Thesen zum Verhältnis von Kapitalismus und fundamentalistischer Religion

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von  autoralexanderschwarz

1. Die fortschreitende Säkularisierung in kapitalistischen Staaten ist kein Zufall, sondern Nebenprodukt einer Konkurrenzgesellschaft, die sich hauptsächlich über Unterschiede und nicht mehr über Gemeinsamkeiten definiert. Der sogenannte Individualismus ist nicht zufällig Doktrin einer Gesellschaft, die durch ihre Konsumgüter fortwährend Separierungsmerkmale (oder anders gesprochen: Statussymbole) produziert.

2. Das Erstarken fundamentalistisch religiöser Bewegungen, die eine Gleichheit der Gläubigen unter einem Schöpfergott propagieren, vollzieht sich nicht zufällig häufig dort, wo die soziale Not ohnehin eine einheitliche Lebensweise erzwingt. Ebenso ist eine Ausrichtung des Lebens auf ein Jenseits wahrscheinlicher, wenn das Diesseits nur bedingt lebenswert erscheint. (Die Golfstaaten bilden hierbei aufgrund einer Vielzahl von spezifischen Besonderheiten eine Ausnahme.)

3. Durch die Globalisierung und die damit entstandene Reichweite wirtschaftlicher Handlungen befördern Import und Export kapitalistischer Staaten somit das Entstehen und Wachsen fundamentalistisch religiöser Gruppen; zum einen durch die Verschlechterung wirtschaftlicher Verhältnisse vor Ort, zum anderen durch das Hervorrufen kultureller Abwehrreflexe (boko haram).

4. Der Versuch kapitalistischer Staaten trotz der Säkularisierung eine (weltliche) Wertegemeinschaft darzustellen, kann - ungeachtet historischer Rahmenbedingungen - als Überbau und Triebfeder der Idee von Menschen- und Bürgerrechten verstanden werden. Anthropozentrisch begründete    unveräußerliche Rechte bilden dabei den Kern eines Wertekonstrukts. Die zumeist demokratische    Ausprägung der kapitalistischen Systeme ist niemals Grundlage sondern vielmehr Folge der gesetzlichen Fixierung solcher Werte.   

5. Diese proklamierten Werte stehen aber allzu oft im Widerspruch zur Handlungsweise der kapitalistischen Staaten in Vergangenheit und Gegenwart und müssen - ungeachtet ihrer sinnstiftenden Wirkung für einen Großteil der säkularisierten Bevölkerung - von außen entweder als Lüge oder aber zumindest als uneingelöstes Versprechen verstanden werden.

6. Der "Missionierungsgedanke" fundamentalistisch religiöser Strömungen muss immer in Relation zum "Missionierungsgedanken" kapitalistischer Staaten gesehen werden. Hierbei erscheint der Unterschied zwischen Ideologie und Religion vernachlässigbar.

7. Der Kapitalismus profitiert - bspw. über die Produktion von Rüstungsgütern,    Überwachungstechnik etc. - ebenso von kriegerischen Auseinandersetzungen wie die fundamentalistische Religion, die durch die Radikalisierung von Opfern und Tätern Zulauf erhält.

8. Hinter Ideologien - sei es der Kapitalismus oder eine fundamentalistische Religion - stehen immer Wenige, die - in einem höheren Maße als die breite Masse - von diesen Bewegungen profitieren.

9. Der fundamentalistisch religiös begründete Kampf gegen kapitalistische Staaten führt dazu, dass religiöse Gruppen zwangsläufig kapitalistische Prinzipien und Handlungsmuster übernehmen, wie bspw. Spekulation mit Rohstoffen, Drogen, Korruption, die Nutzung modernster Technik.

10. Da der fundamentalistisch religiöse Kampf dennoch notwendig immer (allein waffentechnisch) in einer Position der Schwäche gegenüber kapitalistischen Staaten verharren muss, bleibt der Terrorismus das einzige Mittel solcher Bewegungen, um zumindest symbolische Siege zu erzielen.

11.  Der weltanschaulich oder humanitär begründete Kampf gegen fundamentalistisch religiöse Gruppierungen oder - nebulöser - den sogenannten islamistischen Terrorismus führt in den kapitalistischen Staaten zur Übernahme und Kultivierung terroristischer Verhaltensweisen, wie bspw. Folter, gezielte Tötungen und hohe Opferzahlen in der Zivilbevölkerung fremder Länder. Ob der Tod eines Menschen ein terroristischer Anschlag oder Kollateralschaden eines Anti-Terror-Einsatzes ist, bleibt eine rein perspektivische Beschreibung. 

12. Die fortschreitende Überwachung und die Einschränkung von Bürgerrechten unter dem Eindruck einer propagierten terroristischen Gefahr führt in den kapitalistischen Staaten zu einer Erosion rechtsstaatlicher Prinzipien, die ursprünglich die Wertebasis der Auseinandersetzung darstellten oder darstellen sollten.

