Die Stimme der Sarah Bernhardt

Essay zum Thema Literatur

von  toltec-head

Magie und Internet. Ich werde unten einen Link zu von mir kürzlich entdeckten (letztes Jahr, als ich ihren Namen googelte, waren sie noch nicht da) Sarah Bernhardt Audios legen, möchte aber zunächst beschreiben, warum mir diese etwas bedeuten und warum ich immer wieder nach ihnen Ausschau hielt.

Zuletzt war ich vor 20 Jahren mit der Theater-AG und unserem DeutschLK-Lehrer im Theater, dem, Gott habe es selig, Gießener Stadttheater. Ich gehe immer noch gerne in die Oper, ich gehe auch gern in´s Ballett - was jedoch das Theater angeht, so ist mein Gefühl, dass TV Total einem noch eher einen, wenn auch nur schwachen, Abklatsch von dem vermittelt, was dieses vielleicht einmal bei den Griechen gewesen sein könnte. In Gießen gab es neben dem Theater ein McDonalds, in das wir Schüler aus einer damals noch McDonald-losen hessischen Kleinstadt vor jeder Aufführung als aller erstes stürmten. Zuweilen verbrachten wir auch ganze Vorstellungen dort, in ausgelassener Sorge den Bus samt DeutschLK-Lehrer nicht irgendwann zu verpassen. Thomas Bernhardt sagte einmal, dass er nie in das Theater ginge, weil die Frauen immer so viel Haarspray benutzten, dass ihm schlecht würde. Vielleicht ist das mit dem Haarspray mittlerweile etwas besser geworden, aber damals Ende der 80er in Gießen war es wirklich schlimm. Die Haare der Frauen, hinter denen ich sitzen und auf die Bühne schauen musste, sind mir besser in Erinnerung als jede Aufführung - barock, skurril, theatralisch, stinkend, wie von einer anderen Welt. Yvonne, mit der ich so manche Vorstellung durchkicherte, so dass sich immer wieder Gießener Bürger empört nach uns umdrehten oder von hinten auf die Schultern klopften, brachte es einmal bei dem Versuch, ein heftiges Lachen zu unterdrücken, zustande, einen Kaugummi in einen dieser Stinkballons zu platzieren. Die kreischend-hysterischen Frauen auf der Bühne in Stücken wie "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" waren demgegenüber ein Theater nur minderer Sorte.

Bei Kleist, der in seinem Leben leider nie eine Yvonne hatte, las ich später in einem seiner Briefe, dass es überhaupt die Frauen waren, die das Theater zugrunde gerichtet hatten.

Dresden, Spätherbst 1807
Ich habe die Penthesilea geendigt (...) Sie hat ihn wirklich aufgegessen, den Achill, vor Liebe. Erschrecken Sie nicht, es läßt sich lesen.  (...) Für Frauen scheint es im Durchschnitt weniger gemacht als für Männer, und auch unter den Männern kann es nur einer Auswahl gefallen. (...)  Wenn man es recht untersucht, so sind zuletzt die Frauen an dem ganzen Verfall unsrer Bühne schuld, und sie sollten entweder gar nicht ins Schauspiel gehen, oder es müßten eigne Bühnen für sie, abgesondert von den Männern, errichtet werden. Ihre Anforderungen an Sittlichkeit und Moral vernichten das ganze Wesen des Drama, und niemals hätte sich das Wesen des griechischen Theaters entwickelt, wenn sie nicht ganz davon ausgeschlossen gewesen wären.

Während ich nach meinen Gießener Erfahrungen gar nie mehr in´s wirkliche Theater ging, zimmerte ich mir mit Kleist und anderen im Kopf lange Jahre ein anderes, griechisches Theater, ohne kreischend-hysterische Frauen auf der Bühne und ohne Stinkballons im Zuschauerraum zurecht. Anders als Kleist konnte ich mir ein Theater ganz ohne Frauen dann aber doch nicht vorstellen und aus meiner Yvonne, meiner Proust-Lektüre und meinem Traum, dass Coolness auch unter Frauen möglich sein müsse, entstand ein Fabelwesen, Sarah Bernhardt genannt. Ich dachte mir ihre Deklamation vor allem als kalt, sie sollte nichts von diesem Gießener Gestank aus Emotionen, Hysterie und Schwatzhaftigkeit an sich haben. Da ich den Eindruck hatte, dass die Frauen auf der Bühne in Gießen vor allem darum bemüht waren, natürlich zu wirken, dachte ich mir, dass ihre Deklamation vor allem künstlich wirken müsse. Kalt, künstlich und gewissermaßen einen hohen Ton treffend, apart und skandalös wie der Kaugummi in den Gießener Wella-Frisuren. Ich dachte sie mir als ein Raumschiff, als einen weiblichen Kastrat.

Die Audios, zu denen ich jetzt gleich den Link legen werde, wirken zunächst tatsächlich wie ein Raumschiff, das am helllichten Tag in einer Fußgängerzone landet. Sie sind pure Magie. Man muss sie immer wieder hören und, wenn man überhaupt etwas verstehen möchte, auch den Text, der sich im Falle der berühmten Déclaration d´amour aus Racines Phèdre, 2. Akt, sehr schnell googlen lässt, mitlesen. Schließlich - so ging es mir - wird die Stimme der Sarah Bernhardt dann doch immer, und leider auf eine ungute Weise, realer. Die Realität, in ihrer Essenz selbst weiblich, ist letztlich immer ernüchternd. Man achte einmal vor allem auf das Ende der Racine-Deklamation. Ist das noch Griechenland oder schon Gießen?

Ist Coolness unter Frauen möglich? Vielleicht hatte Kleist doch Recht. Wenn wir das Theater wieder haben wollen, müssen wir zunächst die Frau abschaffen.

 Die Stimme der Sarah Bernhardt

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Kommentare zu diesem Text

JakobJanus (35)
(15.12.13)
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 toltec-head meinte dazu am 15.12.13:
Dank dir. Link funktioniert jetzt auch. Wann machen wir eine Dichterlesung unter der Porta Nigra?

 Dieter_Rotmund (15.12.13)
"Thomas Bernhardt sagte einmal, dass er nie in das Theater ginge, weil die Frauen immer so viel Haarspray benutzten, dass ihm schlecht würde"

(Hervorhebung von mir) Ist dieser Mensch mit Deiner im Zentrum des Textes stehenden Schauspielerin verwandt oder hast Du einfach nur den Namen falsch geschrieben und meinst denThomas Bernhard, und falls ja, woher/woraus hast Du zitiert???
P. Rofan (44) antwortete darauf am 15.12.13:
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 toltec-head schrieb daraufhin am 15.12.13:
Sorry, der Link funktionierte nicht. Aber jetzt. Das Raumschiff kann landen.
Daniel (50)
(29.07.23, 13:45)
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