An der Uni

Erzählung zum Thema Bildung/ Wissen

von  KayGanahl

A. Der Akt mit ihr


Was ist los?
Wohin geht die Lebensreise?
Lieben wir einen Menschen?
Ertragen wir die Gesellschaft noch?


Die Gelegenheit war günstig.
- Von hinten siehst du mich, und … du nimmst mich auch von hinten, plärrte sie ziemlich vulgär. Da war ich einigermaßen verdutzt, wandte mich dann ganz kurz nach ihr um. Ich traute meinen eigenen Augen kaum. Sie stand einfach da, unterleibsfrei mit dem sich die ganze Zeit über aufreizend bewegenden Po. Absolut: das war eine eindeutige Einladung. Hier: eine Einladung mit einem Muss, dem zu „gehorchen” war, dachte ich eingeschüchtert.
Ich war schon ein wenig erregt, das muss ich zugeben.
Ich hoffte nicht, Blessuren zu erhalten ...
Ich musste mich meinem Trieb ergeben, oh!

- Klasse, meine Gute, klasse! rief ich aus. Sie stand nicht weit von mir entfernt, mitten im Zimmer. Das Zimmer war verdunkelt - nämlich die alten schäbigen Rollladen weit herunter, aber nicht ganz. Man konnte noch gut im Zimmer sehen. Ich war nicht nur erregt, - das Gefühl, was mich selten trog, sagte mir: Lust ist nicht alles, auch nicht in diesem Augenblick, der doch eine so tolle Gelegenheit zu sein schien!
Ich fühlte mich nicht besonders.
- Was? fragte ich, ihr von hinten sehr nahe gekommen, innerlich gefasst nach.
- Mmhh ... lecker! verlockte sie mich mit billigen Worten. Das war erstaunlich.
- Lecker?
- Wirklich! pries sie sich an. Nunmehr musste ich meinen Kopf schütteln. Zum Fenster ging sie jetzt, währenddessen ich ihr mit meinen (geilen) Blicken folgte.
- Du gehst zum Fenster? Aha! sagte ich. Darauf reagierte sie nicht.

Ich befand mich dann auch bald nahe dem Fenster. Da draußen, wo sich aufhielt, was Menschheit war, begab sich momentan sehr wahrscheinlich nichts, was mich gereizt hätte. Es gab sie, die Menschen, aber ...
Mir wurde es etwas übel zumute. Natürlich schaute ich jetzt auch mal zum Fenster heraus: Die Studenten strömten in Gruppen über den Campus, manche liefen allein. Studenten wie ich! Von oben konnte man ihre Ziele lediglich raten. Das eine oder andere Gesicht wäre mir vermutlich bekannt vorgekommen, hätte ich genauer hingeschaut. Nun ja, immer noch zeigte sie mir ihren Po, hin und wieder bewegte sie ihn auch, während sie selbst unausgesetzt zum Fenster hinausschaute.
- Gibt’s da was? fragte sie mich.
- Meinst du mich?
- Ja doch!
- Die Menschen, antwortete ich gelangweilt. Sie schloss jetzt das Fenster, danach öffnete sie es gleich wieder.
- Mir bedeutest du nicht so viel wie du vermutlich annimmst! sagte ich ihr, als ich wieder hinter ihr stand.
- Ich bedeute dir also nicht so viel, erwiderte sie etwas gelangweilt.
- Ich denke schon!

Auf Stöße würde sie erst einmal warten müssen, die Gute. Eigensinnig, voreingenommen in jeder Hinsicht, auch nicht gerade wenig eitel war ich nämlich.
Es gab so viele Männer in ihrem Leben, was musste ich da auch noch zustoßen!? Schließlich war ich mir selbst am meisten wert. Für eine derartige Aktion war ich mir - jedenfalls jetzt - zu schade.
Am liebsten wäre ich abgehauen, bewegte mich nunmehr, wenn auch ziemlich unentschlossen, in Richtung Zimmermitte zurück, blieb erst einmal nahe dem Schreibtisch auf der Stelle stehen, während ich sie weiterhin von hinten anblickte -  gelobte mir, die Ruhe zu bewahren, selbst wenn sie allzu irre werden sollte.
Und jetzt harrte ich dessen, was von ihr aus in Bezug auf meine Person geschehen würde.
An diesen Augenblick würde ich mich später gefälligst zu erinnern haben, denn ... nix weiter! „Geerntet“ hatte ich bis dahin immer mal wieder was von ihr. Sie verdiente meine Anwesenheit, meinte ich hochmütig.
Nunmehr drehte sie sich abrupt nach mir um, starrte mir in die Augen.

Wir sprachen:

- Du ... ich habe aber keine Lust! sagte ich zu ihr mit einer gewissen ruhigen Eindringlichkeit, dabei leicht ironisch. Ein Murren war ihre erste Reaktion.
- Du hast gefälligst Lust zu haben, Harry! Du blöder … was bist du noch? Äh, Dichter! blaffte sie laut. Kam zu mir, die Hosenbeine schlackerten in Bodennähe herum. Und sie grinste mich dick ironisch an.
- Ich? Nee! - Wenn da nichts ist, ist da nichts. Ich kann nicht beliebig stopfen. Das macht mir keine Freude, der Antrieb fehlt eben mal ganz ... ehrlich! Heute jedenfalls!
Sie kam direkt auf mich zu, zog ihre Hose wieder vehement hoch, was sie mit größter Umsicht und mit viel flotter Geschicklichkeit zu tun verstand. Ich war beeindruckt. Klar, das hätte sie besser nicht getan.

- Du beteuerst mir das wieder so - das ist fast eine Beleidigung! rief sie sehr laut aus, so laut, dass es mir peinlich war.
- Ich habe dich nicht beleidigt! sagte ich.
Bald sah sie in ihrem Aufzug so seriös aus wie immer.
Nach außen war ich relativ ruhig, indes war ich ein bisschen verwirrt. Und ob! Ich war vielleicht nicht nur ein bisschen verwirrt, aber keineswegs, und das zu meinem Glück, außer mir. Sie war meine Professorin; ich mochte sie.

- Und was passiert denn jetzt? fragte ich bei ihr höflich nach. Sie nickte, lächelte während des Nickens. Ich mochte sie, ja, außerordentlich! Warum auch nicht? Das war was Gutes. Davon war ich immer schon ausgegangen. Moralische Bedenken unseren gemeinsamen Sex betreffend hatte ich sowieso noch nie gehabt.
- Das sage ich dir nicht, antwortete sie mir kurz danach. Flüchtig warf ich einen Blick in Richtung Fenster.
Dann musste ich noch ihren leicht nach links wegfallenden Körper mit einem geschickten Handgriff stabilisieren. Sie blieb cool.
- Okay. Ich haue ab. ... muss nicht sein, dass ich was weiß ..., meinte ich.
Dann fügte ich an: - Ich muss jetzt ins Seminar, Schatz!

Sie nickte hierauf. Auf ihrem Schreibtisch im Amtszimmer lagen Arbeitspapiere, die mir nichts sagten. Über die schien sie sich hermachen zu wollen. Das war aber auch ihr verdammter Beruf!
Und draußen auf dem Gang wurde es lebendig. Studenten gingen umher.
Meine Frau Professorin schaute sich nach mir um, als sie sich auf ihren Schreibtischstuhl gesetzt hatte; ich würde bald zur Tür hinaus sein.
Sie war eine, so darf ich aus dem persönlich näheren Kennenlernen heraus preis geben, mit Gewissheit eine weltgewandt-gebildet-kluge und in jeder Hinsicht die privaten und öffentlich-beruflichen Angelegenheiten betreffend clevere und kompetente, daneben sogar handwerklich geschickte junge Dame, gut aussehend, hübsch geradezu, mit schwarzen langen Haaren, mit rot geschminkten Lippen und einem dynamischen Gang - eine Jungprofessorin mit einem hervorragenden persönlichen und fachlichen Ruf unter Kollegen und auch bei ihren Studentinnen und Studenten. Sie war in ihrem wissenschaftlichen Fach hochkompetent (besaß jedenfalls den Ruf). In meinen Augen war sie ein bewunderungswürdiges Geschöpf - wegen ihr war ich noch auf der Uni. Von Liebe wollte ich aber nicht sprechen.
Ich hatte bei dieser Jungprofessorin „einen Stein im Brett”, würde ich sagen;  war für sie attraktiv und nett, so darf ich vermuten. Sicherlich war ich kein hässlicher Typ oder etwa auch noch ein charakterloser Mensch, aber doch nicht ausgesprochen gut aussehend.
Gegenüber den Damen der wissenschaftlichen Herrlichkeit am Orte vermeinte ich mit einem gewissen Charme aufwarten zu können. Mittelgroß, dickleibig ohne der Fresssucht verfallen zu sein, leger gekleidet, oft mit schwarzen Lackschuhen herumlaufend, suchte ich bei den Frauen ihres Alters mein Glück. Ich hatte eine dicke Knolle im Gesicht, blonde volle Haare und einen blassen Teint, aber doch auch eine „freche Schnauze”.
Allenthalben war meine Wenigkeit weniger - so meinte ich damals richtig - hervorragend an Fähigkeiten und Wissen ausgestattet. Ordentlich eingeschriebener Student im (persönlich ungezählten) 18. Studiensemester, der ich war, konnte ich leider (noch) auf keine wissenschaftlich bedeutenden Leistungen hinweisen. Meine Anstrengungen als ein begabter Student, der sich selbst als emsig sah, bezogen sich auf die Erlangung von „Scheinen” und vielen Studien, die ich für wichtig hielt. Ich hatte keine wissenschaftliche Veröffentlichung nachgewiesen; aber immerhin hatte ich einen schmalen Gedichtband auf eigene Kosten veröffentlicht. Das hatte mir den Ruf als „Dichter” eingebracht. Rezipiert worden waren meine Gedichte noch nicht, was mir in diesen Tagen nicht so viel ausmachte. Natürlich: gern wies ich auf  meine schriftstellerischen Ambitionen hin, vermied es sauber, mich selbst zu rühmen ... es wäre ein krasser sozialtaktischer Fehler gewiesen. Jeder Student braucht Verbündete und Freunde. Ich war, um Geld zu verdienen und Kontakte machen zu können, als studentische Hilfskraft tätig. Meine liebe Jungprofessorin hatte mir diesen Job gerne gegeben! Hauptsächlich, wie beschrieben, war ich Student an dieser Universität, in diesem Fachbereich.
Es gelang mir im Grunde so einiges.

- Geht es, Schatz? Bewältigst du all die Arbeit mit wenigen Gedanken in wenigen Stunden? fragte ich sie, als sie sich über ihre
Arbeitspapiere zu beugen begonnen hatte. Sie wirkte auf mich sehr seriös.
- Ja, doch Klaus! Okay, alles okay! gab sie von sich, schaute kurz nickend auf. Nichts war da noch von Sexualität, es war alles wie weggepustet.
- Wir können jetzt wieder unsere Arbeit erledigen und studieren oder lehren ... was meinst du ... oder willst du noch einen besonders langen Anlauf nehmen!? fragte ich sie amüsiert, mit dem Hang zum Spaß. Inzwischen war sie längst in irgendeinen Text vertieft.
Sie: - Bitte, ... Klaus ... ich bin doch schon fast weg, verschwunden im Textwust!  Zu meiner Überraschung sprang sie von ihrem Sitzplatz auf - - - - . Rannte in Richtung Zimmertür und war heraus.
Ich sah noch einige der mir bekannten Köpfe von Kommilitonen, die mir ein Bier auszugeben schuldeten.
- Tschüss! warf ich ihr nach. Dann ging wieder die Tür auf.

- Hallo, Herr Meller! grüßte mich Professor Beck, welcher Zutritt zur kleinen Fachbibliothek des Zimmers besaß, wie ich bestens wusste. Das hier war ein Zimmer für zwei Hochschullehrer plus den Lehrern, denen man den freien Zutritt gewährte. Meine liebe Jungprofessorin war die eine hochqualifizierte Kraft --- der Wissenschaft und Lehre.
In dieser Uni, wie überall, war man knapp bei Kasse. Das sind die modernen Zeiten für die Wissenschaft.
Professor Beck war klein, schlank, braunhaarig, fidel und redegewandt bis ins Extrem des Könnens.
- Ich grüße sie, Herr Professor! Er nickte freundlich zur Antwort, sah mich flüchtig an. Oft kam er hier herein und suchte nach Büchern. Und der Professor lief schnurstracks zu den Büchern in der Regalwand hinter mir, griff eines, und dann war er auch schon wieder aus dem Raum. Es war ja schließlich auch sein Büro.

Ich suchte sie auf einmal, diese Jungprofessorin, in meinem mir doch so enorm wertvollen Bewusstsein, aber sie schien ganz wirklich fort.
Ich suchte sie immer noch, minutenlang, vielleicht eine Stunde lang. Fast hätte ich nach ihr auf dem Gang gerufen, ließ es aber ganz sein.

Ich glaubte damals, dass ich irgendwie ernsthaft in sie verschossen war ... . Nun gut, besser wäre es wohl gewesen, hätte ich um seinen Rat, des Psychologieprofessor Meiers Rat, wieder gebeten: es schien, dass er mir in der letzten Zeit meistens aus dem Wege ging.
Natürlich - immer hat der andere, in diesem Fall ich, initiativ zu kontaktieren, nur sehr selten der sozial, beruflich oder/und funktionell höher Stehende, in diesem Fall der Professor. Allgemein war ich für meine kommunikative Zurückhaltung bekannt. - Ob ich das zu bedauern hatte ... ich überlegte, kam zu keinem letztgültigen Schluss, zumal ich allein war. Jetzt setzte ich mich auf den Bürostuhl meiner lieben Jungprofessorin. Ich hatte freien Zugang zu diesem Zimmer, diesem Büro, zum Büro der Jungprofessorin, solange ich einer der männlichen wissenschaftlichen Hilfskräfte war.
Sie war auch vom Wissenschaftlichen her meine Lieblingsprofessorin, die ich sehr gerne hörte, von ihr las, über sie las. Inzwischen dürfte sie wieder in einem Hörsaal gewesen sein, um eine Vorlesung abzuhalten; diese Veranstaltungen in der Fakultät haben mir lange, sehr lange etwas bedeutet, ... in diesen Tagen jedoch ...
Gewissermaßen ist mir meine sexuelle Vorliebe zu Hochschullehrerinnen in die Quere gekommen. Womöglich war auch dieser Professor Beck, professioneller Psychologe und Hochschullehrer, in die Jungprofessorin verknallt?
Kannte er mein Verhältnis zur Jungprofessorin?

Ich hatte in diesen paar stillen Augenblicken des Alleinseins meine Gedanken zusammen zu halten. Ich fasste mich.
In dieser Stunde liefen ein paar Seminare im Fachbereich. Hier, in diesem Zimmer, würde ich weitgehend ungestört sein können. Niemand würde mir so schnell ein Problem machen!
Das bestimmt. Sie, diese Gedanken, gerade die Gedanken an die Menschen, durften für mich zu keiner Belastung werden. Ich wollte meine Gedanken vollauf zu kontrollieren versuchen, ja beherrschen! Es gelang mir in stillen Augenblicken aber auch ganz prächtig.
Die momentane Stille in diesem Büro half mir dabei beträchtlich. -
Natürlich hatte ich die Bildung von Gerüchten zu befürchten. Dies war immer möglich. Die Uni ist eine riesige Gerüchteküche. Wenn ich hier saß, glaubte ich an die Verhinderung von Gerüchtebildung und all dem, was unangenehm werden kann.

- Wie ist das noch ...? dachte ich laut nach. Pflichten ... scheiße ... ich konnte eine Jungprofessorin ficken. Ich durfte es dem Gesetz nach, keiner konnte mir allein daraus einen Strick drehen!
Fest stand aber für mich, mit den sozialen Pflichten, also u. a. der Rücksichtnahme auf die Moral und die Gefühle anderer Menschen, also des ... ja des ... des so genannten wahren Lebens in der realen Gesellschaft der normal denkenden und normal fühlenden Erdenbürger hatte ich es nicht besonders!
Das konnte ich mir gegenüber durchaus zugeben, anderen gegenüber schon viel weniger. Die fingen schnell zu verachten an, man musste vorsichtig sein! Die Gesellschaft bannt einen Menschen schnell, nur darin ist sie wirklich schnell.
Der Gedanke an irgendeine, ... von mir negativ begriffene Pflicht hatte es mir gar nicht angetan.
- Bestimmt keine Pflichten annehmen! Dagegen muss ich mich wehren! sagte ich laut, zu laut; es hätte vor der Tür irgendeiner hören können.
Aber es hörte keiner. Nahm ich an.

Nun wollte ich mich ganz und gar auf produktive positive Gedanken in meinem Bewusstsein konzentrieren, was schwer fiel, es gab da nämlich Stimmen, die mich störten. Irgendwie schreckliche. Schreckliche!




B. Die Stimmen im Zimmer des Professors


Die Stimmen wurden in den wenigen Augenblicken, da ich sie erstmals wahrnahm, durchaus nicht lauter. Ich war vorsichtig, schließlich extrem auf meine Gedanken konzentriert - wollte ich meine Gedanken doch voll kontrollieren. Ich konzentrierte mich mit aller Macht, derer ich fähig war!
- Stimmen!! herrschte ich gespielt-streng lächelnd den Kassettenrekorder vor mir an. Aus ihm kamen sie, sie polterten wild, hingegen weiterhin nicht lauter werdend. Er musste eventuell ganz schnell wieder in der Schublade verschwinden. Diese Stimmen waren, wie es schien, unbeherrschbar schrecklich ... schrecklich! Abstellen.
- Abstellen! rief ich in den Raum. Dann schob ich den Kassettenrekorder, der vor mir auf dem Schreibtisch stand, an welchem ich saß, langsam von dem Schreibtisch herunter. Er stürzte zu Boden. Nun ...
- Sti ... stimmt ihr auch?  fragte ich ihn. Der Rekorder antwortete nicht. Verdammt!

Eine Antwort kam binnen der folgenden Minuten wirklich nicht. Ich hörte weiter. Ich hörte angestrengt in allen Richtungen des Raumes weiter, stand auf. Ging hin und her. Es ließ sich jetzt keine Stimme mehr finden, so gut ich auch horchte!

- Wo seid ihr jetzt? rief ich. Nichts. Glücklicherweise befand sich gegenwärtig außer mir keiner im Zimmer.
- Wo? ... seid ihr denn jetzt, verdammt? rief ich, noch eindringlicher, noch lauter. - Nichts!
- Ich bin hier, unten, ganz unten, ... in der Superscheiße. Der Boden ist mir zu kalt, Junge! Student! Bitte, so hebe mich doch mal endlich auf!!! musste ich mir anhören. Es war der kaputte Rekorder, der noch am Boden lag.

Dann öffnete sich die Tür. Irgendjemand kam leichtfüßig in das Büro des Professors, während ich mich, sehr bemüht, nahe des Schreibtisches mit einem anscheinend kaputten Kassettenrekorder abgab.




C. Begegnung mit Schmäler

Ich schaute erschrocken auf, ... unter mir stand der Rekorder. Ich war müde - sehr müde. Mein Gesicht sah sicher sehr müde aus. Schmäler war herein gekommen, nicht Herr Professor Beck.
Da stand er nun!
- Bitte sehr, weiter vorgetreten, lieber Herr! sagte ich mit einer
reichlich trocknen Stimme. Schmäler stand wie eine Betonsäule da, wie mir schien. Er brachte kein Wort heraus.

Dieses Zimmer, ein nicht allzu geräumiges Büro, war von mir stärker abgedunkelt worden. Flugs saß ich angesichts der Anwesenheit von Schmäler am Schreibtisch, beugte mich über einen geöffneten Aktenordner - und wollte endlich einschlafen. Aber Schmälers Anwesenheit verstörte mich zunehmend. Seit der Begegnung mit meiner Jungprofessorin war bloß eine halbe Stunde vergangen - vielleicht waren zwei Stunden vergangen.

Sogar schnarchen wollte ich im Schlaf - wollte ich ganz gerne noch, so ein bisschen nur, aber doch immerhin ganz in Ruhe ungestört ins Schnarchen abgleiten, ohne irgendein Problem im Kopf wälzen zu müssen. Aber ich musste nun meine Aufmerksamkeit ein wenig auf diesen lieben Herrn Schmäler richten.
Dieser liebe Herr blieb sprachlos. Beobachtende Analyse, - was verband ich sofort mit dem flüchtigen Anblick dieses lieben Herrn?
Jedenfalls blieb er  v o r e r s t  sprachlos! Ich wusste einfach nicht einzuschlafen, so dass Schmäler meine uneingeschränkte Aufmerksamkeit erhielt.

Schmäler war, wie ich nach ein paar Sekunden des Überlegens meinte, so Mitte Zwanzig, ein Jüngelchen aus besserem Haus, wie man allgemein zu wissen meinte. Er war wohl, was das Leistungsniveau anbetraf, nur so ein mittelmäßiger Student. Das war einfach bekannt. Ebenso war einfach bekannt, dass er ein kleiner klugscheißerischer Narr, der im Grunde neben den Schienen her trabte und gar nichts wusste, war. Aber er wollte, wie es hieß, in der gesellschaftlichen Pyramide aufsteigen. Und, nicht zu vergessen, er war für seine sexuelle Fixierung auf jüngere Dozentinnen bestens bekannt. Das missfiel vielen Dozenten und Professoren. (Es war dies ja ähnlich wie bei mir, insofern war er sogar eine Art Konkurrent um die Gunst von Jungprofessorinnen!)
Er ließ sich nicht stören, fuhr leidenschaftlich in seinem hierauf bezogenen Tun fort. Außerdem: Er hatte braunes Haar, ‘ne braune Weltanschauung, braunes dummes Meinenmüssen, oft eine hässliche schlampige Jeans an; trug auch immer ein schales Gesicht, welches er allerdings zu pflegen wusste.
Meinetwegen sollte er ohne Abschluss an dieser Fakultät 50 Jahre alt werden. Meinetwegen! Ich hatte mich bis zu diesem Moment zuinnerst geweigert, allzu viel über ihn nachzudenken! Sein Schicksal war mir gleichgültig, ich begegnete ihm bloß gelegentlich.
Er war jetzt im Büro. Einen Pack Hefte oder Papiere in den Armen. 
Er war und blieb mir gleichgültig.
Ich war missgelaunt - wahrlich. Jetzt auch noch dieser Typ!

Eher von mir nicht erwartet, wagte Schmäler ein paar leise Schritte, dabei wortlos, in das Büro hinein. Jetzt übermannte mich eine gewisse Unruhe, zum Glück wurde ich nach außen hin sichtbar nicht nervös!
Der Boden knarrte. Von irgendwoher kamen Musikklänge an mein gestresstes Ohr. ... und diese Stimmen?

- Taaag! rief er aus; lächelte so verzerrt, dass es fast ein Grinsen war. Er war nahe des Schreibtisches, wo ich mich, gerade aufgestanden, vor ihm aufgerichtet hatte.
- Tag auch! begrüßte ich ihn. Er war wie ich als wissenschaftliche Hilfskraft tätig (er für Professor Klunker). Dieser Professor war ein Arsch, was jedem klar war. Kein Wunder, dass er Schmäler eingestellt hatte. Schmäler erledigte alle unangenehmen Arbeiten (nur ein Gerücht?) für diesen schlecht gekleideten, oft miesepetrigen Durchschnittswissenschaftler. Klunker ... dieser Klunker, Bunker! reimte man in der Fakultät.
Die jungen Studentinnen nahm er vorzugsweise härter ran. Er war ein liebeseliger, äußerst bierseliger und ehrgeiziger Mann. Wegen seines Bierbauchs und wegen seiner vielen Liebschaften mit den jüngeren Semestern in der Universität, oft unbekannten Gesichtern, wurde er „geiler Prof” genannt. Er war neben meiner Jungprofessorin der Mitbenutzer dieses Büros.
Was sollte ich jetzt tun? Aus dem Zimmer zu gehen, einfach so, wäre falsch gewesen. Trotz meiner momentanen Unsicherheit konnte ich mich gut kontrollieren. Ich war vom Durchdrehen sehr weit entfernt.
Aber das Unwohlsein, damit die Unsicherheit, steigerten sich.
Und der Kassettenrekorder war immer noch auf dem Boden. Ich stand wurzelfest vor Schmäler.
Wo waren im Moment diese Stimmen - - - ???

- Wie steht’s? fragte mich Schmäler ins Gesicht. Er grinste feist. Ich grinste feist zurück. Wir mochten einander nicht sonderlich.
- Ach. Geht so. Könnte besser gehen! Ehrlich, kein Problem, das mit dem Bessergehenkönnen ...  wenn ich mir das genau überlege, könnte ich auch darauf verzichten, dass es mir bald besser geht! Die Mitstudenten brauchen mich.
- Aha! Sie brauchen den Herrn, äh die Dame ... Liebling aller jungen Professorinnen, aha! gab er mir zu verstehen, grinste wieder feist, noch feister denn zuvor.
- Ich muss gehen. Ich muss gehen! sagte ich nunmehr.
- Du doch nicht, dich brauchen die Studentinnen doch nicht, dich doch nicht!
- Oh doch, meinte ich felsenfest. Und ich machte Anstalten, zur Tür zu gehen.
- Haaaalt! brüllte er los. Ich erschrak. Gleich saß ich auch schon wieder hinterm Schreibtisch meiner Jungprofessorin.

Ich hätte ihm vielleicht eine halbe Stunde zuhören können, was ich gerade noch so geschafft hätte, doch ich wollte absolut nicht.
Also: weghören! Oder lieber weggehen, ja doch: weggehen! Allerdings, möglicherweise: bleiben. Im Büro gab es eine kleine Küchenzeile, wo man Kaffee kochen und Brötchen schmieren konnte. Dorthin bewegte ich mich nun, weil mich Schmäler nicht an sich vorbeigehen lassen wollte, worüber ich durchaus nicht erstaunt war.
Wie lange würde ich noch im Büro bleiben?
Bevor ich zur Küchenzeile ging, reckte ich meinen Kopf in ihre Richtung, wo ich niemanden wahrnehmen konnte. Ich hatte bislang weder ein Mäuschen noch eine Fliege oder eine Mücke überhört. Schmäler schien meinen Unwillen, mit ihm zusammen zu sein, zu spüren.

- He, was machst du, Schmäler ... ? rief ich, als ich dabei war, in der Küchenzeile (ganz schön für ein kleines Zimmer!) einen Kaffee zu kochen. Schnell schaute ich nach Schmäler. Er reagierte nicht. Den Kaffee musste ich zubereiten - für mich. Ohne Kaffee konnte ich an dieser Universität nicht existieren. Kaffee war mein Lebenselixier, nicht nur meines. Viele Mädchen mochten ihn sehr. Man tauschte Rezepte für die Herstellung von Kaffee aus, so weit ging es schon. Natürlich hielt ich derlei für leicht übertrieben.

