Zur schwindenden Lust bei Männern

Glosse zum Thema Fortschritt

von  toltec-head

Wir dürfen uns alte Gesellschaften vor allem als gelungene S/M-Beziehungen vorstellen, deren Gelingen zu einem guten Teile auch darauf beruhte, dass der S/M-Code Geheimnis blieb. Die moderne Gesellschaft gleicht eher einem Swinger-Club, in dem alles erlaubt und über alles gesprochen wird, auch fleißig und mit großem technischen Aufwand - unter Offenlegung des Codes - S/M betrieben wird, was alles schön und gut wäre - wenn nur die Ergebnisse nicht unähnlich dem Marx´schen Mehrwert immer magerer würden. So viel Menschenfreundlichkeit, so viel Kommunikation, so viel für alle Einsehbares ist toll - nur leider scheint auf die Dauer die Lust auf der Strecke zu bleiben. Oder anders ausgedrückt: Moderne Gesellschaften kennen kein Geheimnis, bis auf eines - die schwindende Lust.

Die ARD sendete letzte Woche einen Film über die schwindende Lust bei Männer, wo Zahlen hierzu präsentiert wurden. In der Gruppe der 20-40jährigen hat sich die Anzahl der Geschlechtsakte pro Monat in den letzten 70 Jahren halbiert. Dies betrifft nicht nur heterosexuelle, sondern auch die vor 70 Jahren noch verbotenen homosexuellen Geschlechtsakte. Der Rückgang der letzteren ist Übrigens sogar noch besser belegt, da es hierzu schon früh empirische Studien gab. Der Trend ist bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts nachweisbar (Belege hierzu u.a. bei Ariès). Für die Zeit davor ist kein Zahlenmaterial mehr verfügbar, die offizielle Geschichtsschreibung beschäftigte sich bekanntlich lieber mit sogenannten großen Taten großer Männer. Die wahren Verhältnisse, die von Staat, Kirche aber auch den Kunsttreibenden schön unter der Decke gehalten wurden, blitzen manchmal bei randständigen Autoren wie Jürgen von der Wense auf, der aus Gesprächen mit dem damaligen Wandervölkchen der Lehrlinge und Gesellen berichtet, dass Triebentladung durch homosexuelle Geschlechtsakte in der Gruppe der bis 25jährigen eher die Regel als die Ausnahme waren -  sicherlich oftmals auch faute de mieux und gern schon einmal spielerisch (gemeinsames Abspritzen der Bäckerlehrlinge in den Teig vor dem in den Ofen schieben). Heterosexualität kam erst später im Leben als schöne Zugabe aus dem Füllhorn der Natur noch hinzu, allerdings wollte diese ökonomisch wie auch emotional erarbeitet sein, woran viele dann auch schon damals scheiterten.

Und heute? Ist zur normierten Heterosexualität die normierte Homosexualität getreten. Toll, es ist alles erlaubt. Nur schwindet leider die Lust. Vor allem, wie die ARD-Reportage zeigt, die männliche. Was Frauen betrifft, so müssen diese trotz Emanzipation zum Vollzug eines Geschlechtsakts bekanntlich ja nicht erigieren.

Wer künftig wirklich noch von der Emanzipation der Frau und des schwulen Mannes sprechen möchte, sollte eine Kleinigkeit nicht weiter unter den Tisch fallen lassen: Die Erektion folgt offenbar ihren eigenen Regeln, die weder mit denen der freien Marktwirtschaft noch mit der Deklaration der allgemeinen Menschenrechte kompatibel zu sein scheinen. Eine Kleinigkeit. Aber was ist die emanzipierte Frau und der emanzipierte schwule Mann denn eigentlich ohne sie?


Anmerkung von toltec-head:

http://www.ardmediathek.de/tv/Make-love/Make-love-3-Video-tgl-ab-20-Uhr/MDR-Fernsehen/Video?documentId=25055956&bcastId=17603928&mpage=page.dossier-24971050

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Kommentare zu diesem Text

Graeculus (69)
(04.12.14)
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 toltec-head meinte dazu am 04.12.14:
Lust und Fertilität sind zwei Paar Schuhe, Zusammenhänge aber nicht ausgeschlossen.
Silvi_B (48)
(04.12.14)
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Nimbus (41)
(04.12.14)
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Sätzer (77) antwortete darauf am 04.12.14:
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Nimbus (41) schrieb daraufhin am 05.12.14:
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LottaManguetti (59)
(04.12.14)
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 toltec-head äußerte darauf am 04.12.14:
Keinen Bock den Elefanten beim Weben zuzuschauen. Mir reicht der Hospitalismus wenn ich on gehe.

 Lala (04.12.14)
Die wahren Verhältnisse, die von Staat, Kirche aber auch den Kunsttreibenden schön unter der Decke gehalten wurden, blitzen manchmal bei randständigen Autoren wie Jürgen von der Wense auf, der aus Gesprächen mit dem damaligen Wandervölkchen der Lehrlinge und Gesellen berichtet, dass Triebentladung durch homosexuelle Geschlechtsakte in der Gruppe der bis 25jährigen eher die Regel als die Ausnahme waren - sicherlich oftmals auch faute de mieux und oftmals gern auch spielerisch (gemeinsames Abspritzen der Bäckerlehrlinge in den Brei vor dem in den Ofen schieben)

Sehr gut beobachtet. Das findet sich genauso in jedem Fußballinternat und auf den Fußballfeldern der Republik wieder. Die balltretenden Lehrlinge spritzen vielleicht nicht öffentlich gemeinsam ab, wenn der Ball ins Netz geschoben wurde, aber es folgt ein hemmungsloses gegenseitiges anspringen, umarmen und aufeinanderliegen, das es nur so eine Art hat. Und wer, wenn nicht ein Beckham oder auch ein Ronaldo, erinnern jeden Samstag nach Spielschluss daran, wie wichtig es ist für die Jungs für die Jungs gut auszuschauen? Der Hetero Mann ist mit den Neandertalern ausgestorben.

 toltec-head ergänzte dazu am 04.12.14:
Willkommen zurück!
(Antwort korrigiert am 04.12.2014)
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