Abschied anders

Kurzprosa zum Thema Liebe, vergangene

von  loslosch

Auf diesen Tag hatte er hingearbeitet. Jahrelang, fünf Jahre. Der Umzugswagen rattert heran, setzt zurück in die Einfahrt. Verdunkelt mit seinem Aufbau den Innenraum der Wohnung, die jetzt seine eigene ist. Dreißig Jahre scheinen zu versinken in plötzlicher Düsternis. Letzter Akt eines Dramas. Beginn eines Traumas. So geht es ihm durch den Kopf, am Ende des Zeithorizonts angelangt, in den er sich verrannt, zeitweise gar fremdartig verliebt hatte - in all seiner Ratlosigkeit.

Das soll es also gewesen sein. Gab´s nicht auch die vierzig DDR-Jahre, die die anderen Deutschen erlebt und ertragen, manchmal durchlitten hatten? Vor mehr als zwanzig Jahren wurden sie, meist willig und erwartungsvoll, in die neue Zeit hineingekippt. Mussten sich neu orientieren - nolens, volens. Manche schafften es, andere weniger gut, manche schlecht, manche bis heute nicht. Wenn vierzig Jahre verlorene sind, dann auch seine dreißig. So räsoniert er. Oder ist es anders? Jeder schafft sich doch seine eigene Nischenwelt. Ähnlich hatte auch er sich in den letzten Jahren kommod eingerichtet und seine Innenwelt geöffnet. Wie im Großen dort, so im Kleinen hier.

Überall stapeln sich Umzugskisten und Kartons. Etliches hat sich in langen, gemeinsamen Jahren angesammelt. An Habe und Beschwernis. Von beidem nun bald befreit, mindestens zur Hälfte. Und keine Wehmut bleibt zurück. Keine.

Motorengeräusche. Tageshelle wagt sich wieder durchs Fenster. Der Gang durchs stille, halbleere Haus. Das Ausharren vor dem Spiegel. Das Erinnern an Stunden täglichen Verweilens davor. Anfangs hatte er es als ihren Ausdruck, ihre Methode, ihre Rüstzeit gedeutet, um Anmut, Liebreiz entgegenzubringen. Bis er - viel zu spät - merkte, dass sich die Handlungen verselbständigt hatten ... Langes Sinnen, Zögern, Sich-bewusst-Werden, dann auch der eigenen, diesmal zu großen Verweildauer vor dem Spiegel beim hilflosen Blick ins eigene Selbst.

Eilig entfernte er sich.


Anmerkung von loslosch:

The day after.

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Kommentare zu diesem Text


 irakulani (25.07.12)
Bittersüß, dein Text, loslosch.
Freude darüber, dass es - endlich - soweit ist, aber zugleich die Frage, sind die vergangenen Jahre verlorene Jahre (das sind sie nie, davon bi ich überzeugt!)? Schmerzlicher und zugleich freudiger Abschied, loslassen vertrauter, stumpfer Gewohnheiten und Triumph, sich daraus endlich befreit zu haben, das lese ich aus deinen Worten - und kann sowohl das Eine wie das Andere nachempfinden.

L.G.
Ira

 loslosch meinte dazu am 25.07.12:
ja, ja, ja. lo

 Bergmann (25.07.12)
Ausgezeichnet, mein Lieber!
Der Vergleich mit der DDR ist doppelt schön gelungen, so rum und so rum.
Du kannst richtig gut schreiben, auch gut erzählen.

Ich bin jetzt bis Mitte August auf Sommerreise.
Dann sehen wir uns wieder.
t. t. U.

 loslosch antwortete darauf am 25.07.12:
ja, uli lo

 EkkehartMittelberg (25.07.12)
Ein ganz anderer Text von dir, Lothar, der für mich fast immer den Eindruck von souveräner Distanz vermittelt. Nicht so hier. Es zeigt sich ein verletzlicher Mensch, verletzlich, wie wir es alle mehr oder weniger hinter der Maske von Souveränität sind. Aber diese Verletzlichkeit muss man auch ausdrücken können. Das ist dir sensibel gelungen. Sehr sogar!

 loslosch schrieb daraufhin am 25.07.12:
danke, ekki lo
Regentrude (52)
(25.07.12)
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 loslosch äußerte darauf am 25.07.12:
ja, trude lo

 princess ergänzte dazu am 25.07.12:
Mag ich. Sehr.