Diesen Kassettenrekorder gab es noch. Und mit einem Seitenblick erfasste ich das immer noch auf dem Boden stehende Gerät. Es schien wieder Leben in ihm aufzukommen. Die Stimmen drangen zunächst nicht stark in mein Bewusstsein.
Währenddessen kochte der Kaffee; bald trug ich eine gefüllte Thermoskanne mit Kaffee in Richtung Jungprofessorin-Schreibtisch.

Schmäler hatte zu schwitzen angefangen. Er stand aufrecht hinter dem Schreibtisch seines Professors und wühlte in irgendwelchen Papieren. Er wirkte auf mich ausgesprochen verhetzt, so als würde es sich um eine wichtige Sache handeln, welcher er hektisch nachging. Er sprach allerdings kein Wort, fluchte auch nicht - sogar als das Telefon seines Professors schellte. Das Schellen ignorierte er geflissentlich.
Wie lange würde Schmäler noch im Büro bleiben? Wie lange würde ich es mit ihm zusammen in einem Zimmer aushalten können?

Dann ließen mich die langsam lauter werdenden Stimmen aufhorchen, was mir sehr missfiel. Gern hätte ich sie weiter ignoriert, aber das war mir unmöglich! Die Stimmen, welche ich jetzt wieder  - heisere, tiefe, recht leise Stimmen, aber eben auch lauter werdende - vom Kassettenrekorder zu hören bekam, wirkten nunmehr wie menschliche Stimmen, die ich kannte; ich hielt sie für  e c h t, für authentisch. Ganze Sätze mit logischen Inhalten befanden sich neben sehr ekelhaft wirkenden Stammeleien ...
Und Schmäler? Hörte er sie nicht ebenfalls, verdammt? Es gab keinen Moment während des Aufenthaltes in diesem Zimmer, da ich diesen Schmäler nicht zum Teufel gewünscht hätte!

- Was machst du, Schmäler!?!!? fragte ich ihn, während es mir vor Aufregung und Zorn heiß wurde.
- Was geht dich an, was ich so mache, du ... Schleimbeutel? Wie siehst du überhaupt aus? gab er von sich. Mit einem zornig-überheblichen Blick starrte er mich an. Ich saß hinter dem Schreibtisch meiner Jungprofessorin und schlürfte den Kaffee, obwohl mich die Stimmen als auch Schmäler extrem belasteten. Er warf sich jetzt auf den Stuhl hinterm Schreibtisch - saß hinter dem Schreibtisch.
- Was du machst, ist für mich bedeutungslos. Ich will wissen, ehrlich gesagt, genau gesprochen, ob du diese Stimmen hören kannst, die ich hören kann. Sie kommen aus dem Kassettenrekorder unter mir, auf ... auf dem Boden. Siehst du ihn, hörst du diese Stimmen? Verdammich nochmal ...! fauchte ich ihn lautstark geschliffenen Wortes an.
- Schnauze!!! gab er mir ordinär von dem Schreibtisch, hinter dem er saß, zurück. Er wühlte weiter in diversen Papieren. Was auch immer sie bedeuteten!
Sowieso war er ein arrogantes Miststück, schien mich jetzt womöglich gar nicht mehr als existent zu betrachten. Seine fiese Überheblichkeit stank zum Himmel. Rauswerfen konnte ich ihn nicht, denn er hatte genauso offiziell Zutritt zu diesem Professorzimmer wie ich.
Jede wissenschaftliche Hilfskraft durfte sich, wenn sie ihre Arbeit aufgenommen oder einen speziellen professoralen Auftrag hatte, in den Zimmern der Professoren relativ frei bewegen.

Dann meinte Schmäler auf einmal relativ ruhig: - Ich bin hier, um zu arbeiten, will nicht gestört werden!
- Neugierig bin ich nun einmal, lieber Kommilitone, wenn ich so ehrlich sein darf! sagte ich, während ich auch am arbeiten war.
- Neugierig wie ein dummer Junge, der sich unter die Großen der Welt der Wissenschaft verirrt hat! Du …! Glaube mir, dummer Junge, du brauchst die Professoren, denn ohne sie bist du niemand! so faselte Schmäler. Ich war verärgert. 
- Was fällt dir ein, Schmäler! ... ich bin nett zu dir, du aber behauptest Unsinnigkeiten!
- Niemand ist zu mir ... zu mir nett! Niemand, auch du nicht! Du biederer Schleimbeutel!
- Das habe ich nicht gehört, erwiderte ich hierauf, versuchte dabei sehr gefasst zu wirken. 

Währenddessen schaute er nicht von seinen Papieren auf, ich genauso wenig.
Die Stimmen schienen mir für einen normal Hörfähigen gänzlich unüberhörbar zu sein, aber dennoch könnte es sein, dass nur ich sie in meinem Bewusstsein registrierte (oder: nur ich registrieren konnte, weil nur ich dazu fähig war!).
In einem Augenblick hätte ich fast mit meiner rechten geballten Faust auf den einen externen Lautsprecher des Kassettenrekorders geschlagen, den ich, als ich mich dazu aufgerafft hatte (von Schmäler wahrscheinlich unbemerkt) vom Boden nahe dem Kassettenrekorder eigenhändig aufgehoben und auf den Schreibtisch gestellt hatte, weil diese Stimmen immer weiter sprachen. So enorm beängstigend aufdringlich! Ich verstand den Inhalt des Gesagten überhaupt nicht mehr, wenngleich immer noch grammatikalisch vollständige Satzbildungen vorkamen.
Ich starrte, weil ich ohne jede Konzentration auf die Arbeit war, die Zimmerdecke an. Ich hatte keine Lust mehr auf Schmäler, keine Lust auf diese Stimmen ...
Diese Stimmen waren höchst lebendig-echt, sie zogen in mein Gedächtnis als bunte Gedanken, die ich nicht mehr loswerden konnte.




D. Mein Feldherrnhügel


Ich hatte zu arbeiten gehabt.

Das war ziemlich viel Arbeit gewesen! In den Block mit den unbeschriebenen Seiten hatte ich mich vertieft und aus den Seiten beschriebene Seiten gemacht.
Darin war ich recht gut. Eine Hängeleuchte an der Decke hatte mir in den letzten Stunden dabei geholfen. Die Dunkelheit hatte jetzt, im Herbst, früh eingesetzt; ich musste mich bemühen, die Wörter ordentlich zu krackeln.
- Mühelos geht kaum irgendetwas, muss ich gestehen ... gab ich von mir. Ich streckte meine Arme nach hinten weg aus. Mental befand ich mich in einer soliden Verfassung, vermutete ich. Selbst wenn jetzt dieser provokante Typ Schmäler zur Tür herein kommen würde, würde ich ihm keinen ablehnenden Blick entgegenwerfen!

- Nun ... was macht einem das Leben lebenswert? Die Scheißarbeit, die man bewältigen kann, ohne dass man sich abrackern muss! Gestehe ich ..., so sagte ich nunmehr. Eine Limonade, die vor mir auf dem Schreibtisch stand, versüßte mir Gedanken, die zu Äußerungen führten.
-  Dann ist da aber noch was anderes! Äh ... wenn ich die Stimmen nicht in mir wüsste, aktiver denn je, ich würde verzweifeln, denn wenn sie außerhalb von mir eine reale Existenz, zumal eine materielle reale Existenz hätten, so wäre ich aufgeschmissen. Ich müsste mich umbringen! sagte ich. In dieser Sache war ich mir mittlerweile sicher. Ich fuhr mühelos fort:
- Sie würden mich total beherrschen können!!!! Und letzteres fluchte ich geradezu. Rutschte auf dem Stuhl herum. Schlug mit einem Stock nach der Hängeleuchte, die nicht weit von mir prangte.

Das Zimmer war nicht größer geworden, nicht gemütlicher, nicht ... Professor Beck hatte mehrmals vorbeigeschaut. Meine Jungprofessorin hingegen machte sich rar, sie war wohl ganz woanders.
Indes war Schmäler inzwischen fort. Die meiste Zeit saß ich allein im Zimmer am Schreibtisch meiner Jungprofessorin und arbeitete.
Meinesteils war’s kreativ. Der Schreibblock hatte nicht mehr viele Seiten. Hier war ich ein Inspirierter. In diesem Zimmer fand ich zu Satzbildungen, die recht kreativ waren.
- Ich kann zufrieden mit der Ausbeute sein heute ..., sagte ich, während ich die letzten Sätze krackelte.

Der Herstellungsprozess dieses in Arbeit befindlichen Werkes war beendet worden. Ich atmete auf. Aber ich wusste, das ein literarisches Werk im Grunde niemals beendet werden kann, weil es späterhin nämlich Kritik an ebendiesem Werk von allen Seiten hagelt.
Trotzdem musste ich einfach aufatmen. Das war eine Pflicht mir selbst gegenüber! Den Stift schleuderte ich mitten ins Zimmer, wo er aufprallte und kaputt ging.
Hiernach sprang ich auf und durchmaß das Zimmer in großen Schritten, als wäre es mein Feldherrnhügel! Jetzt durfte niemand durch die Tür das Zimmer betreten.
Anschließend, innerlich viel zu aufgeregt, musste ich erst mal entspannen; da konnte ich sehen, dass ein Aufatmen recht wenig aussagt oder gar bewirkt. Ich legte mich rücklings flach auf den Boden, mitten auf den Zimmerboden, starrte die Decke von unten an.

Jemand öffnete an der Klinke die Tür. Professor Beck schaute unerwartet zum Zimmer rein, grüßte mich lächelnd, breit lächelnd, und auf dem Gang tobte es. Ich erkannte in dem Moment, als Beck mich anlächelte, und ich mich auf dem Boden aufsetzte, ein paar Girls mit langen blonden Haaren, die den Gang hinab stürmten. Sie waren doch allzu hübsch anzusehen, eine Koreanerin unter ihnen! Ich mochte sie, hatte sie doch auch vor zwei Jahren in einem Seminar neben mir gesessen.
- Es passiert gerade etwas! äußerte er, während er wieder so ein Buch aus einem Regal nahm.
- Was meinen Sie denn, ... ?

In der Studentenschaft brodelte es, die Stimmung würde bald auf dem Siedepunkt angekommen sein. Und ich war eben nicht mittendrin, sondern am Rand. Stimmungen rissen mich nie mit. Ich war resistent gegen jede Art von Übertreibung, besonders emotionaler Art.
Die schönen Bienen, die sich stets preisboten, gefielen mir nicht unbedingt häufig. Einen Till Eulenspiegel gab es unter den Studenten gar nicht, was zu bedauern war. Ich war ja leider auch kein Till Eulenspiegel - möge irgendwann einer auftauchen und die Zustände verändern, wie sie sich mir darboten!
Als der Professor gegangen war, schaute Schmäler vorbei! Dieser ... Wider ... Ich hätte fast gekotzt, sprang jedenfalls vom Boden auf und platzierte mich nahe meinem Schreibtisch, um Schmäler nicht im Wege zu liegen oder zu stehen.

Und dann noch diese Stimmen, die gerade wieder aufkamen, obwohl ich den Kassettenrekorder in einen Metallschrank gestellt hatte. Sie drangen von dort aus an und sogar in mein Ohr! Die Stimmen durften mich nicht vom Arbeiten, vom Leben schon gar nicht, abhalten. Sehr seltsam waren sie allerdings. Unerklärlich. Ich hätte eigentlich mit größtem Schrecken aus dem Zimmer flüchten müssen, doch ich verharrte mit einem eisernen Durchhaltevermögen in der Bestimmung, hier sein zu müssen.
Wusste ich doch um die berufliche Alternativlosigkeit. Ich musste wissenschaftliche Hilfskraft und Dichter sein! Und mit allen Bescheuerten dieser Welt würde ich fertig werden, dachte ich. Mit einem Schmäler konnte ich leidlich fertig werden, klar.
Unklar war hingegen, ob ich mit den mich bedrängenden Stimmen fertig werden könnte!

- Hier sind wir nun, meinte ich. Meine Gelassenheit war nur äußerlich und gespielt. Schmäler hingegen schien mir sehr selbstbewusst und zu allen Schandtaten bereit. Er stand direkt vor dem Schreibtisch seines Professors Kluger. Auch so einer. Auch so einer! Dann ging er zu einem Schrank.
- Stimmt! stimmte mir schließlich lautstark Schmäler zu, der an einem Schrank die Schubladen öffnete und schloss.
- Miteinander verwoben, in einem dunklen Netz aus Intrigen. Gruselig ist’s fürwahr, Jungchen! warf ich gelassen, dabei aber sehr ironisch sprechend in den Raum.
- Es wird zwischen uns nicht mehr besser werden, vermute ich; einer von uns beiden wird wohl gehen müssen! sagte Schmäler herausfordernd. Er kehrte zu dem Schreibtisch seines Professors zurück, setzte sich auf die Schreibtischkante; Unruhe schien sich seiner zu bemächtigen. Ich beobachtete ihn möglichst unauffällig, denn einen wie ihn muss man grundsätzlich im Auge behalten!
Schmäler brachte es nicht fertig, die beißende Ironie aus seinen Äußerungen zu wegzulassen. Vielleicht verachtete er mich total, hätte mich am liebsten mit Stumpf und Stiel aufgefressen, um mich hernach öffentlich auszuspucken. Die Kommilitonen hätten sich teilweise kaputt gelacht.
Und ich wiederholte mich nunmehr: „Hier sind wir nun!“

   


E. Gespräch mit meiner Freundin

- Er ist verrückt. Ein Arschloch dazu! Ich verachte ihn! sagte sie mit dem Brustton der Überzeugung. Sie lachte hämisch. Und ich nickte mit dem Kopf zur Zustimmung. Ihr Schreibtisch war voller Dokumente und Aktenordner, einige Bücher befanden sich auch darunter. Ich liebte ihren vollen Schreibtisch, er war der beste Hinweis auf ihre Befähigung als Arbeitstier und wütende junge sozialkritische Wissenschaftlerin, die alles vorantreibt, an dem ihr etwas liegt.

- Sein Professor Kluger ist auch nicht besser ...! gab ich von mir, war verschwitzt und befürchtete, sie würde die Achselnässe bemerken. Dafür war sie aber wohl zu wütend, dabei auch konzentriert auf das, was sie vor sich sah. Kurz fuhr ihre rechte Hand vom Schreibtisch hoch. Ich hätte sie gerne greifen mögen! Es kam mir fast so vor, als verschwände sie hinter dem Berg von Papier. Mein Gesicht konnte sie ja gar nicht beobachten! ... dabei saß ich auf einem Stuhl vor ihrem Schreibtisch, etwas mittig im Zimmer.
- Er ist klüger, der Kluger. Und nicht solch ein A ... ich möchte ihn trotzdem loswerden! Er stört mich immer wieder mit seinen Anmachversuchen! Viele könnte ich zum Teufel wünschen, suche das immer wieder zu vermeiden ... so ist das ...!
- Aha! meinte ich kurz.
- Aha! Was für eine kluge Äußerung! Man sollte vorsichtig sein mit seinen Worten, denn Worte sind Pfeile in die Psyche des anderen …
- Aber wir sind hier allein! so stellte ich ganz richtig fest.
- Ich könnte doch etwas von dem weitertragen, was du mir gesagt hast!
- In dieser Hinsicht vertraue ich dir doch erheblich! Du bist meine seriöse Freundin ...! ... oder etwa nicht? fragte ich sie jetzt.
- Niemandem darf man uneingeschränkt Vertrauen entgegenbringen! Das ist einer meiner Grundsätze! schmetterte sie mir entgegen.
- Nun ja. Ich öffne das Fenster. Es ist mir zu heiß im Zimmer, ... darf ich?
- Ja, bitte! Sofort! befahl sie geradezu und lachte wieder hämisch. Das mochte ich nicht an ihr. Sie konnte Häme gegen jedermann entwickeln und scheute sich nicht, sie zu zeigen. Dabei warnte sie mich vor Worten, die ich äußere ... widersprüchlich war sie schon!

Ich war am Fenster, schaute hinaus. Momentan war der Campus ziemlich leer. Auf den Bänken, die ringförmig angeordnet waren, saßen lediglich ein paar junge Frauen. Natürlich hätte ich mich gern zu ihnen gesellen wollen, aber meine Jungprofessorin hatte mich gerade an sich geklebt. Wenn sie mich gerufen hatte, musste ich kommen und bleiben.
Nun kehrte ich vor den Schreibtisch zurück.
-  Danke! Es kommt frische Luft ins Zimmer. Und wieder sie: - Weißt du, dieser Kluger ist mein schärfster Konkurrent. Er hat auch einen zu guten Einblick in meine Arbeitsmethoden! Das darf nicht so weitergehen! so sprach sie auskunftsfreudig.
- Im Vergleich zu Schmäler hältst du diesen Mann für gefährlicher, viel gefährlicher, wie ich hören muss. Aber so ein Beamter auf Lebenszeit ist nicht leicht loszuwerden! meinte ich ganz ernst.
-  Ganz leicht wird das nicht werden! Aber wir verfluchen diese Typen besser, bevor wir sie zu ernst nehmen und sie uns den Schlaf rauben! ... weg, nur weg! Übrigens kenne ich seine Methoden ebenfalls!
- Gut, gut! jubelte ich beinahe, setzte mich endlich wieder auf meinen Stuhl, mit dem ich näher in Richtung Schreibtisch rückte.

Ich weiß nicht mehr, wie lange wir noch in diesem Zimmer blieben. Wahrscheinlich war es nicht allzu lang. Noch eine Stunde, noch zwei Stunden. Meine Freundin bekam eine ganz üble Stimmung, in der sich viel Verachtung für das gesellschaftliche Leben kundtat. Ich teilte diese Verachtung mit ihr!
So etwa 18 Uhr abends verließ ich das Gelände der Universität. Zuhause hatte ich noch mein Abendessen zuzubereiten. Vielleicht war meine Freundin mit mir gegangen ... ach ja, natürlich, sie war bei mir. Händchen haltend.

Zuvor wurde unser beider Verachtung ganz deutlich und fand zu einer diskursiven Einheitlichkeit! Es kam zu keiner gedanklichen Verflachung oder Oberflächlichkeit des Denkens oder vielleicht sogar zu einer gewissen Entleerung des geistigen Inhalts. Ich erinnere mich allenthalben noch gut an die folgende Äußerung meiner lieben Freundin:
- Ich möchte Menschen akzeptieren, kann es aber nicht. Sie sind zu gemein. Zu viele. Bei uns auch, bei uns auch! meinte sie voller Häme. Mich graute vor ihr in einem solchen Moment, es war doch sehr bedenklich.
Längst hatten wir eine Brücke neben uns gesehen, über die wir nicht gehen wollten, obwohl wir schon oftmals auf ihr gegangen waren, weil sie uns so gut gefiel.

Ich musste jetzt mit Bezug auf das, was ich gehört hatte, reden. Sehr entschieden: Schmäler ... dieser debile ... Schmäler ist der Triumpf der Gemeinheit, ein hinterlistiger und scheinheiliger Idiot, der nichts kennt außer seinen eigenen Interessen, die er hinter dem Rücken derer, die er ablehnt, tatkräftig betreibt. Er guckt starr, ohne sich ablenken zu lassen, nach vorn, ist völlig fixiert auf seine Vorteile, die er zu erringen voll bestrebt ist! In meiner persönlichen Einschätzung von Schmäler als Mensch rangiert er ganz weit hinten.
- Das sind interessante Sätze, die meine inhaltliche Zustimmung finden! meinte sie. Und wir waren an einem Wäldchen angekommen. Vielleicht war irgendwo da vorne ein Hund gewesen? Gebell war jedenfalls unüberhörbar. Häuser befanden sich links gegenüber, weil dort die lange Allee begann.
- Nur interessante Sätze? fragte ich nach. Ich umarmte sie nun.
- Man sollte nicht zu sehr in Wörtern baden! ... ich finde, alles ist miserabel geworden innerhalb dieser Gesellschaft. Davon gehe ich aus, wenn ich mir bezüglich eines Details ein Urteil bilden muss! Schmäler ist ein Detail, eine relativ unbedeutende Einzelperson, die man nicht wichtig nehmen muss, wenn man das nicht tun will. Denn man könnte ihn auch ignorieren!
- Ach ja! gab ich von mir. Es fing gerade zu nieseln an. Ich entließ meine Jungprofessorin nicht aus meiner Umarmung. Im Wäldchen, wir gingen weiter, umarmte ich sie noch fester als vorher.
- Ich denke wissenschaftlich! Tja, inhaltlich gesehen kenne ich auch ein paar Gleichurteilende zu Schmäler in unserem Fachbereich ... ich weiß von Kollegen, die ihm die Pest an den Hals wünschen! Obwohl, ... tja, obwohl er als Student keineswegs der schlechteste ist, eine Begabung könnte man sagen.

Jetzt hielten wir uns unter den Balkons eines großen Wohnblocks auf.

- Man überschätzt die Begabung, so entgegnete ich. Ich habe keine, leiste trotzdem gute Arbeit! Mein Gott, was ist schon die Begabung! Wie erkennt man sie denn, keiner von euch Profs kann das sagen - ihr habt selber keine unumstößlichen Definitionen dafür! ... Fehleinschätzungen muss es immer geben, wahrscheinlich schließt sie jede universitäre Lehrkraft ins Kalkül ein, wenn es darum geht, einem jungen Menschen durch die richtigen Entscheidungen den Weg ins Berufsleben zu ebnen - oder eben Stöcke in den Weg zu werfen, wie es denn öfter passiert!
-  Ja ... vielleicht ist da was dran! Ich jedenfalls bemühe mich durchaus, Fehlurteile will ich vermeiden. Fest steht, als Professorin muss ich mich an die Begabungsdefinitionen und die jeweilige Analyse der Begabung eines jungen Menschen halten. Sie muss mir Orientierung in der Bewertung der Arbeiten eines jungen Menschen sein!
- Tja ...
Sie jetzt, mit Nachdruck: - Wir leben in ein und derselben Gesellschaft der diabolischen Falschheit.
- Regiert von Geheimdiensten, sagte ich.
Sie: - Wenn wir das nicht wüssten, dann tappten wir völlig im Dunkeln. Sie beherrschen alles. Die Politik kann hemmungslos verlacht werden! Die demokratischen Institutionen bestehen vorwiegend aus den Fernsehnachrichten! ... ha! Ha!

Und dann verschwanden wir in einer Wohnung, einer sehr kleinen, aber ausreichend geräumigen Etagenwohnung, wohin es mich zog, weil ich von ihr Liebe haben wollte. Ich hatte sie so lieb.

- Das macht ... mich an ... Süße ...! flüsterte ich in ihr linkes Ohr, als wir auf einer Couch lagen und uns kuschelten. Das Fenster war geöffnet, mildwarme Luft strömte unter einem fast ganz herunter gelassenen grünen Rollo hindurch. Die Couch gefiel mir sehr, weil sie älteren Herstellungsdatums zu sein schien, mindestens 50 Jahre alt. Plötzlich sprang ich von ihr auf, um das Rollo ganz herunter zu ziehen.
- Richtig gemacht! Es könnte uns jemand beobachten! Ist so! kommentierte sie meine Aktion. Ich war wieder bei ihr.
- Hmm, reagierte ich dann. Schließlich lag ich auf ihr, war an der Arbeit. Ich weiter: - Hmmmmm. Das macht mich an; ich darf das feststellen .... äh ... oh ... sooo ... äh.
- Mich auch! gab sie mir mit diesen Worten und einem sanften Streicheln meines Penis subtil zu verstehen, während ich tatkräftig bei der Arbeit war.
- Das ... und nur das! Wenn ich das mal so pathetisch von mir geben darf ... Liebste ... dich macht noch viel mehr an! Oder etwa nicht ...? sprach ich, sehr lüstern, schwer atmend. Kurz machte ich eine Pause.
- Ach. Ach. Super! Ich finde dich kleinen Köter so spannend und entspannend zugleich! spie sie aus. Nun war ich doch etwas beleidigt. Wie kann man derlei sagen? Dem Freund? Unbegreiflich.
Ich, entnervt, doch weiterhin pflichtbewusst agierend, meinte: - Ach ja ... so bin ich eben ... ein netter Kerl mit Qualitäten. Aber ein Wissenschaftler will ich werden. Das ist mir langfristig wichtig. Eine kleine Karriere will ich machen! Gewisslich.

Ich ging von ihr runter. Binnen weniger Minuten waren wir wieder angekleidet. Meine Jungprofessorin trug ein Gesicht der wissenschaftlichen Sachlichkeit zur Schau. Sie wollte wieder rasch von hier fort, nahm ich an. Das Fenster wurde von mir geschlossen. Im Wäldchen hatte während unseres Aktes wohl irgendeiner ein Feuerchen angefacht. Ich stierte nach dem Schließen des Fensters zur Scheibe hinaus. Wildes Stimmengewirr tönte die Hauswände empor, was trotz geschlossenem Fenster gut zu hören war. Nur zu gern hätte ich die Wilden zur Ordnung gerufen! Meine Jungprofessorin bewegte sich zur Wohnungseingangstür hinaus.

- Die Karriere, du hast von dieser Karriere gesprochen; ich sage, die habe ich dir schon verschafft, ... würde ich sagen. Das ist nämlich schon was! Wirklich! schien sie noch anbringen zu müssen, obwohl sie schon fast zur Tür hinaus war.
- So viel ist das auch nicht. Alle tanzen auf meiner Nase herum, - verdammt, das nervt! Auf Dauer ist das zu anstrengend für mich, Süße! gab ich ihr zur Kenntnis. Sie zeigte erst keine Reaktion. Jedoch einige Augenblicke später, als sie sich dann doch wieder, schnell zurück gelaufen, neugierig auf die Couch gesetzt hatte:
- Mir wäre das nicht zu anstrengend. Ich könnte das sogar auskosten, denn ich wüsste, dass ich eine Professorin hinter mir habe. Du als Mann ...
- Was hat das damit zu tun?
- Du hast nicht meine weiblichen Karriereprobleme.
- Ich will dich wieder ... richtig ... durchficken!
- Bitte sehr, ich bin bereit dazu!

Ein paar Stunden darauf. Meine Freundin war sicherlich unbeschadet zuhause angekommen.

