I.
 Inhalt 
III. 

II.

Kindergeschichte zum Thema Illusion

von  Lala

Nashorn hatte einfach keine Lust mehr gehabt, weiterzudiskutieren und sich mit der Frage abzuplagen, ob wir, die Aufzieher, auch aufgezogen werden. Ich verstand zwar, dass Elch neugierig war, aber ich fühlte, dass keiner von Beiden das Zeug dazu hatte, diese Frage letztgültig oder intelligent zu beantworten. Wir sind aus Blech, redeten ebensolches und wir verdienten unser täglich Brot damit, Menschen aufzuziehen. Monoton, simpel und sich wiederholend. Immerhin konnten wir diese Arbeit in Eigenregie erledigen.

Es ist, mit etwas Übung, relativ leicht zu erkennen, ob ein Mensch neuaufgezogen werden muss. Seine Bewegungen werden schleppender, müder, ruckartiger. Ein langsamer Mensch, der nicht wie am Schnürchen schnurt, kann Schlangen verursachen und da wir, die Aufzieher, nicht überall sein können, bilden sich auch Schlangen oder Staus. Auch Unfälle können dann passieren. Bei älteren Menschen kommt es ohnedies nicht selten vor, dass in ihrem Getriebe ein Planet aus dem Umlauf springt, weshalb sie plötzlich ganz stehenbleiben.

Aber auch manch technische Einrichtung, die viele Menschen inbrünstig und stolz als Ausweis des menschlichen Genies bezeichnen, nicht wenige dieser Anlagen, dieser angeblichen Wunderwerke der Technik, funktionieren nur, weil es ein Schloss gibt - und wir den Schlüssel dafür haben. Nicht weil die Menschen es selbst verstanden haben, geschweige denn, weil sie einen kennen, der es ihnen erklären könnte. Sie geben sich meist mit Erklärungen zufrieden, die sie nicht verstehen und die nicht ihre, aber unsere Welt beschreiben. Egal wie, zögen wir die Kraftwerke, die Lasertechnologien und die sogenannten Computer nicht auf, dann würden sie nicht funktionieren.

Aber diese Anlagen, diese Fakes des menschlichen Genies, sind der Grund für Nashorns Ärger über Elchs Fragen. Denn in der Vergangenheit war es mehr als einmal vorgekommen, dass eine Bezirksbrigade, grad so eine wie die unsere, phantasiebegabten Menschen bei ihren verrücktesten Ideen geholfen hatte.
Immer wenn ein Mensch lauthals Eureka gejubelt hatte, hat wahrscheinlich einer von uns hinterrücks am Rad der Geschichte gedreht. Aber außer den Menschen jubelte keiner. Im Gegenteil. Die Elefantenkühe mit den großen, grünen Rüsseln kamen dann meist umgehend, um den oder die Rebellen einzusaugen und aus unserem Universum zu saugen.

Eine „Erfindung“ konnte den Menschen aber auch nicht wieder weggenommen werden, also musste darauf geachtet werden, dass ihre Geniestreiche auch funktionierten. So gut es eben ging. Das nicht fuktionieren, das Ausfallen, bezeichneten die Menschen als Restrisiko oder als Verschleiß. Sie berechneten ihn, gaben daraufhin Garantien oder Gewährleistungen, aber nie kamen sie auf die Idee, dass ihr Restrisiko ein unberechenbares Glückspiel ist. Abhängig vom Pflichtbewusstein, der Disziplin und der krankheitsanffälligkeit des Vierkant-Schlüsselträgers im jeweiligen Aufziehbezirk. Unglück ist keine Wahrscheinlichkeit, sondern eine Vernachlässigung unserer Pflicht.

Neben Menschen oder Dingen aufzuziehen, mussten wir auch die kaputten, die irreparablen, die abgelaufenen Menschen entfernen. Eine Aufgabe, die meist lästig war und von unserem eigentlichen Tätigkeitsbereich, aufzuziehen, nur ablenkte. Wir entsorgten aber nie den ganzen Menschen sondern entfernten nur seine Unruh. Der Rest wurde von den Menschen beerdigt.
Um die Unruh zu entfernen, trugen wir einen langen Stiel mit uns, an dessem Ende eine per Seilzug bewegliche, rötliche Kralle, die mich an Hummerscheren erinnerte, angebracht war. Mit einem festen Händedruck öffneten und schlossen wir den Schnabel der Kralle. Wir mussten sie nur in die Nähe eines Schlosses auf dem Rücken der Kaputten bringen und die Schere erwachte und erledigte den Rest, so als hätte sie ein Eigenleben, so als sei sie eine Muräne, die in ihrer Höhle lauert, wartet und in der richtigen Sekunde herausschießt, um ihrem Opfer den Kopf abzubeißen. Man musste schon sehr aufpassen, denn Unterschiede zwischen Funktionierenden und Stillstehenden machte die Schere nicht. Wieder so ein plötzlich und unerwartetes Restrisiko der Menschen in ihrer Welt. Wer einmal zwischen den Kiefern hing, kam nicht mehr heraus, dessen Zeit war abgelaufen.
Schnipp, schnapp, so schnell ging das und schon hingen Unruh und Feder am Haken. Schnipp, Schnapp und mit einem lässigen Wurf aus dem Handgelenk wie beim Fliegenfischen, warfen wir die kurzgeschlossenen und abgeschnittenen Beweger der Unglücklichen in einen schwarzen, offenen Beutel, den wir alle auf unserem Rücken trugen und den wir alle am Ende einer jeden Schicht in einen dunklen Abfluss kippten.

