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Gedicht zum Thema Gedichte/Lyrik

von  EkkehartMittelberg

Wie gern würd’ ich politisch dichten,
wenn es nur Interesse fände,
ich seh’ verstaubte Lyrikbände,
die Schredder ungerührt vernichten.

Wer engagierte Verse schreibt,
malt Utopien an die Wand,
wird als Naivling bald erkannt,
der ungelesen Spinner bleibt.

Ich weiß, mein Jammern wirkt nur schal,
die Innenschau hat Konjunktur,
treibt Seelenschäfchen auf die Flur.
Politisch Lied, was soll die Qual?

© Ekkehart Mittelberg, März 2015


Anmerkung von EkkehartMittelberg:

Ein politisches Gedicht willst du schreiben? Du bist ein Einfaltspinsel. Politische Lyrik hat keine Konjunktur.

Wie haben sich die Zeiten geändert. Wer 68 unpolitische Lyrik schrieb, war hoffnungslos konservativ. Er galt als Stützer des zu revolutionierenden Systems und hatte bald die Ideologiekritik auf dem Hals. Wenn er nicht als reaktionär abgestempelt wurde, hatte er Glück. So überboten sich die Intellektuellen bis 1973 in Lippenbekenntnissen für die Abschaffung des spätkapitalistischen Systems zugunsten einer sozialistischen Welt.
Heute haben sich die Verhältnisse fast umgedreht. Nur ganz wenige schreiben noch politische Lyrik, auch hier bei kV, und deren Gedichte finden relativ wenig Interesse. Ich kann für diese Entwicklung keinen rationalen Grund erkennen, denn es gäbe Themen und Motive genug für politische Gedichte, die ja in anderen Testsorten auch abgehandelt werden, zum Beispiel
- die rasant wachsende Kluft zwischen Reichtum und Armut in den Industrieländern,
- die Konzeptlosigkeit gegenüber Flüchtlingsströmen,
- die ungleiche Entlohnung von Frauen und Männern,
- eine Renaissance des Imperialismus durch Kriege,
- Grenzen der Islamisierung,
- der Verlust von Helden in der Literatur etc.

Ist das Vertrauen in die verändernde Wirkung von Politischer Lyrik ganz verloren gegangen, sodass man es nur noch wagt, das zu beschreiben oder zu beklagen, was ist, weil man nicht als naiv gelten will?

Ich wäre dankbar für Ansätze zur Beantwortung meiner Frage.

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Kommentare zu diesem Text

Silvi_B (48)
(18.03.15)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 18.03.15:
Silvi, es muss wohl so sein, dass heute eine Mehrheit guter Lyriker Politische Lyrik als staubtrocken ansieht, obwohl es Zeiten gab, in denen sie hierzulande mit Namen wie Heinrich Heine, Bertolt Brecht, Hans Magnus Enzensberger, Peter Rühmkorf, Wolf Biermann, Erich Fried, Kurt Tucholskiy, um nur einige zu nennen, die literarischen Salons, die Clubs und das Feuilleton beherrschte mit poltischen Gedichten voller Saft und Kraft, voller Witz und Humor. Was ist passiert, dass sie heute nur noch ein Nischendasein fristet?

Die Antwort ist, glaube ich, sehr schwierig und du hast mit dem Begriff "staubtrocken" einen ersten Anstoß gegeben. Merci.

 TrekanBelluvitsh (18.03.15)
... ....... ..., ... .... .... ... .. ..... ... ........... ... .... ... ..... ...... ...... ... .... ........... ............. ... ..... ..........

(zensiert by TB)

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 18.03.15:
Danke, Trekan. Dahinter steckt sicher ein Syndrom von Ursachen. Eine von ihnen könnte tatsächlich Selbstzensur von Autoren sein, die glauben, mit politischem Engagement ihre Karriere als Dichter zu gefährden. Das wäre zwar jämmerlich, aber ausshließen möchte ich es nicht.

 Jorge (18.03.15)
Es ist einfach wahr, was du schreibst.
Einen Grund sehe ich in der Angst, sich öffentlich zu positionieren. Auch mich beschleicht manchmal dieses Gefühl, obwohl ich ungern zugebe, feige zu sein.

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 18.03.15:
Vielen Dank, Jorge. Ich kann diese Angst verstehen und einer, der öffentlich dazu steht, ist nicht feige. Sollte sie nicht nur eingebildet sein und zutreffen, würden wir in einer Gesellschaft leben, die repressiv auf politische Positionierung reagiert.

 loslosch (18.03.15)
das politische gedicht hat sich in die talkshows zurückgezogen.