Ich war zu müde, so dass ich viel zu lange für den Heimweg benötigte. Ich blieb im Wäldchen hängen. Die Uni war nicht weit entfernt.
Zwei Menschen, die sich, so hatte ich den Eindruck, als ich recht müde und betrunken in einem Gebüsch ausharrte, nicht besonders mochten, standen einander im Halbdunkel von Laternen gegenüber.
Die beiden waren sich anscheinend nahe des Universitätskomplexes zufällig über den Weg gelaufen sind:

- Sie wollen von mir doch nichts wissen!
- Ich? Doch!
- Das habe ich noch nicht feststellen können!
- Es verbirgt sich vor ihnen!
- Sie sind närrisch! Sie wollen eindeutig von mir nichts wissen, ... gar nichts! Tatsache!
- Tatsachen täuschen.
- Welcher Ideologie hängen denn sie an, sie ... Narr!
- Bezichtigen sie mich gefälligst nicht ständig der Narrheit!
- Ich? Doooch! Gerne sogar! Extrem gern!
- Ich könnte sie umbringen ...!
- Mich? Ach, das glaube ich ihnen gar nicht!
- Seien sie nicht so zynisch, so menschenverächtlich!
- Ich? Ich bin nicht zynisch ... ganz bestimmt nicht ... mein ist die Wahrheit der Rede mit Inhalt!
- Ich könnte sie umbringen;  jeden bringen sie um mit ihren lächerlich-provokanten Idiotien, die Menschen, die ehrlich sind, einfach umbringen müssen.
- Ach was ...
- Nicht „Ach was ...!”!

                                                               

     
F. Die Verschwundene

Etwa einen Monat später fanden wir wieder, aber dieses Mal zufällig, zusammen. Ich hatte längst den Job als Hilfskraft an meiner Fakultät verloren. Und seit sie mir, meine Jungprofessorin und Freundin, eines schönen frühen Abends meine Kündigung mündlich mitgeteilt hatte, hatte sie meine Nähe gar nicht mehr gesucht. Es war sogar jeder Kontakt ausgeblieben. Das betrachtete ich kritisch. Wollte sie nichts mehr von mir wissen, weil sie mir hatte kündigen müssen? (oder auch nur „sollen”?) Das wollte ich allzu gern in Erfahrung bringen, weshalb ich sie zumindest noch ein Mal sprechen wollte.
Egal war mir das nämlich nicht, doppelt abgesägt zu werden. Denn es gab nach meiner Ansicht keine gewichtigen Gründe für „Kündigungen”!

Kündigungen ...  Ich musste nachdenken: So viele Menschen, Arbeitskräfte, werden in unserer Zeit vor die Tür gesetzt. Das ist nichts besonderes, es gehört zum dunklen Alltag in unserer Zeit der politischen Stabilität, die gepaart ist mit einer wirtschaftlichen Unsicherheit, wie wir sie seit längerem nicht mehr gekannt haben. Mich musste beides persönlich nicht fundamental stören, aber ich fühlte in mir ein tiefes Gefühl der persönlichen Betroffenheit und einer wahren menschlichen Enttäuschung aufsteigen, weil mir gekündigt worden war. Die eigene Freundin hatte mir gekündigt - und mir als Mann auch.
Hatte sie beides genauso stark frustriert wie mich? Möglich. Nach einigem kritischen Reflektieren war ich zu der Ansicht gelangt, sie könnte sich vielleicht sogar (aus welchem konkreten Grund auch immer!?) umgebracht haben, die Süße; aus Gram über diese Kündigungen; grausamer Gedanke! Das wäre das schlimmste!
Wohingegen die anderen an der Uni, wo ich noch ordentlich studierte, größtenteils nichts dabei fanden, dass sie sich mir nicht mehr zuwandte (oder weg war, irgendwo ...), sich offenbar nicht mehr mit mir abzugeben bereit war, jedenfalls nicht mehr mit mir zusammen zu sehen war.

Dann machte ich mich auf den Weg, sie zu suchen. Mehrmals erkundigte ich mich auf die Arglose nach ihrem Aufenthaltsort, auch nach ihrem werten Befinden.
Dies tat ich über Tage, über Wochen ohne nennenswertes Ergebnis. Sicherlich fand das mancher befremdlich, dass der Freund der „Gesuchten”, so nenne ich sie mal, immer wieder Fragen stellte. Er hätte das, was er erfragen wollte, ja selbst am besten wissen müssen. Oh, welch Seltsamkeit, sich nach dem Aufenthaltsort, dem Befinden als auch nach der Beschäftigung der eigenen Freundin zu erkundigen! Nun, offiziell war sie nicht meine Freundin - oder war sie es doch? Man hielt es nicht so ganz offen in Bezug auf Freundinnen, die dem Kollegium der Hochschullehrer angehörten! Diskretion war zuhöchst gefragt.
Ich musste auch sehr unauffällig-diskret vorgehen (Ging ich tatsächlich so vor? Ich versuchte es.). Oh Staunen! Vermutlich stimmte das die eine oder andere Person nicht gerade froh, dass ich Verschwiegenheit zu garantieren bereit war! Oh Seltsamkeit! Was da wohl gerade abging!? Ob nicht etwa Kriminelles im Spiel war? Natürlich konnte ich nicht über meine Gefühlswelt Auskunft erteilen. Oder sonstwas! ...  und ich wollte nicht, dass es mir irgendetwas ausmacht, Menschen nach ihr zu befragen, folglich setzte ich das Fragenstellen fort.
Vielleicht gelang mir dies nicht immer so gut.

- Ich glaube, die ... die ist nicht mehr so oft hier! hörte ich einmal.
Dann wiederum dies: - Sie ist aus dem Job raus! (Was unsinnig ist!)
Oder aber: - Dieses Seminar hat sie einem wissenschaftlichen Mitarbeiter übergeben. Er macht seine Sache gut.
Ein anderes Mal folgendes: - Sie hat sich an eine andere Universität versetzen lassen!

Letzteres versetzte mich in große Unruhe, denn dann hätte ich sie nicht mehr so oft sehen können! Allmählich wollte ich wirklich mal wissen, was sie tut, wo sie ist, weshalb sie mich nicht mehr sehen will.
Vielleicht hatte sie ein Urlaubssemester genommen?

... dies gedachte ich einmal zu erfragen.
Also:

- Sie hat doch keinen Urlaub ... genommen, antwortete ein Professorskollege. Allerdings: diesen Menschen kannte ich kaum, von ihr wusste ich auch, dass sie ihn kaum kennt. Wieso konnte er sich so festlegen in seiner Äußerung? Das war mir unbekannt. Und allerdings: sein Selbstbewusstsein war enorm hoch.

Wir standen auf einem Flur inmitten von Leuten, es war mir unangenehm hier von ihr zu sprechen. Lieber hätte ich in sein Büro gehen wollen, doch er schien das gar nicht in Erwägung zu ziehen. Ich war ihm (angenommen:) zu unwichtig. Und meine Freundin war ihm offenbar auch (angenommen:) nicht allzu wichtig. Nun gut. Ich nahm seine Auskunft hin, ohne ihn versuchsweise zurechtzuweisen, was mir sozial gar nicht bekommen wäre ... Professoren sind nämlich fast allmächtige wissenschaftliche Persönlichkeiten an Unis (immer noch!).
Sehr bald gingen wir auseinander. Mitten unter diesen Leuten fühlte ich mich unwohl in meiner Haut. Wen sollte ich jetzt fragen?

Weitere Tage hindurch, möglichst ohne negativ aufzufallen, eben unauffällig, suchte ich nach ihr überall in der Fakultät; suchte nach dem  r i c h t i g e n  informellen Kontakt, um mit der Suche weiterzukommen. Mein Geduldsfaden riss nicht ab. Die Welt ist voller Arschlöcher, von daher musste ich natürlich auch damit rechnen, dass mich hin und wieder irgendein Auskunftsfreudiger oder ein weniger Auskunftsfreudiger mit einer Falschauskunft zu verarschen versuchte.
Der richtige informelle Kontakt würde schon noch kommen, dachte ich mir; die Hoffnung ließ ich nicht fahren, so dass mein Geduldsfaden nicht abreißen konnte!

- Es wird klappen. Einer wird  mir die entscheidende Info geben, davon bin ich überzeugt! Nur nicht aufgeben, sagte ich eines Tages einem Menschen. Es waren schon wieder einige Tage erfolglos vergangen, nicht ein einziger guter Hinweis war mir gegeben worden (aber was ist ein „guter Hinweis”?). Es war verflixt, manchmal befürchtete ich eine Verschwörung gegen mich und meine Freundin.
- Ich muss jetzt einen Erfolg haben! rief ich gegen eine braun gekachelte Wand bei einem Hörsaal, an der kein Bild hing. Kein Mensch war in der Nähe, nicht mal eine Putzfrau. Es war an einem Donnerstag, als schon die meisten Studenten im Wochenende waren, die Hochschullehrer sowieso.
Ich erinnerte mich an eine „Auskunft”, die mir nicht einmal drei Stunden zuvor gegeben wurde, als jemand sagte: - Ich habe derzeit keinerlei Kenntnis bezüglich ihres Aufenthaltsortes!
So erwies mir ein Herr Prof. K., irgendein Kollege, die Ehre. Ich nahm diese Auskunft zur Kenntnis und nickte, als ich schließlich weiterging.
Die braunen Kacheln schienen sich momentan von der Wand zu lösen. Mich fröstelte im Sommer. Bald waren Semesterferien. Dann würde die Ermittlung noch viel problematischer werden.
Aber was sollte das eigentlich hier andauernd mitten unter den Studenten und Hochschullehrern? Das war blödsinnig. Längst hätte ich wirklich „überall” ermitteln sollen. Nun ja, zugegeben, ich war auch faul, war natürlich häufig in meiner Rolle als normaler Student in dieser Uni anwesend, dieser Faku, weshalb die „Nebenbei-Ermittlung” am einfachsten durchführbar war.
Nur „nebenbei” zu ermitteln war auf Dauer nicht allzu korrekt.

Glücklicherweise begegnete ich am gleichen späten Nachmittag einer mir bekannten Freundin meiner Freundin.
- Sie wissen nicht zufälligerweise ... wo ...!? fragte ich Gertrude, eine Ärztin mit Lehrauftrag aus der anderen Faku, die mir ganz einfach überraschend über den Weg lief. Dieselbe staunte, dass ich sie fragte.
- Weshalb wissen sie nicht, wo sie ist? Das müssten sie am besten wissen, oder nicht? äußerte sie, und ich musste zustimmend nicken.
- Ich weiß es leider nicht. Wir haben uns nicht im Streit gegenseitig verlassen. Ich find’ sie seit Wochen einfach nicht wieder, der Kontakt ist abgebrochen, würde ich sagen; obwohl ich das nicht wollte ... vielleicht wollte sie das ... ich aber bestimmt nicht!
Sie: - Sagen sie nur ... sie ist sonst nicht so, vielmehr zuverlässig und darauf bedacht, andere Menschen nicht im Regen stehen zu lassen! Sie ist ein Prachtstück, auf das man sich sehr gut verlassen kann! Ich weiß das aus Erfahrung.
Ich: - Das gleiche hätte ich vor Wochen auch noch gesagt, doch sie ist verschwunden. Sollte man nicht ihre Familie ...?
Sie: - Sie hat keine mehr.
Ich, wiederholend: - Sie hat keine mehr.

Gemeinsam begaben wir uns auf die Straße vor dem Universitätskomplex und spazierten. Wir spazierten in den fortschreitenden Abend hinein. Ein kühler, erfrischender Sommerregen kündigte sich an. Ihre Stimmung war recht gut. Auskunftsfreudig war sie, aber leicht einseitig zu Gunsten meiner Freundin, ihrer Kollegin eingenommen.
Meinetwegen hätten wir noch viele Stunden lang so spazieren können. Doch sie schien allmählich dessen überdrüssig zu werden. Dann ging’s schnell - die gute Stimmung verflog wie ein schneller Windzug.
Daraufhin folgte eine Wahrnehmung: Da war so ein Gesicht, was mir gar nicht gefiel.

- Ist was, Gertrude, ... betrübt sie irgendetwas!? fragte ich sie jetzt.
- Nein, antwortete sie klipp und klar. Hatte ich etwas falsch gemacht? Ich kam mir wie ein kleiner Idiot vor, der vorgeführt wird, doch ihre Stimmung war im Keller. Ganz einfach. Ich hätte sie, da war ich mir sicher, nicht durch ein paar fröhlich-blöde Faxen aus diesem Keller herauskriegen können.
- Meine Erde, deine ... Erde! Sie ist für uns alle da. Und alle werden wir mit unserem Tod wieder in sie eingehen! rief sie aus. Ich war überrascht, fast schon schockiert. Was ging in dieser Frau vor? Hielt sie meine Freundin, die Professorin, für tot? Das müsste sie jetzt aber sofort etwas genauer ausführen, mit Begründung ...! Aber schnell!
Ich fragte mit Nachdruck: - Was meinen sie mit diesen Sätzen, wenn ich fragen darf?

Da bemerkte ich gleich, wie schwer sie atmete; sie drückte mich an ihre rechte warme Seite während des weiteren Vorwärts, eines leicht schleppenden gemeinsamen Gehens.
Traurig, auch von oben herab, blickte sie mich von der Seite her an. An ihrer warmen Seite wollte ich natürlich bleiben. Sie gab mir keine Antwort.
Wir schleppten uns, Arm in Arm sogar, weiter. Ein gewisses gegenseitiges Zartgefühl schien uns zu überwältigen.

- Was haben sie ... gesagt? fragte ich, leicht verwirrt, bei ihr nach, weil ich wieder etwas gehört zu haben meinte. Sie stockte. Dann ließ sie mich allein weitergehen; guckte versonnen in die Gegend, sah dabei aus als befände sie sich hinter einem Schleier aus Gefühlen der Trauer. Schließlich folgte sie mir langsam, erreichte mich und drückte mich fest an sich. Das mochte ich.

Inzwischen war es ziemlich dunkel. Bedrohlich zog sich über uns ein Unwetter zusammen; das machte uns nicht fürchten. Warum auch?
- Wissen sie, ich habe gar nichts ..., sprach sie leise.
- Wie ... „gar nichts”? fragte ich mit einem nicht gerade geringen Staunen bei ihr nach. Aber sie hatte sich aus einer Umarmung gelöst und war weiter; einige Meter entfernt von mir stand sie, blickte sich nicht mehr nach mir um.
Ich rief ihr mit starker Stimme zu:-  Sie glauben, dass sie tot ist?
Sie: - Nein, nicht ... wirklich ...
Sie marschierte zügig weiter. Ich folgte ihr schnellen Fußes.
Ich rief noch stärker:-  Das hat aber danach geklungen ... tot ... ich wage nicht daran zu denken! Verflucht noch eins! Wie kann man so etwas auch nur entfernt annehmen? Mich schaudert dabei.
Sie: - Denken sie nicht daran, Jungchen, denken sie einfach nicht ... daran! Es ist egal. Vermutlich hat sie ein Bär mit seiner Tatze erschlagen.
Ich: - So ein Quatsch!? Wir sind doch nicht im tiefen schwarzen Wald.
Sie: - Noch nicht ganz ... richtig!
Ich: Können sie nicht mal lauter sprechen, am besten zu mir zurück kommen?

Entgegen meinem Wunsch lief sie unbeeindruckt weiter, kam aber bald von links aus einem Dickicht hervor. Erst kroch sie, dann sprang sie auf und stürzte auf mich los. Das überraschte mich sehr.
Inzwischen herrschte Dunkelheit, nur die Straßenlaternen erhellten die Szene. Geschickt versuchte sie mir an die Wäsche zu gehen. Ich hatte zwei Arme, mit denen ich sie zurückschlug; aber sie blieb clever und hartnäckig. Ihre Waffen waren ihre Beine, die sie als Kampfinstrumente einsetzte.
Mit Mühe konnte ich mich ihrer zunächst erwehren. Selbstverständlich war ich als Mann erbost, wollte das aber nicht direkt, nicht klar zum Ausdruck bringen. Mein Gesicht, konnte ich fühlen, war errötet. Außerdem zitterte ich wie Espenlaub. Am liebsten hätte ich eine Flasche Cola, mit Whisky versetzt, in einem Zug ausgetrunken, um meine Gefühle zu überdecken.
Auch ich war durchaus stark genug und geschickt. So verwies ich sie in ihre Grenzen, musste jedoch weiter das Gelaber ertragen.

- Wissen sie, ich brauche einen Kerl, Herr Student! sagte sie, mittlerweile erschöpft von allem. Da standen wir nun.
- Mich etwa?
- Sie oder einen anderen. Ich brauche irgendeinen. Worauf sie verschmitzt, doch auch ein wenig ironisch lächelte ...
- Das ist aber hochinteressant! Ich muss mir das merken! reagierte ich amüsiert.
- Ich finde sie schön, von außen betrachtet; glaube, wenn ich sie von innen betrachten könnte, dann fände ich sie genauso schön!
- Sie sind eine Schmeichlerin, wenn ich das mal so sagen darf! rief ich aus, in mir stieg ein Unwohlsein auf.
- Ich und ... eine Schmeichlerin, das kann nicht sein! Ich bin keine Schmeichlerin! rief sie erbost aus, woraufhin sie sich von mir verärgert und beleidigt losmachte. Sie entfernte sich einige Schritte von mir. Ein Fußgänger kam zufällig vorbei. Er guckte ganz erstaunt. Was passierte da gerade? Flugs ging er weiter.
- Jetzt sollten sie aber bei mir bleiben, Liebste! rief ich aus. Ich war überrascht. Sie war ganz außer sich.
- Bei ihnen sollte ich nicht mehr bleiben, denn sie verstehen mich anscheinend nicht! Sie kleiner blöder Student! Ich bin doch keine ... Schmeichlerin!
- Sie regen sich über Gebühr auf, Frau Professorin! versuchte ich eine Beruhigung.
- Das ist bei mir niemals der Fall! schrie sie förmlich. Und sie gewann noch mehr Raum. Ein weiterer Fußgänger sowie mehrere Autos kamen vorüber. Gern wäre ich irgendwo eingestiegen, in irgendein Auto, ... unmöglich, denn diese Frau brannte nunmehr vor Zorn. Der Himmel über uns zeigte ein brennendes Lächeln. Schweißperlen kullerten unter meinen Achseln nach unten. Die Abendsonne war beeindruckend, aber ich konnte sie gerade alles andere als gebrauchen.
- Gertrude, liebe Gertrude ... , so flüsterte ich sie an, obwohl sie viele Meter weit entfernt stand, von mir abgewandt. Der Straßenverkehr hatte inzwischen beträchtlich zugenommen. Es war schon recht spät am Tage.

- Was ist denn hier los? Belästigt sie dieser Herr? fragte ein Passant. Gertrude ging kaum darauf ein, sagte nur: - Nein, nein. Dem ist nicht so!
- Nun gut, dann kann ich weiter ...
- Wiedersehen ..., sagte sie noch. Dann war der Mann um die Ecke gebogen. Ich meinte, hier weg zu müssen. Das Straßenleben wurde mir zu lebendig. Für eine Gertrude wie die meine benötigte ich eine gewisse Abgeschiedenheit.
- Sprechen wir über einen Ortswechsel! sagte ich zu ihr. Noch zeigte ich keine Anzeichen der Ungeduld, weg gehen zu wollen. Sie schaute mich nicht an.
- Was meinen sie? fragte sie mich laut.
- Wir sollten von hier fort, denn es ist ungemütlich geworden. Die Menschen stören mich. Wir könnten außerdem auffällig werden!
- Das ist mir doch egal! zischte sie mich von weitem an. Anschließend kam sie etwas näher zu mir.
- Wollen wir wenigstens über meine Freundin sprechen? Die ...
- Sagen sie nicht „Vermisste” ...! pöbelte die Frau Professorin mich an. Wieder waren wir enger beisammen.

Übertrieben lüstern fand ich sie, ehrlich gesagt, wenn es auch in diesem Augenblick nicht so von ihr umgesetzt wurde. Und offensichtlich war sie, was hier offenherzig bekundet werden muss, mit einer gewissen Arroganz ausgestattet. Das war etwas ihr übel Anstehendes - und das war kaum zu begreifen, ausgesprochen irrational!
Eher blöd war es von ihr, sich vor mir machtvoll-autoritär aufzubauen, beide Arme in die Seiten zu stemmen. 
- Unsere Freundin ist wahrscheinlich tot, Jungchen.
- Das glaube ich nicht! stieß ich aus. Ich konnte das wirklich nicht glauben. Wollte sie mich verhöhnen?
- Es ist so, beteuerte sie. Mir wurde schwarz vor Augen. Ich brach zusammen.

Als ich erwachte, lag ich auf einer Parkbank nächst der Örtlichkeit, wo ich das Bewusstsein verloren hatte. Ich hatte Kopfschmerzen und hätte lieber vor Gertrude flüchten wollen; jetzt pflegte sie mich.

Wir können uns nicht lieben, gab sie mir - zugegebenermaßen behutsam - zur Kenntnis. Währenddessen wischte sie mit einem Taschentuch über meine Stirne.
- Wirklich, fügte sie an, wir können das nicht!
- Was? fragte ich überrascht nach. Und ziemlich spontan schüttelte ich den Kopf. Wie kam sie dazu ...? Nun stand sie auf, stemmte wiederum die Arme in die Seiten.
Ich fügte dann an: - Warum denn nicht ...!?
Nun, ein bisschen wissensdurstig war ich.
- Das kann ich ihnen nicht sagen! antwortete sie.
- Könnte ich dafür, für diese Abweisung, den bestimmt sehr triftigen Grund erfahren?
- Oh nein! Ich würde ihn gerne einem jungen Mann wie ihnen zu Ohren bringen, doch ich scheue mich davor. Es stünde mir übel an, derartiges zu tun.
- Was soll das denn heißen? fragte ich engagiert nach. Sie zuckte ein bisschen zusammen. Die Arme hingen jetzt endlich nur noch locker nach unten.

Ein Traktor fuhr über die Straße. Viele Leute besuchten Ladengeschäfte. Ich wollte weg, sprang von der Bank auf. Sie harrte aber noch aus. Nach einigen Minuten wurde das Gespräch schwerfällig fortgesetzt.

- Ich bringe ihnen kein Vertrauen als Mensch entgegen, als Frau auch nicht. Es würde mir sehr schwer fallen, einen Fehler zu begehen, der mit Vertrauen zu einem Menschen zusammenhängt, äußerte sie.
- Dies würde sie auch nicht umbringen!
- Umbringen vielleicht nicht gerade, doch es würde mein Selbstbewusstsein schmälern.
- Dies würde ihr Selbstbewusstsein bestimmt nicht schmälern, nicht im geringsten ... nicht im geringsten!
- Momentan möchte ich nicht mit ihnen sprechen, aus ist aus ... !
- Auch ich möchte kein Gespräch führen. Es widert mich an.
So geriet ich mit dieser Frau Professorin in ein schlechtes Fahrwasser; spontan hätte ich gern einen Weg eingeschlagen, der mich von ihr zügig entfernt. Was hatte ich mit ihr im Grunde zu schaffen? Da war nur die gemeinsame Freundin.
Schließlich verließen wir gleichzeitig die Parkbank. Der Park verschwand in einem plötzlich aufkommenden Bodennebel, den ich gleich zu hassen anfing. Sie war noch bei mir.

- ... wenn man’s genau bedenkt, ist vieles im Leben zum Schießen! verkündete ich auf einmal. Und sie verzog ihren Mund.
- Vielleicht oder vielleicht nicht. Jedenfalls ganz unwissenschaftlich, insofern geradezu blödsinnig ist das, was sie gerade gesagt haben!
- Man sollte nicht immer nur in wissenschaftlichen Kategorien denken und urteilen, meine ich!
- ... ach ja? Sie sind Wissenschaftler, zumindest ein Student an einer Universität. Und ich bin sogar Professorin, eine Universitätslehrerin. Hauptsächlich müssen wir Wissenschaftler sein. Es ist unsere Pflicht. An der kommen wir nicht vorbei.
- Meine Meinung ist, dass manche Professorin, mancher Professor das zu eng sieht!
- Ich werde nicht mit ihnen ins Bett gehen! stieß sie aus und flüchtete regelrecht vor mir.
Die Bäume standen dort so dicht, dass ich sie nicht weglaufen sehen konnte. Fakt war, dass sie von mir fort ging. Lief. Zu folgen hatte ich nicht recht Lust. Wichtig war sie für mich persönlich ja nicht, vor allem war sie bloß eine gemeinsame Freundin. Wirklich ins Bett gehen mit ihr musste ich wahrlich nicht heute Abend.
- Soll sie doch ... mir nichts als egal ... scheiß ..., stammelte ich ihr hinterher. Sie konnte das nicht hören. Ich stand da. Wusste nichts mehr. Oder?

Sommerregen. Ich drohte pitschnass zu werden. Schön! Ich liebte Sommerregen und war bestens gestimmt. Natürlich wollte ich mich jetzt nicht irgendwo unterstellen.

- Reden sie nicht wieder in einer solchen Sprache daher, lieber Mann! hörte ich dann völlig überraschend, nachdem ich einfach durch den Regen gegangen war, eine männliche Person sprechen. Meinen Kopf wandte ich nach ihr um. Zunächst guckte ich nur, setzte meinen Weg fort. Ziellos. Dieselbe männliche Person folgte mir, wie ich wahrzunehmen imstande war. Das hier konnte ein Krimi werden!
Außer uns war keiner auf der Straße, wie mir schien. Sehen konnte ich keinen. Ich glaubte mich gefährdet, weshalb ich meinen Gang beschleunigte. Niemand hätte mir hier sofort helfen können.
Um auf Nummer sicher zu gehen, entschied ich mich für eine kluge Maßnahme, nämlich in einem Hauseingang zu verschwinden, wo ich abwarten wollte. Er sollte mein vorübergehendes kleines Versteck sein vor diesem unbekannten Verfolger. Dieser Mann war wenige Meter hinter mir, so dass ich erheblich schneller gehen musste, um ihn abzuhängen. Einen geeigneten Hauseingang musste ich auch noch finden! Ich war erheblich schneller als er. Und dann erspähte ich in aller Eile einen geeigneten Hauseingang, welchen ich mit meinen geschwinden Beinen sofort anpeilte.
- Er ist nicht zu sehen, weg ... dort hin! flüsterte ich hektisch. Alsbald war ich verschwunden. Das war nichts für mich hier, weil mich, als ich im Hauseingang hockte, fremde Augen kritisch beobachteten. Vermutlich war das eine Verkäuferin in einem Laden, obwohl es spät am Abend war. Nun, manche Läden hatten zu allen möglichen gesetzlich erlaubten Tages- und Nachtzeiten geöffnet. Konnte sie wissen, dass ich nur ein Verfolgter war? Nein. Ich hätte in den Laden gehen können.
- Lieber nicht! entschied ich laut sprechend. Das war ein Fehler. Dieser Verfolger konnte ganz nah sein. Mehrere fremde Personen passierten den Hauseingang, eine kam sogar aus der Hauseingangstür und staunte nicht schlecht ob dieses Menschen, der da hockte und wartete. Auf was auch immer. Jetzt wagte ich keinen Mucks von mir zu geben!

