Forenpeinlichkeit

Gedicht zum Thema Literatur

von  toltec-head

Alles an den Foren ist peinlich
Die Texte, die Kommentare, die Community, der Verein
Alles ist peinlich, aber vielleicht gerade deswegen trotzdem irgendwie gut
Peinlich weil es imitiert, aber imitierend das Imitierte kaputt macht
Man dann nicht mehr weiter weiß und so  - vielleicht - etwas neues entsteht
Das Imitierte, das ist natürlich die echte Literatur und ihr Betrieb, die Priester und ihre Schäflein
Und natürlich reichen die Imitierenden an die Imitierten in Lichtjahren nicht heran, es trennt sie ein ganzer Himmel
Aber trotzdem gibt es einen Bezug, denn was sich imitieren lässt, ist allein schon deshalb wert, zugrunde zu gehen
Nein, Frau Lewitscharoff, es ist nicht so, dass, weil es hier eine Masse von Imitierenden gibt
Sie im Vergleich zu den Unbeholfenen als Lichtgestalt umso klarer erstrahlten
Sondern umgekehrt: die Masse an Imitierenden verdunkelt nicht nur das Original
Sondern lässt Sie und Co. letztlich als nur etwas gekonntere Imitierende erscheinen; mit Konsequenzen
Denn so wird Künstler-Sein und sich als Künstler aufspielen auf Dauer in gleichem Maße langweilig
Was ist denn eigentlich peinlicher?, einen Text postend in der Anonymität verschwinden
Oder sich als passend gemachte Persönlichkeit, wenn auch bezahlt, schreibend ans Kreuz nageln zu lassen
Gerade weil man in den Foren schon Recht bald nicht mehr weiter weiß
Gerade weil alles letztlich unsäglich peinlich ist und selbst der Dümmste irgendwann das Spiel durchschaut
Gerade deshalb ist man in den Foren weiter, gerade deshalb verläuft hier eine Front
Die Foren machen wie der Sex eine Weile Spaß, aber ungestützt von einer Institution wie der Ehe oder eben einem Betrieb
Hat es wirklich keinen Sinn dann, wenn es keinen Spaß mehr macht, noch weiter zu machen
Es sei denn, man durchschaut die Imitationshölle und macht sich klar, dass man in der schlechteren Position
In der man nicht mehr weiter weiß, in der besseren Position ist, weil man alleine ist
Man ist in den Foren in einem Maße allein, wie es sich Schriftsteller der Vergangenheit gar nicht denken konnten
Nicht nur wird man von keiner Institution gestützt
Nicht nur ist Literatur oder wird in den Foren zu einer nichtssagenden Idee, Kollegen zum Witz
Sondern man ahnt, jeder Schritt von der Virtualität in die Realität kann nur ein Schritt ins Nichts sein
Jemand wie Böll, Grass oder Lenz waren doch vergleichsweise nie eine Sekunde allein
Und ich meine jetzt nicht, dass sie eine Familie hatten, die haben oder hatten viele hier ja auch
Das entscheidende ist auch nicht, dass die Idee und ein Betrieb der Literatur sie stützte
Sondern, dass sie nicht innerhalb eines rein virtuellen Raums schrieben, sich dessen also auch nicht bewusst sein
Und deshalb fröhlich so weiter machen konnten wie die Schriftsteller vor ihnen mit Holocaust, gesammelten Werken und Nobelpreisen
Im Hintergrund immer die Unterscheidung zwischen Priestern und Schäfchen durch die Jahrhunderte legitimiert
Aber im virtuellen Raum zieht das nicht mehr, kann man noch eine Weile imitierend so weiter machen
Aber es wird alles sehr schnell langweilig und nichts vermag darüber hinweg zu täuschen, man ist allein
Im Zentrum der Foren steht nicht eine Idee von Literatur sondern - und das ist das neue - die Einsamkeit
Die Foren arbeiten an einer Idee eines Palazzo Schifanoia, an einem Vertreib der Langeweile
Drei oder vier Leute, die gleich angewidert und sich durch Schreiben zum Spaß und nicht von Werken über dem Wasser halten
Ich glaube, das ist die Idee von Foren
Und sie ist - der ganze peinliche Rest ist nurmehr Literatur - neu
Weil das Bedürfnis aus Gründen der Einsamkeit danach neu ist.

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