Carpe Diem

Kurzprosa zum Thema Alltag

von  Bluebird

Es war drei Uhr morgens als wir an meiner Haustüre angelangten. Hinter uns lag ein längerer Spaziergang durch die nächtliche Heimatstadt. Die letzte Stunde hatten wir über den christlichen Glauben gesprochen. „An so einen Gott, der als dem Elend hier zusieht, und obendrein noch Menschen in die Verdammnis schicken will, kann und will ich nicht glauben“, lautete sein Credo.

Ich hatte ihn versucht durch Argumente und persönlich erlebte Geschichten zu überzeugen. Vergeblich! Nun sagte er: „Wenn die Sache mit dem christlichen Glauben stimmen würde, müsste man das den Christen ihre Verbundenheit mit Gott nicht mehr abspüren?“ Ich schweige einen Moment leicht betroffen. Dann antworte ich: „Das Nietzsche-argument. Warum sehen die Christen nicht erlöster aus? Tja, da ist leider wirklich etwas dran.“ Ich reichte ihm die Hand: „Komm gut nach Hause, Frank!“

Ich war auf dem Sofa bei laufender Radiomusik eingeschlafen, zwei Stunden später wieder aufgewacht, hatte einen Kaffee getrunken und wollte mich gerade wieder hinlegen, als auf einmal „Carpe Diem“ (Pflücke denTag) an mein Ohr drang. Kam es aus dem Radio, von draußen durchs halbgeöffnete Fenster oder geschah es nur in meinem Kopf.

Leicht irritiert begann ich nachzudenken. Warum eigentlich nicht? Ein schöner Tag mit viel Sonnenschein war angekündigt. ideal für eine kleine Fahrradtour Ich packte meinen Rucksack und fuhr wenig später los.

Ich hatte kein bestimmtes Ziel, ließ mich einfach treiben. Folgte meiner Intuition, Impulsen und kleinen Fingerzeigen  Schließlich entdeckte ich in der Nähe des Rheins einen kleinen, von Brombeersträuchern eingesäumten, Schleichpfad. Plötzlich bin ich auf einer Brücke, fahre über den Rhein, gelange in die Nachbarstadt.

Ein Stück Kuchen und eine Tasse Kaffe auf der Dachterrasse eines Kaufhauses, angenehmer Wind und interessante Lektüre, lausche unauffällig dem Gespräch zweier Jugendlicher, die sich wohl zum gemeinsamen Lernen getroffen hatten. Ein großer Kluger mit tiefer Stimme und ein kleinerer Hübscher,  was die Beiden wohl verband?

Ich wandere rüber in die Stadtbibliothek und habe Glück: Bücherverkauf. Für sechs Euro erwerbe ich vier Geoepoche-hefte. Ein echtes Schnäppchen für einen Geschichtsafinen wie mich. Ich will gerade wieder die Bibliothek verlassen, da sehe ich es und weiß im gleichen Augenblick: Das ist es!

In einem Karton mit der Aufschrift„Zur kostenlosen Mitnahme“ liegt ein einziges, gut erhaltenes Buch. Ich greife es heraus, lese den Titel: „Die späte Ernte des Henry Cage“. Ich lese die Rückseite des Paperbacks, blättere im Buch ... gutes Layout ... große Buchstaben. Alles passt. Und auf einmal ahne ich , dass dieses  Buch vielleicht der eigentliche Grund für das „Carpe diem“ und meine kleine Fahrradtour gewesen sein könnte.

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Frühere bzw. ältere Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (03.07.13)
Ach herrje, Leibniz' Theozidee-(schreibt man das so?)-Frage als Spaziergangsthema und Einstieg in die Geschichte!

Das Verb "abspüren" ist mir unbekannt.

Trotzdem gerne gelesen, auch wenn der Text recht betulich ist.
(Kommentar korrigiert am 03.07.2013)

 Bluebird meinte dazu am 03.07.13:
Theodizee [teodiˈʦeː] (frz. théodicée, altgriech. θεός theós ‚Gott‘ und δίκη díke ‚Gerechtigkeit‘) heißt „Gerechtigkeit Gottes“ oder „Rechtfertigung Gottes“. Gemeint sind verschiedene Antwortversuche auf die Frage, wie das Leiden in der Welt zu erklären sei vor dem Hintergrund, dass Gott einerseits allmächtig, andererseits gut sei. Konkret geht es um die Frage, warum Gott das Leiden zulässt, wenn er doch die Potenz ("Allmacht") und den Willen ("Güte") besitzen müsste, das Leiden zu verhindern. Der Begriff ‚Theodizee‘ geht auf den Philosophen und frühen Aufklärer Gottfried Wilhelm Leibniz zurück[1]. (aus Wikipedia)

Nun, so ist das oft mit nächtlichen Gesprächen unter "Freunden". Da werden "letzte Fragen" berührt, ohne vielleicht zu abschließenden "Ergebnissen" zu kommen.
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