- Wer sind sie, was machen sie hier?! wurde ich von dieser Person gefragt. Wohl oder übel musste ich Antwort geben.
- Ich bin ein unbescholtener deutscher Staatsbürger, der vor einem Fremden auf der Flucht ist.
- Sie haben hier nichts zu verlieren, sie ... ! wurde ich böse ermahnt. Diese etwa fünfzig Jahre alte Person weiblichen Geschlechts war dickleibig und wirkte auf mich schmierig. Sie war nachlässig dunkel gekleidet, nämlich in einem schäbigen roten Rock und mit Schuhen, die Jesus getragen haben könnte; das T-Shirt, was sie trug, war bräunlich und ein dickes T prangte auf der Vorderseite; sie wollte mich offensichtlich von hier vertreiben! Mir dies gefallen zu lassen verbot mir mein Selbstbewusstsein.
Diese weibliche Person war gänzlich unattraktiv und unhöflich. Ich hätte ihr jetzt eins in die Fresse schlagen wollen.
- Jetzt verpissen sie sich aber mal, sonst hole ich die Polizei!!! pöbelte sie mich an.
- Aber ich warte nur darauf, das jemand an mir vorüber geht. Danach werde ich gleich weg sein.
- Die Polizei sucht sie! behauptete diese Person.
- Die Polizei sucht mich nicht! ... glauben sie mir bitte! gab ich zur Kunde. Ich war wütend, konnte meine Wut aber nicht offen zeigen. Keine Frage, ich musste möglichst höflich bleiben.
- Die Polizei sucht mich nicht! wiederholte ich, jetzt schon ziemlich ungehalten ob dieser Unterstellung.
- Ich gehe in meine Wohnung ... hoch ..., sagte sie und verschwand in der Hauseingangstür. Das missfiel mir sehr. Die Erwartung, hier von einer Schutzpolizeibesatzung aufgesucht zu werden, verursachte mir einen Magenkrampf, doch ich harrte auf der Stelle aus.
Die anderen Leute schienen mich entweder nicht zu bemerken oder ich war ihnen gleichgültig. Allerdings öffnete sich plötzlich die Tür des Ladens nebenan, jemand kam heraus, sagte etwas Unverständliches, verschwand wieder. Stutzig machte mich dies, trotzdem verfiel ich nicht in Panik.
Meine Professorinnen fehlten mir, sie hätten mich in dieser Lage unterstützen können. Jeder aus der Uni hätte mir eine Hilfe sein können. Ich war doch kein Krimineller, der sich versteckt!
Hiernach hörte ich mit eigenen Ohren das Gespräch von Personen ganz in der Nähe.

A: - Der ist nichts.
Z: - Ich habe auch Gutes gehört. So übel kann der nicht sein.
A: - Er hat keine Fähigkeiten, die einen aufhorchen lassen könnten, habe ich gehört!
Z: - Haben sie den denn schon persönlich kennen gelernt, oder aber hören sie auf das Gewäsch der anderen?
A: - Ich höre nicht nur das Gewäsch der anderen.

Angesichts der Lage, in der ich mich befand, fühlte ich mich angesprochen. Das war ja reichlich irrational, weil mein Name nicht ausgesprochen wurde. Warum sollte ich ausgerechnet in dieser Ecke der Stadt ein Gesprächsthema sein?
Dieser Eingangsbereich war zu „heiß” für mich geworden. Als die beiden Menschen endlich aus meiner Nähe fort waren, suchte ich mein Glück anderswo. Ich stand auf und ging.
Allerdings: einige Minuten lang lief ich flott über einen Bürgersteig und hatte vorübergehend die Orientierung verloren. Mein Verfolger war nirgendwo zu sehen.
Sogleich schloss ich daraus, dass sich dieser Mensch einfach eines Besseren besonnen haben dürfte, hielt diesen Schluss aber kurz darauf für verfrüht-positiv; ich wollte mich nicht sicher fühlen, danach womöglich ganz dumm in eine Falle tappen. Schließlich dachte ich rational, war besonnen, hatte dann auch schnell wieder meine Orientierung in Raum und Zeit wiedergefunden. Diese Hunde, diese dreckigen Köter, diese Menschen.
Ich hätte mich irgendwo hinsetzen und dösen mögen, in die Nacht hinein dösen! Vielleicht wäre ich schnell eingeschlafen.

- Ist das nicht super? Ist das nicht ...  eine ... Erfahrung, eine ... Erfahrung ...? meinte ich dann auf einmal fast ein wenig glückstrunken. Ich stockte, verlor die Linie. Fürchtete auch, mein Bewusstsein zu verlieren. Sprachlosigkeit hatte sich meiner bemächtigt. Leider. Aber wahr war: Erfahrung wurde von mir als ein hoher Wert grundsätzlich immer hoch gehalten. Wem gegenüber hatte ich meine Äußerung getätigt?

Ach der da! Da war jemand, mit dem ich sprechen wollte. Er hatte einen blauen Anorak an, der nass war. Hoch geschossen im Körperwuchs, recht dünn, in Blue Jeans geworfen mit roten Schuhen und mit einem sehr ernsten Ausdruck in einem Gesicht, welches viele Furchen aufwies, war er mir vom ersten Moment an unsympathisch.
Und dieser Mensch näselte fies. Ich hätte mich übergeben können.
Die Sprachlosigkeit musste ich schnell loswerden.

Deshalb: - Ist das nicht supersuper? so fragte ich. Ich wollte meinem Gegenüber, als ich nach Minuten gefasster war, etwas zu verstehen geben. Er blieb ruhig, gefesselt an seine eigenen psychologischen Hemmungen, wie mir schien. Er hatte in diesem Augenblick eine hohe persönliche Präsenz, wurde dafür von mir zu sehr geschätzt. Nun wollte ich endlich die  S p r a c h l o s i g k e i t  loswerden!

- Nein, antwortete er lapidar und setzte sich auf einen Stein, der gleich neben einem Verkehrsschild auf einem Randstein des Bürgersteigs lag. Dort verblieb er vorerst. Hin und wieder leuchtete irgendein Auto die Straße aus. Laternen Fehlanzeige. Aber es gab eben diese Autolampen.
- Und meine Erfahrungen schätzen sie gar nicht, wie!? fragte ich ihn. Er saß steif auf diesem Stein und schien mich zu ignorieren.
- Und wie oft sitzen sie hier auf diesem Stein, wenn ich mich mal frank und frei erkundigen darf?
-  Ich gebe keine Auskunft, antwortete er kühl.

Was sollte das alles eigentlich? Hier war ich spätabends und wusste nicht, was tun. Mein Aufenthalt war sinnlos.
Ich war dann auch tatsächlich sprachlos vor Verwunderung. Dieser Mensch neben mir begann mich zudem völlig zu langweilen! Die Professorin war weg. Meine Jungprofessorin war womöglich tot ... eigentlich hätte ich mich längst entfernen sollen. Von einem Verfolger war sowieso nichts zu bemerken. Vielleicht war dieser bloß Einbildung gewesen.
G. Gertrude

- Tatsache!
- Ja?
- Doch! rief sie mir nach. Sie lag noch auf dem Bett.
- Glaub’ ich nicht. Welche Tatsache? fragte ich nach.

Aufgestanden war ich mittlerweile, saß am offenen Fenster und atmete die kühle Morgenluft ein. Das war ein Genuss! Am Fensterrahmen hielt ich mich fest, spuckte aus dem Fenster und blickte der Spucke nach. Unten hätte ein Passant mit grauer Kappe getroffen werden können. Er latschte langsam über den Bürgersteig. Ich fand ihn lächerlich.

- He sie! rief ich nach unten. Keine Reaktion.
- Und wenn schon! dachte ich.
- Mir egal, dachte ich auch. Es war sieben Uhr morgens. Wir hatten gemeinsam eine Nacht verbracht. Die Bettdecken lagen durcheinander im Zimmer. Die Professorin Gertrude war gut gewesen, mehr noch: sehr überzeugend, bestens ... und so weiter. Ich hatte es genossen, vermute ich, wenn ich mich recht erinnern kann an die vergangenen Stunden. Immerhin hatten wir auch Gespräche geführt. Das war schon was. Viele ungeklärte Fragen hatten beseitigt werden können, worüber ich froh war.
Nunmehr war ich durchaus erleichtert! Und ich stellte meine nackten Füße im Fenster aus.

- Wir werden übereinkommen, dass unsere gemeinsame Freundin ermordet worden ist, sagte Gertrude und lachte auf.
- Was soll denn das heißen? Gibt es Tatsachen oder gibt es keine Tatsachen? ... übereinkommen ... seltsam: abwegig! In der Nacht sind wir in nichts überein gekommen! Warum sollten wir in etwas überhaupt übereinkommen sollen!
Und hinzufügend: - So viel dazu!

Ich versuchte, sie mit umgedrehtem Kopf anzublicken, während sie sich ankleidete. Ich kratzte mich an meinem rechten Fußballen.
- Ja, ... Wir werden übereinkommen ... ! Bestimmt! warf sie mir entgegen. Bald würde sie alles angekleidet haben. Sie war stets schnell.
Ich, störrisch: - ... Sie ... sie müsste ein Kriminalfall sein. Oder? Haben sie Informationen? Und überhaupt: ich höre nichts von ihr. Lese auch nichts. Ich tappe im Dunkeln über Wochen. Das ist alles kaum erklärlich. Bin ich falsch, ja tölpelhaft, jedenfalls völlig laienhaft vorgegangen ...!?
- Das allerdings, meine ich, obwohl, … beurteilen kann ich das natürlich nicht. So viele Details zur Suche habe ich nicht von dir erfahren. Und ... ich selbst habe erst gar nicht versucht zu ermitteln, habe ich doch viel wichtigere Sachen zu erledigen, sagte sie.
-  Ihnen ist sie im Grunde egal, behaupte ich, Gertrude!
- Oh, nein, bitte nicht ... sie liegt mir am Herzen, meine Freundin! stieß Gertrude aus. Danach, sie war inzwischen ganz angekleidet, gesellte sie sich zu mir ans Fenster.
- Wir müssen reden, sagte sie gelassen zu mir. Ich schaute sie an, war ich doch vom Stuhl aufgestanden, hatte meine Strümpfe angezogen und meine Kleidung gerichtet; teilweise geschlossen, was zu schließen war. Ich war einigermaßen wohl gestimmt. Meine Stimmung hätte aber auch besser sein können.
- Reden wir! ... aber ... wir sind doch schon dabei! Oder etwa nicht? sagte ich nunmehr und kratzte mich am Hinterkopf.
- Ich habe unsere gemeinsame Freundin geliebt. Das steht fest. An meiner Liebe zu ihr zweifele ich kein bisschen, Herr Meller!
- Haben geliebt. Jetzt nicht mehr?
- Äh. Ich habe ..., antwortete sie. Sie rückte mir auf den Pelz. Das hatte ich nicht so gern. Draußen ging ein starker Wind. Es war aber nur etwas nass. Menschen waren kaum zu hören, obwohl in diesen Stunden allüberall mit der Berufstätigkeit begonnen wurde.

- Sie zweifeln kein bisschen, kein bisschen an dieser alten Liebe; interessant ... interessant ..., meinte ich, versuchte so gelassen wie sie zu sein. Ich liebe sie noch immer. Ich sehe sie stets vor meinem inneren Auge.
- Ah. Sehr schön! Sie lieben sie noch immer! Das ist wahrhaftig beneidenswert! sprach sie zu mir mit viel Sympathie. Das war heraus zu hören.
- Ja, konstatierte ich mit Überzeugung.
- In der Liebe besteht ein Stück des Sinns, den wir Menschen am Leben finden können, wenn wir es wollen, fabulierte sie mit Lust an der Satzbildung.
- Sie sind offen zu mir, dafür danke ich ihnen, liebe Frau Professorin! Danke für das Vertrauen, dass sie mir entgegenbringen! meinte ich. Ich schätzte diese Dame immer noch.

Dann blieben wir einfach einander gegenüber stehen, sprachen minutenlang kein Wort. Bis sie das Wort ergriff:

- Ich bin ein Mensch, der eine hohe gesellschaftliche Stellung und eine große wissenschaftliche Bedeutung erringen will im Leben! Unter den Gegenwartsmenschen, nicht erst später, wenn ich tot bin ... äh ... ich werde nämlich auch einmal sterben müssen, glaube ich zumindest.
- Das hätte ich jetzt nicht angenommen, Gertrude! sagte ich mit Ironie in der Stimme und setzte mich wieder auf den Stuhl, kurz zuvor schloss ich das Fenster. Sie ging in das Zimmer zurück, um sich einen der anderen Stühle zu greifen. Mit demselben kam sie zu mir. Wir setzten das Gespräch fort.
- Ich brauche viel Anerkennung von anderen, um als Individuum existieren zu können, sagte sie, auf dem Stuhl sitzend.
- Ja?
- Ja. Ganz gewiss! Anderenfalls würde ich wirklich schnell krepieren. Vielleicht würde ich nicht wirklich krepieren, aber doch langsam geistig veröden. In eine totale Einsamkeit stürzen und aus ihr nicht mehr herauskommen können!
- Da übertreiben sie vielleicht etwas, wie?!
- Nein, bestimmt nicht! sagte sie mit Nachdruck in der Stimme.

Auf einmal saßen wir still auf unseren Stühlen.

- Warum sagen sie mir das alles hier? Das ist doch viel zu viel Vertrauensseligkeit, finde ich nun doch ein ... bisschen ... , stellte ich mutig fest. Dann wollte ich schon wieder vom Stuhl aufstehen, wurde von ihr mit einem sehr schnellen und geschickten Haltegriff zurückgehalten, worüber ich sauer war.   
- Muss das sein? fragte ich sie lauthals, etwas missmutig wegen dieser Aktion. Fügte an: - Das dient der Verhinderung einer ... Maßnahme ..., sie sind verrückt!
- Welche soll das jetzt sein, mein Herr Student? fragte sie grinsend. Ich halte sie fest, richtig fest, Herr Student!
- Sage ich ihnen gern: aufstehen. Weggehen. Zur Uni, um zu studieren. Das ist mein Ding, soll’s bleiben. Zu Ende diese dubiose Suche nach einer Person, die mal zu mir gehörte! Schluss mit dem ...
- Ah. Sie wollen sagen: Unsinn!
- Das wollte ich auch nicht gerade von mir geben, Frau Professorin!
- Wir müssen uns voneinander verabschieden, irgendwann, aber nicht in diesem Augenblick. Diesen Tag wollen wir noch genießen.
- Absurd! Fort muss ich, und zwar sofort, Frau Professorin! blaffte ich sie wirklich extrem unverschämt an. Aber wie ging sie mit mir um?
- Nichts ist absurd von dem, was ich denke und sage. Diesen heutigen Tag habe ich für sie reserviert, für die Pflege der Intimsphäre. Hier werde ich in Ruhe liegen können.

Bis aufs Äußerste gespannt richtete ich mich auf, stolzierte im Zimmer umher.

- Sollte unser Gesprächsthema nicht unsere gemeinsame Freundin sein? fragte ich sie offenherzig und sehr ernst. Mit Eindringlichkeit sah ich ihr, kurz meinen Gang unterbrechend, in die Augen. Und sie reagierte auch. Ich bemerkte in ihren Augen ein traurig-dunkles Flackern.
- Unsere ... Freundin ..., nun ja, sie lebt doch nicht mehr. Was wäre denn jetzt noch zu sagen? sprach sie langsam und ziemlich leise ...
 
- Sie ist einfach tot, sagte sie, auf einmal trübsinnig werdend, etwas Unsicherheit in der Stimme. Nunmehr richtete auch sie sich vom Stuhl auf. Anschließend setzte sie sich auf den Teppich.
- Das ist nicht wahr, kommentierte ich ihre Äußerung, und ich setzte mich neben sie.
- Für einen kleinen Studierenden haben sie ein großes Selbstbewusstsein! Nehmen sie zur Kenntnis, dass sie tot ist! Das müssen sie jetzt tun, ob es ihnen passt oder nicht! Mir passt das auch nicht, sagte sie. Vom Weinen war sie weit entfernt.
- Natürlich passt es mir nicht, wie könnte es ..., doch ich muss es glauben und verwinden! Hierin sehe ich in diesem Augenblick ein gewaltiges Problem. Es ist das der Glaubwürdigkeit ihrer Äußerung! Wie könnte ich ihnen das einfach so abnehmen! sprach ich in innerer Unruhe zu ihr.
- Nehmen sie es mir bitte mal einfach so ab, ich rede nicht die Unwahrheit!
- Ach was! stieß ich aus und schüttelte heftig den Kopf.
- Sie ist tot! Sie ist tot! rief die Professorin aus. 
- Ach was! wiederholte ich, lauter als zuvor. Ich erbleichte zunehmend. Dann sprang ich schließlich von dem Teppich auf und rannte in Richtung Zimmertür.
- Wohin denn jetzt? rief sie mir hinterher, woraufhin ich mich umwandte.
- Ich ... muss weg von hier!
- Wissen sie, Herr Student, all diese modernen jungen Menschen mit einem großen Selbstbewusstsein, mit einem spontanen Handeln, mit diesen am ökonomischen Erfolg ausgerichteten Denkmustern mag ich aufrichtig! Aber sie, lieber Herr Student, sie ... sie .. werden im Augenblick irrational, was nicht gut gehen kann, äußerte sie mit einer hölzernen Sachlichkeit, die mich erstaunte. Wo war sie eine trauernde Freundin, und überhaupt: wie hatte sie eine Nacht der Lust mit mir verbringen können angesichts des Trauerfalls? Das erschien mir alles sehr absurd. Sie stand auf.

Derselbe Morgen. Er wurde immer sonniger. Der Morgen grüßte in diesem Augenblick. Mehrere trübe Stunden des Wartens, der Langeweile, aber auch des Hoffens hatte ich hinter mir. Jetzt wollte ich mehr als nur hoffen. Ein Drang zum Tun stieg in mir auf. Die Langeweile war zu einem permanenten aufdringlichen Angeödetsein geworden.
- Gut, gut! Warum nicht mal eine Sonne, die uns beglückt, was? kommentierte ich lakonisch diesen Morgen; so ungefähr 10 Uhr war es inzwischen geworden. Ich fügte gleich darauf an:
- Meine Güte, ich muss aber ... jetzt muss ich aber los, meine Kommilitonen herbeirufen. Es findet ein Seminar statt, was mich geistig anregen wird.

Ich war in einer seltsamen Stimmung, etwas abgedreht kam ich mir vor - schon deswegen, weil ich mich nicht allein in diesem Hotelzimmer befand.
Die Professorin schlief auf dem Bett, auf dem wir uns geliebt hatten. Ich saß neben dem Bett und fragte mich, wie lange es noch mit uns gut gehen würde. Längst hätte ich in der Uni sein sollen. Jedwedes Suchen nach meiner geliebten Jungprofessorin schien mir heute überflüssig und ganz unnötig zu sein. 
Intensiv beobachtete ich die Schlafende. Sie bewegte sich kaum während des Schlafes, wenn sie auch ein ganz klein wenig schnarchte. Ich meinte, mich trauen zu müssen, sie aufzuwecken.

- Hallo! rief ich freundlich, um sie aufzuwecken, doch sie schlief selig weiter. Ungeduld bemächtigte sich meiner.
- Jetzt aber auf! Auf von der Matratze! schrie ich fast und sprang auf.

Zu meinem Erstaunen wachte sie immer noch nicht auf. Wenn sie erwacht wäre, so hätte sie meine Weckbemühungen wohl kaum mit einer freundlichen Geste der Zufriedenheit erwidert. Davon ging ich natürlich aus.



H. Universitätsalltag

Morgengrauen. Scheiße. Ich fror jetzt ganz nett. Über mir die Wolke, die mich seit einiger Zeit zu verfolgen schien. Ich musste früh dort ankommen, wohin ich mich gerade auf den Weg gemacht hatte; wollte zur Universität. Der Weg war mir lästig, wenn auch nicht beschwerlich, aber ich nahm ihn auf mich, schließlich brauchte ich meinen Abschluss. Zum regelmäßigen Studieren hatte ich gefälligst zurückzukommen - das war absolut notwendig - ich hatte es eingesehen!
Und ich atmete die Kälte möglichst nicht ein, weil ich mir keine Lungenentzündung holen wollte.

- Wie geht’s denn so? fragte mich eine Stimme. Jemand bibberte in der Kälte. Ein Pelzkragen fiel mir auf, ein wunderschöner, aber ganz vermochte ich nicht zu erkennen, zu wem diese Stimme gehörte.
- Mir?
- Ja, ... dir!
- Ach ... es geht so ...! antwortete ich. Das Flugzeug über mir verursachte einen Höllenkrach. Eine Mercedes-Limo donnerte in einem großen Tempo an mir vorbei. Beide hätte ich gern abgeschossen. Die Stimme verschwand so schnell wie sie gekommen war, ... und wenn schon, so dachte ich. Hauptsache war für mich in diesen Minuten, dass mich nicht die Kälte eroberte.
Ich würde mich niemals an ein offenes Fenster stellen, dann auch noch kräftig die kalte Luft einatmen.

Die Zeit drängte. Zwei Straßen musste ich noch entlang laufen.
- Scheiße! sagte ich vor mich hin. Bald würde der Professor im Raum sein und das Wort erheben, zuvor würde er die Anwesenheitsliste prüfen.
- Rechtzeitig! brüllte ich kurz in die kalte Luft hinein.

Ich erinnerte (wirklich mies drauf) mich der frühmorgendlichen Frühstückseinnahme. Mein Frühstück hatte ich allein eingenommen. Es schmeckte mir: Milchkaffee und zwei Roggenbrötchen. Die Jalousie war heruntergezogen, eine graue Jalousie, die ich nach einer Erstverwendung nunmehr einer Zweitverwendung zugeführt hatte. Sie war nun die Vorrichtung, die die Blicke von außen in meine Küche bannte. Wie schön! Bezüglich der Küchenausstattung konnte ich mich als zufriedenen Menschen bezeichnen. Wenn ich an die bescheidene Höhe meines geregelten monatlichen Einkommens dachte, da überkam mich tiefe Sorge, weil logischerweise wegen meiner Nicht-Erwerbszeit nicht mehr viel „reinkam”.
Ein Kälteschauer durchfuhr mich in einem Augenblick.
Leute, deren Gesichter mir bekannt vorkamen, möglicherweise aus dem Universitätswesen dieser Stadt, begegneten mir, grüßten mich jedoch nicht.
Verschiedene mittelmäßig gekleidete, griesgrämig dreinschauende Leute, welche ich bemerkte, schlenderten oder rannten an mir vorüber. Gern hätte ich mal eine Person angesprochen, doch ich verspürte nicht die geringste Lust dazu.

- Scheißtypen ringsumher! murrte ich; gut, dass man mich nicht hören konnte, weil dieses Murren leise gesprochen worden war. Ich zog mir die Pudelmütze tiefer ins Gesicht und bis über beide Ohren.
- Es wird mir langsam zu viel mit den ... Leuten ... Leuten! sagte ich noch, während ich Mühe hatte, meine braune Tasche aus Leinen bei mir zu halten. Es schien mir, als ob irgendeiner versuchen würde sie zu stehlen.
- Ich glaube es kaum! entfuhr es mir. Ich war enttäuscht von der Welt und ihren Kleintyrannen, die sich an anderen harmlosen und armen Mitbürgern zu bereichern trachteten.
Die Studenten bestahl man wohl anscheinend gewissenlos. Ich war schon mal bestohlen worden. Das kostete mich einigen Ärger. Die auf dem Polizeirevier nahmen nur widerwillig meine Strafanzeige auf. Das waren Beamte!

- Sicher komme ich zu spät! sagte ich, vor einer Ampelkreuzung wartend. Trotz der Versuchung, bei Rot über die Kreuzung zu rennen, unterließ ich das.
- Da hinten ist ein Püllchen! sagte ich leise. Und da hinten war tatsächlich jemand in einer grünen Polizeiuniform. Ein weiterer zeigte sich wenig später.
- Grüne Ärsche, entfuhr es mir. Sie waren weit weg.

Die Nacht war sehr kühl, folglich unangenehm, gewesen. Auf mein Oberbett legte ich zusätzlich zwei dicke Wolldecken. Das musste reichen. Trotzdem hatte ich nicht einschlafen können, was ich schrecklich fand, weshalb ich zwecks Einschlafkonsums von dümmlichen Wiederholungen vom Tage meinen Fernsehapparat einschaltete. Dann schaffte ich diese Nacht doch ...

- Ist das eine Erwartungshaltung hier! rief ich aus, als ich nahe des Seminarraums war, den ich betreten wollte. Hier war es übrigens nicht gerade gut geheizt, man versuchte derzeit an allem zu sparen.
- Fröhlichen guten Morgen! rief ich fröhlich.
- Wir haben Prüfung, Herr Student! fuhr mich der Professor an, bei dem ich noch mindestens einen Leistungsnachweis erbringen musste.
Ich hatte eine bange Stunde auszustehen, überstand sie mit einigem Mut und Glück, denn ich hatte mich an den Tagen vorher ausreichend vorbereitet.
So war das. Viele folgende Tage überstand ich auch - genauso „ausreichend”. Mein Leistungsniveau hatte nicht sehr gelitten. Auch mit allem anderen kam ich zurecht.
Neu war, dass ich um die Anerkennung vonseiten meiner Mitstudenten bemüht war. Da entwickelte ich einen nicht geringen Eifer. Die Tage in der Uni verrannen nur so. Ich war, als sich Erfolgserlebnisse häuften, quasi um alles, jede Einzelheit des studentischen Lebens und Arbeitens, bemüht; nicht nur um die Anerkennung von Menschen! Ein emsiger Arbeiter wurde ich. Das normale Unileben hatte mich voll und ganz wieder.
Meine detektivischen Heldentaten, um den Verbleib meiner Geliebten, der Jungprofessorin, zu ermitteln, hätte ich nicht vergessen machen können; sie waren bekannt, einfach bekannt. Ich schämte mich ihrer nicht. Ich leugnete sie nicht!
Und ich hörte von anderen unter anderem folgendes:
- Was war der Grund ... äh, nochmal für Ihre Fragereien kürzlich?! wurde ich gefragt. Genauso wie: - Gibt es einen Grund, weshalb sie mich jetzt nicht nach dieser ehemaligen Professorin ausfragen müssen?
Weitere Nächte; die studentischen Tage mit dem Leistungssoll, welches ich erbrachte. Meine Nächte verbrachte ich allein.
Die Jungprofessorin fehlte mir natürlich. Ich hätte sie gern an meiner Seite gehabt, übrigens hätte sie diese Freundin, die andere Professorin, gern an ihrer Seite gehabt; letztere war eine Frau, die ich nicht mehr sehen mochte.
Obwohl meine Arbeit an der Uni Fortschritte machte, musste ich doch bedauern, dass ich nicht mehr als Hilfskraft tätig sein konnte, weil die Kündigung rechtsgültig war. Darüber ärgerte ich mich immer noch, ich hatte weniger Geld zur Verfügung. Diese Kommilitonen! Himmelherrgott, was für Schleimscheißer! Sie dienten sich den Professoren an!

