Du brauchst keine Kerze an den Bahnsteig stellen. Es wird [auch ohne mich] weitergehen.

Text zum Thema Alles und Nichts...

von  ZornDerFinsternis

Ein kleines, bemitleidenswertes Loch zwischen den Wolken.
Denkst du wirklich, ich könnte die Sonnenstrahlen zwischen all der Dunkelheit und den Schmerzen ausmachen?
Es wird Regen geben. Ich nehme die Kippenschachtel und das Feuerzeug.
Ziehe den Reißverschluss der abgewetzten Sweatjacke zu. Senke den bedeutungslosen Tagträumerblick.
Die Tür fällt ins Schloss. Habe den Schutz der Einsamkeit zurückgelassen. Symbolisch zumindest.
Es ist kalt und die Realtität, die ich nur aus der Glotze und meinen einsamen Stunden hinter dem Küchenfenster
kannte, schlägt brutal auf mich ein. Zitternd stecke ich mir eine Zigarette in den Mund.
Meine Hand umschließt die Flasche in der Tasche. Ich geb einen Scheiß auf euch... ich wünschte, diese Einstellung würde sich wieder
in den Vordergrund kämpfen und diese täglichen Schmerzen vereinfachen.
Eine Gruppe Jugendlicher zieht mit den üblichen, lauthalsen Beschimpfungen an mir vorüber. Einer wirft mit seiner leeren Bierdose nach mir.
Die Rotze des anderen trifft mein Gesicht.
Innerlich bleibt keine Regung, die sich auf die steifen Gesichtszüge übertragen könnte.
Den Blick weiter auf die langsam schlurfenden Füße gerichtet, wische ich mir mit dem Handrücken durchs Gesicht.
Es gibt keinen besseren Ort dort draußen, ich hatte es gewusst. Und doch naiv darauf gehofft, es könnte doch ein anderes, besseres Miteinander dort draußen warten.
Setze mich auf eine der Bänke, im Raucherbereich des Bahnhofs und starre auf die verdreckten Gleise.
Die linke Hand spielt mit dem Messer in der Jackentasche. Während die rechte den Deckel der Schnapsflasche aufschraubt.
Ein Schluck. Zwei.
Und wo eben noch Sommer war, beginnt sich der Herbst aus seinen Blättern zu schälen.
Grinst dein Lächeln durch die Wolkenwände der Gegenwart.
Wir sitzen dort im saftigsten Grün der Jugend. Pflechten Blumenkränze, während wir ein Bier ums andere in uns hineinschütten und auf das Leben, samt Vergänglichkeit, scheißen.
Aus dem billig CD-Player rauschen melodische Klänge, gepaart mit harten Gitarrenriffs und anmutiger Stimme.
Walnussbüsche liegen hinter deinem rot-braunem Haar. Der Himmel könnte niemals ein beeindruckenderes, intensiveres Blau tragen, als deine Augen.
Du windest dich im Gras. Einen dieser Grashalme im Mund, während die Zeit in Zeitlupe an uns vorbeirast.
Emotionen und doch bloß besoffene Kinder, die viel - zu viel - erlebt haben.
Regen tropft von meiner Stirn.
Der nächste ICE auf Durchfahrt. Ich stehe auf.
Das Fotoalbum lugt aus der Tasche hervor. In mir schnürt sich alles zusammen.
In der Unterführung breche ich ein. Wieder mal. Zu schwach.
Die Klinge frisst sich durch die schwarzen Pixel am Handgelenk.
Wie oft habe ich versucht diesen gut gemeinten Fehler auszumärzen.
Auf ewig steht dein Name dort. In blasser werdendem Schwarz.
Stimmengewirr verstummt mit jedem Tropfen. Blut. Alkohol.
Die Hände graben sich in die graffittibeschmierten Fließen.
Ich bewege mich auf dünnem Emotionseis. Wankenden Schrittes steige ich die Treppen zu Gleis 5 hinauf.
Niemand dort. Rolle mich in die verdreckte Decke ein. Leere die letzten 3/4 der Flasche, um gemütlich einzuschlafen.
Morgen werden wir gemeinsam die Glühwürmchen in die Herzlaternen der Kinder stecken. Den Traurigen eine Kerze ans Fenster stellen.

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Kommentare zu diesem Text

SigrunAl-Badri (52)
(27.07.11)
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 ZornDerFinsternis meinte dazu am 27.07.11:
Dankeschön :)))

 Dieter Wal (28.08.11)
Wundervoll formuliert!

"Und wo eben noch Sommer war, beginnt sich der Herbst aus seinen Blättern zu schälen."

Und nicht nur der!
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