Warum ich ein Buch abstoße IX - Traumspiel

Erzählung zum Thema Wünsche

von  pentz

Ich mache gerade ein Hörspiel und habe die Aufnahme mit einer hysterischen, amoklaufenden, geißelnehmenden Ehefrau abgeschlossen, so dass ich die Rolle des Opfers, der Geisel besetzen muss. Beim Nachdenken darüber, wer am besten in Frage kommen könnte, hob ich den Hörer intuitiv auf und rief eine mir bekannte Freundin/Bekanntin, ehemalige Antiquitätin oder Antiquitätenhändlerin für Bücher und nunmehr bekennende Schriftstellerin an. Sie hat die denkbar piepsendste Stimme, die höchste, leise, aber rundum deutliche, verletzlichste und opferbereiteste Stimme, die ich kenne. Sie schilderte mir, dass sie als Kind deswegen sehr gehänselt worden ist.
Sie war nicht am Apparat.
Ich machte mich wieder ans Schneiden des Hörspiels und je mehr ich mich in die Materie hineinvertiefte, desto klarer wurde mir: nur deren Stimme würde passen und dann würde es ein absolut umwerfendes Hörspiel werden, womöglich noch besser als das vorhergehende, wofür es schon Lob aus allen Himmelsrichtungen auf mich gerechnet hatte und was tut ein wahrer Autor/Regisseur/Künstler nicht alles für das Zustandekommen des bestmöglichsten Werkes? Alles!
Eben!
Es könnte schwierig werden, diese Bekanntin zu einem Spiel zu verführen, sie war so umständlich, kleinkrämerisch und leidig, das sie mehr Wenn und Abers kannte als die spontane Reaktion So-Dann! Ich durfte nicht geradeheraus mit meinem Ansinnen kommen, das war klar, sie würde auf jeden Fall gelinde gesagt mehr als reserviert reagieren, wenn ich gleich mit meiner Bitte ins Haus fiele.
So dachte ich über sie, als endlich am anderen Ende der Strippe ihre unverwechselbare dünne Stimme „ertönte“ wie die höchsten Töne einer Flöte.

Nunmehr geschah aber etwas Seltsames.
Ich weiß, ich wollte ihr Schmeicheln. Das ist doch das Öl der Personenerweichungen, oder?
So gab ich mich spontan und abrupt als ein Agent für Literatur aus, der Autorenbeiträge für eine Anthologie suchte. Natürlich arbeitet e ich mit den renomiertesten Verlag deutschaprachiger Literatur überhaupt zusammen.
Woher ich die Gedichte hätte, die ich gedächte in einer Anthologie zu veröffentlichen?
Ich nannte meinen eigenen Namen.
Ja, der, dem hatte sie tatsächlich vor einigen Monaten drei Poems aus ihrem unentdeckten Schatz vorgelegt.
Wäre auch das Gedicht mit der blauen Katze darunter?
Ja, zögernd, sagte ich, ich glaube schon.
Warum? Haben Sie es nicht vor sich.
Nein, nicht mehr. Ich habe mir erlaubt, sie bereits vor einigen Wochen dem Layouter vorzulegen, ich glaube aber sagen zu können, ja, bin mir schon sicher, dass dies auch darunter sei.
Merkwürdig, Herr Pentz, dem ich es gegeben habe, hat mir gar nichts gesagt, dass er meine  Gedichte weiterreichen wollte.
Ich erzählte ihr eine Geschichte, dass ich bei ihm zu Besuch gewesen wäre, so zerstreut auf seinem Schreibtisch auf diese Gedichte gestoßen wäre und sie mich sofort  fasziniert hätten. Und da Herr Pentz nichts dagegen hatte usw.
Gut, aber natürlich kann ich nicht ohne Einverständnis der Autorin veröffentlichen. Deswegen mein Anruf.
Sie erbot sich noch einige Tage Nachdenken. Obwohl sie natürlich sehr geschmeichelt war und überaus glücklich, dass diese Gedichte nun endlich „in die Welt“ kämen, wie sie sich ausdrückte.
Na denn.

Nun, das Spiel war doch in Ernsthaftigkeit ausgeartet, dachte ich reumütig, nachdem ich den Hörer aufgelegt hatte. Ich hatte ihre Freude so stark mitgefühlt, dass ich nicht plötzlich „aus der Rolle“ fallen konnte, ohne sie schwer zu schockieren. Damit hätte ich überhaupt keine Chance gehabt, sie zum Hörspielen zu überreden, diese sensible Dichterin hier.
Was blieb mir übrig, ich musste das Spiel weiterspielen.

