Penisdackel - über die Schönheit von Viren

Essay zum Thema Worte

von  Ephemere

Die Welt wird doch besser, obwohl Marx & Co. als widerlegt gelten: Inzwischen gibt es bei Google einen (1) Treffer für “Penisdackel” – als Benutzername bei YouTube. Jahrlang führte die Suche in die Leere – nein: die Brache – ungenutzer Wortmöglichkeiten. Stets wurde einem nur “Nasendackel” empfohlen.

Frivoler Hoffnung suchte ich als nächstes “Arschreiher”. So viel besser wird die Welt offenbar doch nicht – wie bereits bei jeder Suchanfrage seit 2006 bin ich mit diesem Wort alleine im Universum, darf mich als sein Schöpfer fühlen und sein Wirt zugleich, außerhalb meiner ist es offenbar nicht lebensfähig. Noch nicht vielleicht.

Ich müsste das Feld besser bestellen. Seeding nennt man das auf Werberdeutsch. Denn Worte wollen nicht nur einem Wirt dienen – es ist auch evolutionär fatal, sie wollen jedes sprechende Wesen infizieren. Wer ein Wort schöpft, schöpft einen Virus – einen optimal angepassten, denn er verkürzt die Lebensdauer seiner Wirte in den allermeisten Fälle nicht (sehen wir einmal ab von Diplomatie, Banlieu-Pöbelei und Beziehungsstreit). Der Wortvater (oder die Wortmutter) empfindet für seine Kreatur vermutlich ähnlich wie der Hacker, der gerade Loveletter fertiggeschrieben hat und nun zuschaut, wie es das kleine Ding in die ersten Betriebssysteme schafft. Ohne Rücksicht auf Verluste und im vollen Bewusstsein dessen, dass das Kind vom ersten Moment an ein Eigenleben führt, das der Kontrolle des Vaters entzogen ist und durch kaum etwas auf ihn rückschließen lässt.

Es ist vielleicht eine Lebensweise des Camus’schen Sysyphus, Wörter zu schöpfen: Man bietet dem Sinnfreien die Stirn, indem man sein Spiel spielt, anstatt es zu verleugnen. Umso mehr, je sinnfreier die Worte selbst sind.

Doch welches Wort hat schon Sinn, der ihm nicht immer wieder gegeben würde. Das ist wie Währung: ihr Kurs hängt vom Glauben an ihren Wert ab, ist eine soziale Konvention, stets in Wandel. Mein Gymnasialfreund Gerrit und ich benutzten stets das Wort “iffeln” als Joker in unserem Wortschaft, den wir so lange in verschiedenen Kontexten gebrauchten (“Angst iffelte sich in mir hoch”, “Das musst Du doch mal geiffelt bekommen”, “Er iffelte ganz abscheulich”), bis die Menschen in unserem sozialen Umfeld begannen, die Vokabel zu übernehmen – jeder mit anderem Sinngehalt. Wir waren überzeugt, “iffeln” erfunden zu haben – nun offenbarte mir der Leviathan aus Mountain View, dass iffeln ein altes deutsches Wort ist, das bedeutet “ein schadhaftes Eisen glätten” oder “Kleinigkeiten stibitzen”. Seit 1870 hat es aber wohl keiner mehr literarisch verwendet.

Vielleicht speißt sich die Schöpfung skurriler, fragiler Wörter ohne Not aber auch aus einem Übermaß an Mitleid mit allem, das keinen Fürsprecher hat – oder, oder und, aus der Freude am Wunder des Lebens, Neuem Existenz verleihen und es wachsend seine eigenen Wege gehen zu sehen.

“Penisdackel” macht seine ersten Gehversuche, hat sich erfolgreich in einem Geschwistergehirn festgesetzt, so fest offenbar, dass dieser Wirt das Wort als Insignium seiner Identität wählte. Es tut nichts zur Sache, dass es sich um einen Menschen handelt, dessen einziges Auftreten in der Öffentlichkeit sich bisher darauf beschränkte, ein Video von “Mütze Aldah” zu kommentieren. Wer Worte nach ihrer Aussage oder ihren Verwendern beurteilt, hat keinen Sinn für die wilde Schönheit der Evolution – und die Ausbreitung von Seuchen.

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