IKEA-Kultur

Satire zum Thema Beziehung

von  JoBo72

Meiner lieben Frau Roxana zum Achteinhalbjährigen.

Vielleicht kennt jemand Goethes Faust. Der Langzeitstudent und das Mädchen. Die mit der komischen Frage. Ja, Faust und Gretchen. Irgendwie eine tragische Sache: Sie wird wahnsinnig und er ist Schuld. Welch’ Unglück! Naja. Aber das ist ohnehin auffällig: In der Kulturgeschichte wimmelt es nur so von unglücklichen Beziehungen. Große Liebespaare scheitern immer wieder: Romeo und Julia, Orpheus und Euridike, Podolski und Schweinsteiger. Immer wieder kommt irgendwas dazwischen. Ihre Liebe kann nicht wirklich reifen. Am Ende: Wahnsinn, Tod und dritte Plätze.

Ich glaube, was denen gut getan hätte, vor allem Orpheus und Euridike, aber auch z.B. Narziss und Echo, das ist, gemeinsam einen IKEA-Schrank zusammenzuschrauben. Der gemeinschaftliche Bau eines IKEA-Schranks sollte als Paar-Therapie von der Krankenkasse bezahlt werden. Ich glaube jedenfalls – Julia, Romeo, nehmt es mir nicht übel –, wer mal den dreitürigen Kleiderschrank „Dåbakken“ aufgebaut hat, lässt sich auch von Vattern nix mehr sagen!

Also, uns tut das sehr gut. Meine Frau hat so alle drei, vier Monate die Idee, man könnte die Wohnung umgestalten. Einfach so. Dann kommt der Sessel dahin, wo die Couch stand und die Couch kommt in den Keller, wo ein Regal steht, das dahin kommt, wo vorher der Sessel stand. Meistens wird das ganze Mobiliar so in sieben bis dreizehn Runden rotierend durchgewechselt, bis am Ende alles so steht wie vorher, bloß enger. Der über Jahrzehnte sanft an die Sinnfrage herangeführte Gatte sollte sich diese tunlichst verkneifen, zumal: „Es kommt ja noch der neue Schrank.“

Richtig, das zwischen Köttbullar und Preiselbeersaft erstandene Stück wird in Runde elf geliefert. Das heißt: Nicht der Schrank selber, sondern ein Paket. Da denkt man erst: „Oh, der ist ja doch kleiner als ich dachte.“ Der übermäßige Genuss von Preiselbeersaft, das sollte man wissen, kann die Wahrnehmung empfindlich trüben. Doch: Das war schon in Ordnung, denn es kommt ja gar nicht der Schrank. Also, eigentlich schon, aber eben ohne Luft zwischen den Brettern. Und die ist nicht ganz unwichtig. Aber es kommen erst mal nur Bretter und Schrauben. Und eine Bauanleitung. Die Luft muss man selbst einlassen. Im ersten Moment, so steht es bei Shakespeare, dachte Romeo: „Und für die paar Bretter und Schrauben haben wir jetzt 200 Euro bezahlt?!“

Julia greift sofort die Bauanleitung. „Guck mal, das dauert nur 2 Stunden.“ Das steht da nämlich drauf, zur Demütigung des deutschen Mannes. Oder des Mannes auf… äh… aus Verona. – Die Amme ruft aus dem Off: „Julia, ist was gescheh’n, mein liebes Kind?!“ – Julia: (zu Romeo) „Oh, die Amme… (laut) Nein, alles klar. Ich komm’ in 2 Stunden.“ – Amme: „OK. Dann fahr ich noch mal eben zu IKEA – Teelichter kaufen!“