 loslosch meinte dazu am 26.07.12:
danke, ira lo
MarieM (55)
(25.07.12)
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 loslosch meinte dazu am 25.07.12:
ja (zum text), nein (zum "öfter ... lesen zu können"). danke, marie lo

 Songline (25.07.12)
Ich bin ja bekennender Prosafan. Wenn dann eine Erzählung so gut ist wie diese hier, freut mich das besonders.
Die Verlorenheit des Protagonisten verliert sich mit dem als Befreiung empfundenen Verlust. Besitz kann auch Angebundensein bedeuten. Von daher begrüßt auch der Leser mit dem wegfahrenden Transporter aufatmend das Sonnenlicht.
Toll gemacht! Ich wünsche mir mehr solche Texte von dir!
Liebe Grüße
Song

 loslosch meinte dazu am 25.07.12:
ja zu deinem kommentar, nein zu deinem wunsch, song. danke lo

 Lala (25.07.12)
In diesem kurzen Text lauern Abgründe. Der Umzugswagen ist allein schon eine Fragwürdigkeit. Zieht da wer um? Nach dreißig Jahren? Zurück bleibt ein halbleeres Haus. Keine Wiedervereinigung. Einer bleibt zurück, niemand kommt zusammen.

Aber anders als bei der heraufbeschworenen und mir seltsam unpassenden „Wiedervereinigung“ vereint sich hier nichts. Hier wird getrennt. Und zwar gründlich.

Auch was ich über diese dreißig Jahre, so spärlich gesät es auch ist, erfahre, lässt mich frösteln. Sie, einen Namen besitzt sie wie er nicht, saß stundenlang vor dem Spiegel. Die Zeit die sie davor verbrachte dehnte sich anscheinend aus. Und in diesem Spiegel schien sie schließlich ganz zu versinken. Analog dazu der geöffnete „Umzugswagen“ – was ein Euphemismus – dessen Schatten gähnend über das Haus fällt. Was passierte in diesen vier Wänden? Der Eine floh in die innere Immigration und die Andere starrte in ihr Spiegelbild. Nicht wochenlang, nein Jahrelang.* Und dann kommt der Umzugswagen?

Etwas ist passiert. Sie ist verschwunden und bedurfte dazu einer Aktion, einer Revolution? Geschah ein Aufbäumen Ihrerseits oder Seinerseits? Oh, das glaube ich nicht. Die Zeit hat sie wohl verschluckt und er ist übrig geblieben. Wieder hineingeworfen in die Zeit, herausgerissen aus seinem eigenen Kokon. Das geschah auch denen, die nur zugeschaut haben oder die Ereignisse im Herbst 1989 verschlafen hatten – soll vorgekommen sein. Die fanden sich ausgespuckt in einer neuen Welt wieder. Aber so ausgespuckt finden sich auch die wieder, die aus einem Koma erwachen und dieses Bild wäre mir passender, als das Bild der friedlichen Revolution.

Oder – und das verlieh der Geschichte einen zynischen Charakter – der Tod spielt hier die Rolle der friedlichen, sanft entschlafenen, Revolution. Und ob der natürlich oder unnatürlich war? Darüber schweigt der Text und der Leser mag sich in einen Abgrund verirren. Umzugswagen? Da zieht keiner um, da räumt einer aus, lässt nichts an sich ran. Auch alle Fragen und mögliche Kritik.

*PS: das Bild gefällt mir und erinnerte mich an eine obskure Story ;)
MarieM (55) meinte dazu am 25.07.12:
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magenta (65) meinte dazu am 25.07.12:
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 loslosch meinte dazu am 25.07.12:
lala´s kommi ist mindestens so lang wie meine prosa. als querdenker wird er sicher bald einen eigenen text zaubern, der jedem plagiatsverdacht standhält. @all: danke lo

 Lala meinte dazu am 25.07.12:
@loslosch
nun zick mal nicht rum hier und genieß die Lorbeern. Und! Wenn ich oben geschrieben habe, es erinnert mich an ... dann nicht weil ich meinte Du hättest Dich anderweitig bedient. So ein Quark. Aber ich erinnere mich sehr gerne an Deine Unterstützung, Du weißt schon wo, und erinnerte mich deswegen an ein Bild, ähnlich wie man sich eines Motives erinnert, einer Pieta - mir fällt grad nix besseres ein -, welches aber vollkomen anders gebraucht und eigenen Ursprungs ist - und trotzdem Ähnlichkeiten besitzt. Nix Schlimmes also. Entspann Dich wieder.

