Neulich, Risotto

Kurzgeschichte zum Thema Mutter/Mütter

von  ZAlfred




Neulich, Risotto

Leise summte Robert vor sich hin. Er stand über den Gasherd gebeugt und sog die aus dem breiten Kochtopf aufsteigenden Düfte auf. Der Vialone war gerade glasig und farblich kaum noch von den Schalotten zu unterscheiden. Die Kopfnote aus feingewiegtem Knoblauch, Rosmarin, Thymian und fruchtigem Olivenöl entfaltete ihr Bouquet in einer betörend aromatischen Wolke.

...Er griff zu den Röhrenknochen. Deren ausgeschabtes Mark hatte er bereits in einen hohen Becher gegeben. Mit einem ordentlichen Schwapp Starkbier spülte er die letzten Krümel aus den Knochen, bevor er das Rindermark behutsam mit dem Bier vermengte. Unter beständigem Rühren löschte er den Reis damit ab.

...»Du hast doch nicht etwa Bier für das Risotto genommen?« Das Geräusch der zischend verdampfenden Flüssigkeit hatte sie in die Küche gelockt.

...Sie gebärdet sich wie ein Schweißhund, fiel ihm auf, als sie sich mitten in seine Küche stellte und geräuschvoll zu schnüffeln begann.

...Unvermittelt bellte sie los.
...»Italien!« Und gleich darauf noch mal: »Italien!« Dabei bohrte sie ihren Zeigefinger triumphierend in seine Brust und klopfte den Takt ihrer Worte mit. I – TA – LI – EN!
...»Ich lass' mir ja gefallen, wenn Du einen Schweinsbraten mit Bier begießt – aber Risotto gehört nun mal mit Wein!«, klagte sie mit dem keifendem Tonfall, den sie scheinbar nur für ihn kultiviert hatte. Bei jedem Wort, das sie sprach, pochte sie ihm mit der Fingerspitze auf die Brust.
...»In Italien kommt da Wein rein. Das macht man so! Am besten einen aus dem Friaul oder einen Schianti – aber doch kein Bier. Das geht ja gar nicht!«

...»Mama, nun lass doch den Robert mal in Frieden. Der weiß schon, was er tut.« Susanne hatte sich auf seine Seite gestellt. Das hatte sie schon immer getan. Mit derselben Regelmäßigkeit, mit der sie sich auch diese Nacht wieder darüber beklagen würde, wie unsagbar peinlich es ihr sei, wenn sie sich seinetwegen gegen ihre Mutter stellen musste. Und dass er sich nicht immer so unkonfirmiert zeigen sollte.

...»Nonkonformistisch heißt das Wort, Sanne«, würde er ihr sanft entgegnen – so wie er jedes Mal tat.

...Sie würde dann wieder durch die Nase schnauben und ihm erklären, dass die Mutti es nicht bös' meint. Und bis er sie dann irgendwann endlich in seine Arme nimmt und ganz fest an seine Brust drückt, wird sie ihn nur ansehen, kein Wort sagen und demonstrativ ihre imaginären Tränen niederkämpfen.

...»Bier im Risotto - unmöglich«, nörgelte Maria und griff nach dem nächstbesten Küchenmesser.

...Natürlich erwischte sie ausgerechnet die Klinge, die seine liebste und teuerste war. Ein Yanagiba, geschmiedet von Meister Keijiro Doi, und von Tosa, dem berühmten, preisgekrönten Schleifmeister, mit dem finalen Abzug versehen.

...Der malträtierte Stahl knirschte und erzeugte ein schrilles Kreischen als sie, in völliger Ignoranz, mit der edlen japanischen Klinge die Zinkkappe von Hals einer Weinflasche fetzte.

...»Das war es jetzt für den Honba-Zuke Abzug«, konstatierte er und verspürte eine unbändige Mordlust in sich aufsteigen.

...»Mit 'nem ordentlichen Schuss Schianti kriegen wir das im Nu in 'n Griff!«, hörte er Marias Stimme wie durch einen Wattebausch.
...»Wenn man nicht alles selber macht!». 

...Das war das eine Tröpfchen zu viel! Von dem Moment an war seinen Überlegungen eine neue Richtung gegeben. Just in jenem Augenblick war es ihm klar geworden: Noch in dieser Nacht würde er mit seinen alten Mustern endlich und endgültig gründlich aufräumen. Die Erkenntnis war so klar und naheliegend: Er müsste sich um die Mutter und die Tochter kümmern!

...Er nahm seiner Schwiegermutter die Flasche aus der Hand, entkorkte sie und füllte zwei Gläser mit dem roten Wein.
...»Sanne, hier, nimm Du die Gläser.« Mit einer liebevollen Geste fasste er Maria beim Arm, drückte ihr die halbgeleerte Flasche in die Hand und komplimentierte Mutter und Tochter aus seiner Küche.
...»Setzt ihr Zwei euch doch noch eine Weile auf den Balkon. ... und nehmt den Wein mit, als Apéritif. Ich brauche noch 'ne gute halbe Stunde – dann gibt's Essen.« Er zögerte kaum merklich und erklärte schnell. »Ich muss noch eben die Pilze putzen, die ich vorhin aus dem Wald geholt habe.»

...Robert breitete die duftenden Fruchtkörper auf trockenem Küchenkrepp vor sich aus. Mit Pinsel und scharfer Klinge entfernte er Druckstellen, Erd- und Pflanzenreste. Dabei überprüfte er noch einmal die Arten. Abgestutzte Riesenkeule, Goldzahn-Schneckling, Kiefern-Schneckling und Steinpilz kamen kleingeschnitten in den Risotto-Topf, beim Orangefuchsigen Raukopf überlegte er kurz, verwarf den Gedanken und ließ den giftigen Schleierling im Müll verschwinden.
...»Es wird anders gehen«, überlegte er, »Eine Pilzvergiftung wäre zu auffällig. Aber eine Gasexplosion, wie bei Mutter Philomena damals, die kommt auch nicht in Frage.«

...»Robert, hast Du uns vergessen?«, rief Maria vom Balkon, »oder willst Du uns hier verhungern lassen?«

...»Ich bin gleich soweit!«, brüllte er in ihre Richtung zurück.
...»Keine Panik.«

...»Irgendwo hier muss er doch sein!« Robert wühlte im Mülleimer.



© 2012 by ZAlfred


Anmerkung von ZAlfred:

... weil es kein Thema 'Muttertagsgedankenspielereien' gibt.

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Kommentare zu diesem Text

magenta (65)
(13.05.12)
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 ZAlfred meinte dazu am 14.05.12:
Auch weil ich mich mit Kritik im Allgemeinen schwer tue und stets geneigt bin, zustimmende Äußerungen zu negieren und mir dafür angeprangerte Fehler, Versäumnisse und schlechten Stil besonders zu Herzen zu nehmen ...
... freute mich diese Flut von positiven Attributen. Ich danke Dir ganz herzlich für Deinen zugeneigte Kommentar.

Da werd' ich wohl bei Gelegenheit mal für Dich kochen müssen... ;))
VlG
ZAlfred
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