Zum Lobe einer bess'ren Welt

Kurzgeschichte

von  Judas

Einem Whiskey darf man nicht widerstehen.

Es war 5 Uhr morgens, als der Barmann mich rauswarf. Er und ich waren seine letzten Gäste. Eine halbe Stunde hatte ich mich noch an meinem Drink festhalten können, aber um 5 war Sense. Hatte er selbst so gesagt: Sense.
Betrunken aber nicht ziellos stolperte ich durch die leeren Straßen einer Stadt im Tiefschlaf. Es muss doch noch irgendwo ein E-ta-blis-e-ment geben, wo ich noch was zu trinken krieg! Dachte ich bei mir und setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen durch den Nebel, der über den Gehweg waberte und irgendwie genauso betrunken und langsam wirkte wie ich.

Ich entdeckte, dass ich in irgendeiner dunklen Seitengasse war, als das schwache Licht eines Premiereschildes durch den Nebel zu mir durchleuchtete. Es erschien mir wie der Stern von Bethlehem, nur irgendwie abgefuckter, und ich folgte ihm. Da ist noch 'ne Bar offen, dachte ich freudig, da gibt’s noch Alkohol, ich kann ja jetzt unmöglich nach Hause gehen, ist ja noch nicht mal hell! Zielstrebig aber in kleinen, freudigen Kurven strebte ich zum Licht wie eine Motte und wäre aufgrund der hypnotischen Wirkung auf mein zugedröhntes Hirn fast vor die Einganstür gelaufen.
Aber eben nur fast.

Die Bar war klein. So klein, das ich schwören könnte, dass nur ich und der Wirt in ihr Platz hatten ohne dass es überfüllt wirkte. Aber es waren ja auch nur der Wirt und ich da.
„Hallo.“, sagte er freundlich.
„Halllllo.“, lallte ich besoffen.
Ich setzte mich auf einen Barhocker und hielt mich am Thresen fest.
„Ich hätt gern 'nen Cuba Libre.“, sagte ich.
„Also einen Whiskey.“, sagte er.
„Wat? Nee, neee, einen Cuubaa Liiibree. Von mir aus auch ohne Limetten. Und ohne Cola. Quasi nur Cuba.“
„Tut mir Leid, es gibt nur Whiskey. Hier, ich geb dir den Whiskey sogar aus.“
Ich wurde stutzig. Nur Whiskey? Nach 'nem irisch Pub sah das nicht gerade aus. „Einem Whiskey darf man nicht widerstehen.“, sagte er und zwinkerte mir verheißungsvoll zu. Recht hat der Mann, dachte ich mir. „Dann einen Whiskey Joe!“, sagte ich. Der Wirt schmunzelte. „Joe? Warum gerade Joe?“ - „Weiß nich'. Du schaust aus wie ein Joe. Oder ein Jonathan. Aber Joe kann ja von Jonathan kommen. Nich? Nich.“ Joe nickte zustimmend.
„Weißte...“, begann ich murrend, „Ich hatte heute de Unizeitung in der Hand und guck mir da so die die na die Dings, die Leute an die sich so für'n Studentenrat bewerben.... und guck so... Lebensmotto, gell. Schtehn da bei Zweien total die Klugscheißersprüche! Weißte? „Im Zweifel für den Zweifel“. Hatte der eine da schtehn. „Ich möchte Teil eina Jugendbewegung sein.“ Der zweite. Geklaut! Alles nur geklaut! Is nämlich von Tocotronic. Und de ham nisch zitiert!“
Joe lächelte gütig.
„Du doch auch nicht.“, sagte er. Ich war verwirrt. „Bitte? Ich klau doch nich.“, gab ich zurück und suchte den roten Faden.. „Du weißt es nur noch nicht.“, sagte Joe. Er füllte sein Whiskeyglas wieder auf und füllte mein Whiskeyglas wieder auf, tat zwei Eiswürfel in Pinguinform dazu. „Hier.“, sagte er und schob mir den Whiskey zu. „Zum Lobe einer bess'ren Welt.“ Der letzte Satz ging an mir vorbei. Ich nahm den Whiskey, machte kleine Schwenkbewegungen mit der Hand wie gesittete Engländer dies mit ihrem Whiskey zu tun pflegen, hörte den Pinguinen beim klimpern zu und nickte, als hätte ich Ahnung von dem, was Joe sagte.

Eine Weile tauschten wir friedfertiges Schweigen aus. Wir tranken. Und wir tranken aus.

