Allmählicher Verfall

Innerer Monolog zum Thema Selbstironie

von  EkkehartMittelberg

Dein Haar wird grau
und stumpf der Blick.
Du bewegst dich träge.

Dein Gehör lässt nach,
du lernst zu interpretieren,
gehst bedächtig wie ein Peripatetiker*
und denkst schwerfällig.

Deine Schlagfertigkeit kommt dir abhanden,
und weil du das weißt,
bist du lieb und einvernehmlich.

So behandelt man auch
den alten Herrn,
dessen resignative Worte bestenfalls
in den Verdacht von Weisheit geraten.

Du hast dies früher an anderen beobachtet,
und jetzt kannst du es an dir selbst studieren.
Bereitwillig schickst du dich in das Unvermeidliche
und versuchst, es nach Kräften zu verzögern.

Doch solange Schmerzen dich nicht peinigen,
fühlst du dich wohl in deiner faltigen Haut.


* Einer, der versucht, beim Umherlaufen zu denken

© Ekkehart Mittelberg, Dezember 2014

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (03.12.14)
Ich bin fürchterlich hin- und hergerissen. Das ist bissig, lustig... und trifft bis ins Mark!
Die Frage, die dahinter steht, ist: Was sind wir mehr, Körper oder Geist? Und was beeinflusst was wie? Aber womöglich ist das auch einfach nur der Altersunterschied zwischen uns beiden...

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.12.14:
Die Frage, die dahinter steht, ist: Was sind wir mehr, Körper oder Geist? Und was beeinflusst was wie?
Ja, diese Frage steht dahinter.
Für mich beantworte ich sie so, dass in dem Wechselspiel zwischen Körper und Geist der Geist stärker ist. Aber ich habe das Glück, an keiner schweren krankheit zu leiden.
AbrakadabrA (45) antwortete darauf am 03.12.14:
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Graeculus (69)
(03.12.14)
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 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 03.12.14:
Danke, Graeculus. Blacky hat Recht. Humor kann helfen, weniger feige zu sein.

 Bergmann (03.12.14)
In seinen besten Minuten sprach mein Vater, als er 85 war, sowas an. Aber da war ich noch zu jung für.

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 03.12.14:
Danke Uli, dein Vater muss die vertraut haben. Andernfalls hätte er es wohl nicht angesprochen.
Silvi_B (48)
(03.12.14)
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 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 03.12.14:
Merci, du kennst mich schon recht gut, Silvi. Ja, mir ist ein lächelnder Gruß lieber als ein ernster. Natürlich sind die selbstironischen Erkenntnisse kein Spaß, aber die lächelnde Distanz ist mir ernst. )
Nimbus (41)
(03.12.14)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.12.14:
Nein Heike, ich verstehe gar nichts falsch. Ich kann deinen Kommentar sehr gut nachvollziehen und danke dir dafür.
Bis vor kurzem bin ich fahrlässig mit meiner Gesundheit umgegangen. Nach einem Warnschuss passe ich jetzt sorgfältig auf.

LG
Ekki
BellisParennis (49)
(03.12.14)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.12.14:
Ja, danke Carsten, es ist in meinem Sinne, dass man das lachende Auge sieht. Um das weinende machen Schriftsteller nach meiner Erfahrung zu viel Aufhebens.
Lächelnde Grüße
Ekki
LottaManguetti (59)
(03.12.14)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.12.14:
Grazie, Lotta. ich kenne dich (wenn auch "nur" virtuell) schon so lange, dass ich jeden Irrtum ausschließe, wenn ich sage, dass wir uns in unserer positiven Weltsicht ähneln.

Deshalb beschwingte Grüße aus einem fröhlichen Tag an dich
Ekki

 Regina (03.12.14)
Ich muss jetzt an eine Zeit denken, als ich glaubte, ein Dreißigjähriger sei uralt, während ich mir die beiden Frauen im Erdgeschoss von 90 und 70 Jahren nicht als Mutter und Tochter vorstellen konnte. Es grüßt dich ein blutjunges Mädchen von 60.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.12.14:
Merci, Regina, ich kann mich noch gut an meine "wilden" Jahre erinnern, als wir Älteren mit viel Skepsis begegneten, so nach dem Motto: "Wer mit nem Dreißigjährigen pennt, gehört schon zum Establishment." Heute weiß ich, du gehörst schon dazu, wenn du im Konfirmationsanzug geboren wirst noder du bleibst immer offen und setzt nie den Rost der Etabliertenj an.

