Erkenntnisgewinn

Essay zum Thema Erkenntnis

von  loslosch

Nihil est in intellectu, quod non sit prius in sensu (John Locke, 1632 bis 1704, nach Aristoteles). Es gibt keine Erkenntnis, ohne dass eine sinnliche Wahrnehmung vorausgegangen ist.

John Locke war ein wichtiger Vorläufer und Vordenker des modernen Verfassungsrechts. Seine Verdienste im Bereich der Erkenntnistheorie dagegen sind gering, als hätte er bei Aristoteles haltgemacht. Die Welt ist so, wie wir sie erkennen (naiver Realismus). Das klingt für die meisten Menschen plausibel, nachvollziehbar. Eine 50-Euro-Note nehmen alle Sehenden als eine solche wahr. Für den einen ist´s viel Geld, für den anderen Spielgeld. Was wir wahrnehmen, unterziehen wir, meist unbewusst, einer subjektiven Bewertung. Daraus entstehen u. U. die ersten Fehleinschätzungen, Missverständnisse usf.

Erkenntnisse ohne jegliche vorausgegange sinnliche Wahrnehmung gibt es zuallererst im Bereich der sog. Formalwissenschaften (Mathematik, formale Logik). So ist z. B. die Formel für die Permutation (1x 2 x 3 x ... x [n-2] x [n-1] x n) ein mathematischer Ausdruck (aus der Wahrscheinlichkeitstheorie), der stets wahr, also empirisch nicht widerlegbar ist, doch für die erkenntnismäßige Durchdringung der realen Welt von ungemeiner Bedeutung, wie so manch andere mathematische Formel auch. Stichwort: binäre Logik mit einer kleinen Weltrevolution (PC, elektronische Rechner usw.) Um diese formelhafte Welt zu entdecken, benötigt der Mathematiker keine sinnliche Wahrnehmung.

Und wie verläuft der Erkenntnisprozess im Bereich der Naturwissenschaften? Dass die sinnliche Wahrnehmung wichtig ist, wird ja von der modernen Erkenntnistheorie nicht bestritten. Theorien basieren nicht selten auf prima vista "merkwürdigen" Beobachtungen. Der Forscher versucht dann, solche Theorien zu "zaubern", die diese Besonderheiten gut erklären. Entscheidend ist allein der Praxistest. Soll die Theorie tauglich sein, muss sie sich bewähren, indem sie immer wieder kritisch geprüft wird. Auffinden, entdecken muss sie der schöpferische Geist. Der PC hilft sogar dabei!

Manchmal werden Erkenntnisse und technische Fertigkeiten per Zufall gewonnen (Eiswein, Frotteehandtuch, Schneekanone usw.), wenn ein technischer Fehler oder eine menschliche Nachlässigkeit im Spiel war.

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (26.08.11)
Wie du zutreffend belegst, gibt es Erkenntnis ohne sinnliche Wahrnehmung.
Erkenntnis mit vorausgegangener sinnlicher Wahrnehmung hat freilich für jene, die weniger gut abstrakt denken können, einen Vorteil: Sie haftet tiefer und hält länger.
Texte über den Gewinn von Erkenntnis haben in der Regel keine hohen Klickzahlen. Darf man daraus folgern, dass allein schon der Begriff Erkenntnis Mühe signalisiert?
Ekki

 loslosch meinte dazu am 26.08.11:
Nein! nach deinem erscheinen schnellten die klicks in die höhe, ekki ... bei diesem text handelt es sich um eines meiner lieblingskinder. er ist geballt knapp und eine miniatur zur wissenschaftsgeschichte. lothar, gratias agens

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 26.08.11:
Ich halte den Essay auch für etwas Besonderes.
Ekki

 Irma (26.08.11)
"Erkennen" hat mit "kennen" zu tun. Und häufig geht das "Begreifen" über "be-greifen". Bei kleinen Kindern nahezu ausschließlich. Aber auch später noch hilft uns die Veranschaulichung. Wie Computer funktionieren wir ja zum Glück (noch) nicht. LG BirmchenIrmchen
(Kommentar korrigiert am 26.08.2011)

 loslosch schrieb daraufhin am 26.08.11:
wir haben BEIDE recht. liebes IrmchenBirmchen. du beleuchtest das thema erkenntnis aus der sicht der psychologie, insbes. der kinderpsychologie. leider gibt es bei kv nicht das thema wissenschaftstheorie. das ist hier im focus.

deinem anliegen entsprechend werde ich als nächstes posten

Entfaltung der Geisteskraft. [thema: greifen, be-greifen]. danke dir vielmals. lothar

 Irma äußerte darauf am 26.08.11:
Oh, da bin ich gespannt. LG BirmchenIrmchen
supernova (51)
(26.08.11)
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 loslosch ergänzte dazu am 26.08.11:
sicher muss man seine arbeiten in den zeitlichen zusammenhang stellen. naiver empirismus ist besser als die mittelalterliche scholastik. erkenntnistheorie war aber nicht seine stärke. so plädierte er für den kosmologischen gottesbeweis. sein spezialgebiet war das verfassungsrecht. bahnbrechend mit einfluss auf die us-verfassung später. aber auch die rechtfertigung der sklaverei (kind seiner zeit).

er schrieb viel, war mitteilsamer als jedes kv-mitglied. ;) lothar
supernova (51) meinte dazu am 27.08.11:
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 loslosch meinte dazu am 27.08.11:
du scheinst dich ja gut auszukennen, liebe bea. er war wohl, zeitgleich zu leibnitz (1645 bis 1715), eine art von letztem britischen universalgelehrten (neben hobbes vllt., der ihm mathematisch überlegen war), konnte aber mit leibniz´ mathematik (infinitesimalrechnung, rechenmaschine usw.) so gar nicht mithalten. auf einem feld aber waren sie alle, alle zwerge: sie glaubten, über theologisches "wissenschaftlich" reden zu können. heute schweigen die seriösen denker zu diesem thema, weil hier kein "erkenntnisfortschritt" möglich ist!
supernova (51) meinte dazu am 27.08.11:
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Shogun (73)
(26.08.11)
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 loslosch meinte dazu am 26.08.11:
ich war in chemie eine niete. erinnere trotzdem mal an kekulés traum (1890) mit der entdeckung der benzolformel. synthetische farbstoffe konnten später die welt revolutionieren (lo lernt grade beim googeln).

archimedes hatte noch kein badezimmer, allerdings eine badewanne. seine eigene "wasserverdrängung" brachte ihn auf die echtheitsprüfung der goldkrone. beobachtung: ja. er musste aber eine gewaltige transferleistung erbringen. die wissenschaftstheorie spricht vom entdeckungszusammenhang. wie gewinnt man neue erkenntnisse? schwer zu beantworten. in seltenen fällen reicht eine tasse kaffee ... :)

danke dir, anne-marie. lothar
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