Justinus Kerner, Gottfried Keller und ich

Gedichtgedicht zum Thema Gedichte/Lyrik

von  toltec-head

Laßt mich in Gras und Blumen liegen
Und schau'n dem blauen Himmel zu,
Wie goldne Wolken ihn durchfliegen,
In ihm ein Falke kreist in Ruh.

Die blaue Stille stört dort oben
Kein Dampfer und kein Segelschiff,
Nicht Menschentritt, nicht Pferdetoben,
Nicht des Dampfwagens wilder Pfiff.

Laßt satt mich schau'n in dieser Klarheit,
In diesem stillen, sel'gen Raum:
Denn bald könnt' werden ja zur Wahrheit
Das Fliegen, der unsel'ge Traum.

Dann flieht der Vogel aus den Lüften,
Wie aus dem Rhein der Salmen schon,
Und wo einst singend Lerchen schifften,
Schifft grämlich stumm Britannia's Sohn.

Schau ich zum Himmel, zu gewahren,
Warum's so plötzlich dunkel sei,
Erblick' ich einen Zug von Waaren,
Der an der Sonne schifft vorbei.

Fühl' Regen ich beim Sonnenscheine,
Such' nach dem Regenbogen keck,
Ist es nicht Wasser, wie ich meine,
Wurd' in der Luft ein Oelfaß leck.

Satt laßt mich schau'n vom Erdgetümmel
Zum Himmel, eh' es ist zu spät,
Wann, wie vom Erdball, so vom Himmel
Die Poesie still trauernd geht.

Verzeiht dies Lied des Dichters Grolle,
Träumt er von solchem Himmelsgraus,
Er, den die Zeit, die dampfestolle,
Schließt von der Erde lieblos aus.
                                  Justinus Kerner.

Dein Lied ist rührend, edler Sänger,
Doch zürne dem Genossen nicht,
Wird ihm darob das Herz nicht bänger,
Das, dir erwidernd, also spricht:

Die Poesie ist angeboren,
Und sie erkennt kein Dort und Hier;
Ja, ging die Seele mir verloren,
Sie führ' zur Hölle selbst mit mir.

Inzwischen sieht's auf dieser Erde
Noch lange nicht so graulich aus,
Und manchmal scheint mir, daß das: Werde!
Ertön' erst recht dem "Dichterhaus".

Schon schafft der Geist sich Sturmesschwingen
Und spannt Eliaswagen an;
Willst träumend du im Grase singen,
Wer hindert dich, Poet, daran?

Ich grüße dich im Schäferkleide,
Herfahrend, - doch mein Feuerdrach'
Trägt mich vorbei, die dunkle Haide
Und deine Geister schau'n uns nach.

Was deine alten Pergamente
Von tollem Zauber kund dir tun,
Das seh' ich durch die Elemente
In Geistes Dienst verwirklicht nun.

Ich seh' sie keuchend glüh'n und sprühen,
Stahlschimmernd bauen Land und Stadt,
Indes das Menschenkind zu blühen
Und singen wieder Muße hat.

Und wenn vielleicht in hundert Jahren
Ein Luftschiff hoch mit Griechenwein
Durch's Morgenrot käm' hergefahren -
Wer möchte da nicht Fährmann sein?

Dann bög' ich mich, ein sel'ger Zecher,
Wohl über Bord von Kränzen schwer,
Und gösse langsam meinen Becher
Hinab in das verlass'ne Meer.
                                Gottfried Keller.

Eine Technik aus demVijnana Bhairava:
Auf dem Boden liegen und in den Himmel starren.
Flugzeuge und Kondensstreifen stören in der Tat.
Aber wie mein Yoga-Lehrer sagte:
Wenn du einmal in eine Übung richtig rein gekommen bist,
Gibt es keine Störung mehr.
Ich war zwar mit 19 kein Rimbaud,
Aber eingebildet,
Und zückte im ICE, die Thermoskannen- und Wurstbrotauspacker fest im Blick,
Gern schon mal die Saison in der Hölle französischer Ausgabe.
Ich bin jetzt beinah 40 und hör den Namen Justinus Kerner zum ersten Mal,
Lese Keller und hab´s endgültig aufgegeben, weiße Haare aus meinen Koteletten zu zupfen,
Werd kein Rimbaud mehr werden,
Aber auch nicht mit 35 jämmerlich an Krebs oder AIDS verrecken,
Denke, dass Kerner und Keller vom Vijnana Bhairava gleich weit entfernt waren,
Komme selten in die Übung rein,
So dass mich Flugzeuge und Kondensstreifen in der Tat stören,
Wie vom Erdball, so vom Himmel ist die Poesie still trauernd gegangen,
Was mich aber nicht hindert, dieses "Gedicht"
Unerleuchtet und kunstlos in einem,
Die Hölle des Netzes hat selbst Rimbaud nicht erahnt,
Intenetliteraturforum zu posten.