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 18.03.15:
Merci. Dort existiert es in schlechter Prosa.
JamesBlond (63)
(18.03.15)
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 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 18.03.15:
Danke, James, damit wären wir mit der Suche nach den Ursachen ein bisschen weiter: Politische Lyrik stecken geblieben in der Innenschau, als fragwürdige psychische Entlastung und Selbstbestätigung, als Wiederhoung der üblichen Schlagworte.

Aber es gab trotzdem ermutigende positive Beispiele, an denen sich ein Neubeginn orientieren kiönnte. Vielleicht kennst du den einen oder anderen Titel, den ich erwähne: Volker Braun: Das Eigentum, Christa Wolf: Prinzip Hoffnung, Peter Rühmkorf: Soziale Säuberung, Uwe Timm: Lob der Idylle, Kurt Bartsch: Sozialistischer Biedermeier, Günter Eich: Wacht auf, denn eure Träume sind schlecht, Renate Rasp: Suffragetten, Peter Huchel: Der Garten des Theophrast, Sarah Kirsch: Bäume, Ernst Jandl: wien:heldenplatz
JamesBlond (63) meinte dazu am 18.03.15:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 18.03.15:
In dem Inhaltsverzeichnis meiner letzten Veröffentlichung über politische Lyrik sind die von dir vermissten Wolf Biermann, Bertolt Brecht, Erich Fried und Günter Grass selbstverständlich vertreten. Hier weiter oben habe ich sie auch erwähnt.
Kommt uns nicht mit Fertigem.
Politische Lyrik aus zwei Jahrhunderten
Gedichte und Materialien ausgewählt und bearbeitet von Ekkehart Mittelberg
Berlin: Cornelsen 2001.
Der Absatz dieses Buchs war sehr schlecht.

!970 veröffentlichte ich zusammen mit Klaus Peter: "Deutsche politische Lyrik von 1814-1970 in Vergleichsreihen" bei Klett. Das verkaufte sich in dieser Zeit exorbitant gut.

Vielen Dank für die Erwähnung der Autoren von Marion Poschmann bis Uljana Wolf.

Dein letzter Abschnitt "Einen Neubeginn....eigener Politiker" ist sehr wahrscheinlich. Vielleicht gibt es ja weiter Autoren, die mit Politischer Lyrik spielen - zweckfrei. )
Sätzer (77)
(18.03.15)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 18.03.15:
Danke, Uwe. Ich werde versuchen am Ball zu bleiben.

LG
Ekki
(Antwort korrigiert am 18.03.2015)

 Irma meinte dazu am 18.03.15:
Ich liebe seit Jahren den Sprachverdreher Martin Buchholz mit seinem politischen Kabarett, Uwe. Den wirst du allerdings nicht im Fernsehen sehen. Er ist den Sendern zu politisch. Und da er sich nicht verdrehen lässt, ... LG Irma
Sätzer (77) meinte dazu am 18.03.15:
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 loslosch meinte dazu am 18.03.15:
auch mathias richling, jg. 1953, verdient erwähnung. er bekam 89/90 probleme mit den konservativen teilen der ard.

 niemand (18.03.15)
Alles was sich von der Nabelschau entfernt, wird in der Lyrik links liegen gelassen, wobei hier das "links" auch schon eine Aussage hätte Bloß nicht gesellschaftskritisch, man könnte ja gleich in den Verdacht des "erhobenen Zeigefingers" kommen und das ist in unserer Egomanen-Gesellschaft eine Sünde. Wenn man unter Lyrikern gelten möchte, dann immer schön ins eigene Bäuchlein gucken
und die eigenen Dämpfe einatmen, das betäubt so
herrlich und dann noch so verschlüsselt wie möglich lettern, das gibt Glücksräusche unter den Lesern, alles andere ist: Bah! mit herzlichen und ironischen Grüßen,
Irene

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 18.03.15:
Grazie, Irene, du benennst zwei weitere Ursachen für die Abstinenz gegenüber Politischer Lyrik. Mir leuchtet besonders ein, dass bestimmte Lyriker als fein und exklusiv gelten wollen: "Politisch Lied, pfui ein garstig Lied."
Ja, wer sich gerne verschlüsselt ausdrückt, der kann natürlich keine Politische Lyrik schreiben, denn die soll ja zünden. Aber vielleicht unterscheiden die feinen Hermetiker nicht zwischen Politischer Lyrik und Agitprop.

