Warum die utopische Form von Internetliteraturforen fasziniert, ihre Inhalte aber oftmals langweilig sind

Essay zum Thema Literatur

von  toltec-head

Schaut man auf ihre Form, so sind Internetliteraturforen Utopien, da sie von keinen gesellschaftlichen Funktionssystemen gestützt werden. Man verliert in ihnen Zeit, die man sinnvoll in das Wirtschaftsleben, Intimbeziehungen oder aber eben richtige Wissenschaft, richtige Kunst oder professionelle Unterhaltung mit entsprechenden Gewinnchancen investieren könnte. Die Gewinnchancen in Internetliteraturforen sind gleich Null, wenn man einmal von den Klickzahlen absieht, die aber, wenn man das System erst einmal durchschaut hat, einen Gewinn doch nur simulieren, der letztlich utopisch bleibt. Aber gerade weil Internetliteraturforen von ihrer Form her gesehen Utopien sind, kann man sagen, dass in den Foren und nur in den Foren absolute Literatur produziert wird. Redeten die Professoren der Postmoderne nicht von einer Literatur auf dem Nullpunkt, vom Tod des Autors, von einer Literatur, die alle gesellschaftliche Formen hintergeht? Wäre es nicht überzeugender gewesen, wenn sie dies in Internetliteraturforentexten und nicht in universitären Texten getan hätten? Hinter universitären Texten steckt immer, man mag sich drehen und wenden wie man will, die Institution. Um Literatur auf dem Nullpunkt, den Tod des Autors, Schreiben, das von keinem gesellschaftlichen Funktionssystem gestützt wird, zu erleben, muss man sich in ein Internetliteraturforum begeben. Es fällt aber auf, dass dies kaum einer von den vielen Leute, die auf Universitäten mit den ja heute schon beinah zu Phrasen verkommenen Redeweisen von der Literatur auf dem Nullpunkt und dem Tod des Autors konfrontiert wurden, je tut. Dies mag mit den Inhalten von Internetliteraturforen zu tun haben, die vorsichtig ausgedrückt ihre utopische Form nicht ganz einlösen. Läge es dann aber nicht gerade an den Klugscheißern von der Uni dies zu ändern? Seit Walter Benjamin ist in universitären Diskursen viel von der literarischen Figur des Flaneurs und vom Flanieren die Rede. Von der Form her passt der Flaneur und das Flanieren aber nur sehr schlecht in ein wissenschaftliches Paper oder ein Seminar, es hat geradezu etwas unredliches sie in diese Formen einzuführen. Wohin sie prima passen, sind Internetliteraturforen. Stellt sich die Frage, warum man sie auch dort nicht findet?

Wie kann es sein, dass wenn Internetliteraturforen von der Form her gesehen sich auf der Höhe der Zeit befinden, wenn von der Form her gesehen  in Internetliteraturforen absolute Literatur betrieben wird, ihre Inhalte beinah immer so langweilig sind? Dies mag an zweierlei Dingen liegen. Erstens entwickeln die Insassen von Internetliteraturforen in aller Regel kein Bewusstsein dafür, dass sie sich am gesellschaftlichen Nullpunkt befinden, sondern versuchen echte Wissenschaft, echte Kunst, professionelle Unterhaltung zu imitieren, manch ein Verrückter mag in ihnen sogar auf der Suche nach einer Intimbeziehung sein oder ein wirtschaftliches Kalkül aufmachen. Entsprechend enttäuschend fallen die dann publizierten Texte aus. Von der Form her eine Utopie sind Internetliteraturforen von ihren Inhalten her Sammelplätzen für die langweiligsten Stereotypien der Massenkultur.

Zweitens ist nicht ausgemacht, ob eine Utopie,  selbst wenn die Leute für sie ein Bewusstsein entwickeln würden, überhaupt funktionieren kann. Ist es wirklich möglich, Texte ohne Kuhhandel in irgendeiner Form, also ohne Aussicht auf Belohnung in irgendeiner Form zu schreiben? Ist es möglich, aus reiner Freude heraus zu schreiben, so wie man aus reiner Freude heraus Sex hat? Ist es nicht gerade so, dass in utopischen Orten absoluter sexueller Freiheit, das sexuelle Verlangen allmählich schwindet, bis kaum noch jemand Sex hat? Und folgt hieraus nicht, dass in Internetliteraturforen als utopischen Orten absoluter literarischer Freiheit das literarische Verlangen allmählich schwindet, bis auch hier nur noch Langweile herrscht?

Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren

Kommentare zu diesem Text

lucien (26)
(27.04.14)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
parkfüralteprofs (57)
(27.04.14)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
gaby.merci (61)
(27.04.14)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram