Weggehen 3

Text zum Thema Liebe, lieben

von  Ganna

Wenn du keine Liebe erfahren hast in der Kindheit, machst du dich auf den Weg, diese Liebe zu suchen. Du suchst sie überall, bei Freunden, Bekannten, Nachbarn, in der Schule und bei der Arbeit. Du suchst sie beim Einkaufen und in der Musik, beim Betrachten der Sterne und beim Anschauen von Schaufensterpuppen, da machst du keinen Unterschied, so sehr vermisst du sie. Überall suchst du sie, nur nicht bei dir, denn wäre sie bei dir gewesen, hättest du es irgendwann bemerken müssen. Dann hätte irgendeiner dich lieben müssen. Aber du wurdest nicht geliebt und darum muss die Liebe außerhalb von dir sein.

Weil alles Liebenswerte außerhalb von dir ist, versuchst du dir anzueignen, was du außen findest. So viel wie möglich. Hast du erst einmal so viel wie möglich von außen in dir aufgenommen, muss irgendwann der Zeitpunkt kommen, an dem du auch Liebe in dir hast. Das scheint dir logisch.
Also lernst du, studierst, treibst Sport, malst Bilder, gehst in Opern und Konzerte, kaufst dir Kleider, schmückst dich mit Hüten, arbeitest viel und verdienst Geld, tust alles, was andere von dir wollen und liebst und liebst und liebst…das, was die anderen tun, was sie sind, was sie zu sein scheinen. Dich selbst liebst du immer noch nicht.

Du lebst ganz in dem Glauben, bist du erst einmal besser, machst du alles richtiger, gibst du erst einmal alles, was du hast, dann wird man auch dich eines Tages lieben. Erst dann bist du liebenswert, wenn du dich dafür bereit gemacht hast. Du weißt nicht, dass Liebe an keine Eigenschaft oder Gabe gebunden ist, du weißt nicht, dass es Liebe nicht im Austausch gibt, sondern immer umsonst. Du hast es nicht erfahren, dass Liebe normal und natürlich ist, also kann sie auch für dich nicht normal und natürlich sein.
So strengst du dich an lieb zu sein, verbiegst dich, machst dich gerade oder buckelst, immer so, wie du glaubst, dass andere dich haben wollen. 
Du weißt nicht mehr, wer du selber bist, hast es in den vielen Jahren deiner Kindheit vergessen. Da du das aber selber nicht mehr weißt, können die anderen dich auch nicht sehen. Sie können dich nicht lieben, da du nicht erkennbar bist. Sie können an dir nur das lieben, was auch sie im Außen suchen. Sie werden dich lieben für das, was du hast, einschließlich deiner gesellschaftlichen Stellung, deiner Wohnung und deines Bankkontos. Sie werden dich lieben, um sich selber aufzuwerten und es wird sie nicht interessieren, wer sich unter deinem äußeren Bild versteckt.
Genauso wie du kennen sie es nicht anders.

Mit einem Schlag wurde mir klar gemacht, dass es so nicht funktioniert. Mein Dasein als Künstlerin war nicht liebenswert, ebenso wenig mein Geld, mein Status, meine Wohnung und mein Klavier. Nicht einmal, dass ich Kinder geboren hatte, machte mich in dieser Welt liebenswert.
Das, was liebenswert hätte sein können, hatte ich nicht erkannt und lange Jahre unter einer Schale versteckt. Mit einem Schlag und auf brutale Weise war diese Schale abgebrochen und ich stand inmitten eines Scherbenhaufens. Ich war völlig nackt und die Nacktheit meiner Seele erschreckte mich.

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Kommentare zu diesem Text


 Jorge (23.04.14)
Eine sehr intime und dennoch philosophische Sicht von Liebe, Eigenliebe und Umwelt.
Liebe Grüße
Jorge

 Hoehlenkind (28.04.14)
Ein wunderbarer Text, verständnisvoll und weise. Lesenswert für alle, denn er könnte fast jedem weiterhelfen. Da die Suche nach Liebe, die falschen Fährten und Wegweiser allgegenwärtig sind.

Doch ich befürchte, dass wieder nur diejenigen den Wert erkennen, die selbst kurz vor dieser Erkenntnis stehen.

