Warum ich ein Buch abstoße? Teil III

Parabel zum Thema Wagnis

von  pentz

Hoffnung -  ja oder nein

Mag sich der eine oder andere an den Kopf greifen und mit der flachen Hand auf die Stirn schlagen und ausstoßen: ist der verrückt geworden, dass seine Bücher, wofür er, nicht genug dass er sich die Mühe auferlegt hat, sie zu schreiben, zudem dafür bezahlt hat, sie jetzt aus dem Fenster wirft und mir nichts, dir nichts herschenkt? Ich würde das niemals tun! Da müsste ich ja verrückt sein!
Vielleicht.
Du würdest also warten, mit deinem Hintern auf den Büchern sitzen und jahrein, jahraus darauf hoffen, das man dir das ein oder andere abnimmt, was deutlich gesagt heißt: abkauft. Tut aber niemand.
Was nun? Wohin verwandelt sich deine ehemals flammende Hoffnungslohe? In ein spärlich vor sich hin loderndes, blaues, kurz vorm versiegen flackerndes Flämmchen! Nein, trotzdem, herschenken würdest du aber keines von deinen das Geld zur Herstellung schmerzhaft vom Ersparten abgezwacken Bücher!?
Befinde dich erst einmal in dieser Lage, Dummerchen. Dann können wir weiterreden. So aber, so aber kannst du große Töne spucken, ohne dass dir widersprochen wird, Besserwisser. Aber du sollst recht haben. Unterdessen begebe ich mich auf diese Eselstour, stoße mein Buch ab, auch und gerade in der Hoffnung, dass es, so unwahrscheinlich es sein mag, ohne Publicity, wohlgesonnene Zeitungsredakteure und verkappte mediale Seilschaften auskommen muss, sich durchsetzen, einschlagen, einen Hit landen und in aller Munde geraten wird. Diese letzte Chance verbleibt mir noch: Offene Regale.
Weil sie genährt wird aus meiner einzigen, verbliebenen Hoffnung: ich weiß, dass es etwas Innovatives ist. Dass es als solches erkannt und dafür anerkannt wird. Dass es ein paar Wenige erreichen wird, die dessen wert sind und die wirklich wissen, was gute Literatur ist. Punktum.
Woher beziehst du aber deinen Glauben?
Ich antworte dir: allein schon aus den Reaktionen darauf. Denn die waren so harsch-brutal-abwehrend, wie es nur etwas vergleichbar Verbotenes sein kann. Das Thema war tabu, eindeutig, konnte nicht anders sein. Alle wollten nichts damit zu tun haben; selbst diejenigen, die ansonsten ihre Großmutter verkaufen, warfen die Hände vor Entsetzen in die Höhe, alle einfach.
Wenn ich von Allen schreibe, meine auch ich mich. Ja, wahrscheinlich war ich derjenige, der am Entsetztesten war. Zum einen getraute ich mir, mein neues Buch gar nicht der Presse vorzulegen; was heißt getrauen, ich fühlte mich so derartig von Schuldgefühlen in die Zange genommen, dass ich entweder nicht im mindesten daran dachte oder sofort wieder die Vorstellung im Keim erstickte, sofern ich sie überhaupt in mein Bewusstsein habe auftauchen lassen. Ich kann mich erinnern, dass ich damals sehr unruhig und rastlos war, ein sicheres Zeichen bei mir dafür, dass ich von meinem schlechten Gewissen umgetrieben und getrieben werde.

Orgasmus als Bewusstseinsstrom

Aber was war es, dass du dich wie von der Tarantel gestochen fühltest?
Die Darstellung perverser sexueller Praktiken – wenn auch ironisierend, aber immerhin beschrieben. Kein heißes Eisen ließ ich ja damals aus, ich gefiel mir zu sehr in der Rolle des Bad Boys, kennen bestimmt einige.
Ja, die Beschreibungen solcher Verhaltensweisen wurden so überzogen dargestellt – geht das überhaupt? aber ja! – das Kopfschütteln die gelindeste Reaktion war. Und wenn man sowieso dafür keinen Draht hat, ich spreche nicht einmal von einem heißen Draht, frage man sich sowieso: was soll das?
Nun, woran lag es denn?
Vielleicht an dem 50seitigen Orgasmus.
Was, einen Orgasmus hast du beschrieben, ganze 50 Seiten lang?
Ja, nein, genauergesagt, habe ich 50 Seiten lang den Bewusstseinsstrom einer gerade den Orgasmus erlebenden weiblichen Person beschrieben. Ich ließ mich dabei ganz von Virginia Woolfs Vorstellungen des Romaneschreibens inspirieren.
Ha, ha. Du als Mann.
Ja, schon, anmaßend irgendwie, stimmt schon.
Jedenfalls, finde ich, habe ich der englischen Frauenschriftstellerin Theorie von einem Bewusstseinsfilm im Medium Roman wohl nicht besser durchsetzen können als gerade in den wenigen Sekunden Orgasmus-Erlebnis, wozu und dieses zu beschreiben ich Hunderte von Seiten benötigte, um diesen annähernd zu absorbieren und transparent werden zu lassen.
Lacht.
Du magst lachen. Aber mir war ernst damit.
Lacht noch mehr.
Nun, vielleicht mag der Orgasmus – nein, ich bleibe dabei, gerade der ist das ideale Abbildungsmedium für diesen Bewusstseinsstrom a là Virginia Woolf.
Lacht nicht mehr.
Naja, auf jeden Fall habe ich mich wahrhaft ins Zeug gelegt, um alle Assoziationen, Bilder, Gedanken zu beschreiben, die jemanden, der einen Orgasmus erlebt, durch den Kopf gehen, fließen, fluten und empfinden, wahrnehmen und denken mag. Ich kann mich erinnern, dass ich mir sämtliche graue Zellen aus dem Gehirn gegrübelt und gesogen habe, um noch und noch eine Zeile dranzuhängen, wahrhaft ein Marathon- und Olympia-Weltmeister-Rekord-Erzähllauf!
Verstehe! Und das hat man Dir übel angekreidet?
Das ja nicht. Im Gegenteil. Dafür erntete ich Beifall, wenn auch von ominöser Seite, was mir zu denken gab. Verstehst, Kneipenbekannte, verblödete Lehrer-Bekannte, so zweifelhafte Personen, bei denen, wenn sie dir applaudieren, du kaum unterscheiden kannst, ob sie das machen, weil sie noch bei Trost sind oder schon im delirium tremens abhängen. Na gut, ich übertreibe hier ein bisschen oder sogar sehr, jedenfalls hat mich das auch nicht gerade aufgebaut und bestätigt.
Aber andererseits gab es niemanden sonst, der mein Buch las. Vielmehr, um genau zu sein, ich getraute mir schon keinem sonst mein Buch als solch zwielichtigen Gestalten aus düsteren Kneipenecken anzubieten.
Einer trieb es auf die Spitze, er legte mir das Geld einfach auf den Tisch und sagte: „Da hast Du, was Du willst. Aber verlange nicht, dass ich das Buch lese.“ Da befriedigte mich natürlich auch nicht, genauso gut hätte ich einen Obstladen an der Ecke eröffnen können, mein Gott, ich verstand mich doch als Schriftsteller nicht Kaufmann.
Es gab auch ein paar, die lapidar sagten: „Ich hab’s gelesen.“ Das honorierte ich am meisten.
Aber bald habe ich das Anbieten seinlassen.

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