 Irma (18.03.15)
Ich gestehe, Ekki: Ich kann nicht politisch! LG Irma
Fabi (50) meinte dazu am 18.03.15:
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 niemand meinte dazu am 18.03.15:
@ Irma
es muss nicht reine Politik sein, auch Gesellschaftskritik wird links liegen gelassen und da ist so einiges im Argen, aber was nicht sein darf (von der Werbung eingeprägt) das wird ignoriert. LG Irene

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 18.03.15:
@Irma und Fabi. Merci. Ihr gesteht, nicht politisch zu können. Vielleicht schwingt da ein bisschen Selbstironie mit, denn wer lyrisch kann, schafft auch politisch lyrisch.
So manches Gedicht kommt ganz unpolitisch daher. Eine kleine Veränderung, und es erhält politische Brisanz. Als Beispiel empfehle ich von Ernst Jandl: falemaleikum (leicht zu googeln).

 Didi.Costaire (18.03.15)
Wie gern würd' ich politisch dichten,
wenn es nur Interesse fände
So spricht keiner, der von seinen Gedanken und deren Umsetzung überzeugt ist, und es erinnert ein bisschen an die Kanzlerin, der nachgesagt wird, dass ihr demoskopische Erhebungen wichtiger seien als Standpunkte.
In den 68ern hingegen war oft vom Unverstand der Masse die Rede, wenn munter am Publikum vorbeigetextet wurde.
Liebe Grüße, Dirk

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 18.03.15:
Merci, Didi, dieses LyrIch ist bewusst unschlüssig gestaltet, weil es Ausdruck der allgemeinen Verunsicherung gegenüber politischer Lyrik ist.
Es stimmt, dass in den 68ern viel am Publikum vorbeigetextet wurde. Aber eines hat diese Generation, auch mit entblößender Lyrik geschafft, dass Institutionen wie Gerichte, Universitäten, Banken etc. sich nicht mehr einfach hinter Amtsautorität verschanzen können.

Liebe Grüße
Ekki
Ecnal (50)
(18.03.15)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 18.03.15:
Vielen Dank; Ecnal.
"Nein danke. Ich denke da ist jegliche dichterische Schaffenskraft verlorene Liebesmüh."


Das scheint eine der Hauptursachen für die Schwindsucht politischer Lyrik zu sein nach dem Motto: Wo die Politik versagt, kann politische Lyrik nicht zaubern.
Andererseits stelle ich mir deutsche Nachwächterpolitik zu Heines Zeiten vor. War wohl auch nicht sehr motivierend. Aber gerade die desolaten Verhältnisse ließen ihn politisch dichten:
"Denk ich an Deutschland in der Nacht,
so bin ich um den Schlaf gebracht."
Vielleicht ist die überwältigende Dominanz von Innerlichkeitslyrik heute auch ein Spiegel von Saturiertheit, die keine Lust hat, sich aufzuregen.

LG
Ekki
Ecnal (50) meinte dazu am 18.03.15:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 18.03.15:
Hoffentlich bleibt die Poloitische Lyrik in dieswem Falle enthaltsam.

 AZU20 (18.03.15)
Was kann man zu dieser Politik überall auch schon schreiben? Kriegslyrik? LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 18.03.15:
Danke, Armin. Ja, die Gefahr, sich lächerlich zu machen, ist groß. Die, die es nicht wagen, werden die ersten sein, die rufen, "Haltet den Narren!". Aber es wird wieder eine Zeit für die Verückten kommen. Wider alle Vernunft!

LG
Ekki

 Regina (18.03.15)
Es scheint zur Zeit nicht in Mode zu sein, politische Lieder und Gedichte zu erschaffen. Man kann aber getrost ältere hernehmen und findet darin noch immer aktuelle Bezüge in modifizierter Form.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 19.03.15:
Danke Regina, es stimmt, dass es ältere politische Gedichte gibt, die aktuell geblieben sind. Das ist dann hochklassige politische Lyrik.
Ich erwähne hier beispielhaft einige zu dem Motiv Vaterland:
Heinrich Heine: Nachtgedanken
Hoffmann von Fallersleben. Das Lied der Deutschen
Bertolt Brecht. Kinderhymne
Mascha Kaléko: Emigranten-Monolog
Marie Luise Kaschnitz: Jeder
Kurt Drawert: Heimatgedicht, C-dur

LG
Ekki

 TassoTuwas (18.03.15)
Ekki tu es nicht,
Politik und Lyrik halte ich für eine hochbrisante Mischung. in den allermeisten Fällen fliegt dem Dichter was um die Ohren.( Ich denke da an Joh. R. Bechers Hymne auf Stalin)
Warnende Grüße
TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 19.03.15:
Deine Warnung ist berechtigt, HansGeorg. Ich werde also sorgfältig unterscheiden zwischen Verzicht und kalkuliertem Risiko.
Wachsame Grüße
Ekki
Patrix (65)
(28.03.15)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 28.03.15:
Ich danke dir dafür, Patrix, dass du nicht schweigen willst.

LG
Ekki
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