kV als Darkroom der Literatur

Essay zum Thema Ewig/ Ewigkeit

von  toltec-head

Schon mal darüber nachgedacht, woher das schale Gefühl kommt, wenn man einen Text gepostet, sich über die Kommentare gefreut hat und am nächsten Tag das Ganze Revue passieren lässt?

Internetliteraturforen sind Darkräume der Literatur.

Was treibt Menschen eigentlich dazu, ihre intimsten Gedanken in Gedicht- oder anderer Textform wahllos anderen zu offenbaren? Die wahllose Offenbarung von Geschlechtsteilen ist die fleischliche Promiskuität. Die wahllose Offenbarung der eigenen Texte aber die geistige. Welche ist wohl die verwerflichere?

Es betritt ein Jüngling den Raum. Er ist an sich ganz Romantik und weiß, dass dies nicht gut ist, was er tut: seine "Einsamkeit", seine "Liebe", sein "echtes Begehren" in die Welt hinauszuposaunen. Für die alten Kröten, die verborgen in den Ecken lauern, ist er ein umso gefundeneres Fressen. Der Jüngling verrichtet schnell und mit schlechtem Gewissen sein Geschäft. So schnell wird man ihn hier nicht wieder etwas posten sehen. Die alte Kröte begibt sich in ihre Ecke zurück und grunzt.

Man stellt sich Darkroom-Sex immer als besonders intensiv vor. Das Gegenteil ist der Fall. Er gleicht den Kommentaren zu Texten auf Internetliteraturforen. "Gern gelesen", "Hihi", "schöne Grüße", "Dein Bernd". Es regieren die Gesetze der Flüchtigkeit, des nur vorgetäuschten Interesses und des schlechten Gewissens.

Für Paulus war klar: Die fleischliche wie die geistige Promiskuität sind eine schwere Sünde. Aber die geistige Promiskuität ist für Paulus dabei die viel schwererer Sünde. Warum? Weil das Fleisch eh unrettbar verfallen ist. Allein der Geist ist göttlicher Natur. Und es ist daher die Prostitution des Geistes , die einen erst wirklich für die Hölle qualifiziert. 

Wer die Hölle kennen lernen will, der begebe sich nicht in einen normalen Darkroom. Er wird enttäuscht sein. Er begebe sich in ein Internetliteraturforum, platziere sich unter die alten Kröten und versuche auszuhalten. Wer am Ende des Abends den Raum reinen Geistes verlässt, dem winkt das Himmelreich.

Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren

Kommentare zu diesem Text


 Lluviagata (28.04.13)
Schreiben um des Schreibens Willen. Aus Freude am Klang, am Mitteilungsbedürfnis, an der Gewissheit, jemanden mit seiner Poesie zum Lachen oder Weinen gebracht zu haben. Aus Angst, geistig zu verarmen.

So man Kröten und Spanner aushalten kann, lebt der Darkroom.

Liebe Grüße
Llu ♥

 toltec-head meinte dazu am 28.04.13:
"So man Kröten und Spanner aushalten kann, lebt der Darkroom."

Und kein Taliban den Raum betritt und eine Bombe platzen lässt :)

Danke für Kommentar. Toltec.
Jack (33)
(28.04.13)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 toltec-head antwortete darauf am 28.04.13:
"Schweigetaten" - aber bitte ruhig in Form von "Speechacts", Jack. Ich würde deine Stimme hier sonst vermissen und ein weiterer Aderlass an der falschen Stelle wäre fatal.
Jack (33) schrieb daraufhin am 28.04.13:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 W-M (28.04.13)
sehr interessante gedanken, lieber toltec. ja, das internetz ersetzt auf eine gewisse weise die schreibtischschublade, das tagebuch oder das eigene poesiealbum. einsamkeit ist dabei ein sehr gutes stichwort. die anonymität des netzes scheint die hemmschwelle der schreibenden stark herabzusetzen. natürlich ist das netz nicht wirklich anonym, die hemmschwelle auch im realen leben gegenüber mitmenschen oft nur knapp über dem boden, meist jedoch weit unter der gürtellinie. das sind zeiterscheinungen. religiöse eiferer (oder fanatiker?) wie paulus wussten schon damals nicht, was hemmungen sind und prostituierten sich für ihre sache, von der sie glaubten sie sei die einzig richtige und wahre (paulus selbst kämpfte erst vehement gegen das christentum, nach seiner bekehrung vehement dafür). dass das fleisch verfällt stimmt auch nur zum teil, schließlich glauben christen auch an eine leibliche auferstehung?! also sollte sich auch das fleisch etwas mehr anstrengen. aber das ich in literatur ist nicht zwangsläufig das ich des autors, insofern kann ich literatur nicht als geistige promiskuität sehen. eine mündliche überlieferung von geschichten und versen gibt es schon lange nicht mehr, alles wird aufgeschrieben, protokolliert, und seit gutenberg gedruckt, seit dem netz zigfach vervielfältigt, obwohl es den text ja nur einmal gibt, dieser also eigentlich ein original ist. ob es den autor gibt? doch, einen autor gibt es, in der regel einen unbekannten, einen anonymen. selbst wenn ich nur für mich schreibe, wundere ich mich manchmal schon nach zwei tagen über den autor, glaube, ihn nicht zu kennen: das soll ich geschrieben haben? insofern ist literatur, insbesondere lyrik noch eines der letzten weltwunder, wie du sehr schön erkannt hast.

P.S.: eines nur: entweder nimmst du für darkroom den richtigen englischen plural darkrooms, oder du sprichst gleich von dunkelkammern für die entwicklung der texte zum negativ oder zum abzug, dem positiv (jetzt mal rein altmodisch beim fotographischen zu bleiben, not digital).

 toltec-head äußerte darauf am 28.04.13:
Oder vielleicht "Darkruhme"? Hm... Klänge dann ein wenig nach mannemvorne. Danke W-M für diesen tiefgründigen Kommentar. Die Details der Auferstehung sind mir auch nicht bekannt. Ich glaube von Herrn Ratzinger gibt´s sogar eine Monographie darüber. Paulus spricht vom "soma psychikon", also geistigem Körper, der aufersteht. Der alte Adam wird´s also wohl nicht sein. Aber du hast wahrscheinlich Recht, ein bischen sollte man sich wohl auch trotzdem in diesem Leben benehmen.
eilika (33)
(28.04.13)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 toltec-head ergänzte dazu am 29.04.13:
Man sieht die alten Kröten nicht immer und Paulus ist doch ein wichtiger Autor :)
eilika (33) meinte dazu am 29.04.13:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
Nimbus (38)
(23.06.13)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram