Schreibe 200-mal Dialektik an die Tafel

Kritik zum Thema Politik

von  Ephemere

Politik wird an dem Tag aufhören, ein lächerliches und ärgerliches Schauspiel zu sein, an dem die Politiker und Parteigänger aufhören, sie als Kampf zwischen Gut und Böse, Richtig und Falsch zu stilisieren.

Es geht um prinzipiell gleichwertige Ideen in Steuerungs- und Verwaltungsfragen, nicht um moralische Überlegenheit. Die Rechten und die Linken, die Liberalen und die Korporatisten - sie sind grundsätzlich gleichermaßen wichtig und gut: eine erfolgreiche Gesellschaft braucht sie alle.

Denn sie ist ein System, und ein System hat vier Grundfunktionen zu erfüllen, wenn es nicht an der Realität scheitern möchte: Zielerreichung, Mustererhaltung, Adaption und Integration. Alle müssen erfüllt sein, große Erfolge in den Einen können keine Defizite in den Anderen ausgleichen.

Man sieht sofort, dass jede politische Richtung Stärken in ein bis drei der Funktionen, aber eine gefährliche Achillesferse in der mindestens einen verbleibenden hat. Überließe man nur ihr auf lange Sicht die Führung, scheiterte das System am Ende an diesem Versagen.

Glücklicher Weise ergänzen sich die Richtungen in ihren Stärken und Fehlern - die dialektische Dynamik zwischen ihnen ist es, die eine Gesellschaft als Ganzes stabil und erfolgreich hält. Keine Richtung vermag dies ohne die Anderen - und sie müssen abwechselnd ein Übergewicht haben, damit das System keine Schlagseite kriegt. Eine Auflösung der Widersprüche in einem statischen Ende der Geschichte oder auch nur ein andauerndes Gleichgewicht ist nicht ein erstrebenswerter Zielzustand, sondern der Anfang vom Ende.

Dass sie eben diesen Wechsel und diese Dialektik ohne Gewalt und Radikalismuus ermöglichen, begründet die fundamentale Überlegenheit von Markt und Demokratie über weniger dynamische, weniger pluralistische Mechanismen. Zu wählen bedeutet zu beurteilen, welche Systemfunktion gegenüber den anderen derzeit gestärkt werden muss, nicht mehr und nicht weniger - Justierung, Feintuning, Gesundheitspflege, nicht die Entscheidung über das Wahre und Gute.

Wer beklagt, sinkende Loyalitäten gegenüber Parteien und Produkten, Wechselwählertum und Cross-Shopping seien Zeichen des Zerfalls, mindestens aber eine problematische Entwicklung fürs System, hat nichts, gar nichts verstanden. Gerade sie nämlich zeigen das hervorragende Funktionieren eines selbstregulierenden Systems in zunehmender Vollendung.

Dass die Wähler und Käufer sich also klüger verhalten als diejenigen, die sie regieren wollen, zeigt, dass es jenen in erster Linie um ihren Narzissmus geht: Je besser sich das System selbst reguliert, desto weniger wichtig ist der Staatsmann und Manager - und verzichteten diese auf ihren Mythos, dass es darum ginge, der Wahrheit und Moral zum Endsieg zu verhelfen, stürzten sie von ihrem lächerlich pathetischen Heldensockel...und würden wieder glaubwürdig, vielleicht gar sympathisch.

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