Der Schwall der Alten - Warum uns die gesamte sogenannte Deutsche Nachkriegsliteratur heute nichts mehr zu sagen hat

Glosse zum Thema Literatur

von  toltec-head

"Doppel-Thomapyrin-Nacht nach dem Besuch gestern Abend bei Grass (zu lang: 18 - 22 Uhr)." Unter anderen Enttäuschungen hatte sich herausgestellt, dass Grass den vorher ihm geschickten Essay "Der Hall der Alten", über den Raddatz mit ihm sprechen wollte, überhaupt nicht gelesen hatte. Dabei hätte dieser ihn, so Raddatz, interessieren können und sollen, weil´s ja darum ging, dass ER und seine Altersgenossen eben immer noch mehr zu sagen hätten, wichtiger seien als die "Mir ist meine Freundin weggelaufen"-Jungromanciers (Tagebücher, 5. Juli 2005).

Als wenn die Freundin nicht ein Symbol nur der gesamten Gesellschaft wäre: Politik, Religion, Wirtschaft, es ist uns sogar die Kunst weggelaufen. Familienromane, politisch engagierte Romane, Romane, die in irgendeiner Form, sei es negativ oder positiv, um das Thema Religion kreisen, Romane, die vorgeben den Kapitalismus und seine Härten zu spiegeln, Dichterisches in der Tradition des l´art pour l´art - all das hat uns heute doch überhaupt nichts mehr zu sagen, vermag doch überhaupt nur noch ein müdes Achselzucken hervorzurufen. Man wundert sich das dergleichen jemals für wichtig gehalten wurde. Die zu früh am Holocaust Geborenen oder die ihn streiften unterlagen einer optischen Täuschung, als ginge dieser sie etwas an, wo man doch heute weiß, dass nicht nur der Holocaust einen nichts angeht, sondern man als Muselmann der Gesellschaft, wenn die Sprache auf Politisches, Religiöses, den Kapitalismus oder die Bedeutung von Günther Grass oder Walter Jens kommt, eigentlich nur mit Agonie reagieren kann.

"Lies keine Oden, mein Sohn, lies Fahrpläne", dergleichen klingt heute äußerst schal in unseren Ohren. Erstens wissen wir, dass das Lesen von Oden ja durchaus ein Fahrplanlesen sein kann, wenn man zum Beispiel vor hat, zu einer kulturellen Instanz à la Enzensberger zu werden. Und zweitens: Warum sollte man lauter Fahrpläne lesen, wenn eh klar ist, dass immer überall irgendwelche Züge abfahren, von denen sich aber nur ein einziger besteigen lässt, in dem man dann erst einmal hockt. Kontingenz als Eigenwert der Moderne mit eingebautem Reueprogramm wohin man schaut. Es ist eigentlich ganz gleich, welchen Zug man besteigt, ob einen in Richtung Wirtschaft, Politik, Religion oder Kunst. Alle sozialen Systeme sind gleich gestrickt und sie sind so gestrickt, dass es in die Erste Klasse, wo die Anzugträger sitzen, die sich das Essen auf ihre Plätze bringen lassen, immer nur die wenigen schaffen, wobei aber eh klar ist, dass in der Zweiten Klasse die hübscheren Mädchen sitzen.

Da man aber auch in der zweiten Klasse statt neben einem hübschen Mädchen (Kontingenz als Eigenwert von Zugfahrten) neben Thermoskannen, Wurstbroten und einem Brillenjüngling, der doch tatsächlich noch einen Roman von Günther Grass liest, zu sitzen kommen kann, zählt heute nur noch eine Kunst, die Kunst des aus dem Fenster Schauens. Die gesamte deutsche Nachkriegsliteratur war aber vom Innenleben des Zuges fasziniert, es war eine Literatur des geschlossenen Lebens ohne Wolken. Dergleichen geht uns heute nichts mehr an, uns, dir wir alle in irgendeinem Zug sitzen, und wünschten, doch einmal wieder Draußen zu sein. Wolken. Wir wünschten, nicht nur unsere Freundin liefe uns davon, nicht nur die Gesellschaft, sondern die ganze Welt.

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Kommentare zu diesem Text

parkfüralteprofs (57)
(10.04.14)
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 toltec-head meinte dazu am 10.04.14:
Gesellschaftsemblematik vom rasenden Zug in nur eine Richtung klingt jetzt aber stärker nach Dürrenmatt als nach meinem Text, du Guter.

 Dieter Wal (10.04.14)
Sehr schön geschrieben ist es inhaltlich Murks. Ich les gern z. B. Borchert. Nicht nur der hätte eine ernstzunehmende Würdigung verdient.

"Die gesamte deutsche Nachkriegsliteratur war aber vom Innenleben des Zuges fasziniert, es war eine Literatur des geschlossenen Lebens, sie hatte statt den Wolken den Holocaust zum Beispiel."

Ich freue mich mit dir, Bruder, dass du offenbar weder einen Ressortchef noch einen Literaturdozenten an der Uni hattest. Denn sonst hätte der dir solche Sätze um die Ohren gehauen. Hoffentlich. ;)

 toltec-head antwortete darauf am 10.04.14:
Zum Glück hab ich ja dich, Dieter. Danke.
parkfüralteprofs (57) schrieb daraufhin am 11.04.14:
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