Kühlschrankmonster und Feuerteufel - Ängste einer 5-Jährigen

Erzählung zum Thema Kinder/ Kindheit

von  Erdbeerkeks

Ich war gewiss kein ängstliches Kind, doch hatte dieses große Haus meiner Verwandten eine unwillkürlich böse Ausstrahlung und Wirkung. Zumindest auf mich kleine Knirpsin, die sich schon beim sich Nähern des Gebäudes angstvoll an Papas Hand festklammerte als könne sich vor ihren Füßen ein gigantischer Abgrund auftun  und sie mit Haut und Haaren verschlingen.  Die kunstvoll in Form geschnittenen Buchsbäume, die den Steinplattenweg säumten, der zum Haus führte, schienen mich bereits dort mit grünen Blätteraugen kritisch und abschätzend zu beäugen. Einige wenige streckten gar ihre knochigen Astarme nach mir aus, als wollten sie mich daran hindern zu türmen, die anderen schienen den Weg hinter mir zu verschließen. Ich schloss die Augen und betete. Betete innigst nie wieder Verwandtenbesuche tätigen zu müssen. Mein Vater hielt das für eine meiner ihm geläufigen Launen. Er lachte.
Als wir vor dem Haus standen, sah ich auf. Vor mir erstreckte sich das gewaltige weißgetünchte Haus mit den schreienden Türmünden und weinenden Fensteraugen. Vielleicht war es auch ein bedrohlich gemeinter Ausdruck oder einfach seine Art mir zu zeigen, dass es froh war, mich zu sehen, um mich drinnen zu verschlingen und zu verdauen. Als meine Tante (die offenbar das Haus gezähmt haben musste oder schlicht und einfach dessen Komplizin war) aus dem zweiflügligen Maul des Ungetüms kam, trat ich ihr mit unverhohlenem Misstrauen gegenüber, was meine Eltern peinlich berührt lächeln ließ. Dieses „Ach, du weiß doch wie sie in dem Alter so sind“.
Trotz meiner Anstrengungen dem Haus fernzubleiben schleiften meine Eltern mich förmlich hinter sich her, über den Absatz in den mit kalten Fliesen ausgelegten Flur, zerrten mir Jacke von den Schultern und Schuhe von den Füßen und ich fühlte mich schutzlos ausgeliefert. Zu meiner linken befand sich eine Treppe nach unten, ins unermessliche Dunkel, direkt vor mir wand sich eine gigantische weiße Treppe nach oben, dessen Ende ich nicht ausmachen konnte. Ihre Stufen erschienen mir wie heimtückische Zähne, die sich jederzeit öffnen könnten um mich mit einem einzigen Happs verschwinden zu lassen. Ich ließ mich von meinem Vater hinauftragen, widerwillig, aber laufen wollte ich nicht. Er erschien mir wie ein glorreicher Held.
Als wir oben ankamen und mein Vater mich absetzte, war ich vollkommen auf mich alleingestellt. Ahnenportraits sahen mit kühlen, hohlen oder fischig glubschigen Augen auf mich herab und ich konnte nicht anders, als in ihnen irgendein drohendes Unheil in ihnen auszumachen. Wagemutig streckte ich ihnen die Zunge raus und wandte mich schleunigst ab, als hätte ich Angst vor ihren Reaktionen. Denn jetzt war da niemand mehr, der mich beschützen konnte. Erwachsene gingen eben ihren Erwachsenengeschäften nach und ich, mit meinen 5 Jahren, musste allein gegen meine phantastischen Ängste ankämpfen. Mit Knien aus Pudding wankte ich also um die Ecke, tastete mit kleinen Händen und noch kürzeren Fingern an der Wand entlang, auf der Suche nach einem Lichtschalter oder sowas. Doch auch als ich ihn fand, vermochte das Licht nicht die dunklen Ecken und Gänge zu erhellen, die sich mit gähnender Schwärze wie Drachenmäuler zu meinen beiden Seiten befanden. Ich hielt mir die Augen zu. Das tat ich immer, wenn ich Angst hatte und ich taumelte blind durch den Flur, stolperte und fand mich zitternd auf dem Boden der Küche wieder. Unsicher richtete ich mich auf, bürstete imaginären Staub von meinem in der Tat sehr entzückendem Kleidchen. Die Küche war das schlimmste an diesem Haus. Nicht nur, dass das Surren des Kühlschranks den Lauten einer bedrohlichen unbekannten Art eines furchtbaren Ungeheuers glich oder dass ich glaubte, der Feuerteufel im Herd hätte es auf mich abgesehen und wollte mich mit seinen züngelnden Flammen hinunter ins Fegefeuer ziehen, nein. Das war noch lange nicht alles. Denn in der Küche befand sich auch eine hölzerne gewundene Wendeltreppe, die nach oben führte. Zu den Zimmern meines Cousins, den ich als einzigen für nicht besessen oder abgrundtief böse hielt. In der Tat war er immer meine Zuflucht hier gewesen. Sowas wie ein großer (okay, was sind schon 1,68m?), schwarzgelockter Ritter mit gutmütigen braunen Augen. Nur sein Pferd fehlte, aber nunja, darüber sah ich großmütig hinweg. Trotz aller Begeisterung über meinen wundervollen Retter trennte uns immer noch diese Treppe. Diese verdammte Treppe mit ihren knarrenden Balken, die mich heißhungrig anknurrten und … Ach du meine Güte.
Zaghaft setze ich einen Fuß auf die erste Stufe, sah nach unten und wurde gepackt von blinder Panik. Denn da könnten Hände zwischen den Treppenstufen hervorschnellen. Hände, irgendwo aus den Tiefen einer anderen Dimension. Hände ohne Besitzer, oder dessen Besitzer schon lange tot waren. Ich krabbelte beinahe die Treppe hinauf, ließ mich bäuchlings auf den kratzigen Teppich weit abseits der letzten Treppenstufe plumpsen, als ich oben angekommen war und atmete schwer. Mein kleines Herz raste, flatterte wie ein kleiner Vogel. Ich drückte meine Hände gegen meine Brust, als könnten sie es halten und beruhigen. Als der Vogel sich langsam auf eine eher komatöse Ebene begab, kroch ich (hey, sicher ist sicher) Zentimeter um Zentimeter weiter. Der Flur schien sich von 5 Metern Länge auf 50 Meter Länge ausgedehnt zu haben und aus den letzten Löchern pfeifend blieb ich kurz vor der Tür zum Gemach meines Ritters liegen. Gesicht nach unten, Stirn an den Teppich gepresst und den Staub inhalierend. „Gleich kommen sie“, jammerte ich kläglich. „Der Feuerteufel und das Kühlschrankmonster und die anderen.“ Ich hörte ein Quietschen, öffnen von Türen. Ich glaubte mich verloren und wiederholte panisch „Oh Gott, oh Gott. Sie kommen“. Ich rollte mich zusammen wie ein Igel und wartete auf mein Unheil, doch statt bösen dunklen Gestalten hörte ich ein erheitertes Lachen, fühlte, wie mich starke Arme packten, hochhoben. Ich wagte einen Blick und sah in das grinsende Gesicht des Ritters.
„Wer kommt?“, fragte er mit einer Spur Irritation in der Stimme, doch ich lachte beschämt und schüttelte den Kopf.
„Keiner.“, sagte ich. „Niemand.“
Er trug mich durch den Flur, der mit seinen großen Schritten schnell durchquert war, die Wendeltreppe hinunter, wobei die Hände sich untertänigst zurückzogen, vorbei an Feuerteufel und Kühlschrankgeist, die sich kleinlaut verneigten und vorbei an den arroganten Ahnen, die nun respektvoll aus ihren goldenen Rahmen schauten. Schlussendlich saßen wir im Wohnzimmer, bei Kaffee und Kuchen, ich auf seinem Schoß und unbeeindruckt von alldem Kekse mampfend.
Wie immer war ich gerettet worden und solange er da war, konnte mir überhaupt nichts passieren, dessen war ich mir sicher. Und als wir gingen, versprach ich ihm hoch und heilig, ich würde ihm nächstes Mal ein Pferd mitbringen.


Anmerkung von Erdbeerkeks:

Es war wirklich so :D Jaja. War immer wieder aufregend.

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Kommentare zu diesem Text


 franky (27.12.10)
Das ist ein so herzerfrischender Text, wenn er auch von bösen Geistern erzählt. Packend von der ersten bis zur letzten Zeile.

Herzliche Morgengrüße

von

Franky

 SunnySchwanbeck (27.12.10)
OH KNIRPSIN!
das ist so wunderbar uschig und kleingläubig. ich hatte früher immer angst vor der waschmaschine meiner oma, im folterkeller mit den summenden lampen. hach.
wer hatte früher denn nicht solche kindlichen ängste? es ist einfach stimmig und süß.

du siehst übrigens immer noch entzückend in deinen kleidchen aus, do!


 princess (26.04.11)
Frühkindlicher Abenteuerurlaub bei der lieben Verwandtschaft? Na super! Was bin ich froh, dass es wenigstens den schwarzgelockten Ritter gab. Die Überschrift könnte auf den Zusatz (*Ängste einer 5-Jährigen*) für meinen Geschmack locker verzichten. Das erschließt sich quasi von selbst. Ein sehr lebendiger Text. Da werden sogar alte prinzessliche Erinnerungen wach.
Liebe Grüße an die Knirpsin und an dich, Ira
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