Montagezeit: 2 Stunden. Das setzt einen eigentlich nicht weiter unter Druck. 2 Stunden. Man muss es ja nicht unbedingt in 2 Stunden schaffen! Trotzdem guckt man mal kurz auf die Uhr, so als Orpheus. Und fängt an. Nach 2 Stunden hat man die Schrauben sortiert und – wenn man gut ist –, die Bretter ihrer jeweiligen Funktion im technologischen Gesamtsystem „Schrank“ zugeordnet. Dabei gilt es aufzupassen, denn „Seitenwand rechts“ unterscheidet sich von „Seitenwand links“ durch Lage und Anzahl der Bohrungen, im Volksmund und von Euridike „Löcher“ genannt. „Steht alles in der Bauanleitung.“ Ja, ja. Nur manchmal ist die Bauanleitung etwa von der gleichen Aussagekraft wie ein Spätwerk Wassily Kandinskys.

Man schraubt und schraubt und schreibt zwischendurch – unabhängig voneinander – auf, was das Ganze „mit einem macht“, um sich dann umso freier gegenseitig „Halt fest!“ an den Kopf zu werfen. Vergeblich: „Die Rückwand ward wieder draußen.“

Am Ende, ganz am Ende, also da, wo Romeo sonst eigentlich schon vergiftet auf seiner Julia liegt, fällt einem auf, das man ganz unten bei irgendeiner Zwischenwand ein Scharnier falsch rum eingesetzt hat und muss den ganzen Sch… rank wieder auseinanderbauen. Man ärgert sich. 2 Stunden lang.

Die Montage des dreitürigen Kleiderschranks „Dåbakken“. Wer diese überstanden hat, einschließlich des Einstellens der Türen mit den dafür vorgesehenen „Einstellgewindestiften Nr. 23“, den wirft in der Paarbeziehung so schnell nichts mehr um.

Irgendwie gönne ich diese Erfahrung auch den großen Liebespaaren der Menschheitsgeschichte, die so viel Pech hatten! Also, die das Pech hatten, sich zu vergiften oder in ihr Spiegelbild zu verlieben, bevor es Bücherregal „Bölly“ oder Sofakissen in zeitlos schlichtem Design gab. Oder in mintgrün. Ich finde, es müsste entsprechend der harmonisierenden Wirkung von IKEA-Möbeln auch IKEA-Versionen der Weltkultur geben. Mehr noch: Wir müssen die Menschheit auf die nächste Entwicklungsstufe stellen, wir müssen hin zur IKEA-Kultur. Erst, wenn kommende Schüler-Generationen Schillers „An die Schraube“ und die „Kraniche des Inbus“ rezitieren, wird sich jene Glückseligkeit einstellen, für deren Empfinden man derzeit noch mindestens 23 Glas Preiselbeersaft* getrunken haben muss.

In der IKEA-Version des Faust lautet die Gretchenfrage nicht „Wie hast Du mit der Religion?“, sondern: „Und? Hasse drin?“ – „Ja, warte, warte….“ – „Gut, ich schraub’ dann fest….!“ – „Ah, Mist! Jetz’ isset wieder raus!“ – „Du musst auch festhalten!“ – „Hol mir ma’n Preiselbeersaft, OK?!“ In der IKEA-Version werden am Ende beide wahnsinnig. Bloß: Gretchen erholt sich ganz schnell wieder. Der neue Katalog ist da.

)* Im IKEA-Restaurant bezahlt man 1 Euro 50 für das Glas und darf dann so viel Preiselbeersaft trinken, wie man will oder kann. Die mit jedem Glas kontinuierlich abnehmenden durchschnittlichen Stückkosten motivieren zu ungeahntem Konsumverhalten. Sollte ich auf Erden auch je kaum etwas anderes geschafft haben als auf Anweisung weiblicher Wesen Möbel zu rücken, eine erhabene Gewissheit bleibt mir auf ewig: Ich kann sehr viel Preiselbeersaft trinken, ohne dass mir schlecht wird.


Anmerkung von JoBo72:

Erstveröffentlichung (mit Bild): http://jobo72.wordpress.com/2011/08/25/ikea-kultur/

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Kommentare zu diesem Text

Graeculus (69)
(25.11.16)
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