Aufrichtigkeit

Anekdote zum Thema Ehrlichkeit

von  loslosch

Ille (illa) dolet vere, qui (quae) sine teste dolet (Martial, ~40 n. Chr. bis ~103 n. Chr., Epigrammata). Jener (jene) trauert aufrichtig, der (die) ohne Zeugen trauert.

Dieser Gedanke ist nachvollziehbar, einleuchtend, überzeugend. Stimmt auch das Gegenteil (sich kümmern, hegen und pflegen - statt trauern)? Eine Fallstudie: Die Enkeltochter besucht ihre jahrelang unbeachtete, vernachlässigte, nunmehr an Demenz erkrankte, betuchte Oma im Altenheim. Sie kümmert sich rührend um die alte Dame, betütert und umsorgt sie. Der Heimleiter, wohl wissend, dass ein verwandtschaftlicher Konflikt zwischen dem Sohn der Demenzkranken und dessen Tochter (Enkeltochter) schwelt, beginnt die Besuche der Enkelin heimlich zu observieren. Nach einiger Zeit hat er sich davon überzeugt, dass die Enkelin ihre Großmutter aufrichtig liebt. Zitat: "Ich habe sie aus dem Augenwinkel beobachtet."

Trockene Erwiderung des Sohnes der an Demenz Erkrankten: "Sie könnten sogar das Licht ausschalten. Die würde ihre Oma im Dunkeln weiterfüttern. Die Enkelin will doch was von ihrer Grandma. Am liebsten würde sie der alten Dame  die Häppchen mit den Fingern reinschieben."

Die "Umkehrung" ist in concreto nicht korrekt, denn die Oma hat noch eine partielle, wenn auch verzerrte Wahrnehmung.


Anmerkung von loslosch:

Ganz wie im richtigen Leben.

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Kommentare zu diesem Text

AchterZwerg (65)
(01.11.12)
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 loslosch meinte dazu am 01.11.12:
Ich finde den juvenal-spruch schon zutreffend, heidrun. es ist ja nicht gänzlich ausgeschlossen, dass ein öffentlich trauernder echte gefühle zeigt. was natürlich kaum messbar ist. man hat da so sein bauchgefühl. lo

 Lluviagata (01.11.12)
Meine Rede!
Echte Trauer empfindet man tief innen drinnen.
Das sieht niemand - ein schmulender Heimleiter gleich gar nicht ... und überhaupt, was geht es ihn an? Misstrauen wurde erfunden, um empfundene Aufrichtigkeit, nicht aber Gefühle zu prüfen. ;)

Liebe Grüße
Llu ♥

 loslosch antwortete darauf am 01.11.12:
trotz meines ordentliches wortschatzes zwingst du mich mal wieder, im duden zu blättern. schmulen ist ein sehr schönes wort!

wenn eine person im dauerkoma liegt und ein naher angehöriger sich kümmert, ohne dass immer einer zuguckt, so ist das in meinen augen echt. es gibt ja gnadenlose deutsche richter, die einer mutter, die seit mehr als einem jahr den sohn und komapatienten regelmäßig und in dichter folge besucht, die bitte verwehren, die gerätemedizin abzuschalten. las ich vor jahren im SPIEGEL. lo

 Lluviagata schrieb daraufhin am 01.11.12:
Dieses hat dann einen anderen Hintergrund. Leider. :(

 EkkehartMittelberg (01.11.12)
Verliert das Gegenteil an Aufrichtigkeit, wenn man es nach dem lateinischen Spruch "do, ut des." (Ich gebe, damit du gibst) beurteilt?
Ich bin unsicher, Lothar.
LG
Ekki

 loslosch äußerte darauf am 01.11.12:
... Die Enkeltochter besucht ihre jahrelang unbeachtete, vernachlässigte, nunmehr an Demenz erkrankte, betuchte Oma im Altenheim ...

natürlich nicht unbedingt an aufrichtigkeit. aber lies das oben rauskopierte: unbeachtet! vernachlässigt! betuchte oma!

der rheinländer sagt: da kann man dran fühlen ...

deutlicher möchte ich nicht werden, ekki. t.t. lo
Regentrude (53)
(01.11.12)
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 loslosch ergänzte dazu am 01.11.12:
... da die Großmutter in einem Zustand ist, der ihr nicht mehr erlaubt, notariell irgendwas zu verfügen.

das hab ich mal geglaubt, silke. pusteblume! die fährt vllt. die oma zum notar, massiert ihr vorher den rücken. und der notar kassiert ab! zu seiner "sicherheit" liest er die testamentarische verfügung dreimal laut vor und fragt nach jedem halbsatz: wollen Sie das, frau dingens?

schon mal was von "lucida intervalla" gehört? na klar, du sprichst ja spanisch. lolo

ps: wenn dann die patentante der enkeltochter eine familienrichterin wäre, dann ... ja dann!!
(Antwort korrigiert am 01.11.2012)
ichbinelvis1951 (64)
(01.11.12)
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 loslosch meinte dazu am 01.11.12:
hier gehen sogar dem römer die sprüche aus, klaus. obwohl die kameraden das kapitel erbschleicherei sicher schon kannten. lo

 ViktorVanHynthersin (01.11.12)
Die preußische Tugend "Aufrichtigkeit" wurde u.a. auch von den Samurai (Bushidō) als Regel Nr. 1 (Gi) gelehrt und befolgt. Erstaunlich für mich ist, dass die Aufrichtigkeit nicht in den 10 Geboten Einzug gehalten hat. "Du sollst nicht lügen", ist ein bisschen schwach formuliert.
Herzliche Grüße
Viktor

 loslosch meinte dazu am 01.11.12:
ich höre noch meinen studienrat, geweihter priester, sagen: wenn man am telefon sagt, der dingens sei nicht zu sprechen (statt: der ist da, kann/will aber nicht), sei das moralisch ok. danke, viktor. lo
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