Was erinnere ich denn wieder? Zog dann wieder der Schrecken ein? Nun also, anzufügen wäre nämlich noch, dass sich in mir trotz vermehrter Erfolgserlebnisse eine gewisse Enttäuschung breit machte. Gründe: menschliches Zusammenleben und Strebertum.
Ich wollte locker vom Hocker meine Leistungsnachweise erbringen (Emsigkeit gehörte für mich dazu), wobei ich meinen persönlichen Beliebtheitsgrad möglichst zu steigern gedachte.
Das Strebertum bei den anderen war eklatant, sie waren vor allem auf gute Zensuren aus, was sie an sich selbst selbstverständlich nicht erkennen konnten. Wogegen ich mich für einen „Lockeren” hielt.
Die höheren Semester waren mir einigermaßen aus dem Blick geraten. Mit diesen, die mir von der Arbeit her am nächsten hätten stehen müssen, hatte ich seit eh und je wenig zu tun gehabt, obwohl ich mit ihnen in den Veranstaltungen saß.
Diese höheren Semester, unter denen sicher einige nette Menschen waren, missfielen mir generell immer mehr wegen ihrer akademischen Überheblichkeit, die ich ertragen musste; missfielen mir außerdem wegen ihres „Vorwärtsdrängens”, diesem Habitus, der ihnen von der kränkelnden Wirtschaft, die an sie nach dem Universitätsabschluss überhöhte Einstellungsanforderungen als Bewerber stellen würde, indirekt aufgezwungen wurde. Das betrachtete ich sowieso als eine ungeheure Anmaßung der Wirtschaftsunternehmungen, welche als Unternehmungen in Frage kamen, die sie als akademische Arbeitskräfte einstellen konnten.
Schlechte allgemeine Lage für uns alle --- alle! Jetzt, danach im Arbeitsleben, später!
Und auch angesichts der momentanen kleinen Studienerfolge musste ich an die ganze komplexe Misere denken, an die wir alle ausgeliefert waren; sie im täglichen Denken zu berücksichtigen (welches mich „irgendwie nach vorne” bringen sollte) war für mich unumgänglich. Ich musste wie alle anderen Studiengenossen auch ins vermaledeite (möglichst:) akademische Arbeitsleben, um wirtschaftlich überleben zu können.
Natürlich, was offen eingestanden werden muss, war die soziale Zusammensetzung der Studentenschaft recht komplex. Es gab nicht nur das eine, sondern auch - ja, wer sagt’s denn - das andere: die Komplexität des sozialen Miteinanders, was allzu oft ein Gegeneinander war (und auch noch ist!).
Im Bildungssystem muss man noch Toleranz lernen.

- Das war nicht so toll, was? Es ist unsere Situation. Die Verhältnisse sind ... wie soll ich sagen ... mäßig! Aber man kann sich zurechtfinden! meinte ich einmal zu einer jungen Kommilitonin, die mich auf einem der Flure freundlich angelächelt hatte. Ich wollte sie über einige Zustände in unserer Universität aufklären.
- Och, nicht so schlimm. So schlimm nicht! Ich finde mich zurecht ... hier. Bis jetzt bin ich mit allem prima zurechtgekommen. Kein Problem. Du hast bei mir keine Chance, ...! informierte sie mich dann aber doch sehr deutlich und unmissverständlich mit einem versteinert-lächelnden Gesicht, was ich hübsch, aber nicht so sympathisch fand. Ich hatte ihr helfen wollen.
- Dann kann ich ja gehen!
- Bitte. Alles okay! sagte sie. Und ich zog ab. Nur nicht noch mehr Erstsemester!

- Hallo! grüßte ich einen barhäuptigen Kleinen, der einen Cockerspaniel auf dem Arm trug und traurig aussah. Ich wollte ihn trösten, er hingegen wies mich barsch mittels eines zur Schau getragenen Ingrimms ab. Bitte! Wenn er es unbedingt so haben wollte. Hunde in die Uni mitzubringen war natürlich verboten. Das Unwissen darüber konnte ihm eine Geldbuße oder sogar Schlimmeres eintragen, wenn er und sein Hund sich störrisch zeigen würden, denn auch an den Unis muss man sich brav einordnen, unterordnen und anpassen.

- Phantastisch, du bist das also ... so siehst du also aus ... ein fleißiger und seltsamer Student! musste ich mir anhören. Jemand schlug mir von hinten, als ich auf dem einen Flur, der zum wichtigsten Seminarraum meiner Unikarriere führte, auf die rechte Schulter; gleich zuckte ich ein bisschen zusammen. Gekonnt wusste ich zu parieren, indem ich steif dastand und keinen Mucks machte. Ich vermied zudem den Blick nach hinten, wo die Person, die mir dies angetan hatte, noch stehen musste.
- Du ... ich hätte nicht gedacht, dass du auch noch feige bist! krächzte die Person und dann folgte ein heiser klingendes Lachen. Stoßweise. Kurz.
- Wer ist denn da? getraute ich mich zu fragen, ich war nämlich neugierig und wollte einfach informiert sein, bevor ich weiterging.
-  Niemand, wer denn sonst! sagte derjenige. Ich stutzte. Was war das?
- Niemand! wiederholte derjenige. War das ein aufmüpfiger Erstsemester, der sich clever an mir zu vergreifen verstand, da er mich „ärgerte”? Jetzt musste ich aber weiter. Hinter mir ein hektisches Atmen. Die Zeit rannte. Ich ebenfalls.
- Ist das ... ein Scheißdreck! rief ich. Die Person schien mir nachzulaufen.
- Was wollen sie von mir!?!? fragte ich, schon ganz außer Atem, als ich vor mehreren nebeneinander befindlichen Türen stehengeblieben war.
- Ich bin Klein-Niemand, der Student des ersten Doofsemesters! Und ich bin Hobbydetektiv wie sie!
- Das halte ich für einen gequirlten Unsinn! stieß ich aus. Inzwischen sammelten sich einige Studentinnen zum Plausch in einer Gesprächstraube. Das beobachtete ich mit Genuss.
- Ich bin das einfach, sagte dieser komische Kerl, der, als ich ihn endlich ansah, von oben bis unten musterte, aussah wie ein Till Eulenspiegel-Verschnitt. Sehr komisch!
- Ich finde nicht, dass wir länger zusammenstehen sollten, setzte ich ihn in Kenntnis über meine weiteren Absichten. Denn dann entfernte ich mich. Durch eine Tür, die richtige, ging ich, betrat einen großen Raum mit lauter Neonröhren an der Decke.
- Diesen Raum betrete ich bestimmt nicht! hörte ich ihn gerade noch von sich geben. Im Seminarraum befanden sich zu diesem Zeitpunkt an die 25 Personen, die alle begierig einem Vortrag eines wissenschaftlichen Mitarbeiters lauschten. Ich war zu spät dran. Der strafende Blick dieses Mitarbeiters traf mich kaum.
War das gerade ein Erstsemester ohne wissenschaftliches Genie gewesen? Katastrophe!


Ich war darüber enttäuscht, dass die neuen Erstsemester so gar keine eigenen Gedanken schienen bilden zu können. Oft konnte ich Gespräche, auch private, dazu natürlich die Seminardiskussionen, hören. Es widerte mich an. Ihre Äußerungen zur Wissenschaft und ihren Problemstellungen waren dünngeistig, so weit ich das mitbekam. Sie waren außerdem manchmal der Wissenschaft gegenüber zu wenig aufgeschlossen, hatten kaum Wissensdurst.
War dies die Elite des Landes?
Dazu im Vergleich kam ich mir fast schon erhaben vor; immerhin hatte ich schon einige Semester an dieser Universität studiert, war so ein „Alter”, dessen Zukunftsfähigkeit, wie ich meinte, niemand, aber auch wirklich niemand in Abrede stellen sollte.
Leider tat man es; ich wusste allerdings nur selten genaues.
Mithin gab es noch andere jüngere Semester, die nicht viel drauf hatten.
- Mensch, mir geht es dufte! hörte ich einmal von Frank, dem depperten Soziologie-Studenten, der mich angeblich gut leiden konnte. Er trug einen Turban, rote Strumpfhosen und weiße Lackschuhe. Er war ein Papagei, der reichlich irre war. Manche Leute schienen ihn durchaus zu mögen. Die meisten aber schienen ihn für einen Geistesgestörten zu halten und gingen ihm aus dem Wege. Wie er sich an der Uni halten konnte war mir ein Rätsel.
- Das ist interessant. Ich finde es äußerst interessant, Frank! Kennst du ein Mittel gegen Schwachsinn? fragte ich ihn einmal.
- Nee!
- Ich aber: Schnauze halten! fuhr ich ihn an, woraufhin er sich mit einem beklemmenden Gesichtsausdruck von mir verabschiedete.
- ... ich muss jetzt ... wieder! verkündete er.
Ich sagte: - Endlich!
Und Becky, die süße Mitstudentin, bog gerade um die Ecke, um schon wieder den Versuch zu starten, mir um den Hals zu fallen.
- Bloß nicht! bellte ich sogleich. Sie wurde davon eingeschüchtert.
- Es wird mir gleich mulmig zumute! schloss ich bald an.
- Ich will aber nur ...! rief sie fröhlich aus. Ich erblickte sie in heller Aufregung, ja in einem Enthusiasmus, den zu bremsen sie außer Stande gewesen wäre, vermutete ich.
- Ich werde heute bestimmt nicht aktiv werden, äußerte ich zerknirscht. Hiernach stieß ich sie zart beiseite und ging fort.

Auch junge Damen wie sie waren von den „Dünngeistigen“ kaum zu unterscheiden, meinte ich doch tatsächlich. Zu mir als Dozent, wäre ich einer gewesen, hätten die Dünngeistigen nicht unbedingt kommen sollen, aber ich war nicht einmal mehr eine Hilfskraft. Gekündigt worden war ich. Dabei blieb es denn auch. Der formalrechtliche Akt war von meiner Jungprofessorin vollzogen worden.

An einem schönen Vormittag, etwa gegen 11 Uhr, ging ich zu Professor Bäcker, den ich einigermaßen ausstehen konnte. Mein Feind, dieser Schmäler, war irgendwohin, ich wusste nicht wohin, konnte es nicht so nebenbei und ganz unauffällig in Erfahrung bringen. Als ich den Professor fragte, da wusste er mir auch keine Auskunft zu geben. Aber klar war, dass Professoren, zu denen man als Student kein Vertrauensverhältnis hat, nicht viel von sich geben.
Meine gesuchte Jungprofessorin hatte sich, was das schlussendliche Ergebnis all meiner „Ermittlungen” war, gänzlich in Luft aufgelöst.

Professor Bäcker lachte ganz breit und es strömte eine rote Flüssigkeit über seine rechte Wange, die ich gern abgelutscht hätte.
In dem nächsten Augenblick, da er sich hinter seinen Schreibtisch geradezu verkroch und irgendetwas verkrampft zu suchen schien, ohne mir eine nähere Erklärung zu geben, war ich nicht sehr froh. Ich wäre gern gegangen, doch ich blieb. Da gab es noch einiges zu besprechen. Arbeiten. So!
Nun ja, ich hätte heute lieber in einer Diskothek getanzt.

Die Ideale des wissenschaftlichen Arbeitens, die sich in mein Bewusstsein drängten, waren längst erschreckend geschwunden; ich konnte sie kaum mehr fassen. Glücklicherweise langweilte ich mich nicht dauernd!
Vom Gedanken an meine Lebensirrtümer wurde ich manchmal gefangen - die Möglichkeit, persönliche Glücksempfindungen wahrzunehmen, schien es kaum zu geben.

                                                     
                   
                                                 
I. Die Untertassenträger

Irgendwo auf dem Universitätscampus, spätabends. Es gab kaum noch Menschen, die zu sehen waren. Waschbetonwände wurden von Laternen, die um den Campus herum in regelmäßigen Abständen standen, bestrahlt.
Zwei Personen tauchten auf. Eine war ich. Die andere kannte ich bis dahin noch nicht. Sie erschien im Lichtkegel einer der Laternen, und ich wandte mich nach ihr um. Auf der Stelle war ich fasziniert, gewissermaßen fasziniert. Mitnichten hatte ich den Wunsch, diese Person umzubringen.
Meine Stellung innerhalb der Studentenschaft konnte immerhin als gesichert gelten. Ich musste mich nicht stark gegenüber anderen Studenten beweisen.
Aber war das denn überhaupt eine Studentin, ein Student?

Andere Person, etwas ironisch: - Geht ja noch. Ich bin der Mann mit der Untertasse auf dem Rücken! Die Zeichen stehen auf Sturm, ... ihre, ... äh ... Galaxis wird mir bald aufs Wort gehorchen.
Ich bin es jetzt nur: - Wie? Ich höre nicht richtig. ... tschüss, Irrer! schmähte ich ihn spontan. Er sah übertrieben poppig aus; auch ziemlich extravagant mit seinem weißen, flachen und runden Ding auf dem Rücken. Es existierte, war materiell und keinesfalls eine Einbildung in diesem Moment. Lebendig schien es nicht zu sein. Ein ...? Keine Ahnung.
Und ich wandte mich wieder von ihm ab.

- Hören sie mir zu, sehen sie mich auch wirklich? so werde ich laut gefragt. Der Untertassenträger grinste wild entschlossen. Er winkte in eine Richtung nach irgendeinem weiteren Untertassenträger, den ich schon im Anmarsch durch das Halbdunkel wähnte. Er blieb im Hintergrund. Aber ich trat auf den Untertassenträger Nr. 1, wie ich ihn nenne, zu.
- Und ob ich ihnen zuhöre, mein Bester. Was tragen sie da auf ihrem Rücken? fragte ich ihn, recht freundlich im Tonfall.
- Ich habe was, eine Krankheit, die, wie man mir gesagt hat, „Untertassenkrankheit”, heißt - die Außerirdischen haben sich in mich hinein befördern lassen, weshalb mein Rücken so eine kuriose Form angenommen hat.
- Untertassenkrankheit? Davon habe ich noch nie gehört. Sie ist möglicherweise eine neue Krankheit, sagte ich mit der Bemühung, Verständnis zu entwickeln.
- Untertassenkrankheit! Als solche bezeichnet man meinen körperlichen Zustand. Ich muss leiden. Ich muss Gelächter und Schmähungen der anderen fürchten. Die anderen Menschen meiden mich zunehmend. Immer, wenn ich tagsüber auftauche, dann fängt fast jeder, der mich sieht, zu lachen an. Dabei fühle ich mich nicht als Untertasse, nicht als außerirdisches Wesen!
Ich darauf: - Untertassen sind fliegende Objekte. Sie fliegen aber doch nicht. Wie kommt es, dass sie eine Untertasse sind?
... mir schiss jetzt plötzlich ein böser elektronischer Orkan die Ohren zu, ich hielt es bald nicht mehr aus.
Es tauchte noch jemand auf, eine dritte befremdliche Person von sonstwoher. Sie kam mir wie ein ältlicher Tyrann vor, war allem Anschein nach fast im Rentenalter; machte Faxen, die ich überhaupt nicht mochte.
- Von was oder wem sprechen sie? fragte mich der mit der Krankheit, Untertassenträger Nr. 1.
Wieder er: - Wissen, dieser dort, das ist doch mein Freund, der auch diese Krankheit hat. Ein Alter.
Ich schüttelte verständnislos den Kopf. Der Alte kam langsam näher zu den beiden, Untertassenträger Nr. 1 und Nr. 2 (im Hintergrund), setzte sich schließlich auf einen niedrigen mit Graffiti besprühten Betonsockel. Er sah müde aus. Das er zu den Untertassenträgern gehörte, war unverkennbar. Er war eben nur viel älter.
- Ihr Freund, sagen sie nur?! Den kenne ich. Er ist ein faxenhafter Nachbar im Haus mit den vielen alten Leuten, in dem ich wohne. Mitten in der Innenstadt. In unserer Stadt, sagte ich geflissentlich. Ich war erfreut, hier etwas normales registrieren zu können.
Und ich lachte auf. Untertassenträger Nr. 1 bemühte sich um ein Lächeln, aber es misslang. Untertassenträger Nr. 2 verschwand wortlos. Ich stand jetzt Untertassenträger Nr. 1 und dem Alten direkt gegenüber.
Untertassenträger Nr. 1. sprach jetzt: - Ihr Nachbar!? Seltsam. Übrigens: ist das hier eine Universität, auf deren Gelände wir uns momentan befinden? Ich kenne mich mit solchen Dingen nicht gut aus, sagte der mit der Krankheit.

- Es ist eine Universität. Abends ist nicht viel los, weshalb kaum einer in den Gebäuden oder auf den Gängen oder in den Fluren oder draußen auf dem Campus oder draußen auf den Wegen und Straßen ist, erläuterte ich dem Untertassenträger Nr. 1. Er gähnte.
Er dann: - Ich bin sehr müde. Der heutige Tag war überaus anstrengend; nicht noch einmal möchte ich einen Tag wie diesen erleben. Ich kann nur sagen: man wollte uns steinigen. Heute war der Teufel los! Ich wünschte, kein Außerirdischer zu sein, ehrlich! Die Menschen können Teufel sein. Vielleicht hat sie der Teufel in Besitz genommen - - - es wäre zu erwägen. In diesem Fall müssten wir von da draußen alles tun, um die Erde zu befreien.
Ich dann: - Nicht doch! Nur nicht gleich losballern! Befreit werden will auf der Erde kaum jemand. Wenn nachgefragt wird, so möchte fast jeder beim Alten und Gewohnten bleiben, zeigt kaum jemand Risikobereitschaft.

- Geht ja noch, wir wissen immer Rat, der möglichen Maßnahmen ist Legion. Lassen sie uns das mal machen! Weil ich meine Untertasse tragen kann, so ... kann ich denken, ich bedeute jemand etwas, vielleicht viel. Dies hebt mich an, ... ich kann fliegen ..., sprach Untertassenträger Nr. 1..
Untertassenträger Nr. 2 schoss plötzlich heran. Der Alte zeigte sich etwas eingeschüchtert und trat in den Hintergrund. 
- Sowas auch ..., konstatierte ich mit Staunen. Ich starrte Nr. 2 an. Der Untertassenträger Nr. 2 gähnte ganz laut auf.
Untertassenträger Nr. 2: - Es ist mir alles suspekt auf diesem Planeten.
- Ja? Man kann doch leben hienieden, sagte ich. Und dann ging ich fort.
Untertassenträger Nr. 2, mir nachrufend: - Hier ist alles scheiße.
Ich drehte mich gleich danach nach ihnen um, ging aber weiter.
- Sagen sie doch sowas nicht, lieber Nachbar! rief ich von weiter hinten. Ich stand im Dunkel beim Gitterrost eines Kellerfensters. Von dort aus hätte ich keinem ein Leid antun können. Inzwischen war ich weidlich lustlos.
Untertassenträger Nr. 2: - Oh doch. Ich habe Erfahrungen gemacht. Die Menschen sind dumm, oberflächlich und kleinkariert, sie wollen viel Geld besitzen; wenn sie es besitzen, dann lassen sie andere Menschen nicht an ihrem Geld-Glück teilhaben.
- Das nennen sie Geld-Glück, stellte ich ruhig, aber laut genug aus der Distanz sprechend fest.
- Er nennt es Geld-Glück, meinte Untertassenträger Nr. 1. Er lächelte ironisch, was ich grässlich überheblich fand. In diesem Augenblick hätte ich ihn zurück zu seinem intergalaktischen Fremdplaneten treten können.
Untertassenträger Nr. 1, gut gelaunt: - Ich habe, so möchte ich einräumen, noch keinen Menschen mit meiner Untertasse erschlagen können. Das ist ein, zugegebenermaßen großes, praktisches Defizit!
- Sie wollen Menschen umbringen!? fragte ich empört. Kam wieder näher.
Untertassenträger Nr. 1: - So weit würde ich jetzt noch nicht gehen, ehrlich gesagt. Aber es ist mein theoretisches Ziel, sie zahlenmäßig zu dezimieren.
- Hochinteressant! rief ich betroffen aus. Waren diese Untertassenträger komplett verrückt?

Untertassenträger Nr. 1, sachlich: - Ich habe mein ganzes Wollen auf ein Ziel gerichtet, und daneben auch und gerade mein ganzes Bestreben auf das Wohlergehen der Menschheit fixiert. Ich fühle mich toll. Die irdischen Sicherheitsapparate haben mich noch nicht entdeckt, vermute ich, von daher habe ich noch Chancen auf Erfolg.
- Was ist das für ein Wort ... „geht”? unterbrach uns schließlich Untertassenträger Nr. 2. Ich fragte mich, warum er das wissen will. Untertassenträger Nr. 1 zog sich etwas nach hinten zurück.
- Das ist das Wort des Fortschritts und des Fortschreitens in Einzelschritten, antwortete ich, weil ich mich als gefragt betrachtete.
- Danke für die Auskunft. Bin ich unwissend ..., bekundete Untertassenträger Nr. 2.
Weiter: - Das muss ich zugeben!
Ich: - Ich würde sagen: ja!
Er, ängstlich: - Mir geht gleich die Muffe ... ich fühle mich miserabel ... echt ...
Ich, zynisch: - Echt blöde! Sie regen sich über irgendetwas auf, das unwichtig ist. Das finde ich unpassend. Regen sie sich auf, ... darüber zum Beispiel, dass sie hier sind und nichts Gescheites zu tun beabsichtigen. Sie sollten Aufbauarbeit leisten!
- Wenn ich sie nicht hätte, darauf wäre ich nie gekommen! Aufbauarbeit, nun, das ist aber eine prächtige Idee! Aber wir finden die Erdbewohner und ihre Gesellschaften miserabel, sehr miserabel. Da ist in unseren Augen nichts mehr zu retten! so deklamierte mit dicker Ironie Untertassenträger Nr. 2. . Und Nr. 1 regte sich sehr, wollte das Gespräch mit mir wieder aufnehmen. Er blickte grimmig und entschlossen drein!
Ich wieder: -  Wie brutal! Unmenschlich ...!
Das rief ich empört aus. Nr. 1 schien noch grimmiger zu blicken.
Und ich wieder, sachlich: - Wissen sie, all die aufwendige, da komplizierte und teure Aufbauarbeit würde ihre extraterrestrische Invasion viel sympathischer aussehen lassen, da bin ich mir sicher. Sie wäre organisierbar. Man könnte es schaffen, die Erde wenigstens materiell, wenn nicht sogar spirituell neu zu begründen ... und vieles mehr ...
Untertassenträger Nr. 1, warf wütend ein: - Unmenschlich? Weil wir keine Menschen sind, auch keine werden können, so kann Unmenschlichkeit in unseren Reihen nicht fehlen.
- Das stimmt aufs hundertstel Prozent genau! rief Untertassenträger Nr. 2 aus.
Untertassenträger Nr. 1: - Es wird keiner einen Aufbaubefehl erteilt bekommen. Da bin ich mir ziemlich sicher, weil ich das Oberkommando der intergalaktischen Weltraumflotte kenne. Was gäbe es auch zu schaffen ...? Wir wollen nichts schaffen!
- So ist es tatsächlich! Die Chancen stehen gleich Null! rief Untertassenträger Nr. 2 amüsiert aus. Er ging zu mir auf Distanz, ... eine Laterne erlosch überraschend. Das notierte ich genau, warf einen bösen Blick in ihre Richtung.
- Sehr bedauernswert. Wer nicht kreativ und produktiv schaffen will, ist ein nicht besonders interessanter Zeitgenosse, stellte ich fest. Mein Haar ergraute schneller als zuvor. Ich wurde schneller älter. Das meinte ich ganz genau zu spüren.
Untertassenträger Nr. 1: - Schaffen? Hier unten nicht!
- Tun sie das doch! forderte ich diese Wesen auf. 
- Nein! Übrigens ... wir sind keine Zeitgenossen von ihnen allen hier auf … Erden, darauf können sie wetten, Herr Erdbewohner! schrie Untertassenträger Nr. 1..
Und hierauf begann ich zu stöhnen.

- Darauf kann er wetten! rief Untertassenträger Nr. 2 aus. Derselbe ging noch viel weiter weg. Unerwartet hob er vom Erdboden ab. Ich musste mir das ansehen. Einen anderen hätte das erfreut, was ich in diesem Augenblick ansehen musste, mich aber versetzte es in ein jammervolles Erstaunen; ich wäre lieber geflüchtet.
Untertassenträger Nr. 1, rief aus: - Super! Tschüss auch! Freund!

- Unfassbar! Unfassbar! Diese Komik, die darin steckt, dass jemand aufsteigt und verschwindet, sagte ich jetzt mit großen Augen. Dieses Wesen, Untertassenträger Nr. 2, hob ab und flog fort. Schon war es nicht mehr gesehen.

ICH FÜGTE LAUT AN: - Meine ... nun ja, wie soll man’s nennen ... etwa Sachen? Okay:  S a c h e n  habe ich ausreichend häufig bewegt. Es sind Sachen, die ich lieb habe. Das da ... ist unfassbar! Ich werde es vergessen müssen, denke ich!

UND DANN: - In mir schläft die Ewigkeit des notwendigen In-mich-hinein-Denkens in meine kleine Seele. Wenn ich mich in sie hinein gedacht habe, dann ...

Untertassenträger Nr. 1, gemein grinsend -: - ... dann was?
Ich verabschiedete mich ohne Vorankündigung mit einem grimmigen Gesicht der Ablehnung. Und alle drei, auch der Alte, Untertassenträger flogen kurz darauf, fast zur gleichen Zeit, einfach fort. Ich konnte nicht wissen, wohin. Es war mir in dem Augenblick, als ich sie am Abendhimmel sah, völlig gleichgültig.
- Scheißkerle, sagte ich nur. Und ich schüttelte den Kopf. Weiter sagte ich: - ... die sind beispiellos in ihrer Bosheit, woran wirklich kein Zweifel besteht.  Was wollen die auf der Erde? Wirklich nur Menschen ausrotten? Ich glaube, dass ich die staatlichen Autoritäten alarmieren sollte. Zurück ... ist hier denn keiner, der die auch gesehen hat?

