Ein alter Baum

Erzählung zum Thema Veränderung

von  loslosch

Annosa arbor non transplantatur (zitiert nach H. Walther, Lateinische Sprichwörter und Sentenzen aus dem Mittelalter). Einen alten Baum verpflanzt man nicht.

So sprach die ältere Dame im Jahr der olympischen Spiele in Helsinki. Sie lebte in einem ärmlichen Haus, einer Kate, mit drei Zimmern und einer Küche. (Toilette auf dem Hof.) Gut gerechnet 55 qm, für eine Einzelperson respektabel. Zeitsprung zurück ins Jahr 1918: Der 40-jährige Ehemann an der Front, zuhause die treusorgende Mutter mit sieben Kindern im Alter von eins bis siebzehn, in ebendiesem Häuschen. Das jüngste der Kinder im Heimaturlaub gezeugt. (Standard im I. und noch im II. Weltkrieg.) Fürs späte Jahr 1918 war die Heimkehr des frontmüden Vaters angekündigt. Dann die Hiobsnachricht: Der Pferde-bespannte Konvoi war auf eine Mine gefahren. Viele Tote, darunter der Vater der sieben Minderjährigen und Ehemann der jetzt Alleinerziehenden. Den Hinterbliebenen standen 7 qm Wohnfläche pro Nase zur Verfügung, mit dem Vater wären es nur 6 qm gewesen. Was daran ist sensationell? Nichts Heute noch leben in China in Ballungsgebieten mancherorts sechs Personen auf 30 qm zusammengepfercht.

Einen alten Baum verpflanzt man nicht, Anni. Das sagte die 73-jährige zu ihrer Schwiegertochter. Selbige wohnte zu dritt auf 36 qm zur Miete, für jeden also 12 qm. Mit der Großmutter wären es nur 9 qm gewesen.

Der elfjährige Enkelsohn wird den weisen Spruch seiner Großmutter zeitlebens nicht vergessen können.

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Kommentare zu diesem Text

Graeculus (69)
(31.05.13)
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 loslosch meinte dazu am 31.05.13:
trotz des WK II: erstaunlich viele deutsche, die bis ins hohe alter nur eine einzige wohnanschrift haben. anno 2009 schrieb ich:  Semper eadem ... etwas geflunkert. die dame wurde 82. als ich das gedicht rahmen ließ, meinte eine kundin im laden: meine mutter lebt seit 85 jahren am selben platz.

so, ich werde gleich meinen sitzplatz wechseln. lo
Graeculus (69) antwortete darauf am 31.05.13:
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 TrekanBelluvitsh (31.05.13)
Es ist aber auch die Frage, ob es einem jungen Baum immer so gut tut verpflanzt zu werden, Olympische Spiele hin, irgendwelche Kriege her...

 loslosch schrieb daraufhin am 31.05.13:
ja, der wechsel unter zwang ist meist - nicht immer, zb der wechsel zum fernen studienort - vom übel. lo

 niemand (31.05.13)
Ich denke, dass der vom Leben Gebeutelte (wie auch immer - und gebeutelt kann/wird man immer irgendwie und das ohne dass es einen von Ort zu Ort schlägt) der Gebeutelte (im Lebens Rauf und Runter) sehnt sich nach ein wenig Beständigkeit/Festigkeit, nach etwas auf das er sich verlassen kann. Somit ist ihm ein beständiger Ort, sei es die selbe Wohnung ein Leben lang, oder der selbe Wohnort/Heimatort was wert. Es ist ein selbstausgemachtes "Festes/Beständiges" an das er sich klammert. Etwas behalten können im unbeständigen Leben,
danach sehnt sich der Mensch, besonders der ältere.
Ausnahmen sind natürlich immer möglich: Die steten Abenteurer, die es nicht aushalten auf einem Platz, die sogenannten Unruheständler bei denen ich mir auch nicht sicher bin, ob sie nicht eine Macke haben in Richtung Lebensgier etc. Ich glaube nicht daran, dass der Mensch so leicht loslassen kann/will, wie er oft zwangsweise muss.
Es sei denn er hängt an nichts, dann ist er immer für etwas offen, dann lebt er im steten Durchzug. LG niemand

 loslosch äußerte darauf am 31.05.13:
heute ist dem nirwana das altenheim vorgeschaltet. man kann nur noch einen bruchteil der sachen beim umzug mitnehmen. gute vorbereitung auf das nichts. na, vor unserer zeit waren wir ja auch ein nullum ... lo

 ViktorVanHynthersin (31.05.13)
Der alte Baum scheut die junge Axt )
Herzliche Grüße
Viktor

 loslosch ergänzte dazu am 31.05.13:
das lyrIch mit seiner deutungshoheit: der alte baum scheut auch die reifere axt ... lo
ichbinelvis1951 (64) meinte dazu am 31.05.13:
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 loslosch meinte dazu am 31.05.13:
mehr beinfreiheit ...

sagt auch peer steinbrück. der ist mit 66 im rentneralter und muss es ja wissen. lo

 niemand meinte dazu am 31.05.13:
Mir bietet sich das Bild der jungen, allzu übermütigen Äxte,
die "Freiraum!" schreien und alle nicht mehr jungen Bäume fällen, nur, es dauert halt ziemlich lang, bis ein Baum groß wird und genügend Blätter besitzt um gute Luft zu machen.
Und dann stehen sie "jungen Äxte" da und tönen in ihren Freiraum hinein, weil das Klima schlechter geworden ist. Man sieht es ja wohin z.B. das Schreien der "jungen Äxte" nach Luxus und Wohlleben führt. Die Axt im Wald tobt sich halt gerne aus, ungeachtet der Auswirkungen.
Eine Axt ist nur dann gut, wenn sie von jemandem mit Hirn
geführt wird ... ansonsten droht Kahlschlag. LG niemand

 EkkehartMittelberg (31.05.13)
Manchen jungen Menschen täte die Bereitschaft gut, sich verpflanzen zu lassen, wenn attraktive Arbeitsplätze, zu weit für An- und Rückfahrt, winken. Mangelnde Flexibilität verhindert es zu oft.
Auch alte Menschen würde ein Ortswechsel als geistige Auffrischung beleben. Aber sie lehnen das, mehr noch als junge Menschen, ab. Sind sie bequemer? Ich vermute, dass sie ihre Kräfte gegenüber neuen Herausforderungen richtig einschätzen. Einen alten Baum verpflanzt man nicht.

 loslosch meinte dazu am 31.05.13:
ich hab weiter oben auf fälle heilsamen zwangs (studium auswärts) verwiesen. bietet sich in der folge auch für den 1. arbeitsplatz an. ich habe mehr als ein dutzend umzüge hinter mir. max. einer folgt noch: ins "betreute" wohnen ...
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