. Attenkirchen, hinter den Hügeln 1963; - die Bitten einer alten Frau und die Sünden eines alten Hopfenkönigs .

Erzählung zum Thema Heimat

von  kirchheimrunner

Das Jahr 1963 war ereignisreich:

Ludwig Erhard ist deutscher Bundeskanzler.
Martin Luther King demonstrierte in den USA für die Rechte der Schwarzen. John F. Kennedy besucht Berlin, die geteilte Stadt.
Seine bewegenden Worte „Ik bin ein Berliner“ werden Legende. Aber nur ein paar Monate darauf, am 22.November richtet Lee Harvey Oswald das Gewehr auf den amerikanischen Präsidenten und erschießt  John F. Kennedy in Dallas/ Texas.

Neuer Papst wird der Italiener Giovanni Battista Montini als Paul der VI. Die deutschen werden ihm später Pillen–Paule nennen.

Aber, wie ihr euch denken könnt, war auch an Attenkirchen die Zeit nicht spurlos vorübergegangen:

In ein paar Jahren würde man den Betrieb der Schmalspurbahn einstellen. Die Bauern gaben ihren schwerfälligen Rössern das Gandenbrot und schafften sich Dieselschlepper an. Die Viele Straßen waren jetzt zweispurig und geteert.

Auch die Halledau wurde modern. Die Mädchen und Frauen trugen die Haare jetzt kurz und am Sonntag toupiert; die Männer hatten lange Koteletten

Ganz andere Lieder tönen aus der Juke - Box:
Freddy Quinn war megaout:
Elvis Presley war in!
Jailhous Rock und
King Creole.

Manche dreisten Paare in der Mokka - Bar tanzten sogar Twist.
My Boy Lollypop ... It’s a bitsy weeny, yellow Polka dot  Bikini ...

Wehe wenn sie von den Alten erwischt wurden ...

Die Menschen, die wir kennen sind älter geworden.

Die kleine Kathrin würde bald in die Schule kommen.

Die Weinzierl Theres musste in die Universitätsklinik; der Sanitätsrat Leopolzeder hatte sie eingewiesen.

Ernsthafter Verdacht auf Zungenkrebs!

Es war noch viel schlimmer als vermutet:
Die Marie fuhr für 14 Tage nach München um Ihrer Großmutter beizustehen. Das hatte sie der heiligen Gottesmutter Maria von den sieben Schmerzen gelobt; - damit sie irgendwann ihren lieben Lenz wiedersehen könnte.

Im Münchner Klinikum Rechts der Isar, wurde ihnen dann die furchtbare Vermutung zur tragischen Gewissheit: Die Theres würde sterben müssen; und zwar schon bald.

Zunge und Kehlkopf konnte man nicht mehr operieren. Die Austragsmutter vom Weinzierlhof würde das Allerheiligenfest vermutlich nicht mehr erleben. - Was für eine Strafe Gottes!

Marie fühlte sich einsam und allein in der großen Stadt.
Verloren zwischen den Häuserschluchten, Bars und Nachtkaffees. So eine schöne Frau! Und so alleine, kommst mit uns mit, Mauserl ...

Die Marie war jung und schön, aber nicht billig..

Die schlechten Nachrichten gaben sich trotz dieses Fluches auch weiterhin am Hoftor der Weinzierls die Klinke in die Hand:

Der Schorsch saß seit Tagen nur noch in der Stube und trank. Er trank Bier und Schnaps; -
er trank alles was er zwischen die Finger bekam.

Von seinem Vater forderte er Geld.
Viel Geld. Es waren Unsummen die er ausgab.
Seine Spielschulden waren astronomisch.

Anfang Mai hatte der Jackl schon den zweiten Wechsel für seinen Sohn unterschrieben. Es war ein Vermögen; für mehr als 10.000 Mark musste er auf der Raiffeisenkasse bürgen!

Aber es hatte den Anschein, dass es nur die Spitze des Eisbergs war; - ein Fass ohne Boden!

Und zu allem Unglück kam noch die sonderbare Bitte einer alten Frau:

Zusammen mit diesen Hiobsbotschaften, platzte am Abend des 11. Mai die Küblböck Afra in die gute Stube der Weinzierls hinein.

Der Jackl hatte gerade versucht mit seinem einzigen Sohn Tacheles zu reden. Sinnlos betrunken und vollkommen weggetreten ....

Die Afra ist dann auch gleich mit der Türe ins Haus gefallen:

„Jackl, wenn du nur einen Tropfen Herzblut hast, - dann hilf mir! Den armen unschuldigen Seelen im Fegfeuer zu lieb; - hilf mir, und vergiss alles was zwischen uns steht; - Jackl denk an die heilige Christenlehr und gib deinen Herzen einen Ruck!

Der Weinzierl Jakob mochte es überhaupt nicht leiden, wenn die Weiberleut’ ohne Luft zu holen einfach daher lamentierten. 

