Gutedel natürlich

Anekdote zum Thema Genuß

von  EkkehartMittelberg

Kennen Sie das Markgräfler Ländle mit seiner Perle Badenweiler? Zauberhaft idyllisch, bisschen provinziell. Friedrich Nietzsche, Thomas Mann, Hermann Hesse, Nehru und Indira Gandhi waren auch mal da, doch das ist lange her. Der Markgraf hat das Zeitliche gesegnet, aber der Gutedel herrscht dort noch immer vor.
Ich war auch mal da, aber nicht wegen des Gutedels, mir ging es um das Thermalwasser.
Am ersten Abend schlendere ich über die Rue de Galopp von Badenweiler, die recht überschaubar ist.
Vor mir stöckeln zwei ansehnliche Damen auf hohen Hacken und teilen der Umwelt ganz frei ihre ersten Impressionen von dem Kurstädtchen mit:
„Es dauert nicht mehr lange und dann werden die Bürgersteige hochgeklappt“, sagt die eine gerade.
„Dazu benötigen sie aber viele Fachkräfte, denn sie schaffen es noch nicht mechanisch“, entgegnet die andere.
„Wie auch immer, meint die erste, „trinken wir noch ein Gläschen Wein; bevor die Nacht einfällt.“
Sie machen einen Schwenk nach links an einen Tisch vor der Tür eines der lauschigen Weinlokale. Ich habe so eine Ahnung, dass da noch etwas kommen könnte, und da die Mitteilungsfreude und Lautstärke der Damen stimmen, setze ich mich neugierig in ihre Nähe. Ich muss nicht lange warten, bis zwei Herren erscheinen und die Damen bitten, bei ihnen Platz nehmen zu dürfen. Sie tragen Spendierhosen und bald steht eine Flasche Sekt steht auf dem Tisch.
Dann dackelt der Wirt zu mir und fragt mich , was der Herr wünschen.
„Was trinkt man denn hier so?“, frage ich, denn ich bin der absoluten Monarchie des Gutedels noch nicht kundig.
„Gutedel natürlich“, sagt er.
Ob er natürlich ist oder nicht, werde ich bald wissen“ entgegne ich und bestelle ein Viertelchen, gut unterhalten durch die charmante Anmache gegenüber.
Der Wirt hängt ein wenig missmutig wie ein schiefes Fragezeichen am Türbalken, denn 5 Gäste sind kein Goldesel, selbst wenn am gegenüber liegenden Tisch die zweite Flasche Sekt geordert wurde. Bedeutet dies doch, dass so bald kein Feierabend für ihn in Sicht ist.
Mein Edel ist inzwischen gut einverleibt und ich winke ihm.
„Was trinkt man denn hier noch?“ frage ich ihn. Sie ahnen es schon: „Gutedel natürlich“, antwortet er.
Da keine weiteren Gäste gekommen sind, schlage ich ihm vor, an meinem Tisch ein wenig mit mir zu plaudern . Wir könnten ja den anderen Tisch gemeinsam im Blick behalten.
Er setzt sich also zu mir, und da ich dem Gutedel nicht gleich verfallen will, bestelle ich einen Grauen Burgunder.
Ich beschließe, dem Wirt ganz naffiniert von nückwärts etwas über Variatio delectat (Abwechslung erfreut ) zu erzählen und frage ihn, welche Musik er höre, wen er morgens aufsteht. „Ach, mein Beruf,“ sagt er, „morgens schlafe ich lange, aber was hören sie denn?“ „Nach dem Aufstehen höre ich Schlager, zum Beispiel ’Wärst du doch in Düsseldorf geblieben’.“ Der Mann  fängt Feuer und will jetzt wissen, was mittags anliegt. „Wenn’s geht, hört meine Frau mich schnarchen, aber das geht ja nicht immer. Dann höre ich beruhigende Programmmusik, zum Beispiel ’Heinzelmännchens Wachparade’“
„Und nachmittags?“ fragt der helle Junge. „Dann ist classic time. Vivaldi, Mozart und die ganze Palette, Sie wissen schon.“ „Okay und abends oder bei Nacht?“ „Tja, wenn der Holzwurm pocht, werde ich melancholisch, da brauche ich Ablenkung. am besten Jazz, zum Beispiel Blues oder Dixieland.“

Inzwischen ist man am gegenüberliegenden Tisch bei der dritten Flasche Sekt, und es werden auch nonverbale Zärtlichkeiten ausgetauscht. Ehe Sie aber glauben, dass das Spiel in einem Bacchanal endet, muss ich Sie auf den Boden bürgerlicher Sittlichkeit zurückholen. Die Vier spielen ihre Rolle nicht mehr so perfekt und aus einigen Versprechern schließen der Wirt und ich messerscharf, dass es sich um Ehepaare handelt, die ihr Kennenlernen in Badenweiler nachspielen.

Ich habe noch ein Viertelchen Weißen Burgunder bestellt und als es ans Zahlen geht, steht nur mein erstes Getränk auf der Rechnung. „Die anderen beiden Weine gehen auf mich“, schmunzelt der Wirt, „für den Wink, dass alles seine Zeit hat, die Musik und auch unterschiedlichen Weine.“
„Dann passen Sie aber bitte gut auf“, grinse ich ihn an, „dass ihre großen Bestände an Gutedel nicht umkippen.“

© Ekkehart Mittelberg, Oktober 2013

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Kommentare zu diesem Text


 Jorge (13.10.13)
Gutedel und Grauer Burgunder und Gute Unterhaltung.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 13.10.13:
Vielen Dank, Jorge, mehr sollte es auch nicht sein.
LG
Ekki

 SapphoSonne (13.10.13)
Hat Spaß gemacht deinen Text zu lesen.
LG Sappho

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 13.10.13:
Merci, Sappho, in diesem Falle genügt es mir, dass es Spaß gemacht hat.
LG
Ekki

 Lluviagata (13.10.13)
Eine kurzweilige Geschichte hast du hier aufgeschrieben, die mir gut gefällt, Ekki. Nur mit dem Begriff "Weinkneipe" hadere ich; das klingt nach einer wenig anspruchsvollen Einkehr. Weinstube sagt man bei uns zum Beispiel. Auch wenn der Wirt sich oft langweilt ... ;)

Liebe Sonntagsgrüße
Llu ♥

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 13.10.13:
Grazie für den berechtigten Hinweis, Andrea, ich habe sofort geändert.
"Weinkneipe" ist ein Relikt aus meiner Studentenzeit, in der wir jedes Lokal, in dem es etwas zu trinken gab, unterschiedslos als Kneipe bezeichnet haben.
Heitere Sonntagsgrüße zurück
Ekki
MarieM (55)
(13.10.13)
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 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 13.10.13:
Merci, Marie, "leichtfüßig", das höre ich gern. Man möchte es gerne sein, und vermeidet doch nicht immer ein Stolpersteinchen.
Heitere Sonntagsgrüße
Ekki

 loslosch (13.10.13)
Les Liaisons dangereuses ...? nein.

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 13.10.13:
Sie sind so prickelnd, wenn aber der Rausch vorbei ist,...... . Naja, in diesem Falle saß ich an einem sicheren Tischchen.
Gracias
Ekki
Graeculus (69)
(13.10.13)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 13.10.13:
Merci, Graeculus, "sanft und ruhig", das ist in meinem Sinne.
LG
Ekki

 TassoTuwas (13.10.13)
Sehr unterhaltsam!
Und es bestätigt, bei Wein und Musik gibt es nur zwei Sorten.
Gute undd schlechte.
Herzliche Grüße TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 13.10.13:
Vielen Dank, Tasso. Wir halten uns wie immer an die guten.
Herzliche Grüße
Ekki

 susidie (13.10.13)
Eine schöne Geschichte, die ich bei einem Glas Wein gerne gelesen habe. Liebe Grüße von Su :)

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 13.10.13:
Merci, Susi, verrätst du mir die Rebsorte?
Liebe Grüße
Ekki

 susidie meinte dazu am 14.10.13:
Das war ein Chardonnay, Weingut Heuchelberg. Unter viel Mühen importiert :) Alles nicht so einfach, wenn man mehr oder weniger "auf dem trockenen" sitzt. Zum Wohl, Ekki. Su :)

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 14.10.13:
Chardonnay ist meine Lieblingsrebsorte.
Prosit
Ekki

 susidie meinte dazu am 14.10.13:
Dito Ekki :) Wenn ich ihn kriegen kann.
LancealostDream (49)
(13.10.13)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 13.10.13:
Vielen Dank, Lance. Hoffentlich spricht die Anekdote auch die Sinne an.
LG
Ekki

 TrekanBelluvitsh (14.10.13)
Puh, so ein Glück hätte ich nicht gehabt. Ich hätte antworten müssen: Soundtrack am Morgen, Heavy metal am Mittag und Symphonic Metal am Abend. Dafür hätte ich wohl noch nicht einmal ein Schluck unverbrauchtes Leitungswasser spendiert bekommen. Aber auf der anderen Seite... ich trinke ja auch keinen Wein (Alkohol)..
Und zur Betrachtung der menschlichen Seele reicht mir der öffentliche Personennahverkehr völlig aus!

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 14.10.13:
Vielen Dank, Stefan, ich mag dein understatement und vermute, dass du hier die eine oder andere Leidenschaft verbirgst.
Pocahontas (54)
(14.10.13)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 14.10.13:
Grazie, Sigi, du bist die Einzige, die entdeckt hat, dass die Anekdote mit einer Pointe endet.
Liebe Grüße
Ekki

 AZU20 (14.10.13)
Fühlte mich gut unterhalten. LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 14.10.13:
Danke, Armin
LG
Ekki

 FloravonBistram (14.10.13)
Ein Lächeln bleibt mir, denn ich liebe auch diese Gespräche, die oft sehr kurzweilig sind, wie hier.
LG Flo

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 15.10.13:
Grazie, Flo, ich freue mich, dass du meine Anekdote als kurzweilig empfunden hast. Mehr soll sie nicht sein.
Liebe Grüße
Ekki
Fabi (50)
(17.10.13)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 17.10.13:
Merci, Fabi, ich merke, du verstehst etwas von Weinen.
Liebe Grüße
Ekki
Fabi (50) meinte dazu am 18.10.13:
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