Rentner als Problem für angehende Internetliteraturforen-Literaten

Essay zum Thema Lust

von  toltec-head

Mach dir zunächst einmal klar, dass du hier deine Zeit verlierst. Man hat im Leben sehr wenig Zeit, es ist schwierig, Anschlussfähigkeit an irgendeines der Systeme zu finden und sei es nur im Sinne eines 9/5-Jobs, am wenigsten aber tut man dies, indem man auf der grünen Wiese verweilt. Ganz besonders schwer ist es, Anschlussfähigkeit an das Literatur-System zu gewinnen. Der zu verteilende Kuchen ist hier besonders klein, die mit den Füßen scharrende Anwärterschar proportional gesehen besonders groß und besonders intelligent, für Jura - ich sage dir da kein Geheimnis - muss man eben Jura studieren und für Literatur mit den Hunden in Hildesheim heulen. So ist das und man sage nicht, früher war es vielleicht anders. Früher war es genau so, nur vielleicht nicht so offensichtlich.

Du ziehst es vor, auf der grünen Wiese zu verweilen und deine Zeit zu verlieren? Ich gratuliere dir. Dann lass jetzt aber alle Hoffnung fahren und mache dir klar, dass du auf der grünen Wiese zwar keinen Kettenhunden begegnen wirst - die sind nämlich niemals so blöd, einfach nur ihre Zeit zu verlieren -, aber vor einem anderen Problem stehst, das auch kein schönes Antlitz trägt: Rentnern.

Ach wie süß muss es sein, wenn man seine Schäflein im Trockenen hat und vollkommen impotent ist, lyrisch und/oder spirituell zu werden. Ach wie süß muss es sein, sich zurück zu lehnen und Aphorismen zu verfassen. Rechtschreibung nach so vielen Jahren wirklich perfekt zu beherrschen und während Mama zum Kaffee Kreuzworträtsel löst, Jambisches zu fabrizieren. Politische Ansichten zu haben und immer noch zurückgelehnt in seinem Sessel, wartend auf die automatische Überweisung für den nächsten Monat, Kriege gar nicht gut zu finden.

Mach dir klar, dass du vor einem schwerwiegenderen Problem stehst, als ein junger Student der Kunstgeschichte, der eine Botticelli-Vorlesung hören will, aber Schwierigkeiten hat, die an die Wand gebeamte Venus vor dem Meer an Grauschöpfen, das sich vor ihm ausbreitet, zu sehen. Schwerwiegender, weil es doch gerade in der Kunstgeschichte das ein oder andere heiße Babe geben wird, das man, bevor es den Jurastudenten aus dem Hörsaal nebenan heiratet, noch flach legen kann. Die grüne Wiese, über die wir hier aber sprechen, ist rein virtuell. Heiße Babes? In der Literatur, wo man die linke Gehirnhälfte überanstrengen muss, eh unwahrscheinlich. Wenn dann, hier dann jedenfalls, nicht zum Anfassen.

Du siehst, du bist also durch ein wahres Höllentor getreten. Lass nicht nur alle literarischen Hoffnungen fahren, werde am besten gleich auch impotent. Ich sage nicht: Werde zum Buddha. Dergleichen ist gefährlich. Die Rentner hier haben mit Sicherheit alle Hermann Hesse gelesen. Die Gefahr, dass sie dich liken, wenn du zum Buddha wirst, ist hoch. Zum Glück sind Rentner dumm und du kannst zum Buddha werden und dich mit ein wenig Marquis de Sade tarnen. Schon lassen sie dich in Ruhe und dichten weiter die Natur an oder haben Meinungen. Am besten wird es aber sein, Literatur-Foren dazu zu gebrauchen, gar nichts zu werden. Im Dunklen tanzen, über die Kettenhunde, die etwas werden wollen und die Rentner, die nur noch sind, zu lachen. In dünner Luft zu verschwinden, seine Magersucht gegenüber den Fettleibigen zu zelebrieren. Leer wie in einer U-Bahn auf dem Weg nach nirgendwo sitzen und in die Wolken schauen.

Das Mädchen mit der Zahnlücke in der U-Bahn dir gegenüber, das dich von den Wolken ablenkt, hübsch zu finden, ist zu einfach. Die Zahnlücke mit dem Mädchen drum herum, das ist die Rose.

Und der Rentner daneben? Erhöht nur den Effekt.

