.;)

 Bergmann meinte dazu am 02.12.10:
Ich danke dir, Theseus! O du Weiser! Vielleicht ist es so. Vielleicht ist es aber auch nicht so. Ja. Immer wieder muss ich mich, um mich selbst zu verstehen, überlisten.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram