die erste Geschichte des Weisen Piu-Chu

Märchen zum Thema Weisheit

von  kirchheimrunner

Oh wie gerne erinnere ich mich an meine Kinderzeit zurück.

An unser verschlafenes Dorf in der Provinz Yünnan. An die kleinen, bescheidenen Strohhütten, den Bambuswald beim Karpfenteich, den Duft der Jasminblüten, an die sengende Sonne im Juli und den trostlosen Regen in den Frühjahrsmonaten.

Die großen Städte waren fern, und noch ferner war Nanjing, wo unser Kaiser Yong – Le,  auf dem Drachenthron saß und das nirgend wo endende Reich der Mitte regierte.

Das Dorf meiner Kindheit hatte alles verschlafen, was sich in der weiten, großen Welt zugetragen hatte.
Vom Sturm der Mongolen, mit Dschingis als ihren Großkahn, hatten wir erst Generationen später erfahren, als sein Enkel Kublai gestorben war.

Und auch wenn wir es gewusst hätten, ich bin mir sicher, in unserem Dorf währe alles seinen gewohnten Gang gegangen.

Warum das so ist? Nun, bedenkt doch: Vom mächtigen Fluss dem Jangtse, bis zu unserem Dorf, das von der Zeit vergessen hinter ein paar Hügeln mit Teegärten liegt, braucht ein eiliger Reisender mit einem Ochsenkarren weit länger als eine Woche. Darum sagte mein alter Vater immer,
als er vor seiner Hütte saß, den braunen, fast roten Tee unserer Heimat schlürfte:

Mein Sohn, eines darfst du niemals vergessen:
Der große Fluss und die weite Welt hinter ihm, liegt in so weiter Ferne … wenn du nun losziehst und du dann endlich die große Welt gefunden hast, dann hast du bestimmt schon längst das Dorf deiner Eltern vergessen! Du findest nie mehr hierher zurück!

Darum bleibt mir jetzt, wo ich diese Zeilen unter Tränen schreibe, auch nur noch die Erinnerung an mein Dorf. Mein Vater hatte Recht. Dorthin zurück finden, werde ich wohl niemals mehr.


Dies alles muss ich euch erzählen, damit ihr versteht, warum sich die Geschichten im Dorf meiner Kindheit genau so – und nicht anders, zugetragen hatten.

Als ich klein warlebte am Rande unseres Dorfes der alte Meister Pui – Chu. Er wohnte in einer ärmlichen Hütte aus Stroh. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich mit dem ehrenwerten Handwerk des Bettelns. Und er übte sein Handwerk gut und zur Zufriedenheit aller aus.

Durch ihn entstanden die schönsten Gegenstände, die ihr euch nur ausmalen könnt: Barmherzigkeit, Wohlfahrt für alle, ein gutes Gewissen für die Reichen unter uns, und vieles, vieles mehr, - das ich leider vergessen hatte.

Ich sehe den alten Pui – Chu noch ganz genau vor mir, als sei es erst gestern gewesen. Vor seiner Strohhütte, die Reisschale zum betteln in der Hand, saß er auf einem Schemelchen und lächelte froh. Tee dampfte aus einer Tontasse und eine Unzahl lästiger Fliegen um schwirrten sein Gesicht.

Pui – Chu hatte einen beschränkten Horizont, würdet ihr sagen. Er war nicht weit gereist!
Du liebe Zeit! Niemals war er auch nur einen Schritt aus seinem Heimatdorf herausgekommen. Die Weiteste Strecke die er zurücklegte maß sich daran,
wie weit er hin- und zurück laufen konnte, ohne dass der Tee in seiner Trinkschale kalt geworden währe.

Und in dieser Zeit schaffte er es leicht und ohne Mühe, zum reichen Mun–Yong dem Mühlenbesitzer zu gehen, um ihn um ein paar Münzen für die Ärmsten der Armen zu bitten.

Also, warum um alles in der Welt, sollte er in der Ferne ein ungewisses Glück suchen? Ganz im Gegenteil, ab und zu, so alle heiligen Zeiten, wie wir sagen, - kamen sogar Wanderer, - fromme Pilger, und sehr selten auch reiche Fürsten in unser Dorf, um sich von unserem Meister Pui Chu Rat zu holen.

Vor Jahren also kam vom weit im Osten ein Mandarin, ein Fürst des Klosters Mai – Kong in unsere Gegend. Wie es bei Mönchsfürsten Sitte war, ritt er auf einem braunen Büffel.

In fromme Gebete versunken, und doch stolz vor Würde – und mit erhobenem Haupt, kam er thronend wie ein Heiliger auf seinem Reittier über die Berge. Xing Fu, der erste der Fürsten, so war sein Name.

Wir Kinder liefen auf dem Dorfplatz zusammen um den vornehmen Fremden zu begrüßen und fragten uns alle, was dieser hohe Besuch wohl zu bedeuten hätte. Wohin wollte er wohl? Ritt er doch geradewegs zu der schäbigsten Hütte unseres Dorfes. Zu Meister Pui – Chu.

Wir wunderten uns sehr, als vornehme Fürst von langsam von seinem trägen Büffel herunter rutschte und sich tief vor unserem armen Meister verneigte.

Der aber sah hoch, blinzelte bloß und schlürfte weiter an seinen Tee. „Weiser Pui- Chu", hob der weit gereiste Fürstensohn seine klare Stimme:
"Ich kam vor unzähligen Jahren zu euch und erbat mir einen kostbaren Rat.

Wie und wo – könnte ich finden
von den Göttern den Mächtigsten?"
Nun nach all den Jahren, habe euch zu danken für eure kluge Tat,
für das Gebet
und den weisen Rat;

...Nämlich zuerst die Sterne des Himmels zu zählen,
(es dauerte länger als eine Nacht....)
Jahre, Jahrzehnte habe ich damit verbracht; -
dann erst
unter den Göttern den stärksten zu wählen.

Ehrwürdiger Pui – Chu,
sagte Xing Fu, der Fürst aus dem Osten,
nun habe ich gefunden im Himmel,
von den Göttern – den Größten:

Jetzt war sogar der Alte interessiert, drehte den Kopf zur Seite, stützte sich auf seinen Stock und erhob sich langsam. „Was ihr nicht sagt, weiser Xing Fu! Dann lasst es mich doch wissen, wie ihr zu dieser Erkenntnis gekommen seid!"

(Uns Kindern stockte der Atem! Aber keine zehn Ochsengespanne hätten uns aus unserem Versteck hervorgezerrt.)

Nun hört, weiser Piu Chu. Himmelhohe Berge habe ich bestiegen, und bin in die Tiefen des Ozeans getaucht. Auf den Wellen des Jangtse bin ich bis in den fernsten Osten gefahren. Das Glück bei den Frauen, den Wohlstand – Macht und Ruhm habe ich gewonnen.

Aber den mächtigsten der Götter konnte ich nicht finden.

In mir, in mir selbst fand ich,
was ich suchte:
Erst durch Gebet, Kasteiung und nach nächtelanger Versenkung wurde mir Erleuchtung zu teil:

Ich rief zum Gott in meinem Herzen:
Ich bat ihn um Demut:
er spendete sie mir.
Ich forderte Glauben, -
nun siehst du mich hier,
Berge kann ich mit Glauben versetzen
Aber alter Piu Chu,
willst du dich nicht setzen?

Bescheiden hob der Fürst die Hand, senkte den Kopf, strich sich über Bart und Seidengewand.



Ich flehte um Einsicht,
und ich fand das ewige Licht!

Pui – Chu, du weiser und gütiger Mann;
Ist er nicht stark mein Gott
Und viele Spenden Geldes wert?
Dass man ihn anbetet, opfert und ehrt?

Denn – alles was ich mir wünschte,
gab er mir hin!

Pui – Chu aber, der arme Meister saß wieder in seiner Hütte aus Stroh, die Reisschale zum betteln in der Hand, lächelte er froh:


Schwach ist er, dein Gott,
mit erbärmlichem Mut;
sei steht’s vor ihm auf der Hut
weil er, - obwohl Herrscher über die Himmelsschar,
nicht einmal Sieger über deine Wünsche war!
Alles was du dir wünschst hat er dir erfüllt.

So sage ich nur ein Wort zu dir, höre gut zu:
Dein Gott ist nicht im Himmel,
dein Gott bist
DU!

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Kommentare zu diesem Text


 ViktorVanHynthersin (11.04.13)
Ist der Mandarin auf dem Büffel eine Anspielung auf den chinesischen Philosoph Laozi, der meistens auf einem Wasserbüffel reitend dargestellt wird? So oder so, eine kluge und durchdachte Geschichte, die ich mit Freude gelesen habe.
Herzliche Grüße
Viktor
(Kommentar korrigiert am 11.04.2013)

 kirchheimrunner meinte dazu am 12.04.13:
Tatsächlich, Viktor... du hast recht. Die Anspielung auf Laozi ist bewusst. Allerdings: Laozi ritt auf einem weissen Büffel. Mein Mandarin musste sich mit einem braunen Reittier zufrieden geben. Mein Mandarin war hochmütig, Laozi demütig.

Danke dir fürs Lesen. L.G. Hans
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