Ganz entspannt:

Lala

PS: Das nächstemal setze ich Dir unter Deine Kurzprosa eine Schnarchomatenlange Kritik. Was soll denn das: Ist länger als ... ? Na und? Wie sollte man denn Peers Texte kommentieren? Umpf und gut? Sowas ...
(Antwort korrigiert am 25.07.2012)

 loslosch meinte dazu am 25.07.12:
du denkst mehr um die ecke, als die polizei erlaubt. allenfalls ließe sich - im nachhinein - eine spitze gegen aron konstruieren. You know.

länger als ... besagt, dass daraus was neues zu posten ginge. also los, an die tastatur. und hau drauf.

mein lob war seeeehr versteckt.

 ViktorVanHynthersin (25.07.12)
Inventur und dann noch die Innenrevision im Haus... gut beschrieben! Gefällt mir ausgezeichnet.
Herzliche Grüße
Viktor

 loslosch meinte dazu am 25.07.12:
ja, viktor. danke lo
magenta (65)
(25.07.12)
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 loslosch meinte dazu am 25.07.12:
ja, ja, ja.

aber das andere darf bitte nicht zum hals raush..., heidrun. danke lo
LudwigJanssen (54)
(25.07.12)
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 loslosch meinte dazu am 25.07.12:
die vorlage stammt, wie du weißt, aus 2009. aus aktuellem anlass (the day after) jetzt die überarbeitete fassung. danke, ludwig. lo

 Didi.Costaire (25.07.12)
Diese Kurzprosa, die ganz anders geschrieben ist als das Gros deiner Texte, ist gut gelungen. Sie enthält ein spannendes Spiel mit Licht und Schatten und zeigt sowohl persönliche Gedanken und Regungen des LyrIs als auch einen übergeordneten Kontext.
Schöne Grüße, Dirk

 loslosch meinte dazu am 25.07.12:
jaja, ganz anders. danke dir(k) lo
janna (66)
(25.07.12)
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 loslosch meinte dazu am 25.07.12:
herzlichen dank, janna lo
wonderland (67)
(25.07.12)
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 loslosch meinte dazu am 26.07.12:
doch. es sollte gelingen, dorothee. danke lo
Scrag (24)
(25.07.12)
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 loslosch meinte dazu am 26.07.12:
wenn junge menschen das beeindruckt, freut mich das ganz besonders. danke, markus lo
AronManfeld (43)
(27.07.12)
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 Lala meinte dazu am 27.07.12:
Aha. Nachkriegsliteratur. Das lässt den Text in einem vollkommen anderen Licht erscheinen. Die Umzugswagen zwischen 45 und 50 die waren ja pausenlos unterwegs zwischen Aron und Manfeld und mussten die Trümmerwitwen in den Trümmern zurücklassen. Schon klar. So eine Ehe ist ja sowas wie der zweite Weltkrieg ohne 8. Mai. Das hast Du gut erkannt.

Wobei, Liebster, wenn das ohne den 8. Mai abläuft ist das ja endlos, oder? Kann aber auch nicht sein ,weil der Umzugswagen, die Müllabfuhr, die Sperrmüllentsorgung im Falle dieses Abschieds ja doch gekommen ist. Vieleicht sogar am 8. Mai?, und den ganzen Schrott mit aufgeladenem Seelenmüll wegschafft? Eher irgendwie doch Kalter Ehe-Krieg? Wo der Feind, der Partner, am Ende, nach vierzig, hier dreißig Jahren, einfach weggestorben ist? Aber der kalte Krieg, der wurde ja erst nach 1950 so richtig warm und dauerhaft. Nachkriegsliteratur war aber da schon wieder Geschichte.

Aber Du hast recht Aron: einen Preis gewinnt loslosch damit nicht, vielleicht aber ein gutes Gefühl? Weil sooooo schlecht ist er ja nu och wieder nicht. Und wenn Du zärtlich zu mir bist, dann streichle ich Dir vieleicht auch bald übers Dichter-Haupt.
(Antwort korrigiert am 27.07.2012)

 loslosch meinte dazu am 27.07.12:
mir auch - bitte!

nachkriegsliteratur? dann aber bis in die gegenwart. wohlstand erzeugt neurosen, nicht wahr?

so, ihr zwei, nun geht mal spielen und zankt euch draußen weiter.

 loslosch meinte dazu am 27.07.12:
wenn Ihr schön artig seid, lese ich euch zur mitternacht ein "modernes märchen" vor. ährlich.
AronManfeld (43) meinte dazu am 27.07.12:
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