Mein letzter Tag auf Erden

Gedanke zum Thema Wertschätzung

von  MrDurden

Wäre dies mein letzter Tag, würde ich keine großen Taten vollbringen. Eher würde ich mir 22 Stunden lang eine letzte große Tat überlegen, um danach eine Stunde lang zu bereuen, nicht genug gelebt zu haben, um danach meine letzte Stunde mit dem Schreiben eines klischeehaften und möchtegerntiefsinnigen Abschiedsbriefs zu vergeuden. Doch was gibt es heute noch, das man auch nur im Entferntesten als „tief“ bezeichnen könnte? Abgedroschene philosophische Fragen nach dem Sinn der Existenz eines Individuums oder allen Lebens? Die Erkenntnis, worin das Prinzip von allgemeinem Glück und Seelenfrieden verborgen liegt? In einer aufgeklärten Zeit, in der jeder Mensch alles zu wissen glaubt, wird Tiefsinn trivial und Irrationalität gefährlich.

Wäre dies mein letzter Tag, würde ich keine letzte Reise unternehmen. Eher würde ich den Fernseher einschalten und mir 22 Stunden lang all die wundervollen und hässlichen Orte auf diesem Planeten ansehen, die ich niemals besucht habe, die ich niemals besuchen würde, um danach eine Stunde lang meinen unkultivierten Lebensstil zu bereuen, um danach meine letzte Stunde mit japanischen, chinesischen und amerikanischen Importvideospielen zu vergeuden. Und ich würde mich fragen, wie viel von alledem, was bereits Milliarden vor mir erlebt und gesehen haben, es wert war, zu verpassen.

Wäre dies mein letzter Tag, würde ich keine Tier- oder Menschenleben retten. Eher würde ich 22 Stunden lang nach Verantwortlichen suchen, für alles, was in meinem kurzen Leben schief gelaufen ist und für alles, was ich nun nicht mehr erleben würde. Nur um mich danach eine Stunde lang in Selbstmitleid darüber zu baden, zu wenig Gutes getan und zu viel Zeit an mich selbst verschwendet zu haben, um danach meine letzte Stunde an den stumpfsinnigen Todeskampf einiger Teenyschauspieler in einem übertrieben brutalen Splattermovie zu vergeuden.

Wäre dies mein letzter Tag, würde ich dem keinen Glauben schenken, mich schlafen legen und fest mit dem schrillen Klingeln meines Handyweckers am morgigen Tag rechnen. Denn ich wertschätze mein Leben zu gering, obgleich ich weiß, dass jeder Tag mein letzter sein könnte.

Wäre dies mein letzter Tag, würde ich singen und tanzen, denn jeder Morgen ist für mich unsterblich.

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Kommentare zu diesem Text

Jack (33)
(27.10.11)
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 MrDurden meinte dazu am 27.10.11:
Ansichtssache. Und depressivistisch? Keineswegs... eher die Erkenntnis, dass man sein Leben oft nicht genug wertschätzt. Das zu begreifen ist dann eigentlich etwas sehr positives.

 Lala (27.10.11)
Hallo MrDurden.

mit dem Schreiben eines klischeehaften und möchtegerntiefsinnigen Abschiedsbriefs zu vergeuden

Genau. Chapeau. Aus alter Nicht-Verbundenheit.

Lala
(Kommentar korrigiert am 27.10.2011)

 MrDurden antwortete darauf am 27.10.11:
Kühlschrank
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