„Ich möchte den Sinn des Lebens finden, Joe.“, sagte ich und versuchte dabei so ernst und seriös zu klingen, wie ich mich fühlte. Es gelang mir nicht im Ansatz. Aber Joe lächelte nur. „Schau mal auf dem Boden deines Glases nach.“, sagte er. „Habsch schonn. Da isser nicht.“

Einem Whiskey darf man nicht widerstehen. Zum Lobe einer bess'ren Welt, dachte ich bei mir.
„Ein Gedanke wird kommen. Und der wird dich gern haben.“, versuchte Joe einzulenken. Grundlos wurde ich wütend. „Ach scheiß doch auf Metaphern, die sind böse und falsch. Und die ham Pickel im Gesicht, die sin nich schön. Also! Was is nu mit'm Sinn des Lebens?!“, fragte ich.
Jonathan oder Joe lachte. „Nee, nee.“, sagte er kopfschüttelnd und hob belehrend den Zeigefinger, während er zwei pinguinförmige Eiswürfel in die leeren Gläser warf. „Nicht Sinn. Sein.“ - „Wat?“ - „Nicht Sinn des Lebens. Frag nach dem Sein des Lebens.“ - „Kapiersch nich.“ Jonathan sah mich an und schob mir das aufgefüllte Whiskeyglas zu. Der Pinguin schwamm mit dem Bauch nach oben. Dann erklärte er: „"Der Optimist sagt: 'Das Leben ist eines der Besten. Genieße jeden Moment und liebe deinen Nächsten, dann wirst auch du geliebt.'
Der Pessimist sagt: 'Das Leben ist eines der Schwersten. Sieh zu, dass du damit klar kommst, oder geh' zu 'nem Psychater.'
Aber ich sage: 'Das Leben ist.'“

Und da verstand ich.

Etliche Nächte später fand ich mich selbst immer wieder auf's Neue in der kleinen, dunklen Seitengasse wieder. Etliche Nächte später stand ich immer wieder auf's Neue vor der Tür unter dem Premiereschild. Doch dort einen Whiskey zu trinken braucht keiner von euch hoffen – diese Bar hatte nie wieder offen.

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Kommentare zu diesem Text

KoKa (42)
(26.05.11)
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 Judas meinte dazu am 26.05.11:
Ach wie gerne ich mal in Irland ankommen würde :( In Schottland und England bin ich schon angekommen, wenigstens einmal.

Ich weiß jetzt nicht, ob ich erwähne sollte, dass ich Tullamore Dew lecker finde *grins*

du hast den Text auf jeden Fall um ein, zwei Whiskey mehr erreichert. Danke dafür. Und den Klick!
KoKa (42) antwortete darauf am 26.05.11:
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 Judas schrieb daraufhin am 26.05.11:
Werbung? Nein.
Prost? Jawoll!
*zuprost* Zum Lobe einer bess'ren Welt ;)

 RomanTikker äußerte darauf am 27.05.11:
Tullamore - Dew etwa auch? Hab' immer drauf geschworen. Das ist der Bongeronde unter den Irish Lebenswässern. Aber jetzt hab' ich den Text noch gar nicht gelesen. Mach ich gleich.

 Judas ergänzte dazu am 29.05.11:
Wack for my daddy-o, wack for my daddy-o, there's whiskey in the jar :D

 RomanTikker (27.05.11)
So. Aha, da ist es wieder, das Sein des Lebens. Hab' ich ja schon vor 'ner ganzen Zeit geklaut, drückt einfach zu gut aus, was man sonst in viele Worte kleiden möchten muss. ;o)
Am Anfang der Geschichte musste ich ein paar mal lachen, hast du schön geschrieben, für meinen Geschmack. Aber auch die spätere Stimmung ist stimmig, wenn auch z.T. für meine Ohren etwas wackelig, mürbe oder morbid; aber das passt zur Betrunkenheit. Und irgendwie erinnert mich die Betlehem-Bar an's Magische Theater, hm?

Zieht den lustigen Hut: Roman

 Judas meinte dazu am 30.05.11:
Ich habe lange gewartet, bis ich wusste, wo ich den Joe endlich mal mit seinem tollen Spruch einbaue. Ist mir gelungen gell :D Ein hoch auf mystisch-magische-Betlehem-Bar- Danke übrigens für den Hinweis im versteckten Kommentar. Wäre ich nicht so faul, wär's längst bearbeitet ;)

Klaut den lustigen Hut: Judas

 Untergänger (31.05.11)
finde den letzten Absatz nicht so toll. Sprachlich.

"Doch dort einen Whiskey zu trinken braucht keiner von euch hoffen – diese Bar hatte nie wieder offen."

für mein Empfinden beißt sich das irgendwie mit dem Rest.
Besagter Rest ist insbesondere stimmungsmäßig schön. Das Bild mit dem Nebel rockt.

mömmel,
Alfons

 Judas meinte dazu am 03.06.11:
Mist, gerade auf das Ende war ich doch so stolz :)
bookishasearlgrey (29)
(13.06.11)
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 Judas meinte dazu am 14.06.11:
Och Mensch, das arme Ende ^^

Danke für deinen ausführlichen Kommentar :)

 Dieter Wal (26.01.13)
Am besten gefiel mir: "„Ach scheiß doch auf Metaphern, die sind böse und falsch. Und die ham Pickel im Gesicht, die sin nich schön. Also! Was is nu mit'm Sinn des Lebens?!“, fragte ich."

Stelle mir vor, wie würde die Story auf mich wirken, wenn der Wirt etwas Lebenszugewandtes äußert, das in krassem Gegensatz zu üblichem Drogendealer- und Barkeepergelaber stände.
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