Liebe Grüße an das blutjunge Mädchen.
Ekki

 monalisa (03.12.14)
'Lieb und einvernehmlich und im Verdacht, weise zu sein', ja so kennt man dich, lieber Ekki, aber mit 'stumpfem Blick' kann ich mir dich beim besten Willen nicht vorstelle, da blitzt dein wacher Geist und Witz hervor. Und wenn du meinst 'die Schlagfertigkeit käme dir abhanden' zu sein, wie muss du dann früher gewesen sein? Aber natürlich lässt du hier einen Protagonisten sprechen, der nur entfernt Ahnlichlkeit mit dem Autor hat .

Der Text strahlt neben ein wenig Selbstironie eine liebenwürdige Bescheidenheit aus: sich bescheiden mit dem, was (noch) vorrätig ist, dieses aber voll ausschöpfen und immer noch und möglichst lange noch aus dem Vollen schöpfen können, sich dessen bewusst, dass manchen sehr viel weniger zur Verfügung steht an Geistes- und Körperkraft, dankbar auch, von schwerwiegenden Krankheiten verschont zu sein. Möge dieser Zustand noch ganz lange vorhalten!

Liebe Grüße,
mona

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.12.14:
Du hast den Akzent wie immer erkannt, Mona, aus meinen Zeilen spricht eine vielleicht repräsentative Figur. Was mich selbst angeht, ist mir der humorvolle Umgang mit meinen Unzulänglichkeiten wichtig.

Grazie und liebe Grüße
Ekki

 Jorge meinte dazu am 12.12.14:
Ich wünsche dir noch lange einen solchen gelassenen und dennoch scharfen Blick auf diese repräsentative Figur an deiner Seite.
Ich hatte in den Wirren meines Lebens diesen Text einfach übersehen. Lo siento mucho.

saludos euch beiden
Jorge
Scheester (80)
(03.12.14)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.12.14:
Vielen Dank, Detlef, dann habe ich es wohl nicht zu persönlich geschrieben.

LG
Ekki

 susidie (03.12.14)
So wahr diese Zeilen sind....aber nicht deine. In der Überlegung sicher ja, aber in der Realität....nein. Noch nicht lange her, dass wir uns trafen....Schlagfertigkeit abhanden, schwerfällig denken???? Nööööööööö.....da fliessen aber noch viele Flüsse ins Meer.......tstststs.
Aber einem kann ich nur zustimmen. Wie Graeculus sagt, Alter ist nix für Feiglinge :)
Ganz lieben Gruß...Su :)

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.12.14:
Merci, Susi, ein bisschen Antizipation ist schon dabei. Aber es kommt rascher, als man denkt. Doch dann soll es uns an Zuversicht nicht fehlen.

Ganz liebe Grüße zurück
Ekki

 Dieter Wal (03.12.14)
In was für einer Welt leben wir, in der Freundlichkeit und Güte schon fast ein Verbrechen ist?

Als ich 1984 Brechts Gesammelte Gedichte für mich entdeckte, wie ahnungslos war ich. Brecht lag mit "An die Nachgeborenen", das ich vergleichend mit deinem Gedicht las, eine Generation vor meinem Vater. Er gehörte wie der Maler Otto Niemeyer-Holstein zu denen, die den ersten und zweiten Weltkrieg zusammen durchlitten ("Lost Generation - génération perdue"). Du liegst im Geburtsjahr 1938 zehn Jahre nach meinem Vater. Der Jugendsoldat im 2. WK blieb dir erspart. Was durchlebtest du davon abgesehen? Manches hast du mir darüber erzählt.

Bitte beschreibe dein Leben. Ich bin glücklich, einem Menschen wie dir begegnen zu dürfen und finde dieses Gedicht sehr schön.

Nur die Anmerkung direkt unter dem Gedicht gefällt weniger. Auch das Sternchen hinter Peripatetiker halte ich für entbehrlich.

Im Anmerkungskästchen einfach:

"Peripatetiker, einer, der versucht, beim Umherlaufen zu denken.