Ich schaute mich gründlich auf dem Gelände der Universität um, doch ich konnte in den Minuten nach dem Abflug der beiden kein menschliches Wesen entdecken. Hier herrschte eine universitäre Stille, die seltsam war, so seltsam, als wäre sie künstlich erzeugt worden. Dieser mochte ich nicht so ganz trauen; Schreckliches war doch wohl geschehen!

- Es macht mir zu schaffen, was mir widerfahren ist! Ich will nicht der Weiterträger einer Information bezüglich des Erden- und Menschheitsendes sein, bitte ... nein! Zu viel der kotzdreckigen Ehre! rief ich in die Stille aus, die vor mir und um mich herum auseinanderzubrechen schien. Kurz fuhr ich zusammen, als ich einen mächtigen Widerhall meiner Sprechstimme zu hören meinte.
- Ist das nicht ungeheuerlich? schrie ich nunmehr und wollte wegrennen, jedoch stand ich auf der Stelle. Und zwar stand ich vor dem Sekretariat, wo man sich als Neuling einzuschreiben hatte.
- Wird mir die Belastung, die diese Information bedeutet, nicht übermenschlich schwer werden müssen? rief ich aus; da kam doch noch irgendjemand angelaufen. Diese fremde Person blickte mich aus mehreren hundert Metern Entfernung gezielt an, mit Augen, die zu sagen schienen: Was ist denn das für ein verrückter Kerl? Kenne ich den?




J. Die ziemlich junge Kommilitonin

Später.

Es war doch wieder mal - und dagegen konnte ich auch nichts tun! - einige Zeit ins Land gegangen - sie hatte ich nicht gefunden! (?, wer oder was soll das nun wieder sein?!)
Es war mir nicht besonders gut ergangen während dieser Zeit. Ich ertrug sie.

Eines traf ohne Einschränkung zu, nämlich das diese mysteriösen, unberechenbar bösen Untertassenträger auf mich einen bleibenden Eindruck hinterlassen hatten, einen ätzend bleibenden Eindruck. Die Gefahren, die von ihnen ausgingen, vielleicht einen unbestimmbar langen Zeitraum lang, schienen doch enorm (gewesen) zu sein. Ich wusste sie nicht zu parieren mit meiner bescheidenen Vernunft, denn über ihre mickrige Größe war ich mir mittlerweile doch im klaren.
Niemand sollte das bemerken, es hätte mir sozial einen beträchtlichen Schaden zugefügt, welchen ich nicht an mir registrieren wollte, da ich in dieser Gesellschaft weiterzuleben gedachte.

- Meine geschätzte Vernunft, Ruhe jetzt! sagte ich.
Der altertümliche Radiowecker hatte seine Arbeit getan. Gerade rausgefallen aus meinem Doppelbettsofa. Da, weiter erhöht, eine Person, eine Frau, die sich im Schlaf ein wenig bewegt hatte. So schön, diese Frau!
Mein Zimmer war nicht gerade geräumig; es ging so!

-  Ich bin nicht sehr intelligent; das muss ich feststellen. Und es wird mich keiner mehr blenden können! ... und die anderen ... die ... wer weiß, wie hoch die Intelligenz von höher intelligenten außerirdischen Wesen ist!  deklamierte ich kurz danach - nämlich dieses so so schönen Morgens, als ich mich wieder aufgerichtet hatte in meinem roten Morgenmantel, welchen ich in der Nacht übergezogen hatte. Er hielt mich warm. Er gefiel mir sehr.
Der Morgen drohte noch kälter zu werden als gestern Abend befürchtet.
- Ist das aber schön! sagte ich im Tone der sachlichen Feststellung, als ich aus dem nahen Fenster blickte. Mit einem sehr festen Blick. Die Frau da hinter mir begann doch tatsächlich zu schnarchen, weshalb ich mir währenddessen meine beiden kleinen Ohren zuhielt. Sie würde wohl noch einige Minuten lang schlafen.
- Frühstück, sagte ich wenig später gelassen vor mich hin. Es war nunmehr das Frühstück zu richten. Draußen tuckerten einige Fahrzeuge durch die enge Straße, die sie geradezu ausfüllten, weil die Straße für dicke tuckernde Laster zu eng war. Das konnte meinen
Blicken nicht entgehen. Ich verfolgte den einen wie den anderen tuckernden Laster. Ganz flüchtig kam ein Hochgefühl auf.
Wahrscheinlich wollten da ein paar Lastkraftwagenführer die Autobahngebühren einsparen, indem sie Umfahrungsstrecken in Städten, in Dörfern und über Land vorzogen.
- Bah! stieß ich aus. Die werden bald woanders fahren, dachte ich nun. Ich ging vom Fenster fort, wieder in Richtung Bett, wo dann auch bald die Ankleidung nötig war.
Natürlich, das tat ich am geöffneten Schrank nahe des Doppelschlafsofas. Ich wollte keine Zeit verlieren. Zeitdruck bestand nämlich durchaus. Eine weitere dieser blöden mehr oder weniger unnötigen langweiligen, wenn nicht sogar sehr öden Vorlesungen in der Uni wartete auf mich, nicht ich auf sie.
Meine Äußerungen von eben sollte niemand hören, auch und gerade SIE nicht.
Diese Neue da hinten war eine neue, ziemlich junge Kommilitonin, die ich mir als Freundin angelacht hatte. Sie trug seit 1 Uhr in der Nacht einen schwarzen Seidenpyjama, rote Rose im obersten Knopfloch, die während der nächtlichen Turbulenzen nicht abgegangen war.
Ich freute mich, als ich mich ihr noch einmal vor dem Ankleiden zuwandte. Sie schlummerte tief, was ich annahm, weil ihr Gesicht tief ins Kissen eingebettet war. Sie atmete in langen, kräftigen Zügen ein und aus. Es war so schön zu hören, noch schöner mit einem heiteren Seitenblick anzusehen!
Für einen Moment dachte ich einfach, dass ich in sie verliebt sei.

- Die muss noch nicht raus. Ich aber, teilte ich mir selbst mit und gähnte.
Und: - Ich muss weitermachen. So ist das Leben in dieser Scheiß-Society der Streber und Normativen. 
Sagte dann, wie aus einer Traumdidaktik heraus, als ich Erinnerungsschübe bekam, die mich sofort während des Ankleidens im Schlafzimmer gedanklich beschäftigten:
- Moralisch muss ich an mir Verbesserungen durchführen. Ich weiß ziemlich gut, was zu tun ist. Zuerst muss ich das Niveau meiner Selbstkritik gezielt erhöhen! deklamierte ich.
Die Jeans, die ich flott anhatte, saß schlecht, weshalb ich einen Schreckensschrei ausstieß, welcher meine neue Freundin zu wecken drohte. Ich fand mich in diesem Moment übertoll. Perfekt. Hinausragend über die höchste Höhe der Höhen hinaus. Ich fand, dass alles in meinem Sinne sein könnte, wenn ich es nur wirklich wollte.
Meine neue Freundin, die leider durch den Schrei aufgeweckt worden war, schielte mich aus dem Bett heraus kritisch an, denn meine letzte Äußerung, die durch Anflüge von mimischer Selbstgefälligkeit begleitet gewesen war, schien sie beunruhigt zu haben.
Anscheinend lag ihr ein Kommentar auf der Zunge. Den hätte ich gerne hören mögen, aber, nun, es musste nicht sein, weshalb ich sie weiterschielen ließ.

- Das ist echt, stellte sie fest. Sie lächelte feist. Ihre langen dunkelbraunen Haare hingen über die Bettkante hinaus ins Zimmer. Sie fummelte an den Haarspitzen.
- Was ist echt? fragte ich höflich nach. Zudem wollte ich ihr gegenüber einen gewissen Respekt beweisen, so dass ich innehielt mit dem Ankleiden. Das Shirt fehlte noch, es würde bald folgen. Der verregnete Sommer. Er hätte eigentlich ein Oberhemd erfordert.
- Das ich in dich verliebt bin, so verkündete sie und schwang sich aus dem Bett. Jedwede Müdigkeit entfernte sie durch ein schnelles Wischen mit beiden inneren Handflächen durch ihr schönes Gesicht. Es war leider eng in diesem Zimmer, gleich bedrängten wir einander vorm Kleiderschrank, der aus Buchenholz geschreinert worden war, als ich als kleiner Junge eines Geburtstagsgeschenkes von meinen Eltern bedurfte.

- Ach was ...! Was du fühlst, das kann nicht echt sein, ... was bedeutet denn  e c h t  ! ? sagte ich engagiert. Jetzt stand ich vor der Zimmertür und wartete auf das Ende dieses Gesprächs. Ja ich wollte fort. Was, meine Beste, bedeutet  e c h t  !? ... die Liebe soll sozusagen echt sein ... ach was!!!
- Wirklich tief, rein, wahrhaftig, total! Dies bedeutet dieses Wort.
- Echt gibt es nicht, erwiderte ich mit einiger Erregung. Ich war des Gesprächs gänzlich überdrüssig.
Dann: - Weißt du, ... weil nichts echt sein kann. Nichts! Echtheit gibt es bei Gefühlen nämlich gar nicht!
- Ich liebe dich. Ich fühle echt. Deshalb ist es richtig, dass ich dieses Wort benutzt habe.
- Wenn du meinst ..., meinte ich mit Gleichmut, um sie auszubremsen.
- Ja!
- Weißt du, Marianne, ... was du sagst, ist mir nicht so wichtig, als dass ich weiterhin zuhören müsste. Heute habe ich noch vieles vor, weshalb ich das Zimmer nach dem Frühstück verlassen werde. Aber erst mal muss ich das Frühstückmachen schaffen. Lässt du mich jetzt mal gehen ...? ... in die Küche ... hä?!
- Bitte, wenn es unbedingt sein muss. Ich habe keinen Hunger! kläffte sie geradezu. Ziemlich verärgert sah sie aus. Hiernach ließ ich die Zimmertür knallen, um einen Schlusspunkt unter dieses Gespräch zu setzen. Die Küche betrat ich mit Wut im Bauch, obwohl ich mich wirklich um das Gefühl der Gleichmut, das ich wahrhaftig zu fühlen trachtete, bemühte.

In der Zwischenzeit hatte der dichte Regen draußen Dunkelheit erzeugt, so dass ich die Lampe in der Mitte der Küchendecke anschalten musste. Und auch meine Stimmung war dunkel. Ich hatte keine Lust mehr, mit solch einem Menschen zusammen zu sein.
Ich frühstückte. Das knusprige Brötchen vor mir lag so ruhig auf der Tischplatte, dass ich es liebevoll streichelte. Die Butterdose faszinierte mich wegen ihrer Farbe, es war die Farbe Rot. Ein paar Brotschnitten wollte ich mir schneiden. Aus diesem Grund stand ich auf und holte mir ein scharfes Brotmesser. Das Brot lag hinter mir auf der Anrichte; da musste ich nur zugreifen.
Ich nannte das Brotmesser „Marianne”, was in meinen Augen kein liebenswerter Kosename für ein Messer war.

- Endlich am essen! hörte ich dann. Marianne stand irgendwo hinter mir. Sie gähnte laut und lang. Ich musste das in meinen Ohren als störendes Geräusch verklingen lassen.
- Himmelfurznoch! mit diesem Fluch stöhnte ich mächtig auf, als sie sich hinter mir näher herantraute. Ich befürchtete eine Liebkosung. Das Brotmesser hatte ich in der linken Hand und schwenkte es ein bisschen hin- und her.
- Das muss jetzt aber nicht sein! gab ich ihr zu hören, woraufhin sie wieder ein paar Schritte zurücktrat und sagte:
- Du bist feige!
- Ich bin mutig. Sehr. Und ich habe heute noch was vor. Das mit der Liebe kann später noch einmal kommen. Vorerst bin ich mit anderem stark befasst. Es ist nichts, was nicht wichtig wäre für mein persönliches und berufliches Schicksal.
- Immer dasselbe mit den Kerlen ..., ließ sie mich vernehmen und setzte sich auf die Anrichte hinter mir. Einen kurzen kritischen Blick warf ich auf sie.
- Ihr werbt lange und engagiert um eine Frau, wollt drauf, und … dann … dann wollte ich auch wieder runter. Das ist doch echt zum Kotzen! rief sie pöbelhaft aus.
- Ich denke, nein, sprach ich. Das ließ ich sie, den Mund voll und kauend, sofort wissen.
- Ich denke: doch! Verdammt ... jaaa! pöbelte sie mich offen an. Die Bäume auf der Straße, als ich aus dem Küchenfenster schaute, schienen zu erzittern vom Geschrei.
- Geht es nicht leiser? fragte ich versuchsweise höflich. Inzwischen ging sie mir sehr auf die Nerven. Das war doch eine unverschämte Person.
- Nein! sagte sie schon erheblich leiser und starrte unter die Küchendecke, die mit Figuren bemalt war, von mir nämlich. Ich besaß Phantasie.
- Liebe ist Liebe! Oder…, fuhr sie mich auf einmal direkt an.

Da wurde es mir zu viel. Ich sprang vom Küchenstuhl auf und schubste sie gegen den Herd, dessen Platten glücklicherweise alle kalt waren in dem Moment, als Marianne gegen ihn fiel. Ich war froh, dass ich es ihr mal gezeigt hatte.

- Das geht nicht so weiter! Ich lasse mich nicht schon nach der ersten Nacht so unter Druck setzen! Kapiert!?
- Ich ... f i n ... d e , du ... Arschloch ...! stammelte sie ziemlich aufgebracht, während sie sich wieder aufraffte. Dann standen wir einander gegenüber und fixierten uns mit den Augen.
- Was? fragte ich relativ ruhig nach.
- Das du ein superblödes Arschloch bist! schoss sie, als sie wieder auf den Beinen war.
- Das ist unverschämt! Ich habe letzte Nacht aufrichtig alles gegeben! Und das soll es jetzt gewesen sein?
- Ich bin verliebt …! Das erfordert eine außerordentlich persönliche Zuwendung zu mir! Ich bestehe darauf! rief sie mich an. Ich musste mich sehr zusammenreißen, um nicht in ein Gelächter auszubrechen. Sie war so lächerlich in diesem Moment.
- Nun, fest steht, dass ich im Gegensatz dazu keineswegs in dich verliebt bin, so gab ich ihr als fundamental richtige Information sofort zur Kenntnis. Sie musste nur noch genau hinhören und ihre Vernunft zum Funktionieren bringen, sofern sie dazu imstande war. Das allerdings war zu bezweifeln.
- Dumme Sau! beleidigte sie mich. Ich schwankte zwischen der starken Emotion der Empörung und der Zuversicht, dass sie sich gleich wieder fangen und auch bald abhauen würde.
- Dumme Sau! beleidigte sie mich nochmals, so dass ich ihr fast eine Ohrfeige gegeben hätte. Das sollte man sich nicht gefallen lassen, weil solche Frauen hinterher damit prahlen könnten.
- Wenn du nicht sofort damit aufhörst, gehe ich zur Polizei! informierte ich sie so detailliert deutlich, dass sie auf der Stelle aufhörte.
Dann zog ich sie an ihren Haaren raus aus der Küche wieder zurück ins Schlafzimmer in die Nähe des Bettes, wo ihre Kleidung am Boden verstreut lag.

Dort versuchte ich sie einzuschüchtern, indem ich ihr Vorhaltungen bezüglich sexuellem Missbrauch und sexueller Belästigung machte, die sie auch entsprechend niederhielten. Damit war ich also recht erfolgreich.  Nicht viel hätte gefehlt, ich hätte freimütig von meinem Untertassenträger-Erlebnis berichtet, was jetzt ganz unangebracht war.

- Dich jedenfalls will ich nie mehr sehen! kündigte ich ihr nach wenigen Minuten an, als sie damit begonnen hatte, sich hektisch anzukleiden.
- Das geht doch nicht! protestierte sie leidenschaftlich, aber ohne wieder unverschämt zu werden. Es brauchte noch mit dem Ankleiden.
- Und ob das geht!

Jetzt war sie fort. Ich beobachtete noch, wie sie auf dem Bürgersteig entlanglief, um ihr Auto zu besteigen. Ein schwarzer Renault. Ich war mehr als froh. Jetzt fühlte ich mich wieder einigermaßen gut. Der Unikram musste zusammengepackt werden, weswegen ich mich sputete. Das Regal mit dem Kram war da vorne; mein Schlafzimmer war ja seit zwei Jahren auch mein Studierzimmer, weil ich die kleine Wohnung mit einem Kommilitonen teilen musste.
Der war letzte Nacht ausgeflogen gewesen, der Typ, der Scharlatan!
Schnell war der Kram gepackt, dann knallte ich jede Tür hinter mir zu, die in meiner Wohnung vorhanden war. Das machte Spaß.
- Dieser Typ! dachte ich; kaum an die Arbeit, die ich heute noch erledigen musste. Er hatte sowas ... Er hieß mit Namen Mohi. Das war ein komischer Name, wahrscheinlich sein Spitzname. Ich wusste um seine idiotischen esoterischen Marotten sehr gut Bescheid und konnte auf seine nächtliche Anwesenheit, auf jede Anwesenheit im Grunde bestens verzichten.
Irgendwie mochte ich ihn auch ein bisschen. Allerdings oft genug nervte er mich mit seinen Rezitationen und religiösen Gesängen. Dann stürzte ich sogar manchmal auf den Bürgersteig, wenn auf diesem gerade nicht viele Menschen gingen.
Ich hatte das Haus verlassen.

- Wer sind sie? wurde ich auf dem Bürgersteig plötzlich gefragt, weshalb ich stehenblieb. In einem Ladenschaufenster rechts neben mir befand sich eine nackte Dame und vollführte gymnastische Übungen. Eine Schaufensterpuppe befand sich etwa zwei Meter neben ihr. Sie wurde automatisch angetrieben.
- Ich? Meinen sie mich? fragte ich freundlich nach, hatte es aber nach wie vor eilig. Ich ging weiter.
- Ich muss weiter, für Gespräche habe ich keine Zeit! teilte ich der Person freundlich mit, doch dieselbe blieb an mir dran. Ich war verdutzt, dass mir so ein Mensch seine Aufmerksamkeit schenkte, denn er sah nach etwas Großem aus. Repräsentativ. Ein großer, bedeutender Mann konnte das sein!
- Ruhig bleiben! rief er mir fröhlich nach. Und er richtete seine blaurote Krawatte, wie ich mit einem Blick nach hinten bemerkte. Sein schwarzer Anzug saß perfekt. Die kurze Nase triumphierte über sein schmales Gesicht. Er hatte einen mächtigen Gang, der mir Furcht einzuflößen begann. Ich wollte bleiben. Ich wollte weiter.
Gegen den aufkommenden Stolz konnte ich auf die Schnelle nichts ausrichten. Auch nicht gegen die Verwirrung, die ich schnellstens loswerden musste. Was wollte der Mann von mir?
- Sind sie ein Stalker? fragte ich höflich nach, nachdem ich auf dem Bürgersteig stehengeblieben war und ihm frontal ins stoppelige Gesicht blickte, welches er hinter einem von ihm mitgeführten großformatigen Büchereinband zu verbergen versuchte.
- Das ist die mittels Comics verständlich gemachte christliche Bibel! sagte er großspurig. Ich war nur baff.
- Was soll das sein? Ich finde, sie sollten von mir weichen! Ich mag sowas ganz und gar nicht! Suchen sie sich ein anderes Opfer für ihre Leidenschaft! fuhr ich den Mann an, der mir nunmehr doch nicht mehr wie ein großer Mann, ein Herr, vorkam. Kein Mensch drehte sich auf der Straße nach mir und nach ihm um, als ich gezielt nach praktischen Möglichkeiten nachsann, mich von hier zu entfernen. Und ich steckte meinen Kopf in die Wolken über mir.  Die Zeit stand für einen Moment ganz still, was ich bemerkte, als ich meine Armbanduhr ansah, die stillstand.
Er blieb bei mir, als ob er wirklich etwas Handfestes von mir haben wollte.

- Hier bin ich eben, sagte er höchstwahrscheinlich mit gespieltem Gleichmut.
- Allerdings. Unübersehbar!
- Ich werde bei ihnen bleiben, an ihrer Seite, oder auch gleich hinter ihnen; jedenfalls werde ich nicht aufgeben, teilte er mit.
Den lieben langen Weg bis zur Uni folgte er mir.


       
                                                       
K. Die Wissenschaften

- Hier bin ich! sagte er, als ich mich auf eine schattige Bank bei einem der flachen Universitätsgebäude gesetzt hatte, um ein wissenschaftliches Buch aufzuschlagen. Sonniges Wetter. Die Studentenfrequenz war mäßig, die meisten waren wohl im Freibad. Ich war ganz geduldig, hatte mir Zeit für dieses Buch reserviert. Die nächste Vorlesung fand erst in mehreren Stunden statt.
Er schien mit mir Kontakt aufnehmen zu wollen.
„Hier bin ich!“ klang noch in meinen Ohren nach. Wer?
- Sehen sie doch bitte, das Buch ist interessanter, weil es besser Auskunft gibt zur Sache ... in unserer Wissenschaft! drängte er sich mir nunmehr richtiggehend auf, saß bald neben mir auf der Bank, und hielt mir sein Buch unter die Nase. Ich wich nach weiter rechts aus, um nicht seinen Körpergeruch riechen zu müssen. Ekelhaft.
- Ein Buch ... aha, stellte ich sachlich fest.
- Ein ... ja doch! rief er aus, blätterte in dem offensichtlich wissenschaftlichen Werk leidenschaftlich herum, schien irgendeine Textstelle zu suchen.
- Was machen sie da? Ich habe jetzt keine Zeit für sie ... könnten sie mal ... !?!? sagte ich genervt. Doch mein Sitzpartner schien das nicht recht gehört zu haben. Dann blickte ich ganz offen gezielt weg, sagte nichts. Mit dem linken Auge warf ich aber ab und zu einen flüchtigen Blick auf ihn.
- Das müssen sie sich anhören, Herr Studienkollege! sagte er und er schien in das Buch verliebt zu sein, tätschelte es mit Liebe zum Gegenstand. Der Gegenstand als Geist, als Gefühl, als ...
- Ich? Ich bin mit anderem befasst; das ist unübersehbar! blaffte ich ihn ziemlich barsch an. Er fing an, mein linkes Knie zu tätscheln.
- Ich habe doch schon Lektüre! sagte ich ihm laut ins Gesicht, woraufhin er etwas zusammensackte.
- Mein Buch ist ein elementares Lehrbuch, verkündete er extrem sachlich, als wollte er seiner Aufdringlichkeit jede Emotion nehmen. Tätschelte aber leicht weiter.

Ich war gelandet in der mir vertrauten Umgebung an der Universität und gedachte nach dem so grässlichen altbekannten Schmäler, der hier den großen Motzer herauszukehren begonnen hatte, zu suchen. Er war mir nämlich in der letzten Zeit bewusstseinsmäßig abhanden gekommen.
Meiner Kenntnis nach hatte er sich nunmehr einem Professor Bunte angedient.

- Können sie nicht diese Tätscheleien unterlassen?! so forderte ich ihn unmissverständlich auf. Prompt reagierte er darauf mit der Unterlassung. Sprach auch vorerst nicht weiter. Das wertvolle
wissenschaftliche Lehrbuch, was er mir anzupreisen vorhatte, lag auf seinem rechten Oberschenkel.
Ihn kannte ich nur vom Sehen, die letzte Wahrnehmung lag schon länger zurück. Ich hatte keine Lust, mit ihm zu kommunizieren. Ich las weiter. Mein Buch war für mich am wichtigsten. Er saß bloß ruhig neben mir.

- Was ... zum heiligen Jo … noch eins ... was ist ... was ist das für ein Buch!? fragte ich ihn sanft-freundlich, als in mir Neugier entstanden war. Denn er war verstummt. Mein Buch legte ich zur Seite.
- Und? hakte ich nach. Er schaute jetzt aber lediglich zu Boden. Grasbüschel unter ihm. Vielleicht ein paar Ameisen. Hinter uns donnerte eine Lkw-Lawine her.
- Das Menschen sich gegenseitig immer wieder auf die Nerven gehen müssen!
- Sie sind ein Mensch! kam es von seiner Seite überraschend. Er schaute gen Himmel. Es fing ein Regenschauer an. Er schluchzte los und ... Dann erfasste ich mit einem Mal, dass er braune Lackschuhe an den Füßen trug. Sehr extravagant.
Die genaue Beobachtung seines Äußeren hatte zum Ergebnis: sein Gesicht war rundlich, mondgesichtig, würde ich sagen; seine Körperbewegungen wirkten auf mich etwas unsicher, überhaupt wirkte er auf mich so, als hätte er immer das Problem, seine Schüchternheit zu überwinden.
- An sich ist das ganz richtig, bestätigte ich ihn, aber sein Schluchzen steigerte sich noch. Das fand ich sehr befremdend. Was macht man, wenn man neben einem Schluchzer sitzt oder steht? Man verabschiedet sich still und leise, eben möglichst unauffällig. Und dann geht man fort. Aber ich zog dem anderes vor, weil sich Studienkollegen in die Nähe unserer Sitzbank begeben hatten. Warum, wusste ich nicht. Wegen des Schluchzers?
Der Studienkollege saß jetzt auf einmal aufrecht auf seiner Bankseite und hielt sein wertvolles wissenschaftliches Werk in die Höhe.
- Und das hier ist  m e i n  Werk, das Werk eines Toren, der nirgendwo mit diesem Werk auf das geringste Interesse stößt! Es ist zum Verzweifeln! beschwor er laut, so dass es jeder im Umkreis von einigen Metern bestens hören konnte.
- Wie? fragte ich befremdet diesen Menschen, der sich einen Toren nannte.

Ich hielt diesen Studienkollegen mit einem gebundenen Haarbüschel am Hinterkopf nicht für einen Belästiger, auch nicht für einen verkannten Wissenschaftler, der frühreif während seines Studiums ein  Werk verfasst hatte. Ich hielt ihn viel eher für niemand. Aber genau dies war es vermutlich, was er in mir erkannt hatte und ihn massiv störte - wie es ihn bei vielen anderen Studienkollegen zu stören schien.
Nach wenigen Sekunden ließ er seine Hand mit dem Buch nach unten fallen.

- Ein elementares Werk in unserer Wissenschaft, ich schlage es vor ...! entfuhr es ihm schließlich; es war ein Gefühlsausbruch.
- Wem? Mir?
- Ja. Dir! ... dir! Es ist ... elementar! Sehr elementar.
- Sieht so aus. Sonst würden sie es nicht lesen, sagte ich darauf.
- Es ist so wichtig, dass es jeder lesen muss, der unser Fach studiert!
- Nun, ich halte nicht so viel von derlei Festlegungen, Anforderungen ... oder so ...