 Ganna meinte dazu am 29.04.14:
...so ist es, wir er-leben und be-greifen und lernen durch Er-fahrung, nicht über den Verstand sondern vor allem durch er-fühlen, so sind wir...und so werden wir auch durch unser Leid ge-lei(d)tet...die Sprache verrät uns...

 Hoehlenkind antwortete darauf am 29.04.14:
... und durch unsere Leidkultur fehlgeleidet

 Fuchsiberlin (05.05.14)
Gerade in der Kindheit wird der Grundstein gelegt. Auch und gerade für das Erfahren, das Spüren der Liebe.

Fehlt dieser sehr wichtige Grundstein, wird die Liebe auf vielfältigste und verschiedenste Art und Weise gesucht. Denn in einem drin steckt diese Sehnsucht: Geliebt zu werden. Und Menschen, die sich lieben, die du in ihrer Liebe siehst, es bedeutet einen Stich in die Seele hinein, in diesen starken sehnsüchtigen Wunsch, auch diese Liebe zu erleben.

Ein Text, der bewegt, aufrüttelt, nachdenklich macht.

Liebe Grüsse
Jörg

 Ganna schrieb daraufhin am 06.05.14:
...Liebe ist natürlich und für ein Kind, das gerade geboren ist, so natürlich wie die Luft zum Atmen, denn vor der Geburt hat es nichts vermisst...erfährt es danach aber keine Liebe, fühlt es sich ganz schrecklich...wahrscheinlich macht es damit die erste lebensbedrohliche Erfahrung...

...und wir leben in einer Gesellschaft, die von diesen ersten Erfahrungen geprägt ist...

...ich danke Dir, LG Ganna
Sätzer (77)
(18.08.15)
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 Ganna äußerte darauf am 20.08.15:
...ich danke Dir.

...es kenneichnet wohl den Weg der meisten Menschen, im Außen nach dem zu suchen, was sie dort nicht finden können...und mir scheint, da dieser Weg so allgegenwärtig ist, es ist so gewollt von dieser Gesellschaft, die uns auf diese Weise an sich bindet und unterordnet, durch eine Sucht, die sich auf Leid begründet...

lg Ganna
Sätzer (77) ergänzte dazu am 20.08.15:
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 Ganna meinte dazu am 21.08.15:
...ich denke...ich sehe, dass es auf dieser Welt überall um Macht geht, darum, andere unterzuordnen, auszurauben, auszubeuten und letzlich umzubringen...ich sehe Altruismus nur vereinzelt und nur fragmentarisch, um etwas von dem allgegenwärtigen Leid zu mildern...

...Macht kann sich da etablieren, wo sie Menschen teilt und gegeneinander aufhetzt, wo sie spaltet und irreleitet, wo sie manipuliert, verführt und Menschen ungerecht behandelt und ich bin sicher, die heute Herrschenden tun dies bewusst, wie sonst könnten sie über 7 Milliarden Menschen in Schach halten und dazu bringen an etwas teilzuhaben, was ihnen selbst am meisten schadet?

lg Ganna
Ingrid. (38)
(09.02.18)
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 Ganna meinte dazu am 17.02.18:
...durch Zufall finde ich die Nachricht, einen Kommentar hier zu haben, denn ich schaue nicht oft in mein Mailfach und auch bei kv bin ich kaum noch...eher ins Schweigen versunken...ja, egal was Du tun wirst, gleich wohin es Dich treiben wird, LEBE, LEBE, LEBE...

...nur dadurch erfüllen sich Heilung und Sehnsucht. Ich vermute, also bei mir war es so, dass es in der Natur und allein einfacher ist, sich selber zu begegnen...und nur so können wir uns erkennen, erkennen im Anderen, klar, doch scheinen mir die Voraussetzungen dafür zu sein, schon ein Stück bei sich selber angekommen zu sein...

...Liebe emfinde ich nicht als hart, ich denke eher, der Weg Liebe zu finden ist hart und kann sehr schwierig sein, ist man aber erst einmal angekommen, dann entdeckt man, dass überall Liebe ist, am Ende des Weges erkennt man, dass es nichts gibt, was ohne Liebe ist und dass man schon immer mitten in der Liebe war...und, ich denke, dass Liebe, solange sie noch an bestimmte Wesen und Objekte gebunden ist, noch nicht vollkommen, also noch nicht wirklich erfüllend sein kann...Liebe zu einem Menschen ist auch nur ein Stück Weg dahin, überall Liebe zu finden...und ich bin nicht d`accord mit der Sicht, wichtiger ist mir das Glück des Geliebten als mein eigenes, es erinnert mich zu sehr an Opferhaltung...Liebe ist ausgeglichen, nicht auf einem Haufen...