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (10.08.13)
Ich kannte weder diesen Kerner noch diesen Keller und habe mich amüsiert.
Manchmal glaube ich auch, dass die Poesie "still trauernd" gegangen ist. Aber sie ist so verdammt stur und kommt selbst dann noch wieder, wenn das Unterste zu oberst gekehrt wird.
Na ja, lassen wir uns herzen, wenn sie kommt. )
Heitere Grüße
Ekki

 toltec-head meinte dazu am 10.08.13:
Schwer zu glauben, dass du Gottfried Keller nicht gekannt haben willst, Ekki. Herzen ist immer gut :)

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 11.08.13:
Kunststück, jetzt fällt mir die Dopeldeutigkeit von "diesen" auf. Ich meinte natürlich dieses besondere Gedicht von Kerner und dieses Gedicht von Keller. Ich freue mich immer, wenn jemand etwas entdeckt, was in den gängigen Anthologien nicht zu finden ist.

 Dieter Wal (10.08.13)
Kerner entdeckte ich per Reclam. Ein 575! S. fetter Auswahlband. Einige Gedichte darin zähle ich zur (besonders) schwarzen Romantik. Seine Neigung zu parapsychologischen Phänomenen scheinen solche Sichtweisen zu begünstigen. Ein in meinen Augen besonders interessanter Autor.

Du hast zwei Gedichte ausgewählt, die in Sachen Poetik korresponderen. Bei Keller wird gar der Elias bemüht. Beide erscheinen mir schrullig. Fast das von Keller noch sonderlicher.

Dass du Rimbaud liest, freut mich. Was er mit besagten Gedichten zu tun haben soll, weiß ich nicht.

 toltec-head schrieb daraufhin am 10.08.13:
Ich fand die Fortschrittsgläubigkeit bei Keller etwas zum Kotzen. Sein Gedicht korrespondiert nicht nur, sondern versteht sich als unmittelbare Replik. Meins ist dann die Duplik. Rimbaud dient nur als Kontrastprogramm. Kerner scheint mir aber doch auch interessant.
parkfüralteprofs (57)
(06.09.13)
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 toltec-head äußerte darauf am 06.09.13:
Falls wir uns doch mal treffen sollten, vielleicht dann im Mörike-Haus in Cleversulzbach? Dort würd ich wirklich mal gern hin. Goethe war ein Idiot. Denn im Goethe-Haus in Weimar war ich mal. In seinem Sterbezimmer im Keller mit kleiner Tür zum Garten hingen, man mag es kaum glauben, Kutschenfahrpläne. Oben die Tizians in Kopie sowie das ganze Gerümpel, das er von Reisen angeschleppt hatte, und unten, wo er sich auf der Flucht vor Familie und Besuchern ja meist aufhielt, also die Kutschenfahrpläne. Das war für ihn wohl enorm wichtig, jederzeit das Gefühl zu haben, ich kann gleich hier weg. Ja, er war Spießer. Bei Mörike denk ich immer, der muss heimlich schwul gewesen sein, zudem noch mit S/M-Neigung (Übersetzung der Anthologia Graeca, Freundschaftskult im Maler Nolten, das Werk strotzt vor S/M-Szenen). Sicherlich ist er der bedeutsamere Dichter, jedoch pummelig, Kerner stell ich mir indes als gutaussehenden Hetero vor; doch, ich will demnächst mal mehr von ihm lesen.
parkfüralteprofs (57) ergänzte dazu am 07.09.13:
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