Alter jüdischer Friedhof in Prag

Bild zum Thema Menschen

von  Georg Maria Wilke

Starỳ Ẑidovskỳ Hřbitov /

Der reisende Hass der Herrenrasse
hat die Koordinaten des Todes
all der sprachlos gewordenen
in den ewigen Raum
an die ewige Wand eingraviert.

Und auf dem Friedhof
die schuldlos-schuldige Stille,
der ausgelöschte Lebenswille,
der mich fassungslos erschreckt,
aufgescheuchter Krähenflügel,
der sich dem Himmel entgegenstreckt,
nachtschwarze Vogelkrähen,
die den dunklen Schatten säen
auf diesen umfriedeten Ort,
tragen meine Empfindungen fort.
Ein Ort im Ort,
eine Totenstadt in der Stadt,
zwölffach geschichtet die Erde,
wie ein heiliges Buch –
Blatt um Blatt.

Ich suche meine Schuldigkeit,
die nach mir geboren,
zerrende Gefühle in Dunkelheit verloren,
das, was einmal war,
empfinde ich ganz nah.

Es erklingt ein geheimnisvoller Chor
und die Schuldigkeit von einst tritt hervor,
legt sich wie ein Stein auf den Stein
mit all den Namen, die vor langer Zeit
als Lebende in diese Stadt kamen
und dort zu Tode geschlagen,
wie eine irdische Plage,
ums Leben gebracht
jede Nacht – jede Nacht.

Es dämmern die Namen
in schweigender Stille,
schuldlos, doch schuldig geboren,
der menschliche Lebenswille,
in dieser menschenunwürdigen Zeit.

Endlose Namen reihen sich auf Stein,
der Tod hat mit grausiger Hand
die Koordinaten der Verstummten
dort eingraviert:
in den ewigen Raum,
an die ewige Wand.


Anmerkung von Georg Maria Wilke:

Ein Bild des Prager Judenfriedhofs an einem Julitag.

Der alte jüdische Friedhof – Starỳ Ẑidovskỳ Hřbitov, das Zeremonienhaus – Obrădin siň und die Pinkas-Synagoge
/Teil des jüdischen Museums, liegen in der Prager Altstadt, dem ehemaligen Josefov Viertel. Der sehr kleine Friedhof hat bis zu zwölf Schichten Erde übereinander geschichtet, um die Toten zu begraben. Der sehr verwinkelte Friedhof ist mit einer hohen Mauer umfreidet und hat eine „sehr eigene“ Atmosphäre.
Die Pinkas-Synagoge hat in ihren Räumen an den Wänden ca. 78.000 Menschen alphabetisch aufgeführt, die während des 2. Weltkrieges
umgekommen sind.
Die Pinkasova synagoga, gleich neben dem Ẑidovské muzeum v. Praze liegt an der Široka Straße.

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Kommentare zu diesem Text


 ViktorVanHynthersin (30.05.11)
Am liebsten würde ich Deinen Text, beschwert mit einem Stein, auf das Grab des Rabbiners Löw legen. Wer einmal diesen Ort besucht hat, wird ihn nicht vergessen. Danke für dieses Bild!
Herzliche Grüße
Viktor

 AZU20 (30.05.11)
Ja, dieser Friedhof hat sich auch bei mir tief eingeprägt. Ich danke dir dafür, dass ich meinen Erinnerungen nachhängen konnte. LG

 Songline (30.05.11)
Ich kenne diesen Friedhof nicht, aber der Text vermittelt mit seiner besonderen Atmosphäre ein Gefühl dafür.
magenta (65)
(30.05.11)
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 EkkehartMittelberg (30.05.11)
Dein einprägsames Bild intensiviert die Erinnerungen früherer Besucher und sensibilisiert zukünftige.
Liebe Grüße
Ekki
Caty (71)
(10.06.11)
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