Darum hat sie mich gebeten.

Text

von  Vaga

Eine Frau, deren Mann gerade verstarb, bittet mich:
Beten Sie für ihn.

Sie weiß nicht, dass ich schon lange nicht mehr bete,
dass ich mich befreit habe vor langer Zeit,
den Gott, zu dem ich einst betete, gehen ließ,
um ihn für den Rest meines Lebens frei zu lassen von mir,
den ich zuvor so viele Male im Gebet in die Pflicht nahm,
mir zu helfen, mir zu verzeihen,

und der mich so lange fernhielt von der Erkenntnis,
dass die Verantwortung für persönliches Verhalten
und Fehlverhalten eine ureigene Pflicht ist.

Sie weiß auch nicht, dass ich seitdem frei bin von ihm,
von diesem Gott, den der Mensch einst schuf,
um mit seiner Hilfe frei zu werden von der Pflicht,
Sünde und Not zu vermeiden,
obwohl Sünde und Not bereits in der Welt waren,
bevor es diesen Gott gab.

Sie weiß nicht, dass ich seitdem frei entscheide,
ob ich sündige zur Not, wie jetzt, wenn ich nicke
und leise Ja sage und in ihren Augen, wüsste sie es denn,
sicher sündigte in Gedanken, Worten und Werken.

Was hülfe es ihr, wenn sie das alles wüsste,
und dass ich gerade sündigte, um ihr zu helfen in der Not,
und dass, seitdem ich nicht mehr bete,
ich mich in der Not-Wendigkeit übe,
frei zu entscheiden, ganz unabhängig von einem Gott,
nur durch eigene, freie Pflicht.

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Kommentare zu diesem Text

KoKa (42)
(05.05.11)
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 AZU20 (05.05.11)
Diese Klarheit kann ich für mich nicht verkünden, klingt aber überzeugend. LG

 Songline (05.05.11)
Toller Gedankengang!
Ich kann mich inhaltlich nicht ganz anschließen, denn man kann doch sowohl an Gott glauben, als auch überzeugt sein, selbst für sein Handeln und Unterlassen verantwortlich zu sein.
Wenn ich es mit dem Gemeinwesen vergleiche, gibt es dort auch Menschen, die für alles nach dem Staat rufen, anstatt sich ihrer eigenen Verantwortung bewusst zu sein.
Aber gut, die Beziehung zu Gott ist eine höchstpersönliche. Und die Entscheidung, ein Gebet zu sprechen oder des Verstorbenen ganz für sich zu gedenken, auch.
Durchschnitt (19)
(15.05.11)
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