© Ekkehart Mittelberg, Dezember 2014"

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.12.14:
Vielen Dank, Dieter. Ich habe ein bisschen aus meinem Leben in den "Schulgeschichten" erzählt. Weiteres wird hoffentlich in "Aus meiner Universitätszeit" noch folgen.
janna (66)
(03.12.14)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.12.14:
"Ich glaube, innerlich jung und wendig zu bleiben, bedeutet u.a., das Alter einfach zuzulassen. Es hat ja nicht nur Nachteile. ;)"

Dem stimme ich gerne zu, merci Janna. Zu den Vorteilen des Alters gehört außer einer zunehmenden Gelassenheit für den Schreibenden auch, dass sich das Lanzeitgedächtnis für Erinnerungsgeschichten immer besser öffnet.

Liebe Grüße
Ekki

 Didi.Costaire (03.12.14)
Wie ich sehe, hat sich ein Herr im gesetzteren Alter viel Arbeit aufgehalst, etliche und teils recht ausführliche Kommentare zu beantworten. Um ihn etwas zu schonen, mache ich es kurz:
Ein gelungenes Gedicht!
Liebe Grüße, Dirk

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.12.14:
Grazie, Didi. Ich habe nicht gewagt, die Zeilen unter "Gedicht" einzustellen. Vielleicht ist es tatsächlich eines.

Liebe Grüße
Ekki
Gringo (60)
(03.12.14)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.12.14:
Vielen Dank, Gringorette. Weißt du, der innere Glanz muss ja irgendwo durchstrahlen, um bemerkt zu werden. Dazu ist die faltige Haut nicht schlecht, denn ihre Furchen geben der inneren Schönheit eine Chance zu leuchten.

Meine besten Grüße, voll innerer Schönheit

Ekki
swetlana (51) meinte dazu am 03.12.14:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.12.14:
Danke für deine aufmunternden Worte, Swetlana.

 AZU20 (03.12.14)
So weit ist es schon? Kopf hoch. Aber den trägst Du ja oben. LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.12.14:
Danke, Armin. Wie gesagt, habe ich ein bisschen antizipiert. Doch die Tendenz stimmt leider.;-) Aber wir werden den Kopf oben behalten, nicht wahr?

LG
Ekki

 Emotionsbündel (03.12.14)
Ach Ekki, das ist ein herrlich ehrlicher Text )
So ist das eben mit dem Älterwerden. Bei einem geht es früher los, bei dem anderen später. Graue Haare bekomme ich auch schon, vergesslich bin ich sowieso (wenn ich mir nicht alles aufschreibe ...) und wenn man bedenkt, wie viele Kinder schlecht hören ...
Zu einem stumpfen Blick gehören m.E. dann wiederum auch entsprechende Lebenssituationen/Schicksale.

Hoffen wir mal, dass wir lange von Leid und Schmerz verschont bleiben und glückliche und zufriedene Alte werden und sein können.

Liebe Grüße,
Judith

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.12.14:
Merci, Judith. Dem schließe ich mich mit Herz und Verstand an. Ich hoffe für mich, dass mir die Selbstironie nicht fehlen wird, wenn ich "tüttelig" werde.

Liebe Grüße
Ekki
Sätzer (77)
(03.12.14)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.12.14:
Lieber Uwe,
du bist auch einer, der sich gerne mal selbst auf den Arm nimmt. Solange wir es tun, nehmen wir anderen etwas ab.
Aber im Ernst: Ich weiß nicht, ob dass Altern hier ein Topthema ist. Eher wohl nicht.
Mir ist hier aufgefallen, dass wir alten Säcke und die älteren Damen an den jungen Usern vorbeischreiben und sie an uns. Dabei fände ich gerade diesen Dialog sehr spannend. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf.
Liebe Grüße. Wir bleiben in Kontakt.
Ekki
Sätzer (77) meinte dazu am 03.12.14:
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 TassoTuwas (04.12.14)
Vor dem großen Gericht und zu einem schmerzhaften Monolog darf man die Aussage verweigern, wenn man sich dadurch selbst belastet.
Ich nehm noch ein paar Pillen und mache von diesem Recht Gebrauch.
Nachdenkliche Grüße
TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 04.12.14:
Danke, lieber Tasso, auch das Schweigen, das dir zusteht, ist beredt.

Nicht minder nachdenkliche Grüße
Ekki
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