9. Kapitel . Die Schande und ein Fürsprecher .

Erzählung zum Thema Heimat

von  kirchheimrunner

Marie schämte sich. Sie gab sich selbst die Schuld für das, was ihr der hundsgemeine Franz - Xaver angetan hatte. Schmutzig und sündig war sie durch diese Schande geworden; - und gar nichts konnte sie von diesem Dreck reinwaschen. Niemals würde sie darüber reden können; mit keinem Menschen; -  und gleich gar nicht mit ihrem jähzornigen Vater.

Marie war einsam; - das lebensfrohe Mädchen wurde traurig und trübsinnig.

Ihr Lachen, das sonst immer - ganz verschmitzt an ihren Mundwinkeln begann und sich bis hoch zu ihren rehbraunen Augen geschlichen hatte, - war eingefroren. Ihr Blick war eiskalt geworden; - stechend, und wissend. Sie kannte die Gewalt, die Erniedrigung und den Schmutz.

Trotzdem tat sie in der Hauswirtschaftsschule fleißig ihre Pflicht. Als dann so um den 1. Advent 1956 ihr unerwünschtes Mutterglück nicht mehr zu übersehen war, wurde sie von der Lehrschwester Notburga nach Hause geschickt. Zurück nach Willertshausen;- heim zu ihrem jähzornigen Vater; - und der bösartigen, keifenden Theres.

Der Schorsch holte sie vom Postbus in Reichertshausen ab. Er sprach kein Wort mit ihr. Nicht einmal ihren schweren Koffer hat er getragen. Auch ihr Vater redete nicht viel; - sondern haute ihr links und rechts ein paar saftige Ohrfeigen herunter. „Damisches Luder, damisches!  Poussiert mit dem nichtsnutzigen, dahergelaufenen Kübelböck Lenz ; und lasst sich auch noch ein Bankert andrehen; -  blöde Amsel, blöde!“
Aber das merkst dir für alle und ewige Zeiten: wenn sich der Ehrabschneider noch einmal hier blicken lässt, erschlag’ ich ihn mit dem  Ochsenfisel; so wahr ich der Weinzierl Jackl bin!“

Dann wies er ihr die kalte, zugige Kammer im Speichergeschoß zu, in der sonst die dahergelaufenen Jungdirnen wohnten.

Die Marie weinte keine einzige Träne. Sie nahm auch diese Erniedrigung  hin; - erduldete alles mit steinernen Mine.
Würde sich jemals wieder dieses bezaubernde Mädchenlächeln um Ihre Mundwinkel kräuseln und bis zu den Augenwinkel hoch schleichen? Wohl kaum!

Alles schluckte sie hinunter, stoisch ergeben, mit der festen Gewissheit im Herzen, dass die Zeit keine Wunden heilt, sondern sie tiefer reißt und weiter bluten lässt.

Bereits am Weihnachtsfest, wo die heimelige, und pittoresk scheinheilige Heuchelei der Willertshauser und Attenkirchner Kirchgänger ihren Höhepunkt hatte, wurden die Narben ihres Herzens, im Spiegel ihrer Augen sichtbar: Jeder der wollte, konnte aus ihrem Blick die Wahrheit über das was geschehen war, herauslesen; - auch das bittere, unumstößliche  Urteil, dass die Marie über das trotzig stolze Ehrgefühl und die lebensfremde Moral der Hopfenbauern, fällte.

Den Tod verbreiteten sie mit ihrer Herzenskälte, diese Bauernschädel samt ihrem heuchlerischen und scheinfrommen Gesinde.

Ihr Bruder der Schorsch, der Franz - Xaver und der Stangassinger Hans, haben ihr deshalb nie mehr wieder in die Augen schauen können. Sie hatten furchtbare Angst davor. Nur der Johannes von Spöck, Kanonikus von Pfettrach, konnte in ihrem traurigen, und verzweifelten Blick lesen, wenn sie jeden Freitag Nachmittag zur Kapelle der Maria mit den sieben Schmerzen nach Sillertshausen pilgerte, um dort die Sühneandachten mitzufeiern. Marie kniete immer in der hintersten Holzbank, wenn sie den schmerzreichen Rosenkranz zum heiligsten Herz Jesu betete.

Gegrüßet seist du Maria
voll der Gnaden,
der Herr ist mit dir
du bist gebenedeit unter den Weibern
und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes Jesu,
der für uns auf Gogotha Blut geschwitzt hat; -
Heilige Maria Mutter Gottes,
bitte für uns Sünder,
jetzt und in der Stunde unseres Todes,
Amen.

