Ein Haus in Malmö

Innerer Monolog zum Thema Rache

von  blauefrau

Der Kopf ragte aus der Leinwand wie ein Stierkopf, dem der tödliche Stromstoß versetzt wurde. Die Augen verdrehten sich. Ich sah fast nur das Weiße, das Primitive, das, was mich nicht zu stören hatte, wenn ich hinterher den Stier schlachten  wollte. Ich ließ mich mit dem Stuhl nach hinten kippen, so, dass ich mich bequem mit dem Kopf an die Wand anlehnen konnte. Dann kam noch ein Stöhnen, dann stierten die Augen glasig, dann fiel der Kopf nach unten, dann lief der Geifer noch nach. -

Heute fielen mir die Bilder von Ella, meiner Frau und Jana Marie, meiner Tochter, aus der Brieftasche entgegen, Unordnung pflanzte sich bei mir fort. Bei dem ersten Bild blickte ich auf den schönen Raum, der uns in Malmö so gefiel,  dass wir das Frühstück oft erst um 14 Uhr beendeten. Ein weiteres zeigte das Meer bei  Käseberga, die Steine im Gras wie ein Schiff angeordnet, Ella und Jana Marie spielten die Matrosen, ihre Hände zu Käppchen geformt. Ein toller Tag, den ich in meinem Kopfkino endlos abspielen wollte. Und ich sah Ella, die mich von der Seite anschaute, wie immer war ich ihr Rätsel, das sie so liebte. Jana Marie sah ich, die die Steine umkreiste und sich schließlich den Hügel herunterrollte: ich war schneller und fing sie unten kurz vor der Brandung auf.
Als Ellas Vater Kurt weg war, konnte ich mich endlich auf meine zweiten Lebenstraum einlassen:
eine Galerie, ein Leben  in einem gut ausgestatteten Haus am Meer und genügend Zeit zum Segeln. Und dies alles in meinem Wunschort Malmö.
Es war nicht schwer, an eine Säge zu kommen, und die Leichenteile hatte ich schließlich in einer der Tonnen aufgelöst, die auf der Terrasse standen und als ”Verlorenes Objekt”  noch zum Verkauf standen. Dass die Tonnen nicht auffielen, ließ sich im Rahmen der Schuttentsorgung unseres Umbaus gut bewerkstelligen. Darüber hinaus warb ich einen jungen Künstler an, der den Auftrag hatte, ein Trio aus drei Tonnen gekonnt zusammenzustellen. Kunst aus alltäglichen Gegenständen gefiel mir in letzter Zeit immer besser. Als er fertig war, wechselte ich die Tonnen aus. Niemand merkte etwas. Nur als Kurts Hund verdächtig an den Tonnen schnüffelte, ... musste ich ihn erschießen. Ein Jagdunfall. Der Hund ist in der Nähe der Terrasse begraben. Jana Marie gießt fast täglich sein Grab.

Es war Kurt, der mich auf die Idee brachte, in Kunst zu machen. Dieses Geschäft hatte mich schon immer interessiert, und als Kurt schließlich ein zweites Kunsthaus eröffnete und mir die Stelle des Geschäftsführers andiente, konnte ich nicht “Nein” sagen.
Dass er im Hinterzimmer die Bilder verramschte, die ihm im Vorderzimmer zum Schätzen gebracht wurden, Schwamm drüber. Eines Tages bemerkte ich auf Kurts Schreibtisch ein liniertes  Heft, in dem Kurt reihenweise immer die selben Namen schrieb: Spusio, Maier, del Vento. Ich blätterte ein wenig in dem Heft und fand eine Seite, auf der er auch meinen Namen nach anfänglichen Schwierigkeiten recht gekonnt nachgezogen hatte. Dass er gern auch meinen Namen unter den Kaufurkunden sehen wollte, missfiel mir. ,, Das hat nichts zu sagen! Ich will nur meine Fingerfertigkeit üben!", lachte mir Kurt ins Gesicht. Ich misstraute ihm. Als es soweit kam, dass ich wegen Kunstbetrugs ein Paar Jährchen  im Gefängnis zubringen musste,  plante ich für die Zeit danach eine kleine Änderung. Sie sollte so winzig sein, dass nur ich sie wahrnehmen könnte, aber doch so groß, dass  sie  mir größtmögliche Erleichterung böte. Kurzum: ich suchte für mich nach einem maximalem Gewinn mit  geringer Oberflächenwirkung.
Nach zwei Jahren wurde ich wegen guter Führung entlassen. Ella hatte mir abgenommen, dass ich unschuldig war, hielt aber nicht Kurt  für den Schuldigen. Sie vermutete den Betrüger unter den vielen undurchsichtigen Kunden Kurts. Zu jeder Sprechzeit im Gefängnis stand sie parat, und ich fand, dass sie auch in den schlechten, ja besonders in den schlechten Zeiten sehr gut zu mir passte.
Kurt richtete nach meiner Entlassung die Hochzeit aus, nicht ohne mir vorab eine Urkunde über meine Teilhaberschaft an seinen Geschäften überreicht zu haben.
Es war alles perfekt. Für Ella war alles perfekt : der Champagner, die Gäste, die von meiner Rückkehr nach einer langen Weltreise ausgingen, die Ansprache des Brautvaters. Perfide war nur, dass Kurt von sich als nahezu makellosem Vater und seinem ausgezeichneten Verhältnis zu mir als seinem Schwiegersohn faselte, seiner Freude, auch weiterhin mit mir so gute Geschäfte wie bisher machen zu können in gegenseitiger Verantwortung.  Ein paar Tage später  sah ich, dass er schon wieder an meiner Unterschrift gefeilt hatte, diesmal für den Ankauf eines Giacometti. Ich entwarf einen letzten Plan. Während einer Vernissage, bei der es hoch herging, hielt  ich Kurt eine  Anzeige hin, in der zwei Dali zur Versteigerung angeboten wurden. Er nickte, und wir gingen in sein Hinterzimmer mit den besonderen Kunstwerken, um  dort offen über den Ankauf zu reden. Ich schloss die Tür ab: ,,Niemand soll uns stören, Kurt!" und  begab mich zum Getränkeschrank. ,,Was möchtest Du trinken?" fragte ich Kurt, der sich in seinen Ledersessel sinken ließ. ,,Nichts gegen  Puppenwasser!", rief er. Ich nahm einen Champagnerkelch aus dem Sideboard, träufelte ein paar Tropfen farbloser Flüssigkeit aus einem  Fläschchen hinein, das ich aus meiner Hosentasche geholt hatte, füllte das Glas bis obenhin mit Champagner und überreichte es ihm. Kurt nahm einen großen Schluck.