13. Eine solche Auseinandersetzung zweier Systeme erzwingt aber notwendig auch eine Auseinandersetzung der kapitalistischen Gesellschaft mit Religion und Kultur des "Feindes" und deren Verhandlung. Ebenso wie der Kapitalismus die fundamentalistische Religion beeinflusst, beeinflusst die fundamentalistische Religion die Bevölkerungen in den kapitalistischen Staaten und evoziert (häufig) Abwehrreflexe oder (seltener) Zustimmung.

14. Kulturelle Abwehrreflexe äußern sich zumeist im Rückgriff auf die Tradition und dabei auf möglichst einfache verbindende Elemente, die es vermögen aus einer Gruppe verunsicherter Individuen eine Gemeinschaft (besser noch: Schicksalsgemeinschaft) zu machen, die sich dem (bedrohlich) Fremden entgegenstellt. Während in den fundamentalistisch religiösen Gruppen die Religion zum identitätsstiftenden Merkmal wird, vollzieht sich in den kapitalistischen Staaten eine Rückbesinnung auf nationalistische Diskurse.
     
15. Terroristische Anschläge in kapitalistischen Staaten befördern dementsprechend nicht nur die Degeneration des Wertesystems in einem politischen (legislativen) Sinne, sondern zugleich auch eine kulturelle Degeneration im Sinne der Aufgabe freiheitlicher Prinzipien und der Bereitschaft zu einer pluralen Gesellschaft.

16. Sogenannte antiterroristische Einsätze gegen militante fundamentalistische religiöse Gruppen befördern nicht nur eine Ausbreitung fundamentalistischer Religion in den betroffenen Gebieten, sondern schaffen zugleich auch den Nährboden für neuen Terrorismus.

17. Dementsprechend können kriegerische Auseinandersetzungen zwischen fundamentalistisch religiösen Gruppen und den kapitalistischen Staaten nicht mit einem Sieg der einen oder der anderen Seite enden.   

18. Ungeachtet der Religion oder der Ideologie ist der bevorzugte Zustand des Einzelnen der Frieden.


Anmerkung von autoralexanderschwarz:

Wie der Titel bereits verrät, sind dies Thesen ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit bzw. Richtigkeit. Dementsprechend ist jeder Leser dazu eingeladen diese selbst zu prüfen und bei Bedarf zu widersprechen.

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Kommentare zu diesem Text

Graeculus (69)
(19.02.15)
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 autoralexanderschwarz meinte dazu am 19.02.15:
Lieber Graeculus,

das ist ein guter Einwand. Ich schreibe aber bewusst "befördert", um keinen kausalen Zusammenhang sondern eher eine katalysierende Wirkung zu unterstellen, die m. E. in der heutigen Zeit zunimmt. Ich denke zudem, dass (wenn man einmal von der Kolonialgeschichte absieht) Spekulation, wirtschaftliche Regulierungen wie bspw. Freihandelsabkommen, die Zerstörung regionaler Märkte etc. in den letzten Jahrzehnten (Hand in Hand mit dem technischen Fortschritt) zunehmen. Vielleicht ist Somalia ein gutes Beispiel hierfür.

Lieben Gruß
AlX

 autoralexanderschwarz antwortete darauf am 19.02.15:
Nachtrag: Gleiches gilt auch für den kulturellen Export, der quantitativ und qualitativ (im Sinne der Geschwindigkeit) zugenommen hat.

 Dieter_Rotmund (20.02.15)
Sehr ambitioniert!
Die Welt in 18 Thesen erklärt (?).

 autoralexanderschwarz schrieb daraufhin am 20.02.15:
Lieber Dieter,

ich interpretiere mal deinen Kommentar. Falls ich dich falsch verstehe, lass es mich wissen.
Der Begriff "ambitioniert" ist ja durchaus ambig, da du aber nachträgst, dass ich "die Welt" erklären möchte, fixiert das die Bedeutung für mich doch recht negativ, zumal ich ja in der Anmerkung schreibe, dass ich keine Vollständigkeit oder generelle Richtigkeit unterstelle und zudem über den Titel das Thema durchaus eingrenze. In diesem Sinne ist das m. E. alles gar nicht so ambitioniert, wie du es darstellst.

Lieben Gruß
AlX
Jack (36)
(15.07.18)
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 autoralexanderschwarz äußerte darauf am 07.10.18:
So kann man wohl durchaus Teile des Ganzen zusammenfassen, wobei es – so wie du es bündelst – mehr wie eine (wertende) Kritik vorherrschender Zustände klingt, aber letztendlich (durchaus bewusst) nicht mehr als eine Thesensammlung sein soll.
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