Die Tür ist zu. Kein Geräusch dringt herein. Der Lüfter des Rechners rauscht. Sonst ist alles still. Der antike Schreibtisch hatte bis eben noch geknackt. Das ausgetrocknete Holz der vor zweihundert Jahren gefällten Eichen arbeitet synchron zum Heizkörper, der es endlich geschafft hat, den Raum aufzuheizen.
...Mein Blick streift über Bildschirm und Maus, dann scanne ich die Arbeitsfläche. Bestandsaufnahme: Feinschnitt, Blättchen, das Zippo, Aschenbecher und Espressotasse – alles da. Ich kontrolliere noch eben den Zweikreiser in der Küche. Die Anzeigen für Wasserstand, Kesseldruck und Temperatur zeigen optimale Werte – damit ist der Nachschub an Koffein gesichert.
...Dann kann es losgehen. Der Kurzgeschichtenwettbewerb hat »Wintersport« zum Thema. Brainstorming wäre gut, wenn nur nicht ständig der Ski-Lehrer sich in den Vordergrund schieben würde. Er stört! Ich habe keine Lust auf die Plots, die der dauergeile Tiroler-Toni mir anbietet. Touristinnen im Schnee zu rammeln erscheint mir ebenso banal wie der Quickie mit der drallen Kellnerin auf der Hütt'n. Obwohl, lässt sich vielleicht aus der Hütt'n und dem Holz, das die Zenzi vor derselben hat, etwas machen? Ach nee, Kalauer zu einer Geschichte auszuwalzen, das wäre unter Niveau.
...Also werfe ich noch mal die Assoziations-Maschine an. Wintersport, St Moritz, Kitzb... – die Streif! Ja! ...und dann? Wo ist die Idee? Weiter! Oberstdorf, Garmisch-Kaltenkirchen, Bottrop-Kirchhellen, Wanne-Eickel, Badewanne, ..., Stimmt, ein neuer Duschvorhang muss her. Gleich notieren, sonst vergesse ich es wieder.
...Was wäre wenn wir anstelle des Vorhangs eine Abtrennung aus Glas einbauen lassen würden? Sieht ja schon schöner aus. Mal schauen. Google: "Duschabtrennung Glas", ENTER. Oh, das sind aber viele. Und schick, und gar nicht so teuer. Da könnte man auch gleich die Armaturen ..., oder gleich die Duschwanne rausreißen und alles neu machen. Hier: Modell Alpina, ..., Alpina, Wintersport, ..., Wintersport!!! Ich wollte doch schreiben. Fenster zu! So. Wo war ich?
...Erst mal eine rauchen. Ich finde ja, das fördert den kreativen Prozess. Ist mir auch egal, ob vom Rauchen der Blutdruck steigen oder sinken soll, und ob das dann eigentlich dafür sorgen soll, dass das Gehirn nicht optimal mit Blut versorgt wird. Oder war es Sauerstoff? Oder beides? So what? Bei mir hat's mit den Kippen immer schon besser funktioniert. Das kann ich mir jetzt nur einbilden, aber es ist ja wirklich so.
...Vielleicht sollte ich auch noch einen Grappa ... Zum Espresso immer richtig. Alkohol hat ja auch eine kreative Kraft. Und mir schmeckt's nun mal. Wenn der Stoff herrlich gelb-braun aus dem Flaschenhals ins Glas gluckert, sich ölig in die Glaswölbungen schmiegt, wie wunderbar die "Kirchenfenster" von der Glaswand rinnen. Und der Duft! Sekunden nach dem ersten Schwenk senke ich meine Nase über das Glas. Jetzt bloß nicht zu tief einatmen. Auch dieser Genuss will gelassen und wohldosiert angegangen sein.
...Es ist entschieden. Ich gieße mir einen Grappa ein. Einen kleinen Schluck nehme ich an der Bar und schenke sofort nach. Das zweite Glas gleich mit auszuschenken spart einen Weg. Obwohl, wenn ich jetzt austrinke und dann das Glas wieder fülle, dann habe ich sogar drei Wege gespart! Aber man darf den guten Stoff nicht einfach so runterspülen. Zum Genuss gehört auch Zeit!
...Mit dem Glas in der Hand gehe ich zum Sofa rüber. Die Hand zuckt im Blindflug nach der Fernbedienung. Biathlon. Klasse, Wintersport, da bin ich ja mitten im Thema. Gemütlich lümmle ich mich in die Sofaecke und lege die Füße auf den Couchtisch. Erstes Schießen, liegender Anschlag. Neuner ohne Fehlschuss unter den ersten Fünf wieder in der Loipe. Was geht eigentlich nach den Rennen so alles ab? Massage, Sauna und dann kommt Tiroler-Toni mit der Pfroni aus dem Anfängerkurs ...
...Ich glaube, da begann ich Ski-Lehrer zu hassen
© ZAlfred 2012