,,Wir können bei der Versteigerung bis zum Betrag von vier Millionen mitbieten. Dann müssten wir aussteigen, Kurt." ,,Ach, zwei Mio müssten reichen. Ake, Du kannst uns anmelden. Per E-Mail. An Peer Müller. Und schreib noch rein, dass ich gern an den Guttenbergdeal denke! Oder besser, ich werde selbst umgehend telefonisch Kontakt zu Müller und dem Auktionshaus aufnehmen. Wie ist die Nummer?" ,,Wieso reichen zwei Millionen, Kurt?" ,,Ich habe dem Besitzer des Auktionshauses vor 20 Jahren einmal einen Gefallen getan. Es ging um ein Gutachten für ein Bild, und ich habe dem Gutachter im Namen des Auktionshauses eine gewisse Summe überbracht, um die Echtheit des Gutachtens zu gewährleisten." Er kicherte. Ich schätzte die Wirkung des ""Mittels" ab. Das Gespräch verlief jetzt schleppend.
,,Ach ja, was hälst Du von dem Schreiben? Ich will heute noch das Angebot an Wolfgang Joop wegen des Engels..." Kurt stützte sich an den Armlehnen seines Ledersessels ab, gab sich einen Ruck  und versuchte zwei Schritte Richtung Schreibtisch, wankte, torkelte dann und fiel so ungebremst in ein Bild von Pecucci, dass sein Kopf die Leinwand weit aufriss und aus ihr hervorragte. ,,Ake." rief er , ,,Ake. Hol Ella! Ich..." Kurts Mund ging auf und zu, ohne dass er noch etwas sagen konnte. Ich blieb sitzen und beäugte dieses Stillleben. Jetzt musste ich nur noch abwarten. Ein paar Mal schnappte Kurt noch, dann hörte ich ihn auch nicht mehr atmen. Ich ging schließlich zu seinem Laptop, um die wichtigsten Mails noch zu checken - das Geschäft steht niemals still- und  darauf zu reagieren. Nach zwei Stunden hatte ich alles geordnet. Einige betrunkene Gäste lagen noch vorne, als ich die  große Holzkiste, in der ursprünglich eine Engelskulptur gelegen hatte, auf einem Rollgestell durch den Gang schob.
Den Bilderrahmen samt zerrissener Leinwand stellte ich in meiner Online-Galerie ein.  Binnen weniger Tage hatte ich das Objekt  an einen brasilianischen Sammler verkauft, der Fragmente liebte. Dass Kurt verschwunden war, fiel auch nach einer Woche kaum auf. Er ließ sich gelegentlich auf einen Kurztrip nach Belgien oder Spanien mit einem Kunsthändler ein, und auch nach einem Monat war Ella nur leicht verwundert. Ich setzte mich  nach zwei weiteren Monaten auf Ellas Wunsch hin unverbindlich mit der Polizei in Verbindung. Ella hielt  nach wie vor Kurts Rückkehr für möglich.

Dienstags  begleite ich Ella oft zu ihrem Therapeuten, bei dem sie nach Kurts Verschwinden zu sich finden will. Der Therapeut versicherte mir, dass Ella auf einem guten Weg sei. Manchmal segeln wir zusammen, Ella und ich,  und es kommt vor, dass wir am Segelhafen auch zufällig dem Therapeuten und seiner Frau begegnen.
Bei unserem letzten vertraulichen Gespräch meinte ich, Durchbruch verstanden zu haben, als er von Ellas Zustand berichtete.


Anmerkung von blauefrau:

Überarbeitet

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