Manchmal, wenn es sich ergab, begleitete sie die Küblböck Afra auf ihrem steinigen Weg, weil sie ja Abbitte für ihren Lorenz tun musste, weil er auf die schiefe Bahn geraten war. Zwischen den Frauen gab es eine nicht ausgesprochene Abmachung: Nie würden sie über den Lorenz reden; über das Liebste was sie hatten. Es musste ja nicht sein, das Herzenswunden noch mehr bluten. Nach der Andacht, blieb die Weinzierlmarie immer noch eine Weile in der Kapelle. Weil, hinten in der Mauernische, die vom Kerzenruß geschwärzt war, eine Gipsfigur des heiligen Laurentius stand; - dem Lorenz sein Namensheiliger. Mindestens eine halbe Stunde kniete die Marie davor; aber nur wenn sie alleine war. Dann las sie immer wieder zum Trost die fromme Geschichte, die auf dem Novenenblättchen aufgedruckt war:

Ein ungerechter römischer Kaiser forderte den Diakon Laurentius auf, alle Kirchenschätze herauszugeben. Gleich am nächsten Morgen ging Laurentius zum Kaiser und bat ihn auf den Palatin herauszukommen. Vor den Marmorstufen warteten die Schätze der Kirche auf ihn. Der Kaiser staunte nicht schlecht, als er dort unten Tausende und abertausende arme, geschundene Christen sah. Die Armen, oh´ glorreicher Imperator, sind der Schatz der Kirche; und den leg ich dir zu Füßen!

Immer wieder fand Marie Trost in dieser Legende.

„Heiliger Laurentius, lass doch auch meinen lieben Lorenz in seiner Not nicht allein! Als Opfer für deine Fürbitte, will ich denen nicht gram sein, die mein Herz so arg zugerichtet haben.

Fromme Pfarrkinder mochte der Herr geistliche Rat immer gut leiden, aber mit dem  schwangeren und ledigen Bauernmädchen aus Willertshausen stimmte etwas nicht!
Nur der liebe Herrgott sieht in die Herzen seiner Kinder; - und ein bisserl auch der Pfarrer. Wie lange konnte er da noch zuschauen?

„Wenn ich schweige, werden dann die Steine schreien? Barmherziger Jesu, steh uns bei, damit nicht noch mehr Unrecht geschieht!“

Der Pfarrer von Pfettrach war sich sicher: Die großkopferten Bauern würden die Wahrheit ihn ihren Herzen verschütten; diese Sturschädel würden kein Sterbenswörtchen sagen; - damit sie reden, müsste schon ein Wunder geschehen, oder noch größeres Leid; - oder beides zugleich!

Das Leben auf dem Weinzierlhof war für Marie kein Zuckerschlecken. Trotz der Last ihrer Schwangerschaft musste sie auf dem Hof mithelfen:

Das Regiment im Haus führte ihre Großmutter Theres’, und die ließ ihr jede Minute spüren, dass sie der letzte Dreck war! Ein lediges Kind trug sie aus! So eine Schand hat es bei den Weinzierls noch nie gegeben! Ehrlose Schlampe!“

Marie fütterte die Schweine, und mistete den Stall aus. Auch ihr Vater nahm keine Rücksicht auf ihren Zustand.
Gleich nach Ostern begann die Arbeit im Hopfengarten. Jeden Tag ging sie schon Frühmorgens mit Harke und Rechen am Gemüsegärtchen vorbei, den Feldweg hinunter zum Hopfengarten.

Ihr Vater, ihr Bruder der Schorsch und Vinzenz der Knecht, zogen die Drähte für die Hopfenranken hoch und befestigten sie an den Querbalken. Marie harkte im Frühjahrsregen das Unkraut und stach den Hopfenspargel.

Der Sommer kam dieses Jahr früh und mit ihm eine ungewöhnliche trockene Hitze. Schon Anfang Mai wurde mit der Sense der Futterklee gemäht. Die Frauen arbeiteten in der sengenden Sonne mit breitkrempigen Strohhüten, wendeten das Heu und luden Fuder um Fuder auf die Pritschenwagen. Die Arbeit wahr mühselig und beschwerlich; - besonders für Marie.

Voll Verachtung blickten die Theres und die anderen Weiberleut auf ihren runden Leib. Es war der 25. Mai; - ein strahlend blauer Samstag. Marie hielt es nicht mehr aus. Sie wollte nach Landsberg fahren. Zum Lorenz.

Frühmorgens ging sie trotz ihrer Beschwerden los. Sie wollte auf dem Feldweg nach Pfettrach hinüber laufen, um in Attenkirchen den Postbus zu nehmen. Aber schon am Wegkreuz beim Heuschober des Krautkönigs setzten die ersten Wehen ein.  Marie hockte sich ins Gras. Sie konnte nicht mehr weiter.

Der Vinzenz brachte sie dann zurück. Er war ihr mit dem Schlepper nachgefahren um sie heim zu holen; - genau so, wie es ihm die Theres angeschafft hatte. Keiner von den Attenkirchnern sollte diese Schande mitbekommen.
Am Sonntag, den 26. Mai 1957, nach 8 Monaten Schwangerschaft, kam in Willertshausen auf ein kleines Mädchen zur Welt, gerade mal 5 Pfund schwer.

Der Geistliche Rat von Pfettrach taufte es am Himmelfahrtstag auf den Namen Kathrin. Das Mädchen hatte die zauberhaften Rehaugen ihrer Mutter. Über den vermeindlichen Vater wurde nicht geredet. Kein Wort!

Der Lorenz Kübelböck saß ja in der Landsberger Strafanstalt. seinen Namen durfte auf dem Weinzierlhof noch immer keine Seele ungestraft laut aussprechen.

„Wenn sich der noch mal blicken lässt, erschieß’ ich ihn auf der Stelle,“versprach der Weinzierl Jackl jedem der es hören wollte Ihren lieben Lenz hätte die Marie im Mai 57 sowieso nicht mehr in Landsberg angetroffen. Sie hatten ihn schon im Januar in die Strafanstalt nach Straubing verlegt. Und das war sein Glück. Denn dort fand er einen milden und verständnisvollen Vollzugsbeamten.

Richard Kothgasser achtete den jungen, schweigsamen Mann, der den unbeugsamen Stolz der armen Leute hatte.
Er setzte sich für den Lorenz ein.

Schon im Februar bekam er Hafterleichterung und Freigang. Weil in der Straubinger Schattenhofbrauerei Not am Mann war, half der Lorenz in der Mälzerei aus. Er stellte sich sehr geschickt an, meinte der Braumeister.
„Einen solchen Kerl, der mit anpacken kann, könnten wir gut brauchen; - wenn er nur nicht vorbestraft wäre.

Aber der Lenz hatte auch noch andere Fürsprecher:
Da gab es den Hopfenjuden Abraham Karzham; er hatte seinen Handelskontor in Nandelstadt, unweit von Attenkirchen.

Kanonikus von Spöck war bestens mit ihm bekannt.
Als zwischen 1942 und 1945 die braune Bande auch in der Halledau Jagd auf Juden machte, fand der Abraham mit seiner Familie Unterschlupf im Pfettracher Pfarrhaus.
Nazis gab es wenige in den Hopfendörfern, man wählte entweder die Bayernpartei oder das christliche Zentrum. Trotzdem gab es Neider, und Bauern, die wegen des Hopfenhandels eine Rechnung mit dem Juden offen hatten. Aber den Geistlichen Rat zu verpfeifen, das getraute sich dann doch keiner.

Seit dieser Zeit suchte der Karzham Abrahm sich beim Pfarrer zu revanchieren. Viele der mildtätigen Gaben und auch großherzigen Spenden, die an die Armen der Pfarrei ausgeteilt wurden, stammten vom Hopfenjuden. Keiner wußte davon, nur der Geistliche Rat. Deine linke Hand soll nicht wissen, was deine Rechte tut; nach diesem Bibelwort hielten es auch die Beiden.

Jetzt aber konnte der Karzham Abraham mit Rat und Tat helfen. „Sie haben doch überall Verbindungen, mein bester Freund! Können sie denn gar nichts für den armen Lorenz Kübelböck tun, der nur wegen einer Dummheit straffällig geworden ist?

Hier in der Gegend macht es keinen Sinn, sich für ihn zu verwenden: Erstens weil er vorbestraft ist, und Zweitens, weil die lästerlichen Schandmäuler der Bauernburschen zu scharf gewetzt sind. Da kommt der Bub bloß wieder unter die Räder. Es müßt schon eine Lehrstelle sein ...“
.... die nicht gerade um die Ecke liegt“, ergänzte der Jude.

„Gott der Allmächtige, sieht vor ... lassen sie mich nur ma-chen, Herr Pfarrer.

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Kommentare zu diesem Text


 AZU20 (19.01.14)
Gern gelesen. Gut geschrieben. LG
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