Schon in der zweiten Zeile des Glaubensbekenntnisses wird es kompliziert. Nach dem einfachen „Ich glaube an Gott“ folgt erläuternd „den Vater, den Allmächtigen“. Was haben sich die Erfinder des Glaubensbekenntnisses wenige zehn Jahre nach der Hinrichtung Jesu gedacht? Begreiflich, dass sie den neuen Glauben auf einige Kernsätze eindampfen wollten. Gefragt, was glaubst Du, möchte auch ich eine griffige Formel zur Hand haben. Aber warum so stümperhaft? Wussten sie es wirklich nicht besser? Hatten sie kein „Altes Testament“ zur Hand. Noch klarer kann man nicht gegen das Gebot verstoßen: „Du sollst Dir kein Gottesbildnis machen“. Vater? Wieso nicht Mutter? Wieso nicht transsexuell?
Entschuldigend mag entgegenhalten werden, dass der Erfolg der christlichen Religion den Urvätern recht gibt. Wenn man die Zahl der Menschen aufsummiert, die sich christlich nennen, ist ein gigantisches, internationales, grenzenlos operierendes Netzwerk entstanden, das sich nach wie vor lebendig fort entwickelt und Massen von Menschen anzieht, beseelt und durch ihr Leben begleitet.
Umgekehrt: wenn ich den Gott-Vater akzeptiere, was bedeutet das in der Konsequenz? Wenn er der Vater ist, sind die Glaubenden seine Kinder; egal welches Geschlecht ich bevorzuge, ob Vater oder Mutter, der Effekt ist derselbe. Alle Glaubenden sind Geschwister. Wenn all die anderen meine Geschwister sind, ist das etwas Schönes, gemeinsames Arbeiten und Feiern und gegenseitiges Helfen über alle Grenzen hinweg. Oder ist Geschwisterschaft etwas Bedrohliches? Kain erschlug Abel. Seitdem hat sich nichts geändert. Streit unter Geschwistern ist brutal. Man kennt sich gut und weiß genau, wo es wehtut.
Und wenn Gott Vater ist, welchen Vater nehme ich? Den Vater, der seine Kinder liebt, der sich um sie kümmert, der ihnen Wege in die Welt zeigt, oder den Vater, der seine Kinder vergewaltigt, den Vater, der sich nicht zu seiner Vaterschaft bekennt, ausweicht. Welcher Vater darf es denn sein? Oder dann doch lieber Mutter?
Das Glaubensbekenntnis zwingt, sich zu entscheiden.
Ich verstecke mich hinter Jesus. Er gab den Rat, Gott als Vater anzusprechen. Auf diese Weise löst sich das Problem zwar nicht, aber wenigsten habe ich einen Menschen vor mir und ich kann versuchen, anhand der Geschichten von und über Jesus zu verstehen, was er meinte, als er vorschlug, „Vater unser“ zu beten.
Die zweite Zeile des Glaubensbekenntnisses gibt Gott ein weiteres Attribut: der Allmächtige. Wenn Gott allmächtig ist, warum all dieses Elend auf der Welt. Gott als Masochist, also der quälende Vater? Wo ist der liebe Gott?
In der zweiten Zeile, die so krass das Verbot des Gottesbildnisses zu verletzen scheint, klingt ein anderes Gebot an: „Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Götter neben mir haben.“ Vater und Allmächtiger stehen im Singular. Nicht Jupiter, Zeus, Juno, Hera, und wie sie alle hießen, aber auch nicht „kein Gott“, nein genau, mathematisch exakt einer. Nicht mehr und nicht weniger.
Gehe ich mit? Ist es dieser eine oder brauche ich mehr Götter? Vielleicht etwas fernöstliche Transzendenz oder lieber keinen Gott? Eine Prise Naturgottheiten der Indianer? Was darf es sein? Lieber die menschlichen „Götter in Weiß“? Ist ein parfümierter Präsident göttlicher als ein stinkender Stadtstreicher?
Wie verschaffe ich mir die Prise Spiritualität in meinem Leben, die ein gesunder Mensch braucht?
Ich persönlich habe mich entschieden. Keine Göttin ist mir eine zu wenig. Und diese eine füllt mich derart aus, dass für weitere kein Platz ist.