Beim Betrachten eines Blogs

Glosse zum Thema Literatur

von  toltec-head

In den Tagebüchern von Julien Green steht ein Satz über einen jungen Mann, der in mir haften geblieben ist:

"He´s read himself out of all jobs." "Durch Lesen hat er sich aus der Arbeitswelt komplett herauskatapultiert."

Was Green vor über 60 Jahren dämmerte, ist seitdem viel klarer geworden. Wildes Lesen, Lesen außerhalb jeglicher Credit-Point-Systeme, das trotzdem nicht nur zur Belustigung sondern quasi religiös als Haupttätigkeit betrieben wird, ist heute nicht nur ein probates Mittel sich aus der Arbeitswelt heraus zu katapultieren, sondern komplett zu vereinsamen. Dem ein oder anderen mag es gelingen, die schöne Literatur zur Fachliteratur zu machen und als sogenannter Geisteswissenschaftler auf Kongressen rumzutanzen, noch glücklicher gar wer eine der noch viel rarer gesäten Künstlerstellen zu ergattern vermag, aber was ist mit dem Rest? Der Rest, wenn er nach so vielen Lektürestunden und der Betrachtung so vieler schöner Dinge den Mund aufmacht, um darüber zu kommunizieren, stellt fest, dass er eigentlich nur ins Leere hinein kommunizieren kann.

Diese Gedanken kamen mir als ich mir kürzlich einen Blog ansah, auf den mich mein Bruder aufmerksam gemacht hatte und der eigentlich gar nicht von einem jungen Mann ist, der sich mit allen Mitteln aus der Welt heraus zu schreiben versucht, sondern von einem Literaturprofessor in Frankfurt, bei dem mein Bruder Vorlesungen gehört hat. Trotz des hässlichen und alt machenden Professoren-Titels, der heutzutage nicht einmal mehr, was dem Träger altersbedingt zu entgehen scheint, eine erotische Anziehungskraft verstrahlt, ist der Blog so schön "outlandish" wie der irgend eines anderen Jägers weißer Wale. Kleist, das Stadtfest in Wiesbaden, peinlich zur Schau gestellte eigene Sexualität gehen eine seltsame Mischung mit Betrachtungen über Angela Merkel und Außerirdische bei Hegel ein. Das Nadelöhr der Anschlussfähigkeit ist auch für Geisteswissenschafler in den letzten 60 Jahren immer enger geworden und hier können wir mit Sicherheit trotz Titels und Hut sagen: Ein weiterer Fall von jemandem, der sich ins Leere bloggt.

Ueberhaupt war das Gespräch von Hegel immer eine Art von Monolog, stoßweis hervorgeseufzt mit klangloser Stimme; das Barocke der Ausdrücke frappirte mich oft, und von letztern blieben mir viele im Gedächtniß. Eines schönen hellgestirnten Abends standen wir beide neben einander am Fenster, und ich, ein zweyundzwanzigjähriger junger Mensch, ich hatte eben gut gegessen und Kaffee getrunken, und ich sprach mit Schwärmerey von den Sternen, und nannte sie den Aufenthalt der Seligen. Der Meister aber brümmelte vor sich hin : »Die Sterne, hum ! hum ! die Sterne sind nur ein leuchtender Aussatz am Himmel.« Um Gotteswillen — rief ich — es giebt also droben kein glückliches Lokal, um dort die Tugend nach dem Tode zu belohnen ? Jener aber, indem er mich mit seinen bleichen Augen stier ansah, sagte schneidend : »Sie wollen also noch ein Trinkgeld dafür haben, daß Sie Ihre kranke Mutter gepflegt und Ihren Herrn Bruder nicht vergiftet haben ?«

Es ist sicher geistreich aus dem Hegel-Zitat über die Sterne ein Argument gegen die Existenz von Außerirdischen zu ziehen oder auch aus dem ein paar Tage später von Vilwock gebrachten Schelling-Zitat:

Allerdings ist der Mensch das Ziel und in diesem Sinn alles des Menschen wegen. Ein Letztes soll erreicht werden, aber dies schließt nicht aus, daß es anderem Raum lasse; vielmehr je breiter die Basis, über die es sich erhebt, desto mehr leuchtet seine Einzigkeit hervor. Die Wege der Schöpfung gehen nicht vom Engen ins Weite, sondern vom Weiten ins Enge.

Aber sagt so etwas heute irgend jemandem noch etwas? Kann man so in irgendeiner Weise Anschlußfähigkeit sei es an Ufologen-Kreise oder echte Wissenschaft gewinnen? Mit einem echten Stern wie Charlotte Roche, über die der Professor ebenfalls schreibt, kommt man so jedenfalls keinesfalls in Kontakt. Der Himmel über uns mag leer sein, aber noch erstaunlicher ist doch, dass uns die Erde anders als noch zu Zeiten von Hegel und Schelling genauso tot erscheint. Vielleicht erklärt sich so die Sucht vieler Menschen zu einem leuchtenden Aussatz zu werden. Denn das ist, was der Blogger außerhalb von allen Funktionszusammenhängen und dabei noch auf peinliche Weise seine eigene Sexualität zur Schau stellend, ist - hum!, hum!, ein leuchtender Aussatz einer toten Erde.


Anmerkung von toltec-head:

http://anomalien-welten.de/aktuelles-und-einfuhrendes-zum-thema-anomalienwelten/

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Kommentare zu diesem Text


 Augustus (04.10.14)
Ich würde sagen, es gibt den belesenen Menschen und den wirklichen Liteteraten, wobei der erste weniger bis gar nicht schöpferisch ist. Der zweite ist schöpferisch und sollte es in der heutigen Zeit so halten, dass er Werke schafft, die sein inneres Universum abspiegeln, sie so behandelt und ansschaut, wie Pygmalion seine Statue.
Da die Propaganda der modernen Literatur viel mehr auf den durchschnittlichen Bürger zielt, weil; wie der Fischer sagt, dort die meisten Fische zu fangen sind, zieht es viele Literaten natürlich dort hin.
Doch wie es den alten Mann auf der See gibt, der einen Jahrhundertfsich, einen großen Schwertfisch nach langen Mühen und Zerren ans Boot ziehen konnte, ungeachtetet dessen dass der Fisch ihn hinaus aufs offene Meer getrieben hatte, so und nicht anders stelle ich mir auch den mutigen Literaten von heute vor.

Grüße,
Augustus

 toltec-head meinte dazu am 04.10.14:
Ahoi!
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