Knöpfe II

Skizze zum Thema Kinder/ Kindheit

von  blauefrau

Zwirn. Nähgarn. Nähkasten. Der Nähkasten aus Holz. Die Hände des Onkels, der den Nähkasten gefertigt hatte, der diesen und noch mindestens einen anderen Nähkasten gefertigt hatte, mein Gesellenstück, wie er sagte, bei dem er ein Fingerglied verloren hatte. In dem Kasten lagen Nährollen, Nähnadeln, Stecknadeln, eine feine silberne Einfädelhilfe, Reißverschlüsse, eine Schere und natürlich jede Menge Knöpfe.
Auf dem Sofa stapelten sich  Kleidungsstücke. Es war Zeit, die Kleidung auszubessern. Greta und Katinka gesellten sich zur Mutter. Bei der weißen Bluse, die ganz oben auf dem Stapel lag, legte die Mutter die Knopfleiste offen und stülpte einen der Knöpfe vor. Dann holte sie aus dem Nähkasten verschiedene Knöpfe, die als Gegenstück dienen sollten. Als das Kramen in den Knöpfen nichts half, schüttete die Mutter die Knöpfe auf den Tisch. Die Knöpfe wurden nebeneinander gelegt, dann verschoben, Knöpfe in gleicher Farbe und in etwa gleicher Größe gesammelt. Ein Knopf nach dem anderen wurde an die Bluse  gehalten, bis die Mutter einen Knopf für geeignet hielt. Dann zog sie einen farblich passenden Faden Nähgarn durch das Öhr einer Nähnadel, knickte den Faden um, bildete unten einen Knoten und stach dann in die Leerstelle. Am Ringfinger der Mutter leuchtete ihr goldener Ehering. Gretas Ehering sollte einmal aus Weißgold sein, mit einem kleinen weißen Diamanten. Einig waren sich Greta und Kati bei der Wahl des Bestecks. Es sollte Spaten sein wie in einer Auslage in der Stadt.

Manchmal schnitt die Mutter einen Knopf von dem Kleidungsstück weiter unten ab, nähte ihn an der leeren Stelle weiter oben an und setzte unten einen nicht ganz so passenden Knopf an. ,,Da fällt der nicht auf!“, rief sie. Oder sie öffnete Jacke oder Mantel, griff seitlich unten an die Jackennaht und schnitt dort einen Knopf ab, den vorher nie jemand gesehen hatte. Ein Versteck. Sichtbar wurde auch ein eingenähtes Stoffschild mit einem Emblem, das verschlungene Buchstaben zeigte oder einen Firmennamen: Schnitzler oder Hettlage oder C& A. Greta verstand nicht, was diese Schilder bedeuteten; es musste sich um eine Verschwörung handeln. Waren noch Münzen in den Doppelnähten versteckt? Oder eine Nachricht? Dann der glänzende Stoff innen, das Futter oder der Taft, der ein wenig abgeschabt aussah. Oder er leuchtete blau und schwarz: diese Jacke gefiel ihr. Der Stoff erinnerte sie an Adelige, die in ausholenden Schritten über weite Flächen liefen, über Ebenen ritten, mit teuren Kleidern  und Blumensträußen im Arm, den kleinen Finger abgespreizt. Sie tranken in den Pausen aus hauchdünnen Teetassen Tee und aßen Gebäck dazu.

Kleine, runde, mit Stoff überzogene Knöpfe, meist in grau, schwarz oder dunkelblau. ,,Der ist noch von dem Kostüm, das ich damals zu deiner Kommunion getragen habe", sagte die Mutter. Oder: ,,Der stammt von dem Kleid, das ich zur Taufe deiner Schwester anhatte." Liebliche Perlmutt-Knöpfe, an deren unendlich zarten Farben sich Greta nicht satt sehen konnte. Große, männliche Knöpfe mit nur zwei Löchern in der Mitte, andere mit vier Löchern. Kleine und große Druckknöpfe, deren Hälften ineinander steckten und die so unfertig wirkten. Knöpfe aus Horn,  unregelmäßig geformt. Greta tastete mit den Fingern die Oberfläche ab. Silbrige Knöpfe mit einer kleinen Kette, die zu einer Trachtenjacke oder einem Dirndl gehörten. Wie hasste sie Dirndl. Sie fühlte sich so steif darin und dachte an den Almöhi, an Heidi, an Bergziegen. Lieber wäre sie Klara, die schöne weiße Brötchen bekam und kein Dirndl tragen musste.