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Kommentare zu diesem Text


 niemand (28.02.15)
Nee aber auch, "Rentner" von Toltec, die hundertse Folge. Publikumsapplaus!!! Langsam kriegt es die Form einer
KV-Novella ...*gg*... also auf morgen zur 101'sten!
LG niemand

 toltec-head meinte dazu am 28.02.15:
Das Problem mit dir, liebe Irene, ist, dass du versuchst etwas zu sein, was du gar nicht bist.

 niemand antwortete darauf am 28.02.15:
Du bist ja ein Pfiffikus, was Du so alles weißt.
Ich bin beeindruckt!
AbrakadabrA (45) schrieb daraufhin am 28.02.15:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 niemand äußerte darauf am 28.02.15:
Noch ein Hellseher! Junge, Junge. Weiß nicht wer ich bin, aber glaubt zu wissen, was ich möchte. Efreut Euch an Eurer
Fantasie! und habt Spaß an den Buchstaben die hier durch den Raum fliegen ...*gg*...

 EkkehartMittelberg (28.02.15)
Chapeau. So jung wie du habe ich noch nicht über mich selbst geschrieben. Dein Fleiß und deine Ausdauer verdienen Anerkennung.

 toltec-head ergänzte dazu am 28.02.15:
Das Problem mit dir, lieber Ekki, ist, dass du immer nur versuchst das zu sein, was du eh schon bist.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 28.02.15:
Das Kompliment vom KV-Raddatzerl nehme ich gern entgegen.

 LotharAtzert meinte dazu am 28.02.15:
Eins ist mal klar: Wo Raddatz aufhört, fängt Atzert an ;)

 FRP (28.02.15)
"Am besten wird es aber sein, Literatur-Foren dazu zu gebrauchen, gar nichts zu werden. "

Yep!!! - Sonst wird auch nichts.

Vor "Kriege" (Absatz3, Zeile 5) wäre ein Komma ganz hübsch anzuschauen.
sry; muß jetzt schnell noch zur Rentenstelle

 toltec-head meinte dazu am 28.02.15:
Mit dir, FRP, hatt´s überhaupt keine Probleme. Abgesehen von deinem Musiksgeschmack natürlich, und dass du die Leere nicht wirklich zu goutieren vermagst.

 FRP meinte dazu am 28.02.15:
Ja, weiß ich doch. Ich habe mit mir auch kein Problem,
darum die smileys . Oft gehe ich kommentierend noch
einen Schritt weiter in der Essenz Deiner Aussagen,
weil mich im Grunde kaum etwas an Deinen Ansichten befremdet.
Das vieles von dem, was Du schreibst, von Dir über Dich für
Dich ist - mir ist das klar, und aus dem eigenen Schaffen
vertraut. Auch Du schreibst aus einer Art Überdruss und Langeweile heraus, nur jünger .

Mein Musikgeschmack ist von mir für mich und in diesen
Grenzen die Essenz allen Seins. Für mich. Andere mögen
Karel Gott, Throbbing Gristle oder Sepultura hören. Mir
doch ganz Conchita. Keinen will ich bekehren, keinem will ich vermehren die Ohren zu füllen mit klanglichen Hüllen.

Tja, die Leere - da hast Du, wenn ich so sagen darf, ins Schwarze getroffen. Goutieren werde ich die wohl erst in den 3 Minuten vom Klinischen bis zum Exitus. Natürlich nur antizipiernd, begründet antizipierend, denn dann gehts ans Eingemachte ...
Schönes Wochenende, in Sachsen lacht die Sonne.

Innerlich Rentner? Mag sein; gerne doch. Da ich aber nie
wirklich eingezahlt habe, bleibt mir diese Hoffnung verwehrt. So
nehme ich sie mir denn etwas vorweg, koste schon mal; auch
würde es noch 15 Jahre dauern; bis.

 Lluviagata (28.02.15)
Ich mag diese deine Ansichten, weil es so ist. Auch wenn ich selbst kurz vor der Rente stehe, weiß ich doch nicht, ob ich sie je erreichen werde; insofern versuche ich, mein Herz und mein Denken der ihnen innewohnenden kindischen Ansichten freie Bahn zu lassen. Es gibt nichts Schöneres als eine bewusst alberne Alte, die erst auf dem Friedhof heult und dann Skat spielen geht. Leider trifft man solche Originale sehr sehr selten. Abgeklärte gelehrte und oder verrückt gewordene Alte bzw. RentnerInnen gibt es leider in der Überzahl.

Liebe Grüße
Llu ♡
Jack (33)
(28.02.15)
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 toltec-head meinte dazu am 28.02.15:
Der Tod ist die Lösung aller Probleme (Stalin).
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