...aber ja, jeder mag es anders sehen...

...es freut mich zu lesen, dass Dir meine Texte gefallen, ich les jetzt noch die anderen Kommentare...
Ingrid. (38) meinte dazu am 17.02.18:
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 Ganna meinte dazu am 17.02.18:
...das ist es ja, weg vom Ego führt mitten durchs Ego hindurch...man muss sein Ego leben, um es dann aufgeben zu können, anders geht es nicht...also denke ich, man darf in der persönlichen Liebe auch egoistisch sein...

...ich mein, das Ego wird irgendwann von selber überflüssig, während des Lebens sozusagen schwindet es von allein...

 idioma (10.02.18)
Ich bin durch Ingrids Mammutkommentar auf diesen Text aufmerksam geworden und las daraufhin diesen Faden
und wundre mich sehr, dass ich ganz andersrum gewickelt bin :
Ich such immerzu danach, was ich lieben kann und bin glücklich, wenn ich etwas oder jemanden lieben kann !
Das ist doch ganz genauso wichtig wie geliebt zu werden !
Das gilt auch für die Kindheit : Ich finde es wunderbar und riesig wichtig, wenn Eltern mit ihren Kindern etwas Schönes entdecken, es zeigen und gemeinsam bewundern, wenn sie also dadurch in ihren Kindern die Liebe zur Natur, zu Tieren oder die Freude am Singen wecken usw. usw. ja ich wage zu sagen : Das Kind nur dauernd drücken und abknutschen ist zu wenig !!!
Man geht doch aus Liebe zum Theater ins Theater und nicht, um sich kultiviert zu zeigen und infolgedessen geliebt zu werden. Allerdings kann man aus Liebe zu einer vom Theater begeisterten Person auch noch zum Theaterliebhaber werden
( falls die Eltern da was versäumt haben, weil´s damals so weit war in die nächste Stadt.....
Ich weiß nicht auf welchem Gebiet Du Künstlerin bist.....
Aber falls Du Musikerin bist, liebst Du doch Dein Instrument und das Musikstück, das Du übst bzw. spielst und möchtest das Publikum mit dieser Liebe anstecken......
Ein Musiker, der nur spielt, um selbst bewundert und geliebt zu werden, wirkt doch alsbald hohl und eitel oder schmeichlerisch kitschig !
Ebenso unvergesslich und wahr der Spruch : " Du kannst keinen Grashalm malen ohne dass du ihn liebst..... "
Hab leider vergessen wer das sagte bzw. schrieb......... vermutlich asiatisch........ denn es gibt hinreißende alte Tuschmalereien von hochelegant gebogenen Grashalmen......
oder Bambusblättern..... usw. usw.
idi

 Ganna meinte dazu am 17.02.18:
...ich sehe in Deinem Kommentar gar keinen Widerspruch zu meinem Text...nur unsere Herangehensweise scheint verschieden zu sein.
Wie viele Menschen bin ich völlig ohne Liebe von Eltern aufgewachsen, Liebe bekam ich von den Großeltern, wo ich aber nicht lebte....also das nur zur Erklärung.
Das ist die Ausgangsbasis meines Textes. So geprägt, tritt man anders in das Leben als Menschen, die eine Kindheit in Geborgenheit hatten. Und die Defizite wollen irgendwie gefüllt werden, der Schmerz ertragen, verdrängt usw. Wir leben um zu heilen und das ist nicht einfach.

Zuerst muss man lernen, sich selbst zulieben als das, was man ist, denn wenn man sich selbst nicht liebt, kann man die Liebe, die einem vielleicht entgegen gebracht wird von einem Menschen gar nicht wahrnehmen, weil man es eben nie kennengelernt hat. Und wer sich nicht selbst liebt, wer also kein gutes Verhältnis zu sich hat, der kann auch einen anderen nicht lieben.
Das ist ein Prozess. Mit der Selbstliebe wächst auch die Liebe zu anderen Wesen, zu schöpferischen Tätigkeiten, zu Landschaften usw. Aber es ist eine Entwicklung, die über viele Jahre geht...

lg Ganna
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