Isa

Kurzgeschichte zum Thema Weihnachten

von  RainerMScholz

Der Weihnachtsmarkt erstrahlt im weichen Glitzerschmuck, es duftet nach gerösteten Mandeln, mit rotem Zuckerglanz überzogenen Äpfeln, nach Zimt, Anis und heißem Glühwein. Schemenhaft bewegen die Gäste sich zwischen den Buden und Verkaufsständen hindurch, dick eingemummt in ihre Schals und Wollmützen, mit Handschuhen bewehrt und festen Wintermänteln. In einer dunklen Ecke des Platzes hat sich eine Menschenansammlung gebildet. Scheele Blicke lugen unter tief in die Stirn gezogenen Kappen hervor, finstere Mienen werfen sich grinsend wissende Blicke zu. Ein Feuerzeug blitzt auf, Scherben klirren. Eine in zwei Hälften zerbrochene Glühweinflasche rollt in den Rinnstein. 'O du seelige' wabert von Windfetzen zerrissen über die Dächer, verweht in den kahlen Wipfeln der entlaubten Bäume. Eine dünne weiße Rauchsäule steigt über den Giebeln der Stadt in den dunklen Weihnachtshimmel.
Joseph hatte gerade den riesigen Koffer zurück unter das Bett geschoben und sah zu seiner Frau hinüber, die sich gerade, mit den Armen ihren Körper an den Lehnen abstützend, in den einzigen Sessel des Zimmers sinken ließ. Sie hielt ihren Bauch und lächelte gequält. Das ungeborene Kind strampelte in ihr. Bald würde es soweit sein. Joseph stand vom Boden auf und ging zu ihr. Sie nahm seine Hand, legte sie an ihre Wange und dann auf ihren Bauch. Abermals erstaunt zog er die Hand zurück vor der lebendigen Bewegung in ihrem Innern, um sie dann auf seinem ungeborenen Kind ruhen zu lassen, das in ihr war. Er streichelte über ihr Haar.
„Maria...“
Sie legte den Zeigefinger auf ihre Lippen und machte ein sanftes Zischgeräusch, lehnte den Kopf zurück und schien im Begriff zu sein einzuschlafen. Joseph richtete sich auf und ging zum Fenster. Das Heim lag still und ruhig. Der Wind umwehte die Fensterläden. Das war das erste Wort in deutscher Sprache, das er gelernt hatte: Asylantenheim. Es stand in großen Buchstaben über dem Eingang, dessen Glasgitter eingetreten waren. Deutschland war in Dunkel getaucht hier draußen, wo sie wohnten. Eine einzelne Straßenlaterne warf einen Lichtkegel auf die Schlaglochpfütze in der Straßendecke.
Erst hatte Joseph gar nicht verstanden, was passiert war. Er lag auf dem Boden des Zimmers und blinzelte an die Decke. Wie durch Nebel drangen nach einer Zeit die Schreie Marias zu ihm. Er wälzte sich in den Scherben um aufzustehen. Glassplitter, Mörtel und Tapetenabrisse lagen auf ihm und um ihn herum. Maria schrie. Er sah sie nicht. Alles war von Rauch und Staub eingehüllt. Dann züngelten Flammen an den Vorhängen empor. Maria, schrie er, Maria. Er torkelte durch das Zimmer, stieß an die Wände, doch er fand sie nicht. Maria, rief er mit kippender erstickter Stimme wieder, doch die Flammen waren hell aufgeschossen. Er konnte nichts mehr sehen. Joseph breitete die Arme aus. Dann fiel er durch das eingeworfene Fenster in den Abgrund auf der Straße. Draußen riefen Menschen und schienen zu singen, sie schrien und kreischten. Joseph lag in seinem Blut und sprach flüsternd den Namen seiner Frau und seines Kindes. Er flüsterte so laut er konnte. Jemand hieb ihm eine Glühweinflasche auf den Kopf. Da war er still. Eine stille Nacht.
Auch dieses Jahr wird es wieder keine Erlösung geben. Hier. Bei uns. Zwischen diesen Mauern. In diesem armen Land. In dieser Öde, dieser reichen und glänzenden Wüste, wo das Sonnenrad der Abendröte entgegenstürzt und in die Finsternis sinkt, wo Kreuze zu Haken gebogen werden. Auch in diesem Jahr wird der Erlöser nicht geboren werden können.


© Rainer M. Scholz

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