Die Zeitzwerge, die in den Gräben der siebten Dimension sich via Bergwerksloren durch die Fraktalstämme unseres Mandelbrotuniversums tunnelten, sammelten die Reste der Unruhe ein und warfen sie ihrerseits in ihren Restzeitfusionator, um neue Zeit, die Mutter aller Unruhe und allen Lebens, für allle elf Dimensionen zu kreieren. So lehrten es uns jedenfalls die Elefanten mit dem grünen Saugrüssel. Was red’ ich? Ihr kennt ja unseren Job und die Welt in der wir leben.

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Kommentare zu diesem Text

fdöobsah (54)
(07.10.11)
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 Lala meinte dazu am 08.10.11:
Hallo und Danke fdöbsah,

das geht mir in den Halsspeck, wenn genossen werden kann, was ich hier anbiete. Diue Unruh und das Restrisiko ergaben sich quasi von selbst - mulmiger wird mir da bei anderen "Ein" oder "Ausfällen", die mir da noch so eingefallen sind :)

Gruß

Lala

 Isaban (07.10.11)
Liest sich (im besten Sinne) ein kleines bisschen wie Pratchett.
Phantasievoll gezeichnete Figuren, herrlich skurrile Welt-in-Welt-Bilder und auf jeden Fall eine ganz besondere Story, der ich gerne bis zum Ende folgen werde.

Die Unruh ein- (und aus) zubauen ist ein besonderes Sahnehäubchen, auch das Chaosuniversum ist eine geniale Idee, die Zeitzwerge gingegen kommen mir irgendwie bekannt vor, was aber nichts Schlechtes sein muss (einzig gegen den blöden Hei-ho-Song, den ich nach den ersten Assoziationen nicht mehr aus dem Kopf bekommen habe, muss ich noch etwas unternehmen).

Schau hier noch mal nach der einsaugen/saugen-Dopplung, wirkt ein bissl ungelenk:

Im Gegenteil. Die Elefantenkühe mit den großen, grünen Rüsseln kamen dann meist umgehend, um den oder die Rebellen einzusaugen und aus unserem Universum zu saugen.

Wie wäre es da mit "... um den oder die Rebellen ein - und aus dem Universum zu saugen" o.ä.?

Mit Vergnügen gelesen!

Liebe Grüße,

Sabine

 Lala antwortete darauf am 08.10.11:
Hallo Isaban,

ein bisschen wie Pratchett freut mich ungemein. Seine Scheibenwelt Romane und die Geschichten von der Truhe - mein Favorit - und dem B-Zauberer Rincewind (? hoffentlich richtig geschrieben) habe ich sehr gerne gelesen. Allerdings habe ich heute das Gefühl bei Pratchett, dass er wie Rembrandt mit einer Werkstatt arbeitet. Die Zeitzwerge sind bekanbnt? Hoffentlich nicht geklaut. Im Schnarchomaten habe ich zwar Zwerge aber nicht solche. ich habe vor etlichen Jahren, noch zu Studizeiten, mir ausgedacht, dass alle verbuddelten Leichen, im Sack oder im Sarg, von Zwergen eingesammelt und auf Loren gepackt werden, um sie in eine "Zeitmaschine" zu stopfen, um dergestalt die in diesen Leichen verbleibene Restzeit zu extrahieren. Natürlich wurde die Zeit immer knapper und am Ende musste sich der letzte Zwerg mit seinem letzten Lebensfunken in diese Zeitmaschine stürzen, die sich im gleichen Momnent wo sie den armen Kerl zerwurstete, in einem gewaltigen Knall auflöste und ein neues Universum aus der letzten verbliebenen Sekunde gebar - denn wenn es keine Zeit mehr gibt, ist eine Sekunde so gut wie eine Ewigkeit. Das sind die Zeitzwerge, die ich kenne und im Sinn habe. Wie gesagt: hoffentlich nicht geklaut.

Zum Vorschlag. Klar. ;)

Gruß

lala
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