Ich, der Halleluja-Bruder

Erzählung zum Thema Glaube

von  Bluebird

Noch während der Zeit, wo John bei mir wohnte, war ich - zusammen mit einem Team aus dem Jesushaus für fünf Tage nach Frankfurt auf den dort stattfindenden evangelischen Kirchentag gefahren.  Dort hielten wir an einem Morgen in der Paulskirche eine evangelistische Veranstaltung ab, wo ich von meiner Bekehrung zum christlichen Glaubenöffentlich sprach. Ich hatte den Eindruck gehabt, dass es sehr gut bei den Zuhörern angekommen war.

Am nächsten Tag wanderte ich durch die Frankfurter Innenstadt und setzte mich irgendwann in ein kleines Cafe. Ich bestellte einen Kaffee und begann in der ausliegenden Tageszeitung (die mit den vier Buchstaben, eigentlich nicht mein Niveau) zu lesen.
  Auf Seite 5 im Regionalteil angekommen, der Kaffee war schon halb ausgetrunken, stutzte ich auf einmal.  Wie Heiner zu den Hallelujabrüdern fand, stand da in dicken Lettern geschrieben. Ich las die ersten beiden Sätze und dann war klar, dass es ging um mich und meinen Auftritt vom Vortage ging:

Gestern auf dem Kirchentag im Rahmen eines sogenannten charismatischen Gottesdienstes, betrat ein junger Mann die Bühne, ging ans Mikrofon und stellte sich als Heiner aus Düsseldorf vor. Was dann  folgte, war an Absurdität und Lächerlichkeit kaum noch zu überbieten!
OK, der Schreiber des Artikels und ich würden sicherlich in diesem Leben keine Freunde mehr  werden.

In meiner Erinnerung ließ ich noch einmal die Dinge vom Vortage Revue passieren. Klaus-Dieter P., unser Pastor, hatte mich vor dem Gottesdienst gebeten, ein kleines Glaubens-Zeugnis zu geben. „Etwa zehn Minuten lang, das schaffst du schon“, hatte er meine Bedenken zu zerstreuen versucht.
    Als  ich dann wenig später oben auf der Bühne stand und in die bis auf den letzten Platz gefüllte Kirche blickte, war mir einen Moment lang  mulmig zumute gewesen. Aber nach den ersten Worten war meine Unsicherheit wie weggeblasen. Mit fester Stimme hatte ich gesagt: „Der HERR ergriff mich und zog mich aus einer grausigen Grube. Er stellte meine Füße auf einen Felsen. Halleluja, gelobt sei der Name des HERRN!“
    Das war aus dem 40ten Psalm zitiert und dann begann ich zu erläutern, in welch grausige Grube ich geraten war.

Der Artikelschreiber hatte gut zugehört:

Er behauptete doch allen Ernstes mit bösen Geistern in Kontakt gewesen und von ihnen in eine Falle gelockt worden zu sein.
An das Wort Falle konnte ich mich jetzt nicht mehr erinnern, aber man könnte den damaligen Vorgang durchaus so beschreiben.
Kaum zu fassen, dass jemand im 20. Jahrhundert noch an solch einen Unsinn glaubt.  Und das schlimmste war: Die meisten der Anwesenden schienen diese Überzeugung durchaus zu teilen.
In aller Kürze hatte ich von meiner Bekehrung erzählt: „Aber als ich nicht mehr ein noch aus wusste geschahen auf einmal unglaubliche Dinge. Der HERR, der vergessene Gott meiner Kindheit, griff in die bedrohliche Situation völlig überraschend und  präzise ein.  Er befreite mich von jenen Geister, auf die ich mich so leichtfertig eingelassen hatte. Seit jenem Tag glaube ich felsenfest an Jesus Christus! "
 
Ich las weiter in dem Artikel:

Und Gott habe ihn errettet aus großer Not. Aber eigentlich waren es ja wohl doch eher die Halleluja-Brüder  aus dem JESUSHAUS, einer christlichen Sekte mit Sitz in Düsseldorf, die ihm da aus der Patsche geholfen haben. Fragt sich nur, ob er jetzt nicht in einer noch viel übleren Grube als zuvor sitzt.
Als ich meinen kleinen Vortrag mit einem:“ Halleluja! Gelobt sei der Name des Herrn, der auch heute noch große Wunder wirkt!“ geendet hatte, gab es starken Beifall in der Kirche, begleitet von lauten Halleluja- und Preis den Herrn –rufen. Auch dies war vermerkt:
  Bei seinem Abgang von der Bühne brandete ein ohrenbetäubender Applaus auf. Ich verließ die Kirche und war froh, mich wieder in frischer Luft unter einigermaßen normalen Menschen bewegen zu können.

Ich legte die Zeitung beiseite, trank meinen Kaffee aus und zahlte. Als ich die Fußgängerpassage entlang ging, dachte ich: Wenn das der Preis der Wahrheit ist, dann gelte ich gerne als ein Verrückter!


Anmerkung von Bluebird:

Frankfurt 1987
1 hier

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Frühere bzw. ältere Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (12.07.13)
Nun, ich möchte für den Frankfurter Kollegen um etwas Verständnis bitten: Die Auftritte von Erweckungschristen haben immer etwas, das - Wie soll ich sagen? - den unvoreingenommenen Berichterstatter vor ein gewisses Dilemma stellt. Selbst wenn er seinen Artikel rein deskriptiv hält, so wird dann doch nolens-volens eine recht groteske Veranstaltung beschrieben. Ich hätte eher eine Glosse daraus gemacht, aber ich kenne natürlich die Rahmenbedingungen jener Zeitung nicht.

Dass "Hallejua-brüder" (warum das Minuskel am Beginn eines Substantives???) sich im Besitz der Wahrheit glauben ist so ein weiterer Punkt, den man als sorgfältig arbeitender Journalist nicht unbeachtet lassen sollte, finde ich.

Gerne gelesen, der Text spannt sozusagen eine Art Meta-Ebene auf!
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