Ein paar Tage später wieder Anruf.
Erstaunlich, sie sprach auch keineswegs mehr über Provisionen, was im vorhergehenden Anruf noch ein Problem darstellte, weil sie „in einer besonderen sozialen“ Situation sich befände.
Nunmehr bezog sie sich überhaupt nicht darauf. Als ob Geld für sie keine Rolle spielte. Unglaublich! Wobei ich mir sicher war, dass es sogar eine sehr große spielte, da sie keines hatte. Aber dass sie keines hat, zeigt, dass sie jetzt, wo sich eine Chance bietet, eines zu bekommen, sie sich auch nicht darum kümmert. Versagerin nach Strich und Faden auf diesem Gebiet.
Das machte sie nur mehr um so klarer zu einer wertvollen Person mit dichterischem Charakter, ganz klar, dachte ich imponiert.
„Meine Literatur muss erst einmal „in der Welt“ sein!“
„Hoffentlich reicht sie „über den Tag“ hinaus, können sich auch noch viele „Andere Menschen“ daran erfreuen.“
Man liest, hört und sieht: die Autorin hat einen unbedingten Glauben an sich selbst, ohne jeden Zweifel und über jeden Zweifel erhaben.
Ich bewunderte sie jetzt sogar. Ich musste unbedingt ihre Gedichte intensiver mir zu Gemüte führen, sobald sich eine Gelegenheit ergab. Da steckte mehr drinnen, als ich bislang erfahren konnte in meiner unverzeihlichen Oberflächlichkeit.
Sie gab sich damit zufrieden, dass ich ihr ein paar Exemplare der gedruckten Anthologie würde schicken, womit sie sich begnügte. Damit war das Gespräch zuende.

Nun, was war das?
Hatte sie denn nicht meine Stimme erkannt? War das möglich? Spielte sie das Spiel mit, weil es ihr gefiel? Sie war darin der Mittelpunkt. Wie gesagt, ich wusste es nicht.
Ich entschloss mich, ihr postalisch den Vorschlag zu machen, die  Rolle in dem Hörspiel zu übernehmen, wozu ich gleich dieses mitschickte.
Tatsächlich ein paar Tage später, rief sie an, nicht, um darüber zu sprechen, sondern um mit mir auf eine Vernissage zu gehen, einer vor der Art, wie wir vor einem Jahr besucht hatten. Natürlich habe sie das Hörspiel gelesen, aber darüber könnten wir später ja reden. Wir verabschiedeten uns.
Ich war paff. Niemals noch nicht hatte sie mich angerufen. Und würde sie jetzt doch an dem Hörspiel mitarbeiten.
Tatsächlich, ich glaube, ich habe sie überzeugen können davon. Sie hatte natürlich, wie erwartet, ihre stärksten Bedenken, sehr brutal, aber ich konnte sie in dieser Hinsicht davon überzeugen, dass das doch eher komische Elemente seien und überhaupt das Hörspiel, so brutal es sich anhörte, letztlich doch sehr ironisch, humoristisch und mehr geistreich aufzufassen sei und sein wird.
Sie erbot sich noch einige Tage, und ich bin sehr gespannt, wenn es klappen wird. Praktisch hat sie zugesagt.

Übrigens, über dieses merkwürdige Gespräch mit dem Literaturagenten verlor sie kein Wort. Sie hätte doch sagen können, wie kommst Du dazu, fremden Menschen meine Literatur ohne mein Einverständnis weiterzugeben oder etwas in der Richtung. Dabei hatte ich diese Literatur gar nicht. Natürlich musste sie sich daran nicht mehr erinnern, dass ich sie ihr zurückgeben hatte, noch am selben Abend übrigens. Ich glaube, sie hat das Spiel mitgespielt, weil es ihrem Wunsch, ihrer Sehnsucht, ihren geheimen Wollen zu sehr entsprach. Sie hat es genossen, bestimmt. Deswegen hat sie auch zugesagt, mit mir diese Hörspiel zu spielen, selbst es ihr bedenklich erscheint was die moralische Richtung anbelangt. Aber sicher bin ich mir natürlich nicht.

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Kommentare zu diesem Text

Graeculus (69)
(05.10.14)
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