Mater dolorosa

Satire zum Thema Alter

von  loslosch

Mater dolorosa (aus der christlichen Marienverehrung seit dem Mittelalter). Die schmerzensreiche Mutter, die Schmerzensmutter.

Das blumige Wort verhilft manchmal sogar Agnostikern dazu, kleine Wunder in Gang zu setzen. Als die 92-jährige demente Frau im häuslichen Umfeld von einer amtlich beauftragten Ärztin (keine Gerontologin oder Neurologin, wozu denn auch?) befragt wurde, behufs Einordnung in eine Pflegestufe, zeigte sich die Probandin in Höchstform. Sie versuchte nach Kräften, ihre geistigen Defizite zu tarnen, sehr zu ihrem und ihrer potentiellen Erben finanziellen Schaden. Erfahrene Ärzte wissen das. Mit Weisungen und Vorgaben belastete Mediziner könnten versucht sein, eine Pflegestufe - wider besseres Wissen - zu verweigern. Der Sohn der dementen Dame staunte ob der schauspielerischen Fähigkeiten seiner Mutter. Die Untersuchung drohte in einer Sackgasse zu enden. Höchste Zeit also, das Gespräch in geordnete Bahnen zu lenken. "Frau Dr. Klein, meine Mutter ist eine tapfere, mutige Frau. Sie unterstreicht dies gerne im Gespräch mit Dritten. Im Innenverhältnis Sohn zu Mutter aber ist sie eine Mater dolorosa. Kennen Sie den Ausdruck?"

Die Ärztin nickte und lächelte still.


Anmerkung von loslosch:

Realsatiren sind die besten.

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Kommentare zu diesem Text

Graeculus (69)
(06.04.15)
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 loslosch meinte dazu am 06.04.15:
wie, hattest du auch so eine?
Graeculus (69) antwortete darauf am 06.04.15:
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 EkkehartMittelberg (06.04.15)
Lothar, du hast Glück mit einer so verständigen Ärztin gehabt. Im Normalfall ist eine mater dolorosa über jeden Zweifel erhaben wie Maria.

Schmunzelnde Grüße
Ekki

 loslosch schrieb daraufhin am 06.04.15:
inzwischen wird demenz stärker bewertet.

zur vorgeschichte: ich hatte meiner mutter eingeschärft: wenns klingelt, geh ich öffnen. sie war schneller ...
(Antwort korrigiert am 06.04.2015)
Agneta (62)
(06.04.15)
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 loslosch äußerte darauf am 06.04.15:
die krankheit als solche ist "entwürdigend". der demente kriegt das nur in der anfangsphase selbst mit. - wer hat hier einen fürsprecher? lo
Nomenklatur (63) ergänzte dazu am 06.04.15:
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 loslosch meinte dazu am 06.04.15:
exactly so.

 Regina (06.04.15)
Auf wessen Seite stehen wir nun?

 loslosch meinte dazu am 06.04.15:
was ist gemeint?

 Regina meinte dazu am 06.04.15:
Stehen wir auf der Seite der Alten, die versucht, noch etwas von ihrer Selbetbestimmung zu retten, oder stehen wir auf der Seite der Erben, die sich evtl. das Erbe unter den Nagel reißen wollen, bevor Miterben auftauchen.

 loslosch meinte dazu am 06.04.15:
man muss konkrete fälle selbst erlebt haben, um interpretieren können. die demente alte will sich selbst retten i. s. von "ich kann was". diese verdeckten erbstreitereien sind hier nicht berührt, obwohl sie im hintergrund mitschwingen können. die staatl. verweigerung einer pflegestufe mit dem argument "sie kann sich noch am rücken kratzen" und "sie weiß ja noch, dass jetzt frühling ist" war vor 15 jahren keine seltenheit.

aus kreisen des amtsgerichts montabaur wurde mir vom schlimmsten fall im streit um das sorgerecht einer dementen frau berichtet: zwei töchter stritten sich um ihre mutter, aber erst, als diese völlig verwirrt war. die andere tochter war in einem günstigen moment angereist und entführte die mutter ins ferne ruhrgebiet. keine spur von gewaltanwendung. dann wurde sie wieder ins vertraute milieu zurückgeführt, mit hilfe der gerichte!

unwürdig ist, die hilflose demente ob ihrer versorgungsansprüche zu manipulieren. das aber passiert nicht selten. ein "würdiges" leben eines dementen gibt es sowieso nicht!

 niemand (06.04.15)
Im Innenverhältnis Sohn zu Mutter aber ist sie eine Mater dolorosa.

Meine Schwiegermutter war so eine "Mater dolorosa". Keinesfalls dement, aber dauerleidend. Besonders wenn mein Mann in der Nähe war. Sie hatte immer diesen Leidensgesichtsausdruck einer zur unrecht Gekreuzigten. Sie setzte uns, wann es auch immer ging, unter Druck, einerseits und andererseits was sie dermaßen pfiffig, dass man es kaum glauben mochte, dass es eine und dieselbe Person war. Als sie mal im Krankenhaus war, wartete sie ab, dass ihre Nachbarinnen nah ans Bett kamen um dann in aller
gespielter "Unschuld" in meine Richtung folgendes zu säuseln:
"Du schimpfst mich doch beim nächsten Mal nicht mehr aus?"
Ich dachte mich trifft der Schlag, war ich mir doch weder eine vorherigen noch eines nächsten Males bewußt. Nur die Tatsache, dass sie im Krankenhaus war, ließ mich ruhig Blut bewahren.
Mein Mann schäumte vor Wut ob solcher Unverschämtheit.
Ein anderes Mal rief sie per Telefon nach uns, mit einem Ton, als wäre die nächste Minute kein Überleben mehr möglich. Wir schnell ins Taxi und fix dorthin und was war: Mater dolorosa öffnete uns mit einem pfiffigen Gesichtsausdruck die Wohnungstür. Ich könnte hunderte von Beispielen anführen, aber die zwei reichen schon um sich ein Bild zu machen. "Mater dolorosa" wäre der passende Name für sie gewesen. Mit herzlichen Grüßen, Irene

 loslosch meinte dazu am 06.04.15:
eine "dame von welt" erklärte mir: "wir frauen sind die besseren diplomaten." lo

 TrekanBelluvitsh (06.04.15)
Ich hatte da eine gaaaanz andere Deutung im Kopf...

 loslosch meinte dazu am 06.04.15:
jetzt bin ich gespannt!

 TrekanBelluvitsh meinte dazu am 06.04.15:
Schmerzen kann man nicht nur ertragen...
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