Die Mutter wühlte in Sicherheitsnadeln, die heftig stachen, wenn sich die Nadelspitze aus der Verankerung löste. Mit Leder bezogene Knöpfe, die der Vater sonst an seiner Strickjacke trug. Samstags und abends hatte er diese Jacke an. Ein Knopf vom Verlobungskleid der Mutter, das in taubenblau gehalten war. Das Kleid von der Tante Mo, die sich nie bei uns blicken ließ und die damals nichts anbrennen ließ. ,,Wo wohnt die?“, fragte Greta. Und was ließ die nicht anbrennen? Wieso anbrennen? Greta wollte jetzt dahin, wo etwas nicht anbrannte, wo die Tante mit den auffälligen Kleidern hinging und einmal hören, wie frech die Tante redete. Was sagte sie denn?

,,Und das Hochzeitskleid im Wandschrank im Dachgeschoss, wer hatte das genäht?“ Wie schlank die Mutter damals gewesen war. Kleidergröße 36. Wer hatte das Kleid genäht? Wie oft musste sie zur Anprobe? Oder sie sagte: ,,Das Kleid zu dem Knopf hatte ich zur Verlobung  Eurer Cousine an.“ Und der beige-grün-gestreifte Knopf gehörte zu dem Kleid, das sie auf der Hochzeit von Tante Elli getragen hatte. Da weinte die Mutter. Katinka tröstete sie. Immer wenn Tante Ellis Name fiel, weinte sie. Greta verdrehte die Augen.


Die Plastikknöpfe rochen nicht. Intensiver rochen die Lederknöpfe oder die Hornknöpfe.
Die Knöpfe, die mit Stoff bezogen waren, waren auch von einem Kleidungsstück  abgeschnitten worden. Sie rochen schwach nach Parfum. Auf so einem Fest wollte Greta auch einmal sein, auf dem  Frauen in glänzendenKleidern dieses Parfum trugen und geistreiche Gespräche führten. 

Die Knöpfe schepperten und klimperten. Hatte die Mutter einen passenden Knopf gefunden, war es eine Weile still. Katinka fragte nach den Verwandten in Amerika. Wo die genau wohnten. Warum die Mutter zu ihnen keinen Kontakt habe. Das wollte Greta auch wissen. Waren die Verwandten in Amerika reich geworden?  Hatte sich die Großmutter mit ihnen überworfen? Die Mutter sagte nichts. Sie stach mit der Nadel durch das Loch des Knopfes und den Stoff und von unten langsamer wieder durch den Stoff und ein weiteres Loch nach oben.  Nach Amerika, da wollte Greta unbedingt hin, die Verwandten treffen. Da würde sie dann auch interessant sein. In der Schule, bei den Freundinnen. Bald.


Die Mutter drehte zum Schluss den Faden um den Knopfstiel, vernähte den Faden im Stoff darunter und riss oder biss ihn ab. Dann nahm sie das nächste Kleidungsstück, und die Suche nach einem neuen Knopf begann.

Die bunten, glänzenden Knöpfe sammelte Greta und dachte, dass es nicht so langweilig wäre, wenn die Mutter an alle Kleidungsstücke diese leuchtend roten, gelben, grünen und violetten Knöpfe nähen würde.

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Kommentare zu diesem Text


 princess (27.07.14)
Hallo blauefrau,

manche Knöpfe schreiben Geschichte. Knöpfe wie diese hier. Leise, unspektakulär und eindringlich.

Liebe Grüße
princess

 blauefrau meinte dazu am 29.07.14:
Könnte ich aus dem Text noch etwas herausstreichen?

Danke für deine Rückmeldung!

Gruß
blauefrau
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