Die käsigsten Eigennamen der deutschen Literatur - Heute: Mister Pfister als Verkörperung des Bösen in Judith Hermanns neuem Roman Aller Liebe Anfang

Essay zum Thema Literatur

von  toltec-head

Die Wirklichkeit ist viel interessanter als die Abziehbilder, die unsere Schriftsteller uns verkaufen wollen; selbst in der deutschen trifft man sehr selten auf die bedauernswerte Manie deutscher Schriftsteller: sprechende Namen. Kontingenz als Eigenwert der Moderne - die amerikanische Literatur hatte das von Anfang an bis hin in die Namensgebung hinein kapiert, die deutsche, selbst wenn neonfarbig, gibt sich trotzdem weiterhin gern zopfig. Modernität simulierend, befindet sie sich in Wahrheit auf der Flucht vor Kontingenz: ihre sprechenden Namen sind da nur Symptom. Man ist eben doch noch nicht so ganz im 21. Jahrhundert angekommen, macht sich umgeben von Klonen und Monstern mächtig Mühe, richtige Namen für richtige Charaktere auszubrüten und produziert auf diese Weise statt Klone und Monster - Menschenkäse.

Fisten ist eine monströse Erfindung schwuler Männer, die, wie alles, was schwule Männer erfinden, irgendwann so sicher wie das Amen in der Kirche von Heterosexuellen auf ihre täppische Weise geklont wird, woraufhin die ganze Chose dann sehr schnell langweilig wird und die Monster sich ein neues Betätigungsfeld suchen müssen. In der Kunst, die ja nur so etwas wie Fisten für Faule ist, kann man das gleiche Hase und Igel Spiel beobachten. Mit einer geglückten Perversion fängt immer alles an, bis dann auch die unglücklich Normalen auf den Trichter kommen und sich an ein Up-Grade ihrer Beziehungskisten machen, real oder aber eben schlimmer in Form von Kunstprodukten. Wer jemals auf Redtube sich fisten lassenden, wie Menstruationslyrikerinnen quietschenden Hausfrauen zugesehen oder einen Martin Walser Roman, zum Beispiel den über "Elsa Frommknecht", der treu ergebenden Ehefrau, und "Dr. Silvia Schall", der redebegabten Hure und Geliebten, gelesen hat, weiß, die Resultate sind erbärmlich.

Oder Judith Hermann. Als ich die Tage las, dass sie nun einen Roman geschrieben hat, in dem als Verkörperung des Bösen ein Herr Pfister auftaucht, musste ich laut auflachen.

In dem FAZ-Interview bezeichnet Hermann die Vergänglichkeit von Glück als ein zentrales Motiv ihres Buchs. Der Interviewer findet, es gäbe doch eigentlich keinen Grund für solch düstere Vorahnungen, die Kriminalität sei niedrig, dem Land gehe es gut, wir seien Weltmeister.

Judith Hermann:

"Mein Sohn ist jetzt vierzehn Jahre alt, wir reden oft über Ängste, verstehen Sie – die Ängste einer Mutter, die lebensfreudige Überzeugung eines Vierzehnjährigen. Mein Sohn findet alle meine Ängste völlig übertrieben. Ich versuche, ihm keine Angst einzujagen, aber trotzdem zu formulieren, dass alles möglich ist. Es ist alles möglich. Jederzeit, von einem Moment auf den anderen. Aber er sagt dann, zuversichtlich, selbstbewusst, mit der Sicherheit seines Alters beschenkt: All das wird nicht eintreffen. All das, was du befürchtest, wird nicht geschehen. Liegt die Wahrheit in der Mitte?"

 Der Blick der Nachrichtenansagesprecherin, wer ihn einmal verinnerlicht hat, wird ihn nie mehr los, sieht ihn auf einmal überall. Warum nur hat die Nachrichtenansagesprecherin eine solch panische Angst vor den Mister Pfisters und warum zieht ihr face die Mister Pfisters gleichzeitig derart magisch an?

Das Gesicht der Nachrichtenansagesprecherin ist Ausdruck ihres fertigen, streng begrenzten, nach außen verschlossenen, von außen gezeigten, unvermischten und individuell ausdrucksvollen Körpers. Nichts steht ab, alle deutlichen Ausbuchtungen, Auswüchse und Verzweigungen, all das, womit der Körper über seine Grenzen hinausgeht und wo ein anderer Körper anfängt, ist abgetrennt, beseitigt, verdeckt und gemildert. Alle ins Körperinnere führenden Öffnungen sind geschlossen. Alle Merkmale des Unvollendeten und Unfertigen des Körpers werden sorgsam entfernt, ebenso alle Erscheinungen des Innerkörperlichen. Verboten alles, was an Schwängerung, Schwangerschaft und Geburt erinnern könnte. Oder an den Tod. Die glatte Oberfläche, die Körperebene als Zentrum, als Grenze des mit anderen Körpern und der Welt nicht verschmelzenden Individuums.

Foucault über Fisting: Eine der wenigen Freuden des Fleisches, die das 20. Jahrhundert hervorgebracht hat, als Beweis dafür, dass es möglich ist, die traditionelle Konstruktion von Lust zu überwinden. Fisting oder andere außergewöhnliche Arten den Körper zu gebrauchen als Formen der Desexualisierung, der Demaskulinisierung, der Defeminisierung. Es geht um die Dezentralisierung und Regionalisierung aller Lüste.

Das auf seine Oberfläche hin zentralisierte Gesicht der Nachrichtenansagesprecherin, eine raffinierte Feminität verstrahlend, ruft nach der Faust im Arsch.

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Kommentare zu diesem Text

Patroklos (36)
(14.08.14)
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parkfüralteprofs (57)
(14.08.14)
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Abulie (45) meinte dazu am 14.08.14:
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 toltec-head antwortete darauf am 27.08.20:
lol
Hatte mir den weiblichen Orgasmus immer genauso vorgestellt, wie vom Prof beschrieben.

Aber klar, du und Frau Hermann müssen ja immer alles besser wissen. Schade eigentlich...
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