Schmäler trat auf uns zu.
Zu dem Studienkollegen sagte er: - Was machst du denn schon wieder unter Leuten? Solltest du nicht bei einem anderen sein, einem deiner Betreuer?
- Nein, keineswegs! meinte er gestelzt, der angeblich Betreute. Er starrte vor sich hin, stand nicht etwa auf, weil er angesprochen worden war. Schmäler setzte sich zu uns auf die Bank, genau in die Mitte. Ich gab ihm die Hand.
- Und wie geht es, Schmäler? Ist das nicht schön mit uns, mit anderen, fragte ich ihn interessiert, hoffte eigentlich nicht, eine gute freundliche Antwort zu bekommen.
- Mir geht es prächtig. Ich habe einen neuen Job, der mich ausfüllt.
- Gut für sie!
- Gut für mich, bestätigte er frohlockend. Alsdann wusste ich nicht mehr viel zu kommunizieren. 

Schmäler rutschte zu seinem Studienkollegen rüber und schlug auf dessen Oberschenkel, so dass es laut knallte. Derselbe erschrak sehr, hielt sich aber tapfer, und er reagierte nicht ablehnend.
- Ich habe keinen Betreuer mehr, teilte er Schmäler mit. Der runzelte nur die Stirne.
- Du hast keinen ... Betr ... mehr? Das vermag ich nicht zu glauben!
- Wirklich und wahrhaftig, bekräftigte unser Studienkollege. Ich glaubte ihm irgendwie, obwohl ich ihn kaum kannte. Dachte aber, dass ein Betreuter nicht normal eingeschriebener Student sein durfte, nicht als Legaler.
- Ich bin nur schwierig! rief der Studienkollege zum Erstaunen von Schmäler aus, ihm direkt ins Gesicht. Ich fand das super.
- Nur ... wie sagten sie gerade ... s c h w i e r i g ... ahaa, kommentierte ich diese Äußerung.
- Das behauptet er nur von sich! Im Übrigen ist er ein asoziales Arschloch, das Menschen mit seinen schwachsinnigen Äußerungen und noch schwachsinnigeren Verhaltensweisen irritiert, verkündete der miese Schmäler, der offensichtlich seinem Studienkollegen mächtig zu schaden beabsichtigte. Sehr bedenklich fand ich dies, eben auf jeden Fall asozial.
- Ich bin normal, ziemlich normal. Und ich muss in der Universität normal studieren, denn ich benötige einen Arbeitsplatz, wenn ich mal ... irgendwann mal ... arbeiten gehen muss! sagte der Studienkollege und schwang sich von der Bank hoch, was ich mit dem Ausruf bedachte:   
- Hossa! Der will jetzt fort!
- Ich düse superschnell in die nächste Pflichtvorlesung! schrie er geradezu aus, als er da stand und uns musterte.
- Dieser verhaltensgestörte Streber! sagte Schmäler. Und Lämmerling, angeblich sein neuester Kumpel, tauchte auf. Der Studienkollege blieb noch einen Moment.
Flink anstelle des anderen Studienkollegen setzte er sich zwischen mich und Schmäler. Er hatte Schnupfen, weshalb er ständig ein Taschentuch an seine Nase führte. Mithin war er mindestens so clever wie Schmäler, würde ich sagen. Aber er war weniger verschlagen wie dieser. Schmäler freute sich sofort über das Ankommen seines Kumpels:
- Das kommt unerwartet.
- Ich bin da, das ist doch okay, Schmäler, oder etwa nicht?
- Ich brauche dich hier und jetzt, sagte Schmäler und schlug dem anderen kumpelhaft an die Schulter. Derselbe lachte aus vollem Halse.
Der Studienkollege lachte mit, was in der Tat etwas irrational war, denn hier handelte es sich um eine deplatzierte Reaktion. Er machte Faxen vor der Bank, die uns nicht entgehen konnten.
- Der ist bekloppt! kommentierte der Ankömmling und zeigte dem Studienkollegen einen Vogel.
- Ja, allerdings! Das ist der, über den viele reden. Er hat einen Vogel! Ohne jeden Zweifel, kommentierte das Schmäler. Er zog seinen Kumpel von der Bank weg, alsdann marschierten sie zu einem der Universitätsgebäude.

Kein Wunder, dass diese oder andere Verhaltensweisen anderen Menschen lächerlich oder dumm vorgekommen sein könnten.
Ich jubelte also nicht, als der Studienkollege meinte:
- Diese Typen werden wir bald umbringen, was? Darauf sagte ich nichts, ...
- Gehen wir doch gemeinsam in der Mensa einen Tee zu trinken, schlug ich dem Studienkollegen vor. Er schmollte, widmete sich wider Erwarten dem Buch, was er zuletzt nur in der Hand gehalten hatte.
- Das ist das größte wissenschaftliche Werk aller Zeiten in unserer Wissenschaft! Ich weiß es. Alle Studenten unserer Wissenschaft haben davon keine Ahnung. Sie sind Unwissende. Sie werden keine ausreichende wissenschaftliche Bildung erhalten, weil sie dieses Buch nicht studiert haben.
- Wie kann man derartiges in die Welt setzen! Schmäler ... hält schon nichts von ihnen ..., warf ich ein.
- Schmäler kenne ich im Grunde gar nicht. So ist das!  …  ich bin ein erfolgreicher Student, der vielen Mitstudenten bekannt ist, so sagte er allen Ernstes.
- Ich kenne Schmäler. An der Fakultät ist er einflussreich. Er arbeitet jetzt als wissenschaftliche Hilfskraft bei Professor Bunte. Professor Bunte ist auch einflussreich.
- Was bedeutet denn schon Einfluss an dieser Uni?! fragte mein Studienkollege und richtete sich kerzengerade auf. Er streckte seine beiden Arme weit von sich und atmete tief ein und aus. Das fand ich sehenswert. Als er noch dabei war, seine Übungen zu verrichten, richtete ich mich ebenfalls auf. Ich machte Kniebeuge und ähnliches.
So waren wir ein paar Minuten lang sportiv.
- Ist unser Sport nicht nützlich? Wir tun so viel Aufbauendes für unseren Körper. Dadurch wird man älter …, gab ich dann zum Besten. Das sagte ich, als ich mich wieder auf die Bank gesetzt hatte. Ich ruhte mich aus, beobachtete ihn. Er lächelte, während er seine Übung fortsetzte. Sein Gesicht rötete sich leicht, er sagte mir unabsichtlich mit seinem starren Blick, dass er krank ist, was ich nicht gerade optimal fand ...
- Wie lange soll diese Übung noch dauern? fragte ich ihn respektvoll, wobei ich lächelte, als er mich wieder angelächelt hatte.
- Ich habe viel Zeit. Meine Studien dulden keine Herausforderung durch die Zeit als Faktor, der die Menschen unter Druck setzt und Stress hervorruft, so verkündete er lauthals mit weit ausholenden Armen.
- ... ist das ein Ding! Sie wissen mit der Zeit umzugehen: warum ignorieren sie sie nicht gleich ganz?
- Das traue ich mich nicht, antwortete er auf der Stelle, während er still innehielt und sich seine Atmung beschleunigte. Ich beugte mich nunmehr nach rechts von der Bank herunter, griff nach einem Bonbonpapier, was sich dorthin verwirrt hatte. Es gelang mir erst nicht.
- Was ist neben der Bank, ...!? fragte mich mein Studienkollege auf die naive Art. Und ich wollte ihm keine Antwort geben, weil ich missgestimmt war durch diesen Ton, den ich absolut nicht ausstehen konnte. Nun rutschte ich auf die rechte Außenkante der Banksitzfläche und griff nochmals nach dem Papier. Jetzt gelang es mir.
- Da ist es ja! rief ich aus. Mein Studienkollege, dieser Kranke, setzte sein sportliches Tun mit einer neuen Übung fort, nachdem er sich ausgiebig erholt hatte.
- Was? fragte er währenddessen.
- Das Bonbonpapier! antworte ich nun fröhlich. Er lächelte, während er einen Rekord aufstellen zu wollen schien. Ich verkniff mir jede weitere Bemerkung.
- Was soll das sein? fragte er hartnäckig nach, unterbrach seine neue Übung. Ein eisiges Lächeln zeigte sich auf seinen Lippen.
Wiederholend: - Was soll das sein? Und er starrte mich frontal mit einem boshaften Ausdruck in den Augen an.

Wir wollten hier nicht gemeinsam Wurzeln schlagen. Klar war das, nichtsdestotrotz schien er hier bleiben zu wollen. Ich wusste dafür den Grund nicht, eigentlich war er mir auch eher gleichgültig, vermutete ihn, meine Gedanken bemühend, darin, dass er einfach irgendwo einen geistigen Schuttabladeplatz haben musste, wo er auch seine sportlichen Übungen durchführen konnte. Ich fand es nicht okay.

Dann meinte es die von Uhren gemessene Zeit wenig gut mit mir, mit all den anderen auch, und sie schritt vorwärts, nicht etwa rückwärts, wie ich es ihr in meiner Dreistigkeit anbefohlen hatte. Diese Uhrzeit richtete sich niemals nach meinen gedanklichen Befehlen, die ich allerdings auch nur gedanklich im tiefen Stillen aussprach. Objektiv war sie unabhängig von allem, was Befehl, Weisung und ähnliches war. Wahrscheinlich war sie ohne jede Hinneigung zu menschlichen Erwägungen und Notwendigkeiten.
Ich konnte immerhin dieses „Wahrscheinlich“ denken.
Natürlich musste sie sich auch nicht an die Menschen halten, die sie „irgendwie” akzeptierten und mit ihr arbeiteten, um ihr Auskommen zu haben.
Was für historisch-gewöhnliche Zeiten! Ich wollte sie möglichst ignorieren und mir auf diese Art und Weise ein bisschen Freiheit von der Notwendigkeit der Zeit erhalten. Was für eine gewöhnliche Verhaltensweise!

Das Unigelände war nicht frei von Studenten. Schmäler, der Arsch, welcher von da unten her auf mich zukam. Treppen vor ihm, die er empor schritt. Pflanzenwuchs. Einige interessierte Gesichter. Da sah man entblößte Rücken. Verschiedene Taschen lagen an den Rändern der Treppenaufgänge. Wippende Busen von leicht bekleideten Studentinnen, als er schließlich einen höher gelegenen Punkt erreicht hatte, da ich ihn gut betrachten konnte. Schmäler, dieser üble Arsch!

Tatsächlich weil ich an diesem Vormittag wieder in der Uni war, um etwas zu erledigen (Bücher in der Bibliothek zurückgeben), da begegnete ich dem Augenpaar des großen, ach so großen Herrn Schmäler, der idiotischen wissenschaftlichen Hilfskraft mit den vielen Sozialbeziehungen, die funktionierten. Alldieweil wollte ich ihm nicht persönlich über den Weg laufen, denn ich hatte gar nichts mehr für ihn übrig. Sein Augenpaar fesselte mich jedoch so stark, dass mich Schmäler an sich zog. Aus der Distanz von vielen Metern konnte er mich zu sich hinziehen.

Ich wehrte mich nicht besonders dagegen.

- Da bin ich wieder ..., begrüßte er mich. Ich nickte ein bisschen verlegen.
- Ich wollte, ich wäre nicht hier, Schmäler, denn ich mag sie nicht mehr!
- Haben sie mich jemals gemocht? fragte er mich mit der offensichtlich gespielten Unschuldsmiene des überlegenen Intellekts, den er für sich sowieso in Anspruch nahm.
- Früher mal ansatzweise, gab ich ihm zur Auskunft. Und dann wollte ich nur noch fort von diesem Menschen, der jetzt mitten in einer Traube von Kommilitonen steckte, die etwas von ihm wollten.
Ich war gewillt, ihn zu vergessen. Aber ich war noch Student.
Jetzt war da - dem Vergessen durchaus zuträglich - ein ganz schöner blauer  Himmel über mir und ich, der ich stehengeblieben war, erblickte freudig die prall glänzende Sonne, die ich liebkosen wollte.

Überraschend traf ich wenig später mitten in der Universität auf den Studienkollegen, der mit mir auf dieser Bank gesessen hatte. Er wollte gerade den Vorlesungssaal betreten, den ich schon betreten hatte. Der Professor stand vor dem Auditorium und kramte in seiner Arbeitstasche. Er räusperte sich komisch, so dass man allgemein auflachte. Dieses nahm er zum Anlass, aufzuschauen. Und er grinste ins Auditorium hinein, linste mich kurz an. Ich konnte das trotz der Begegnung mit dem Studienkollegen mitbekommen.
Derselbe sagte viel zu mir, zeigte auch eindeutig, dass er mich wiedererkannte.

Wir flüsterten nur.
- Alle müssen wir studieren, so sagte er gelassen. Sehr gelassen.
- Wie bitte?
-  Nun, ... denn sonst kommen wir zu gar nichts. Die Aussichten sind katastrophal, aber dennoch studieren wir immerhin noch, so sagte er und setzte sich in die drittoberste Sitzreihe. Vorerst verstummte er. Ich folgte meinem Studienkollegen. Der Professor fixierte ihn und mich mit seinen Augen. Links neben ihm saß ich. Einige andere Studenten saßen außer uns auch noch in dieser Reihe. Da war ein blondgelocktes wunderhübsches Mädchen, eine Type mit braunem Vollbart, obenauf ein Försterhütchen sowie eine Aufgedonnerte im rosa T-Shirt, um den zierlichen Hals eine gelbe Kette mit Plastikkugeln.
- Das ist super! rief ich aus. Blicke trafen mich, als ich es sagte. Das war jetzt wohl ein bisschen zu laut gewesen, wofür ich mich schämte; allerdings lief ich im Gesicht nicht rot an.
- Hmmh? äußerte sich der liebe Studienkollege rechts neben mir. Er hatte seine Notizen vor sich auf dem Tisch ausgebreitet. Alle im Saal waren auf die Worte des Hochschullehrers und alles, was Arbeit hieß, konzentriert.
Wir begannen im Flüsterton eine Art Unterhaltung zu führen, was auf Kosten der Aufmerksamkeit für den Professor, der weitersprach, ging. Ob diesem so ein bisschen weniger Aufmerksamkeit etwas ausmachte?
Ich hielt dieses Flüstern natürlich für einen Fehler, aber ich war extrem neugierig auf das, was er dachte und sagte. Es war unvermeidbar aus meiner Sicht. Zum ersten Mal saß ich unmittelbar neben diesem Menschen, der eben auch ein Kommilitone war. Ich musste mit ihm kommunizieren;  es kam mir wie das Nachgeben gegenüber einem Zwang vor.

- Was soll super sein? fragte er mich, nachdem er seine Notizen wieder zusammengeschoben hatte, so dass er ein Heft mit losen Seiten zusammenlegen konnte. Er überflog alle Seiten flott und gründlich. Seine Augen fuhren geradlinig über die vermutlich wohlgesetzten Zeilen.
- Wie meinen ...? fragte ich nach, schaute ihn an. Ich konzentrierte mich danach auf meinen Hefter mit grünen Blättern, die noch zu sortieren waren. Meine Schmierereien mussten entziffert werden. Es war schwierig. Der Studienkollege hatte seinen Kopf ganz über seine Notizen gebeugt. Schon war der Professor inhaltlich abgeflogen. Irgendwelche Rücksicht wurde nicht genommen. Ich begann zu schwitzen.
- Was soll denn jetzt super sein, ... können sie mir nicht sagen, was? hakte er nervös nach, starrte mich nunmehr von der Seite her mit größter Ungeduld an. Ich schaute ihn ruhig an.
- Tja. Super ist, dass sie hier sind und gut beschäftigt sind mit dem Stoff, sagte ich ihm offenherzig, während in der Folge mein Blick fast nur auf meine Notizen geheftet war.
- Ist  ungeheuerlich! gab er mir zu hören. Und ich lachte innerlich auf, stieß ihn von der Seite her an. Er grinste breit, schrieb emsig irgendwas auf eine Seite, die schon zu einem Viertel gefüllt war.
- Sehr flott! kommentierte ich das, als ich das jetzt mit einem ganz schnellen Seitenblick gesehen hatte. Sie sind flott darin!
- Und ob! sagte er ganz beiläufig, schrieb weiter. Dann schaute er ganz kurz nach mir auf.
- Was wollen sie jetzt? fragte er mich.
- Nun, ich will nur fragen: Was wird das jetzt? Und ich neigte höflich meinen Kopf schräg nach rechts zur Seite.
- Ach. Weiß nicht. ... wird schon was daraus werden ..., antwortete er ebenso höflich. Jedes bizarre Verhalten war vorläufig verschwunden, er war jetzt - so dachte ich - „offiziell”. Hier fand eine universitäre Veranstaltung statt.
- Ach ... was heißt das? Ach ... ach ...? fragte ich ihn wiederum. Er stöhnte leise auf.
- Ist mir doch gleich, sprach er sehr leise, kaum hörbar.
- Mein Gott! dachte ich.
- Mir ist alles egal, sprach er.
Das Flüstern hatte ein Ende. Ich hatte die Nase voll von diesen Leuten hier, aber ich musste bleiben, also blieb mir nur eines übrig, nämlich mich ganz und gar auf die Vorlesung zu konzentrieren. Die ging normal vonstatten. Besonderheiten wurden von mir nicht registriert. Alle im Saal schienen mit höchster Konzentration bei der Arbeit zu sein.
Der dubiose Studienkollege war mittlerweile versunken in die Stimme des Hochschullehrers, wie ich seiner Mimik, als ich sie beobachten konnte, anzusehen meinte.
Die Zeit verstrich nur mäßig schnell.

- Nun schließe ich die Vorlesung! verkündete der Professor und lächelte. Erleichterung bemächtigte sich meiner. Endlich. Das wurde aber Zeit! Nun machte ich erste Anstalten, meine Sitzreihe zu verlassen.
Der Hochschullehrer: knochiges Gesicht, rotwangig und mit einem langem, in die Augen reichenden Haarwuchs. Schlanke Statur. Dynamisch wirkend. Mit einer körperlichen Wendung um 180 Grad befand er sich dann direkt vor dem Pult und stapelte drei Wissenschaftsbücher aufeinander. Er richtete sein braunes Jackett, seine blaue Krawatte und wagte den einen oder anderen Seitenblick.
- Nächste Woche um dieselbe Zeit, bestätigte er allen den nächsten Termin.
- Will mich noch jemand sprechen? fügte er freundlich an. Mehrere Studenten nickten oder sagten ja. Der überwiegende Teil von ihnen blieb erst mal sitzen. Ein schwarzhaariger, wirklich arabisch aussehender Student kam zwecks irgendeiner Angelegenheit von hinten auf den Hochschullehrer zu, was nach der Beendigung von Vorlesungen und Seminaren der Normalität entsprach. Der Hochschullehrer drehte sich sogleich um, als er angesprochen worden war.
- Und? fragte der Hochschullehrer.
  Das!
- Ahhhh, kam es vom Professor belustigt. Er befasste sich seit Monaten etwas gründlicher mit diesem jungen Studenten.
Viele anwesende, nun im Aufbruch befindliche Studenten schlossen flott und entschlossen ihre Hefte und Mappen und die wissenschaftlichen Bücher; verließen die Sitze und den Saal gesittet und ohne viel Aufhebens, aber manche führten währenddessen Gespräche mit Kommilitonen.
So auch Luise, die ich mochte. Luise, die liebe dickliche junge Studentin, kaum 20, pfiff während sie den Saal verließ gelassen vor sich hin. Sie trug lila Leggins, einen roten dünnen Pullover, zwei gelbe Lackschuhe. Ihr Gesicht war rund wie der Mond, und es war bleich. Auch ihre lockigen Haare waren lila! Ich musste mein Lachen unterdrücken, als ich sie wieder mal erblickte. Sie war allseits bekannt, dabei doch auch relativ beliebt, meinte ich.
Noch mehr der Menschen ... Da war noch ein kleines Kuriosum, nämlich ein gewisser Spähter, nicht weniger bekannt als Luise, jedoch bestimmt nicht aus Gründen der Beliebtheit oder weil er sehr gute Leistungen in seinem Fach vollbrachte. Er war ein sozialer Außenseiter. Man kannte ihn, ohne ihn zu kennen. Man sprach über ihn, ohne zu wissen, ob das, was man über ihn sprach, überhaupt einen Kern Wahrheit enthielt. Ich mochte ihn durchaus, im Gegensatz zu wahrscheinlich den meisten Kommilitonen, die ihn kannten und über ihn sprachen.
Er riss jetzt seinen blauen, stark abgenutzten Rucksack von unten herauf und stürmte aus dem Saal, ohne seine Sachen ordentlich eingepackt zu haben.

- Es geht mir nicht gut, sagte der Studienkollege rechts neben mir, der viel von meiner Aufmerksamkeit besaß, auf einmal zu mir, als wir die Schreibsachen einpackten. Wir mussten jetzt alle den Hörsaal verlassen. Er packte schnell ein. Alle waren recht schnell in ihren Handlungen und Bewegungen.
- Bitte? fragte ich kurz nach, als auch ich gerade gelassen meine Sachen packte.  Ein Mädchen hinter mir stieß mich aufreizend an. Ich erwiderte nichts. Dann vernahm ich in meinem Rücken ein hektisches Gemurmel und ein Stoßen. Der Studienkollege war bald fertig mit seinem Einpacken. Sagte schon wieder:
- Es geht mir leider nicht so gut, ... ich eile jetzt ..., teilte er mir wenig freudig mit. Er war blass im Gesicht. Seine Körperbewegungen waren fahrig, eher schlecht kontrolliert. Er sah auch wirklich krank aus, als ich ihn mir genauer ansah.
- Es geht ihnen nicht gut! Hochinteressant. Oder auch nicht, fuhr ich ihn überflüssigerweise an. Ich siezte die Kommilitonen vorzugsweise. Damit war ich einer von wenigen Studenten, die sich das zur Gewohnheit gemacht hatten.
Eine junge Studentin, die ich näher kannte, rempelte mich unfreundlich an, sagte:
- Was soll denn das sein!? Und hierauf nickte ich. Und ich fragte dann den Studienkollegen recht freundlich-besorgt, sogar ein bisschen mitfühlend:
- Wollen sie nicht sofort einen Arzt konsultieren?

Dann waren wir im Aufgang zu der Tür. Hinter mir Gedrängel.
Das Gedrängel nahm momentan beträchtlich zu, mir wurde sogar etwas mulmig zumute.
- Es geht mir nicht gut. Das heißt nicht, dass ich einen Arzt brauche, antwortete der bewusste Studienkollege sogleich. Wir gingen so gut wir es vermochten vorwärts. Es war unter uns ein leichtes Gefälle nach oben, ein Stimmengewirr erhob sich auf einmal hinter uns: des Professors Macht gebietende Stimme dröhnte durch den Hörsaal. Gewiss lachten wir nicht. Bedrohlich kam uns die Situation durchaus vor, ...
- Eng jetzt, bemerkte ich verhalten zu dem eher noch souverän wirkenden Studienkollegen, als wir endlich aus dem Hörsaal heraus waren. Hinter uns immer  noch dieses Gewirr von Stimmen, die uns logischerweise zum Teil bekannt vorkamen, schließlich war man in den Veranstaltungen immer wieder mit denselben Typen zusammen, und wenn man nicht mit ihnen „zusammen” war, so waren sie doch so zu sagen bekannte Gesichter mit bekannten Stimmen, die einem hin und wieder sehr vertraut vorkamen.
- Ja, es ist eng! Kann man wohl sagen! bestätigte er mich wohlmeinend.
- Ziehen wir uns hier aus oder woanders? fragte er mich platt und dreist.
Das fand ich unverschämt offen.

- Es wird schon werden mit ihnen, meinte ich, als wir zusammen um eine der Gebäudeecken bogen, ein paar Kommilitoninnen jubelnd über den Campus stürmten, was ich affig fand.
- Haben sie bloß kein Mitleid mit mir und den anderen ... das mögen wir gar nicht! widersprach er mir entschieden.
- Mitleid habe ich nicht, das ist ein Missverständnis ... aber ich will meinen guten Willen demonstrieren.
- Die Zeit ist bald gekommen! verkündete der Studienkollege. Er ging neben mir mit weit ausholenden Schritten.
Dann fügte er sachlich an: - Niemand kann außen vor bleiben. Die Zeit ist reif. Wir haben bestens geplant. Die Maßnahmen sind größtenteils schon getroffen worden.
Weiter: - Die Untertassenträger!
Das sagte er, als wir mitten auf dem Campus waren, stehenblieben und uns umblickten. Hier war in diesem Augenblick außer uns niemand, aber ein paar Fenster waren geöffnet. Ich hörte Geräusche vom Tippen auf einer alten mechanischen Büroschreibmaschine. Ein weiteres offenes Fenster; hinten war der Raum mit der Heizungsanlage, aus welchem ein dunkles Brummen herausdrang. Das Profil des Kopfes irgendeines Berufstätigen schoss innen am Fenster vorüber.
Aus Neugier starrte ich in dieses Fenster.

Der Studienkollege weiter: - ... werden kommen, ich gehe davon fest aus. Sie haben die große Chance! Sie haben viel vor sich! Es wird schon werden, davon bin ich hundertprozentig überzeugt! Ich habe ein Interesse daran, dass alles glatt laufen wird, denn mein persönliches Schicksal ist an das der Untertassenträger geknüpft. ... sie werden kommen, bald!
Ich war sehr beeindruckt. Ich war sehr überrascht.
- Ist das verrückt, rief ich nun, mir lief Speichel am Kinn herunter. Meine Nerven waren äußerst gespannt. Der Fluss der Gedanken war zäh. Wir mussten nicht bleiben, aber aus einem unbekannten Grunde (vielleicht wollte er aber auch bloß diese seine Äußerungen angesichts meiner hochgespannten Aufmerksamkeit von sich geben!) blieb der Studienkollege hier stehen. Ich war neben ihm. Ohren auf. Augen auf.
- Ich habe mit meinen Einträchtigen alles en Detail geplant, die geplanten Maßnahmen werden durchgeführt! Sagte er.
- Interessant zu hören! gab ich kund und mein Mund stand halb offen. Ich harrte neben ihm, dem Beredsamen, allerdings inzwischen nur noch mit Mühe aus.
- Sie ... diese Ungetüme der Lüfte, aber mir doch so nah und vertraut, werden vom Himmel herunterstürzen und die Erde erobern! Alles! Alle! verkündete er pathetisch.
Er wedelte mit seinen Armen. Endlich kam irgendeine junge Frau die Treppen des Campus herunter. Sie guckte aber nur mal einen Moment lang in unsere Richtung, ging zügig weiter. Ich fand das nett; wahrscheinlich ging sie davon aus, dass wir keine Zeugen gebrauchen konnten. Rücksichtsvoll war sie.
Dann schob der Studienkollege ab; ich mit ihm.