„Sag was du willst, mach’s kurz und verschwind’ wieder Ich hab’ andere Sorgen, als deine armen, gepeinigten Seelen im Fegfeuer; - und außerdem kann ich mich nicht erinnern, dass ich dich ins Haus gebeten hab’!“

„Jackl, sei net so grob!
Stell dir vor: Der Lorenz kommt wieder heim.
In 14 Tag schon. Ich bitt’ dich nur, um deine Hand drauf, dass du nicht weiter hetzt gegen ihn! Und dass ihr alle weiße Wäsch’ aufhängst am Tag vor Himmelfahrt, damit der Lenz weiß, dass er sich heimtrauen darf, ohne dass er gleich ein Messer zwischen die Rippen bekommt!“

„Ihr seid’s wohl alle damisch geworden?
Weiße Fahnen, das ich nicht lache, glaubt ihr, dass ich mich zu eurem Kasper mache?

„Und was ist mit den Kirchenglocken in Pfettrach,
sollen wir die auch läuten lassen, wenn er heimkommt; - der Ehrabschneider, der elende? “
Und wie wär’s mit den Ehrenjungfrauen,
den Veteranen und der freiwillige Feuerwehr von Reichertshausen, sollen die auch Spalier stehen?“

Bist noch zu retten, Afra?
Um jeden Tag, den uns dein verdorbener Lorenz nicht unter die Augen kommt, sind wir froh; -
und du willst eine Ehrengarde; an roten Teppich; bist narrisch?“

Doch die Afra lies nicht locker:

Denk doch an die Marie, und das Kind; -
Jackl, sei gescheit!“

„Komm mir net mit dem Firlefanz, - Schand bleibt Schand und Bankert bleibt Bankert.

Und einen Kindsvater der aus dem Blechnapf gefressen hat, brauchen mir schon gar nicht, - und jetzt schleich dich Afra, bevor ich mich vergiss!“

Wie die lästige Witwe aus der heiligen Schrift, bettelte die Küblböckin weiter:

„Dann tu’s halt der Veronika zu liebe?“

Jackl war wie vom Donner gerührt:
Draußen schien es plötzlich und ohne Vorankündigung zu donnern oder war nur das Scheunentor zugefallen? Jedenfalls tobte ein Sturm; nicht nur über der kleinen und buckligen Welt der Halledau, sondern auch im Weinzierl Jackl selbst, polterte und gewitterte es, als sei der jüngste Tag angebrochen; - der Tag des Gerichts!

Als die Afra ihre Schwester, die Vroni ins Spiel brachte, zuckte er zusammen; - wie von einem Blitz aus heiterem Himmel.

Er war sprachlos.
Zuerst zitterten seine Hände,
dann seine Lippen:
„Jesus, Maria und Joseph!“

Er stierte mit einem leeren Blick auf das Kruzifix, das vergessen, verloren und verstaubt im Herrgottswinkel der Stube hing. Die Blumen,, die jemand hinter den Kreuzesbalken gesteckt hatte, waren vom letzten Sommer und vertrocknet. Graue Spinnweben verschleierten die kunstvolle Inschrift:
I N R I
Iesum, Nazoraeum Rex Judaei

„Was willst jetzt mit der Vroni, Kübelböckin?
Lass den armen Seelen ihren Frieden; - Tote werden nimmermehr lebendig, und Leid und Not kannst auch du nicht ungeschehen machen; - ich sowieso nicht mehr!“

Die Stimme vom Weinzierl Jackl zitterte immer noch. Der sonst so stolze Hopfenkönig war leichenblass geworden. Was lange im Herzen vergraben war, wurde wieder lebendig. Es schien dem Jackl plötzlich als wäre es Gestern gewesen.

Die Veronika Küblböck war "von den Toten auferstanden"!

„Nichts für ungut Afra, ich lass mir die Sache noch mal durch den Kopf gehen ...“!

„Vergelts Gott, Jakob; - mit ein paar weißen Hadern, kannst viel Bosheit zudecken!“

Dann legte sie ihre abgearbeiteten, rissigen Hände auf seinen Arm, stand auf und ging grußlos zum Flur; der Abendwind peitschte den Regen ins Haus und warf die schwere Tür ins Schloss.

Der Weinzierl Jakob aber,
konnte die ganze Nacht nicht schlafen; -kein Auge machte er zu. Wie konnte er auch? Wo heute Tote wieder lebendig werden und weil Schatten an der Wand erscheinen, schreien und stöhnen; - Gespenstern gleich!

Sie hatte nichts als ein Nachthemd an, als sie ins Wasser ging, Algen und Schilfgras hatte sie in den Haaren als man sie fand. Augen, die aus tiefen Höhlen schauen, stechende Blicke; -
der Mund, geöffnet zu einem stummen Schrei.

„Mein Gott, Veronika!

Damals vor vielen, vielen hatte sein herrischer Vater, der Weinzierl Alois auf den Tisch gehaut, und er hatte gekuscht und nicht aufgemuckt.

Und so nahm das Verhängnis seinen Weg; - aber diese Geschichte muss ich später erzählen..

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (27.01.20)
Viele -> vielen
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