Wie ohne Sex leben und schreiben?

Essay zum Thema Lesben

von  toltec-head

Beim sogenannten psychischem Atem hält man die Zunge so weit wie möglich zurückgerollt, wobei die Spitze bei dieser auch Khecheri Mudra genannten Stellung den weichen Teil des Gaumens berührt. Durch einen flüsternden, leicht zischenden Laut tief hinten in der Kehle bei den Stimmbändern entsteht dann der psychische Atem selbst - wie das Geräusch, das ein kleines Kind in tiefem, entspanntem Schlaf macht. In einem der mystischsten Texte der abendländischen Literatur, dem Kampaner Tal oder über die Unsterblichkeit der Seele von Jean Paul, taucht an einer Stelle überraschend auch Khecheri Mudra auf. Bislang war der Text nur den Glücklich-Wenigen im Besitz einer Gesamtausgabe zugänglich, dank Projekt Gutenberg muss man nun nur noch zu den allerdings wohl noch wenigeren und glücklicheren Wissbegierigen gehören, um ihn zu lesen.

Der Philosoph, heißt es dort in der 503. Station, braucht weder Menschen noch Erfahrungen, noch Physik, noch Botanik, Künste, Naturgeschichte zu kennen, er könne und müsse das Positive, das Reale, das Gegebene, das unbekannte X entraten, indem er, wie zuweilen die Kinder, die darüber ersticken könnten, an seiner eignen überstülptem Zunge sauge und so neue, völlig eigenartige Begriffsbildungen schaffe. Es ist, glaube ich, in seinem Buch "From Sex to Superconsciousness", wo Osho vor dem übermäßigen Praktizieren des psychischem Atems allerdings warnt. Einige Yogis hätten bereits vor Jahrtausenden, mehr durch Zufall, herausgefunden, dass es durch psychisches Atmen möglich sei "to have all the beautiful girls and boys, that you want", was sich dann aber auf dem Weg zum Überbewußtsein als Hindernis herausgestellt habe.

Nicht ohne Bezug zu Sex und dem Überbewußtsein geht es in dem Anhang zum Kampaner Tal unter anderem auch um das Fettwerden von Mönchen. In Wahrheit arbeiteten die Mönche, so heißt es dort, auf das Mästen der Seele hin: denn Fette seien sanft und liebevoll, wie schon Voltaire bemerke. Fett sei ein Zeichen und Sitz des körperlichen Wohlbefindens und da nach Plato der Tugendhafte 729mal glücklicher sei als der Lasterhafte, fordere die Kirche, dass mit der Heiligkeit auch der Schmerbauch wachse. An dieser Stelle taucht als ein etwas komischer Mönch Jonathan Swift in dem Text auf, eben jener Swift, der seine spätere Geliebte als seine 8jährige Schülerin kennen lernte, und dem in seinen nur wenig späteren amourösen Anfällen ("amorous fits") die Erkenntnis nicht erspart blieb "Oh! Celia, Celia, Celia shits". Im Anhang zum Kampaner Tal aber heißt es über ihn: Ruhe der Leidenschaften sei den Mönchen geboten, weil nichts besser mäste, wie sich aus dem unvergesslichen Dechant Swift bemerken ließe, der nicht eher fett geworden sei, als bis er toll wurde, und bis sich mithin seine Wünsche und Wellen gelegt hätten. Auch Osho spricht ja des öfteren davon, dass so um die 43 herum, wenn man normal gelebt habe, der Sextrieb sich schlagartig zurückbilde, wie ein Blatt vom Baum seiner eigenen Zustimmung gemäß ("on its own accord") falle, dass aber, weil kaum jemand normal lebe, also alle so lange sie jung seien viel zu wenig Sex hätten, die meisten Männer sich in alte, dreckige Säcke und die meisten Frauen in Menstruationslyrikerinnen verwandelten.