Die vielen Gesichter, welche uns über den Weg liefen, kamen uns manchmal bekannt vor, dann aber auch völlig unbekannt. Ich fand es schrecklich, dass dieser schräge Kerl neben mir dermaßen spinnert war. Er gehörte womöglich in die Klapse. Sein Gesichtsausdruck ... Ein leichtes Zittern seiner rechten Hand, wie ich kurz wahrzunehmen die Gelegenheit hatte, wies auch auf große innere Erregung,  einen brachialen Enthusiasmus hin. Nach meiner Einschätzung war er ziemlich verrückt ...

Untertassenträger werden die Erde erobern? Wie!? Sollten das etwa diese sein, oder ähnliche, vielleicht noch viel mehr von diesen, welche ich kürzlich abends getroffen hatte? Mir schauderte davor. Hier auf Erden fand wahrscheinlich etwas statt, was vorher nie hätte ernsthaft erwartet werden können. Ich war sehr besorgt, besorgt um die Welt! Nie empfand ich eine so starke Solidarität mit allen Menschen auf Erden. Das war ein unglaubliches Gefühl, eines zwischen Angst und hoher Erwartung, die auf das Neue gerichtet war.
Jetzt wollte ich unbedingt weiterleben. Fremde Wesen würden nach meinem Willen die Erde nicht destruieren.
Jetzt musste ich ganz Mensch sein und bleiben, zumal ich meine ethischen Grundsätze hatte.

Die Untertassenträger schienen es aber nicht besonders eilig zu haben. Es waren ganz sicher dieselben ... glaubte ich fest, sagte es meinem Begleiter aber nicht. Wir zockelten gemächlich in die City hinunter.
Das war für mich alles andere als ein Vergnügen, weil dieser Mensch dauernd quasselte. Ich mag mich nicht mehr genau an die Inhalte erinnern.

Leider erinnere ich mich an folgendes (und dies tatsächlich sehr inhaltsgetreu; mancher Satz entspricht fast wort- und inhaltsgetreu dem, was er mir gesagt hat):

- Die Erde wird uns untertänig sein ...
- Die Erde braucht die Erleuchtung durch die hyperätherische Bewegung der ewig lebendigen erlauchten Untertassenträger ... die alles befreien, auch sich selbst, mittels der Erderoberung!
- Wer zu den Untertassenträgern gehört, der wird die ewige Erleuchtung erreichen, selbst wenn er erst seit kurzem Untertassenträger sein sollte!
- Ich, der Student, werde einer der führenden Untertassenträger sein können. Noch habe ich nicht den nötigen Status erreicht, um einer sein zu können, aber bald wird es so weit sein, nämlich exakt dann, wenn die Untertassenträgerschiffe im Orbit des Erdenplaneten alle Invasionsuntertassenträger hinab schicken zwecks Eroberung des einen Planeten, der von sich meint, dass er der einzige mit der nennenswerten menschlichen Intelligenz ist.
- Das ist doch nicht trivial, wenn man hofft, einer von den hyperätherischen Untertassenträgern zu sein. Dies, weil es den Noch-Menschen im Augenblick der Umwandlung zum Untertassenträger über den Rest der gewöhnlichen Menschheit weit erhebt und zu einem Wesen macht, dessen Bedeutung ein historisches Ausmaß erreicht.
- Die Zeit ist zwar knapp, aber doch lediglich im Rahmen dessen, was für die Vorbereitungen auf die Invasion aus dem Orbit notwendig zu sein scheint. Genaue Bestimmungen bezüglich des Notwendigen dafür gibt es nicht.
- Die meisten Menschen auf der Erde werden negativ überrascht sein, wenn die Invasion erfolgreich vollzogen sein wird. Sie werden eventuell panisch auf die Untertassenträger reagieren, obwohl sie (oder gerade weil sie!) den Menschen ähnlich sehen. Die Untertassenträger werden sich gut den verschiedenen soziokulturellen Unterschieden in der menschlichen Lebensweise anpassen können. Und die einschüchterten Menschen werden sich ihnen fügen müssen, unter anderem weil sie hinsichtlich der Intelligenz den Invasoren unterlegen sind. Jeder einzelne Untertassenträger verfügt über die Palette von Fähigkeiten, welche ihn befähigt, allen anderen Lebewesen im Universum überlegen zu sein.
- Das bedeutet nicht, denn der Begriff Glück und der Begriff Gerechtigkeit sind der Invasionskultur nicht völlig fremd, dass die Untertassenträger die gesamte Menschheit rücksichtslos unterjochen wollen. Ganz gewiss nicht! Es gibt Pläne für die gerechte Umwandlung alles Menschlichen hin zum Untertässigen, was dem freien Willen jedes einzelnen Menschen zu entsprechen hat. Wir sind der Überzeugung, dass die überwiegende Mehrheit aller menschlichen Erdbewohner der Umwandlung durch eine demokratische Abstimmung über ihr eigenes Schicksal zustimmen wird!

Es kreuzte dieselbe nette rücksichtsvolle Studentin von vorhin unseren Weg, als wir fast in der City waren.

- Hallo! begrüßte ich sie überaus freundlich, obwohl meine Stimmung wegen des Gelabers meines Begleiters gesunken war. Gleich fragte sie den Studienkollegen ... irgendwas ... und ich antwortete für ihn, weil er plötzlich verschlossen war und partout kein Wort sagen wollte. Er glotzte weg.
- Ja. Da steht was an. Eine Weltbewegung, die alles, absolut alles verändern wird! sagte ich nunmehr. Sie stutzte.
- Tatsächlich? Wird das dahin kommen? fragte die junge Studentin mit einer kritischen Miene (man konnte auf den ersten Blick genau erkennen, dass sie eine dieser Studentinnen war, die sich in die Vorlesungssäle drängen, um die Weisheiten attraktiver mittelalterlicher Professoren in sich aufzunehmen, immer möglichst freundlich, und auch ehrlich bemüht, einen guten persönlichen Eindruck bei all denen zu hinterlassen, denen sie begegnen).
- Allerdings. Es könnte sich um eine Weltbewegung handeln, die vieles auf der Erde verändert, grundlegend wohlgemerkt! äußerte ich.
- Ist das die Möglichkeit!
- Mein Gott! Ja doch! Es könnte sein, ... gesetzt den Fall, dass die Untertassenträger erfolgreich vorgehen, dann könnte es tatsächlich so kommen, dass man sich arrangiert mit den neuen Herrschern, die meinen, dass sie Erleuchtete sind, die ...
- ... was ...? fragte sie erregt dazwischen. Und sie war bereit, wegzulaufen.
- ... die die Erdbewohner zu erleuchteten Wesen machen.
- Ist das denn die ... Hölle auf Erden!?!? rief sie empört aus.
- Darum könnte es sich im Endeffekt durchaus handeln, bestätigte ich sie halbwegs. Der Studienkollege entfernte sich mittlerweile von uns; er marschierte zügig in die City mit ihren Schaufensterauslagen und den vielen Passanten hinein. Und ich zunächst hinterher. Die Studentin folgte mir kurioserweise trotz ihrer enormen Vorbehalte gegen eine Invasion der Untertassenträger. Das sie das nur aus Neugier tat, muss bezweifeln werden.
Als sie mich eingeholt hatte, weil sie mir nicht länger in einer Distanz folgen wollte, versuchte sie mich lachend zu überholen. Währenddessen begann sie mit mir einen kurzen Wortwechsel:
- Bah.
- Yo! antwortete ich. Sie lachte wieder.
- Bi? fragte sie.
- Yeh! antwortete ich nun. Sie krümmte sich geziert, ihr Gelächter war groß. Aber ich versuchte dasselbe zu dämpfen.
- Das ist laut, zu laut! Stille, nur stille sein! Bitte! Der Studienkollege kommt sonst wieder. Ich bin froh, wenn ich den nicht mehr sehen muss, gab ich ihr zur Kenntnis.
- So ist das also ..., stellte sie leiser lachend fest. Ich berührte sie am linken Oberarm, suchte sie zu stoppen. Und dann standen wir.
- Wollen sie einen Liebhaber haben? fragte ich sie offen und lächelte über mein Gesicht.

- Das hätte ich jetzt nicht gefragt, stellte sie lachend fest. Sie fuhr sich durch ihre Haare. Die Ledertasche, aus der Hefter herausschauten, baumelte nun an ihrer linken Hand, die rechte war dann frei für das Ausholen zum Faustschlag gegen jedermann. Ich fühlte mich jedoch nicht bedroht. Das war ... das war ...
- Schön, schön, sagte ich mit einer nachdenklichen Miene. Meine Güte, aber man könnte jedermann alles fragen. Fragen sind noch erlaubt in dieser Gesellschaft, wenngleich man sie allzu oft auslässt. Der Verzicht auf Fragen erscheint mir manchmal eklatant. Ich möchte sagen, dass zwischen den Menschen bei uns zu viel schiefläuft, als dass man das Fragen auslassen dürfte. Im Gegenteil sollte man häufig Fragen stellen zu allen schwierigen Themen, die die Erdbewohner beschäftigen, zumal es immer wieder auch Fragen zu ihrem physischen Überleben sind, eventuell Fragen zu ihrem psychischen Überleben. Da muss man einfach Mut zur Frage haben!
- Sie haben mich nach ..., sie wissen schon, gefragt, ... , so sagte sie. Ich schmunzelte. Der Studienkollege war endlich außer Sichtweite. Er schien sich für uns nicht mehr zu interessieren.
- Das habe ich. Und jetzt ist mal Schluss damit! Oder? warf ich ein.
- Wenn sie das unbedingt wollen. Aber schlaue Vorträge halten, die die Menschen langweilen, sind nichts! sprach sie so, als hätte ich sie vor den Kopf gestoßen.
- Schlaue Vorträge ..., erwiderte ich.
- Sie können es ruhig fragen! Bitte! - Ich habe keinen Liebhaber, teilte sie mir grinsend mit. Das musste ich zur Kenntnis nehmen.
- Jetzt weiß ich es endlich! Endlich. Sind sie zufrieden? fragte ich kurz nach.
  Ja. Ein bisschen, sprach sie.

Wir machten uns davon, tiefer in die City hinein. Vorne stand ein prächtiger Kirchenbau aus einem X-Jahrhundert. Irgendwann eben. Ein riesiges Jumbomodell befand sich vor dem altertümlichen Brunnen auf dem Marktplatz, an dessen Rand einige Gemüse- und Obststände errichtet waren und die Verkäufer sich die Lungen aus dem Hals schrien. Amüsiert war ich. Meine Begleiterin weniger, sie war ungeduldig.
Es war eng, ein Gedrängel. Ein paar pubertäre Mädchen in kurzen roten Röcken, freien Bauchnabeln und hochhackigen schwarzen und braunen Schuhen kreuzten aufreizend unseren gemeinsamen Weg. Und es wurde mir trotz der Amüsiertheit mulmig hier. Jedes Gedrängel fand ich irgendwann zu unangenehm, jedes. Ich hätte ausbrechen und wegrennen können, so übel war es mir inzwischen geworden. Aber meine Begleiterin fing tatsächlich ein Liedchen zu singen an. Ich hätte sie aus Wut beinahe an den Ohren gezogen.
Über uns ertönte ein mächtiges Glockenspiel. Mein Blick schweifte dort hinauf, allzu gern wäre ich hochgesprungen, um die Glocken, viele an der Zahl, einfach weg zu schnippen.
Einige Jungen, vermutlich Jungen, die gerade aus der Schule gekommen waren, sahen uns beide da stehen und hänselten uns mit dummen Sprüchen, die ich größtenteils gar nicht verstehen konnte, weil sie geschrien wurden. Schließlich hörte ich nicht mehr hin.
Meine Begleiterin aber hatte eine solche Wut auf die Jungen, dass sie ihre Tasche nach ihnen warf, was einen von ihnen dazu veranlasste, die Tasche aufzuheben und zurückzuwerfen. Sie fing sie wieder auf. Der Werfer trug eine dicke Sonnenbrille mit großen schwarzen Gläsern, ein weißes Tennishemd, zwei schwarz-weiße Tennisschuhe und Shorts, die khakifarben waren. Mit weiten Seitentaschen an den Beinen. Nicht mal ein leichtes Lächeln entfuhr ihm. Seine Stimmung schien ganz unten zu sein. Wohingegen meine Begleiterin froh war, dass sie ihre Tasche wiederbekam, ihm sogar für seine Freundlichkeit dankte.

- Super, danke! sagte sie. Ich fand sie in diesem Augenblick wirklich nett.
- Keine Ursache! Wir haben doch mit dem ganzen Quatsch angefangen, reagierte der Junge und hob die rechte Hand zum Gruß.
- Ich würde mich gern revanchieren, erwiderte sie dann überraschenderweise. Ich staunte.
- Aber gerne! sagte der Junge, kam näher zu uns heran. Ich staunte noch mehr.
- Womit? fragte ich dazwischen. Er war jetzt neben mir, aus einer schlechten Stimmung entstand plötzlich Fröhlichkeit.
- Mit ... ich weiß nicht, antwortete sie mir. Sie guckte uns freundlich in die Gesichter.
- Ich weiß aber womit! stieß der Junge aus. Ihm war warm. Er lüftete sein Hemd nahe dem Bauchnabel und lugte in eine andere Richtung. Seine Kumpels hatten sich dorthin verkrümelt, wohl weil sie nicht so recht wussten, was sie von seinem Verhalten halten sollten.
- Ich bin cool. Und ich brauche eine Frau! sagte er. Ironisch lächelte er mir ins Gesicht.
- Ah ..., nahm ich seine Äußerung zur Kenntnis. Ist ja interessant! Viele Männer brauchen eine Frau, fügte ich intelligent an.
Das war eine schöne Formulierung!
- Ja, stimmt. Sie sind aber nicht so cool wie ich! Ich mache mehr her!
- Gehst du noch nicht zur Uni? fragte ich ihn.
- Der nicht! Der ist intelligent! warf sie dazwischen. Sie nahm den Jungen beim linken Arm, so schnell, dass ich nicht eingreifen konnte. Dann gingen sie fort, mitten durch das Gewühl der Menschen in der völlig überfüllten City.
Beide entschwanden flugs meinen Blicken.

- Ist das wahr? Die beiden verpaaren sich glatt!  so entfuhr es mir. Die gebliebenen Jungen ereiferten sich über ihren Kameraden, der sie einfach so stehenließ.
- Der ...! Verpisst sich mit so einer geilen Unischlampe!
- Dem gehe ich hinterher! ... dem geilen Bock!
- Ich muss ... gleich scheißen vor lauter Mist im Hirn!

Meinesteils war ich keinesfalls gewillt, irgendetwas zu unternehmen, weil mich diese junge Dame im Grunde gar nichts anging. Sollte sie doch mit jedem abziehen, der ihr gefiel!
Ich hatte wichtigere Dinge zu erledigen als ein ernsthaftes Interesse für Kommilitoninnen zu entwickeln. Und dann verströmte ich meinen Geist in den Pulk, der vor mir lag. Irgendwelche Punks hatten sich genau vor mir postiert. Sie fuhren auseinander.


                                                                 

L. Wieder zusammen. Grundloses Verschwinden


- Ich glaube nicht, dass es gut geht, meinte sie geflissentlich und stopfte sich was ins rechte Ohr. Höllischer Lärm auf der Straße da unten.
- Watte tut Not in diesen Zeiten, sagte ich wohlgemut und berührte ihr rechtes Schulterblatt. Ich war froh, sie hier zu haben.
- Bitte, aber nicht zu viel davon ..., sagte sie und richtete sich von dem Hocker auf, auf dem sie lange gesessen hatte. Dann wagte sie den Blick aus dem Fenster: Autos, nichts als Autos.
- Die sind nervig! 
Und ich: - Allerdings! Sie können töten. Die Nerven töten sie bestimmt, wenn man zu lange über ihnen wohnt, besser gesagt: siecht. Ich höre mich schon in einer Trauerrede sagen, dass du eine fabelhafte Lehrkraft warst.
- Höre bloß damit auf!
Ich: - Nee, bestimmt nicht! Man muss den Teufel an die Wand malen, um ihn bewusst begreifen zu können, weil er sonst flüchten kann. Man würde ihn nicht einmal ernstnehmen.
- Quatsch nicht! Hilf mir lieber kochen! 
Ich, ironisch: - Meine Liebe, das geht heute nicht. Ich habe zu tun.

Sie kam vom Fenster zurück, währenddessen sie an ihrem rechten Nasenflügel außen herum rieb.

- Was hast du zu tun? fragte sie mich. Stand da. Unbeteiligt, verträumt.
Ich: - Ich muss doch, wie du weißt, studieren.
- Ist das wahr!?
Ich: - Es geht nicht anders!
- Ich glaube, ich träume jetzt! Quatsch’ nicht rum, sondern hilf mir beim Waschen heute Vormittag. Wir machen das zusammen, damit es nicht zu lange dauert. Gebügelt werden muss auch noch!
Ich, leise sprechend: -  Das gefällt mir nicht.
- Kochen. Waschen, die Bügelei auch noch hintenan.
Ich: - Erst das Waschen, dann das Kochen ...
- Iwo!
Ich: - Oh doch! Du bist außer Dienst. Du musst jetzt häuslich werden, diese ganze Häuslichkeit noch gründlich erlernen, ... ja doch ... damit dir der Lebenssinn nicht verloren geht. Hausfrauenarbeit!
- Mir geht es gerade sehr schlecht, stöhnte sie auf und raufte sich die vollen Haare. Ich musste mir das jetzt leider anhören.
Ich: - ... ahhh ... interessant. Trotzdem können wir jetzt in die Küche gehen!
- Kochen. Hasse das Kochen, hasse das verdammte ... Kochen! fuhr es ihr heraus. Ich hätte sie gern am Arm genommen und in ihre eigene Küche geführt.
Ich, etwas provokant: - Das ist doch nichts, was schwierig ist ... vielmehr: ein bisschen Geschicklichkeit, Gründlichkeit, Hoffnung auf ein gut zubereitetes schmackhaftes Mittagessen reichen hin - nicht schlecht - nicht schlecht!
- Ich kann das nicht hören. Es verdirbt mir die gute Laune ...
Ich, ausrufend: - Du bist den ganzen Morgen schon mürrisch. Von guter Laune keine Spur!
- Nun ja ...
Ich: - Eben! Draußen herrscht reger Betrieb; die arbeiten fast alle. Wir nicht, noch nicht! Du nicht mehr ... nun ... In unseren Köpfen muss gelüftet werden, finde ich. Bald! Bald! ... Äh ... und da draußen, die Autos mit Abgasen, werden ...
- Hmm?
Ich: - Sie werden uns ... uns jedenfalls nicht ... fertigmachen!
Ich nahm sie in den Arm und schob sie zum Fenster. Dort standen wir erst einmal. Just in diesem Augenblick passierte ein Autozusammenstoß. „Heiße Sache ... ein paar Tote gibt es,“ denke ich. Ich muss zum Analysieren raus.
Ich sage nun: - Wir gehen jetzt in die Küche, Süße!
Nunmehr zog ich sie vom Fenster fort. Wir schritten wie einträchtig Liebende in die Mitte des Wohnzimmers, was künstlich-antik eingerichtet war. Ihr Wohnzimmer. Etwas sträubte sie sich dagegen.
- Nee! Ich gehe nach draußen zu den Autos! sagte sie dann auch. Dann trat sie vor mein rechtes Schienbein.
Ich, lauthals: - Aua! ... kaum! Kaum! Ich reiße dich mit mir mit, ganz und gar!
- Ich will zu den Autos! schrie sie und entriss sich mir erfolgreich.
Ich: - Halt da!
Rannte ihr nach, bevor sie die Wohnungstür erreichen konnte. Dann hatte ich sie auch.
- Ich habe keine Zeit für Küchenarbeit ...! schrie sie aus, wehrte sich mit Händen und Füßen. Eigentlich hätte ich sie laufen lassen müssen. Doch ich packte sie und schleppte sie wie einen Kartoffelsack in ihre Küche.
- Bodenlose Unverschämtheit! schrie sie wie am Spieß. Ich werde dich verklagen, du Schwein!
Ich: - Das bringt doch nichts, Süße! Du machst uns jetzt einen Schokoladenpudding, ... das ist nicht so schwer. Den kann jeder machen. Auch du!
- Ich finde ... nichts dabei, dich zu verklagen, du Schwein von Mann! schrie sie mich runter, als ich sie vor dem Küchenherd abgesetzt hatte.
Ich, etwas zurückgegangen: - Das kann nicht angehen, dass du mich in Grund und Boden schreist, anstatt die Küchenarbeit zu erledigen, die einfach sein muss!
- Das ist meine Privatsache! Ich schreie, wie es mir passt! Ich koche wann und wo und warum es mir passt! schrie sie und stieß sich von dem Herd weg. Suchte die Mitte der Küche.
Ich, mäßigend: - Du  bist immer noch Wissenschaftlerin. Es gehört sich nicht für Menschen wie dich, immer noch Beamtin, völlig auszurasten wegen einer Kleinigkeit wie dem Kochen, was für die Mehrheit aller Menschen eine totale Selbstverständlichkeit darstellt.
- Wie? fragte sie ohne jedes Verständnis nach. Dann rempelte sie mich an, zog ab. Sie entfernte sich von mir.
Ich: - Du bist lächerlich, im Grunde lächerlich! rief ich ihr nach, als sie die Wohnungstür hinter sich ins Schloss warf. In der Küche blieb ich und musste über sie nachdenken.
- Tschüss auch! rief sie, den dunklen Flur betretend. Ich war gar nicht verwundert.
Ich, sprach zu mir laut: - Diese Frau ist voll daneben, kann man wohl sagen. Statt ihre universitäre Erfolgssträhne wieder aufzunehmen, hockt sie zu Hause herum und befasst sich mit unwichtigem Kram. Sie hockt wirklich nur herum, interessiert sich vorwiegend für die Belanglosigkeiten, Randerscheinungen, Trivialitäten, Unwichtigkeiten, Nichtigkeiten ..., was auf Dauer unerträglich für mich ist. Mit dieser Person halte ich es nicht mehr länger aus! Soll sie gehen, wohin sie will. Soll sie ihre Reißleine ziehen und im Tümpel ihres jämmerlich gewordenen Lebensnix nass-unsanft landen!

Mithin erwies sich, dass die Chancen, mehr als nur sozial und wirtschaftlich zu überleben, also ein überragend erfolgreicher Student zu werden, de facto gesunken waren.
Es stellte sich mehr und mehr heraus, dass die Menschen, mit denen ich zu tun hatte, das Vertrauen nicht wert waren, was ich in sie zu setzen gewillt war.
Ich wurde nicht ständig persönlich oder/und beruflich bekämpft, also gerissen hintergangen, aber die Arbeitsatmosphäre in der Universität und in meinem Privatbereich verschlechterte sich zunehmend. Das war nicht das, was ich für mich einmal gewollt hatte.
Mein alltägliches, leider dumpf werdendes Streben stieß an die Grenze dessen, was die Finsternis des Triviallebens mir zugedacht zu haben schien: Wolke über mir, aber schnell flüchtend, schwarz und klein, so klein, wie sie gar nicht sein konnte angesichts ihrer physikalischen Beschaffenheit.
Ich hätte ihr nachfliegen können müssen! Dann kam sie wieder, die Jungprofessorin, meine Jungprofessorin. Ich hatte sie wieder! 

- Endlich! rief ich befriedigt aus, als sie nach mehreren Stunden in ihre Wohnung zurückkehrte. Mit ihrer Frisur war nicht mehr viel los. Insgesamt hatte ihr stilvoll gepflegtes, nicht ganz unmodisches Äußeres beträchtlich gelitten in den vorangegangenen Stunden.

Wir waren beieinander und kommunizierten. Wo? In der Diele ihrer Wohnung.
Da war ein schummriges Licht aus einem kleinen Lichtspender an der Wand, die weiß gekachelt war. Straußenvögel als kunstvolle Figuren auf den Kacheloberflächen. Ränder dunkelbraun. Es war warm in dieser Diele. Dieselbe würde in Bälde umgebaut werden, wofür Fachhandwerker unerlässlich waren. Sie sollte ganz mit Holz beschlagen werden, was ich für geschmacklos hielt, doch sie wollte das. Es war ihre Eigentumswohnung, die sie nicht aufgeben wollte, niemals aufgeben wollte.
Allerdings mit der regelmäßigen Arbeit als Beamtin in der Uni war es seit gewisser Zeit nichts mehr.
Wiewohl ich sie wiedergefunden hatte, indem sie sich von mir wiederfinden ließ.

Ich sagte dann: - Ich kenne dich, ... deine intellektuelle Weltfremdheit. Deine Biestigkeit gegenüber den Mitmenschen, also etwas, was du mir vorwirfst, ... ich soll so sein!
- Schon gut, Junge, schon gut! beschwichtigte sie mich. Sie saß auf dem Dielenstuhl und blätterte in einer Fachzeitschrift. Lust zu lesen hatte sie wohl kaum.
Ich, mit vorwurfsvollem Ton: - Biestigkeit! Biestigkeit! Biestigkeit!
- Nun ja ... das ist so etwas, über das man sprechen sollte, finde ich!
Ich: - Ach ja ...
- Ja! ... ich erkenne mich in deinen Äußerungen nicht wieder, sie sind schlichtweg falsch. Wenn ich gewusst hätte, wie falsch du mich siehst, dann hätte ich mich ganz von dir getrennt. Wäre weggeblieben, ohne irgendwas mitzuteilen. Informationen können schaden!
Ich: - Ich brauche sie aber.
- Ich will jetzt nicht mehr leiden. Nie mehr!
Ich: - Kokolores! Was meinst du - leiden - was ist das? Du bist erfolgreich gewesen, hättest noch viel mehr erreichen können, eine noch größere und längere Karriere. Und dann bist du verschwunden. Heute, eben gerade, dachte ich wieder, ... wo bleibt sie denn, bleibt sie schon wieder weg?
- Vorerst bleibe ich in dieser Stadt, den Dienst nehme ich aber nicht so schnell wieder auf, wenn ich ihn denn überhaupt wieder aufnehmen werde.
Ich: - Bitte ...
- Ich habe keine Lust auf Gequatsche! teilte sie mir mit einer unverschämten Sachlichkeit mit.


Ende

Kay Ganahl
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