Ich kaufe gern bei Amazon

Ansprache zum Thema Literatur

von  toltec-head

Ich kaufe meine französischen Renaissance Vergil Übersetzungen gerne bei Amazon. Oder kürzlich: "Formosissimus Puer, Gedichte auf den Tod des Pagen Alessandro Cinuzzi, 1474". Ich freue mich, dass es bei deren Versand möglichst unmenschlich zugeht. Der Vorteil von Leiharbeitern gegenüber Sklaven ist doch, dass man sieh nicht sehen muss.

Die alten Buchhandlungen waren eine Katastrophe. Ein bebrillter Bartträger unter einem Kafka Poster, der seine Thermoskanne und Käsebrote hinter der Theke versteckt hält. Nein, ich wünsche keine Beratung. Ich wünsche, überhaupt keine Verkäufer zu sehen. Sich als Apotheker aufspielenden Sklaven sind mir ganz generell ein Greuel. Es ist eine gute Sache, dass der Kapitalismus ihnen nun den Garaus macht. Unprätentiöse Leiharbeiterinnen aus Rumänien, deren Wurstfinger in keinem Moment mit meinen Lederrücken in Berührung kommen, wie praktisch!

Die Sache mit den Menschenrechten und der Französischen Revolution wurde seit jeher falsch verstanden. Es ging eigentlich nur darum, dass wir keine Lust mehr darauf hatten, auf unseren von Domestiken verpesteten Schlössern bei der Betrachtung unsere Tizians uns scheel von der Seite beobachten lassen zu müssen. Es war in Wahrheit nicht so, dass die Knechte keine Knechte mehr sein wollten, denn was soll ein Knecht denn anderes wollen können, als ein Knecht zu sein? Nein, wir Herren waren es leid, Herren zu sein. Und deshalb wird es als Konsequenz der Französischen Revolution irgendwann nur noch Leiharbeiter geben. Adieu ihr Thermoskannen und Käsebrote, ihr Bärte und Brillen. Adieu ihr Fräuleins unter Kafkapostern mit gewichtiger Apothekermiene. Endlich bekomme ich meine Bücher ohne euren Gestank.

Aus den Knechten werden im Kapitalismus mit dem Laufe der Zeit also lauter Leiharbeiter. Was aber ist aus uns Herren geworden? Nun, ich bin ein Hartz4-Empfänger. Wenn ich nicht gerad Proust lese, verwalte ich die geschickt am Staat vorbei geschleuste Erbschaft meiner Mutter. Zum Beispiel mit dem Kauf von Amazon Aktien.

"Vitam quae faciant beatiorem,
iucundissime Martialis, haec sunt:
res non parta labore sed relicta
(...)
quod sis esse velis nihilque malis"

"Was das Leben glücklicher macht,
mein Liebster Martialis ist dies:
ein Vermögen, nicht durch mühevolle Arbeit erworben, sondern ererbt
(...)
Was du bist, wünsche zu sein, und wünsche nichts darüber hinaus".

Ja, so sind wir. Wir, die Cäsaren des 21. Jahrhunderts!

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Kommentare zu diesem Text

KoKa (44)
(01.03.13)
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 toltec-head meinte dazu am 01.03.13:
Oder man schreibt besser gleich all seine Bücher selbst :)
Jack (33)
(01.03.13)
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 toltec-head antwortete darauf am 01.03.13:
Da mag sich ja mal der Prof zu äußern. ICH kaufe MEINE Schokolade nicht für 39 Cent.
Gruszka (62) schrieb daraufhin am 01.03.13:
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AronManfeld (43)
(01.03.13)
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 toltec-head äußerte darauf am 03.03.13:
Es reicht doch, lieber Aron, wenn die Marketing-Strategen durch das Lesen deiner Sonette in sich gehen und ein Bewusstseinswandel stattfindet.
parkfüralteprofs (53)
(01.03.13)
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 toltec-head ergänzte dazu am 02.03.13:
Es mag sein, dass ich toll mir nur vorkomme, aber du, mein Lieber, du machst etwas sehr viel schlimmeres, du gefällst dich in Larmoyanz!

Du solltest dich öfters an das schöne Foucault Wort erinnern, das er über sein Leben sprach, als klar war, dass er an AIDS sterben würde. Du hattest es einst zitiert. Ich wollte es immer noch googlen.

Es gibt eben nichts umsonst.

Schau, du hättest doch wirtschaftlich durchaus auf der Gewinnerseite stehen können, wenn du es denn gewollt hättest. Du hattest aber andere Pläne, nachts Cruising, morgens lange schlafen, dann lesen und schreiben.

Du hast es, sag ich dir, und ich mein das ernst, richtig gemacht!

Und du stehst daher durchaus, wenn auch nicht wirtschaftlich, auf der Gewinnerseite. Was beschwerst du dich also?

Und was hast du mit diesen total Loosern von der Linken zu tun? Lässt dir die Welt von irgendwelchen hinrissigen VWLern erkären, als wenn man unter Blickverengung auf die Wirtschaft auch nur irgend etwas ansatzweise erklären könnte.

Du bist ein Kapitalist des Wortes und des schönen Geschlechts. Ich gratuliere dir.

Sing dein Leben, komm dir toll vor, mehr tun die Helden in der Ilias auch nicht .

Nur bitte lass dieses ökonomisch-politische Gewäsch.
(Antwort korrigiert am 02.03.2013)

 Lala (01.03.13)
Amüsant erzählt und überaus konsequent. Nichtdestotrotz - oder deswegen? - handelt es sich bei dem lyrischen Ich um ein formidables Arschloch.

 toltec-head meinte dazu am 02.03.13:
Werd´s dem lyrischen Ich weitersagen. Wahrscheinlich redet es sich wieder mit Ironie heraus :)
parkfüralteprofs (57)
(02.03.13)
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 toltec-head meinte dazu am 03.03.13:
Es scheint sich um eine private Äußerung im Freundeskreis gehandelt zu haben, die schwer zu belegen ist. Sie taucht wohl in der Biogrophie von Miller auf, die ich vor Jahren mal las, und die mich schwer beeindruckte. Auch auf Französisch lässt sich nicht viel mehr dazu googlen. Was ich aber fand, ist eine Rezenzion des Miller Buch, in welchem der Kontext, in dem die Äußerung fiel, dargestellt wird.

http://forum.aufeminin.com/forum/loisirs2/__f9294_loisirs2-Foucault-surveiller-et-punir.html

Die schwulen Happy Few, die in diesem Forum Französisch können und sich für Foucault interessieren, wird es an dieser Stelle vielleicht kalt den Rücken runterlaufen:


"Que Foucault ait jamais compris que ses expériences extrêmes devaient être resituées désormais dans le cadre d'une maladie est une question qui reste ouverte et Miller n'a pas essayé de l'élucider. Il nous rappelle à quel point la compréhension de ce qu'est le Sida a été lente à se développer chez la plupart des gens au tout début des années 80.
Néanmoins, les moments les plus glaçants du livre sont ceux où Miller relate le profond scepticisme de Foucault devant l'énorme évidence scientifique. "Je n'y crois pas", disait Foucault à l'un de ses amis à San Francisco, en se plaignant des homosexuels qui étaient en train de se retourner vers le "pouvoir" médical pour demander de l'aide. A l'automne 1983, après qu'il se fût effondré, moins d'un an avant sa mort, on pouvait encore le trouver dans les lieux de bains et les bars. Il riait de l'idée de safe sex et affirmait à qui voulait l'entendre que "Mourir pour l'amour des garçons: quoi de plus beau ?". Miller considère de telles prises de position chez Foucault comme l'expression d'un attrait pour le suicide. Une interprétation plus plausible est que la suspicion qu'il entretenait à l'égard du "discours" sur la maladie et le regard médical l'avait finalement rendu insensible à une quelconque distinction entre le fatum physiologique et son interprétation sociale. Si l'on croit que tout discours sur la maladie est construit par le pouvoir social et que l'on peut inventer un contre-discours esthétique, il est facile de se convaincre d'une certainé invincibilité. Mais Foucault n'était pas invincible. Miller trouve un tant soit peu "ironique" que le philosophe soit mort du sida, sous contrôle médical dans l'hôpital qu'il avait étudié dans Folie et déraison."
(Antwort korrigiert am 03.03.2013)
parkfüralteprofs (57) meinte dazu am 03.03.13:
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 toltec-head meinte dazu am 04.03.13:
Gewäsch. Wenn einer für Drogen und Sex lebt, können ihm Wirtschafts- und Umweltkatastrophen egal sein. Tu ich zwar nicht, sind sie mir aber trotzdem. Weil ich mich immerhin in jemanden hinein versetzen kann, der für Drogen und Sex lebt. Und meine Meinung ist: Derjenige, der so lebt, lebt richtiger als die um ihre Renten bangenden Angestellten mit ihren Lebensvollkaskoversicherungen. Siehe hierzu auch das obige Faucoult Zitat im französischen Volltext über die Leute in Kalifornien.

Angenommen es gäbe ein VWL-Supercrack, der den Politikern erklärte wie man aus der Wirtschaft einen Club Meditaranée für alle macht, und angenommen es ließe sich realisieren: DAS wäre die absolute Superkatastrophe. Es ist zum Glück, dass es nicht so ist. Wirklich.
parkfüralteprofs (57) meinte dazu am 05.03.13:
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 toltec-head meinte dazu am 05.03.13:
Das Problem ist, dass du kein Französisch verstehst. Der Satz ist nämlich ebenfalls ein Foucault Zitat und steht so in dem oben zitierten Text. Hat er wohl nach einem Forschungstrip in Kalifornien so gesagt: "Es ist verrückt, es gibt Leute dort, die Leben für Sex und Drogen."

Mein Punkt war aber einfach der, dass demjenigen, der für den Moment lebt, die ganzen schönen Theorien über Wirtschaft egal sein können.
parkfüralteprofs (57) meinte dazu am 05.03.13:
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parkfüralteprofs (57) meinte dazu am 05.03.13:
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 Dieter_Rotmund meinte dazu am 12.11.13:
"Tier-Kazett-Fleisch": Begriff gefällt mir gut, vor allem das phoentisierte Akronym!

 toltec-head meinte dazu am 12.11.13:
Seltsam, dass du diesen Thread hochholst, weil ich die Tage mal wieder über Foucault am googeln war. Fand dies über ihn in einem Interview mit Camille Paglia:

Huw Christie: What did you mean when you said of Michel Foucault that if what you'd reliably heard of his public behavior after he knew he had AIDS is true then he should be condemned by any ethical person?

Camille Paglia: People say this was not true, blah blah blah. I'm sorry, I happen to believe it. This information came to me very reliably. There were only two people between me and Foucault. Foucault told a famous gay writer, who told my close friend, who told me, that when he realized he had AIDS, he was so angry that he determined he would take as many with him as he could. He would take as many to death as he could. That he deliberately went to bars and would deliberately have sex with people and not tell them and try actively to take them with him.


Quelle: http://privat.ub.uib.no/bubsy/PagliaAIDS.htm

Strangely enough bekennt Frau Paglia in eben diesem Interview, dass sie zu den sogenannten AIDS-Skeptikern gehöre, also gar nicht glaube, dass das Virus Ursache von AIDS ist. Was sie dann über Foucault sagt, erscheint in diesem Licht ein wenig widersprüchlich. Die Frau ist very strange und vielleicht schreibe ich bald mal ein Tweet über sie.
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