Über die Frage, wie man auch ohne Sex leben und schreiben könnte, habe ich mir das erste Mal - das ist jetzt beinah 20 Jahre her - Gedanken gemacht, als ich über den französischen Schriftsteller Renaud Camus las, es werde interessant sein, ihm beim Altern zuzuschauen und zu sehen, was aus seinen Texten ohne Sex werden solle. Von den literarischen Werken Camus, der eigentlich ein Vielschreiber auch ambitioniert experimenteller Texte war, ist heute eigentlich nur noch "Tricks" in Erinnerung, zu dem niemand geringeres als Roland Barthes das Vorwort beisteuerte, und das aus einer Aneinanderreihung kurzflüchtiger schwuler Sex-Abenteuer mit Gesprächen über Pascal als Après-Fick bestand.

Was aus Camus geworden ist? Nun, er, der früher reihenweise mit marokkanischen Tellerwäschern und tunesischen Strichjungen schlief, gilt heute als ein Anhänger der extremen Rechten in Frankreich, der sich in 2012 sogar um das Präsidentenamt bewarb und dann mangels ausreichender Vorstimmen dazu aufrief, Marine Le Pen zu wählen. Er schreibt heute auch weder schwule Romane mehr, für die die Käuferschicht der 70er Jahre mittlerweile weggebrochen ist, noch seine seit jeher unverkäufliche avantgardistische Literatur, sondern Reiseführer über die entlegensten und sanftesten Regionen seines geliebten Heimatlandes und betätigt sich sogar als Reiseführer. Kein bisschen fett geworden mag er auch ansonsten zu den bestaussehendsten 68jährigen zählen, die dieses runde, alte Erdenweib wohl trägt. So stellt man sich keinen fett gewordenen katholischen Mönch oder über zu viel Shit verrückt gewordenen Jonathan Swift vor, sondern einen durch seine heiligen Exerzitien vergeistigten Jesuitenpater und ewige Bohnenstange, englisch fagott.

Es wird auch weiterhin interessant sein, mir beim Altern zuzuschauen und zu sehen, über was ich dann noch schreiben kann. Vielleicht werde ich ja ein politischer Autor. Vielleicht versuche ich, mit Sprüchen wie "Ich habe nichts gegen Muslime, ich gehe, oder besser gesagt ging, mit ihnen sogar ins Bett" Vorsitzender der AfD zu werden. Und schreibe Reiseführer über Frauenklöster in der Lüneburger Heide, zu denen ich auch Gruppenwanderungen, so wie früher meine Gangbangs, organisiere. Renaud Camus mag rein quantitativ den ein oder anderen Trick mehr als ich gehabt haben, statt Vorwörtern von Barthes bekomme ich ja auch seit jeher, aber dafür dutzendweise, nur Kommentare von parkfüralteprofs. Auch liegt - es ist wahr - das von Kali-Bergen umgebene Hannover, die Heide blüht nur einmal kurz im Sommer, nicht in France, la douce sondern im niederen Sachsen. Aber das macht alles nichts. Denn schließlich kenne nur ich den nur auf deutsch lesbaren Jean Paul und habe vom psychischem Atem nicht nur gehört, sondern diesen jahrelang in Maßen praktiziert, so dass, wenn ich heute auf die Stelle bei Osho stoße, wo er davon spricht, man könne im Übermaß "all the beautiful girls and boys" haben, die man nur wolle, lächeln muss.

Nein, ich brauche kein Nationalist zu werden. Ich wandere einfach zu meinen Frauenklöstern und werde fett.

Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren

Kommentare zu diesem Text

Jack (33)
(15.03.15)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 toltec-head meinte dazu am 15.03.15:
Thomas Mann, ja, den alten Knaben müsste man auch noch irgendwie einbauen. Aber ich lass das mal, klingt eh immer komisch, wenn wir Lit-Foren Autoren die richtigen zitieren, als wenn wir durch Sex mit ihnen eingemeindet werden wollten.

 Irma antwortete darauf am 16.03.15:
Schreiben als Ersatzbefriedigung - da ist was Wahres dran. LG Irma
Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram