Ein Teil des Ichs oder: Blick in ein unfertiges Selbstportrait

Bild zum Thema Selbstbild/Selbstbetrachtung

von  Fuchsiberlin

Du versuchst ein Portrait von dir anzufertigen. "Wie stelle ich das nur an?" fragst du dich. Du fängst schliesslich mit den Fenstern an: Aus einem Auge hebt sich ein kraftvolles Ausrufezeichen hervor, während im anderen ein Fragezeichen unsicher und ängstlich rotiert. Zwischen diesen beiden Glaskörpern zeichnest du einen Weg. Auf der Nase eine Abbiegung. Manchmal tanzt du dir selbst auf der Nase herum.

Dann die Stirnfalten, die den Beginn suchen, und nicht nach dem Ende fragen. Auf den Lippen trocknet ein Lächeln die Tränen.

Kleine Ohren, die mehr hören als ihre Größe es aussagt. So ein Blödsinn. Als ob große Ohren eine bessere akustische Wahrnehmung hätten. Beim Prinz-Charles-groß-Lauscher-Wettbewerb hätten deine kleinen Ohren nicht den Hauch einer Chance. Über 1,90 m Körpergröße und dann solche kleinen Ohren. Ist Gott auch für deren Größe verantwortlich? Hey Gott nochmal, was dachtest du dir nur dabei? In eines dieser zwei Töne fressenden Teile fügst du mit dem Bleistift etwas unbeholfen ein Mikrofon ein. Das Ohrläppchen fungiert als Aufnahme-und Stoppschalter.

Im Kopf wartet mit jedem morgendlichen Erwachen eine Endlos-CD auf ihren Einsatz. Manchmal vergebens. Der Hirnzellen behaftete CD-Player müsste vielleicht manchmal zur Reparatur. Garantie? Nein, die erfährt in der Wirklichkeit ihre Ablehnung. Träume landen manchmal auf einem Flohmarkt. Als CD, die keiner anschaut. Gedanklich weichst du gerade von deinem Portrait ab.

Du widmest dich also wieder der gezeichneten Wiedergabe deines Ichs. Keine Augenbrauen im Gesicht, stattdessen leere Felder. Zeit füllt den Tag, aber keine manchmal auftauchende innere Leere. Vielleicht entsteht auf diesen kargen Stellen eines Tages ein Regenbogentattoo. Aus einem gezeichneten tiefen Kratzer im Gesicht fließt Blut. Erinnerungen. Unter Narben daneben verstecken sich Bilder des schmerzvoll Erlebten.

Die Haare bestehen aus Nougatschokolade, an denen Gummibärchen hängen.
Deine Lieblingssüßigkeiten. Eine Sonnenblume düngst du damit nicht. Und trotzdem schenkst du dieser einen Platz zwischen Schokoladen Traum und buntem Gelatine Mix. Deine Liebe hält sie am Leben, obwohl diese einzigartige Blume deines Herzens schon vor sehr langer Zeit starb.

Am Ende „vergisst“ du noch Hörner in das Portrait einzufügen. Wer mag schon eine männliche Zicke, die manchmal einen Hang zum Bockig sein entwickelt!? 

Zwischen dem Wunsch nach einem anderen Seelen-Gesicht und der Realität lässt du den Bleistift fallen. Wunschgesichter sind kopierbar. Ein Radiergummi wartet ruhig in deiner linken Hand auf seinen Einsatz. Du wirfst dieses gummierte Eliminierdingsdongs in den Hausmüll. Heute kommt die Müllabfuhr.
Dein Selbstportrait bleibt unfertig.

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Kommentare zu diesem Text

Pocahontas (54)
(02.05.14)
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 Fuchsiberlin meinte dazu am 02.05.14:
Liebe Sigrun,

ich denke, Ironie gehört dann auch dazu. Es ist ein wahrlich schweres Projekt. Eines, dass, so glaube ich, nie wirklich seine Vollendung finden kann und wird.

Ich danke Dir.

Liebe Grüsse
Jörg

 TassoTuwas (02.05.14)
Hallo Jörg,
das erinnert mich an Guiseppe Arcimboldo und seine Gemüseportraits. Dir ist da eine herrliche Collage gelungen.
Und sei getröstet, Selbstportraits gelten nur für den Moment, jeden Tag malt man ein anderes.
Liebe Grüße TT

 Fuchsiberlin antwortete darauf am 03.05.14:
Hallio Tasso,

solche genialen Portraits, die er erschuf, würde ich nie malen können. In der heutigen Zeit könnte ich mir in der Hinsicht Politikerportraits da gut vorstellen.

Ich glaube auch, am nächsten Tag schaut ein Selbstportrait schon wieder etwas anders aus.

Ich danke Dir.

Liebe Wochenendgrüsse
Jörg

 TrekanBelluvitsh (02.05.14)
Wäre das ein Film, würde man das wohl Tragikomödie nennen. Viele wirre Bilder, die freundlich und erschreckend zugleich sind - und sooo bekannt sind.

Guten Hunger und träne... äh... träum gut!

 Fuchsiberlin schrieb daraufhin am 03.05.14:
Tragikkomödiantisches Selbstportrait, warum nicht!? Gefällt mir.

Schokolade aß ich heute schon:)

Ich danke Dir.

Liebe Wochenendgrüsse
Jörg
ichbinelvis1951 (64)
(02.05.14)
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 Fuchsiberlin äußerte darauf am 03.05.14:
Auf meiner KV-Profilseite ist etwas versteckt ein Link zu finden, welcher zu einem Foto von mir führt. Ein paar Jahre alt, aber immerhin ein Foto. Ansonsten, joa, vielleicht füge ich ein aktuelles Foto mal in das dafür bestimmte "Foto-Feld" auf KV ein. Nur was sagt schon ein Foto über einen Menschen in seinem Wesen aus!?

Ich danke Dir für Deinen humorvollen Kommentar.

Liebe Wochenendgrüsse
Jörg

 susidie (02.05.14)
Ich denke, dass man tatsächlich jeden einzelnen Tag von vorne beginnt mit dem Selbstportrait. Und fertig, nein, fertig wird es nie, sonst würden wir erstarren.
Du hast hier Humor mit Tiefsinn gut gemischt. Gefällt mir sehr.
Liebe Grüße von Su :)
LancealostDream (49) ergänzte dazu am 02.05.14:
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 SapphoSonne meinte dazu am 02.05.14:
Darf ich mich auch noch anschließen?
Das ist dir sehr gelungen.
LG Sappho

 Fuchsiberlin meinte dazu am 03.05.14:
Susidie, Lance und Sappho,

hey Ihr drei, es freut mich, dass Euch meine Mischung gefällt. Wer weiß. wie das Selbstportrait in einem Jahr ausschaut. Da entfacht mein kleiner Drachenmund vielleicht ein Pfeffer-Feuer, weil ich Lagerfeuer sehr gerne mag, und auch Pfeffer als Gewürz nicht gerade ablehne. Und ja,man beginnt immer wieder neu mit einem nie fertig werdenden Selbstportrait. Man verändert sich ja auch in gewissen Zügen, im Lauf der Zeit.

Ich danke Euch.

Liebe Wochenendgrüsse
Jörg

 Ganna (05.05.14)
...gefällt mir, vor allem der Satz:

"Dann die Stirnfalten, die den Beginn suchen, und nicht nach dem Ende fragen."

...so bleibt nicht nur das Porträt, sondern das ganze Leben mit offenem Ausgang lebendig...

LG Ganna

 Fuchsiberlin meinte dazu am 07.05.14:
Punktgenau, Ganna!

Ich danke Dir.

Liebe Grüße
Jörg
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