Verbrannte Erde XVII - Afrika und Abiturenten

Erzählung zum Thema Abhängigkeit

von  pentz

Im Zug vis-á-vis sitzt eine oberfränkische Abiturentin. Sie lebt in einem der ödesten, heruntergekommensten, größeren Orte dort. Sie sagt, ja, nur noch drei Einzelhandels-Läden gibt es in der Innenstadt. Ansonsten ist alles verödet.“ „Ach, dann ist im Außenbezirk eine Großhandelskaufhäuser errichtet worden.“ „Genau. Dort geht jeder einkaufen!“
Einige Flüchtlinge steigen ein, kommen ins Abteil. Sie strömen ziemliche Geruchsbildungen aus. Aber sie sind freudig guter Dinge, hängen lachend ihre Smart-Phones an den Zugabteilungsstecker, der es auflädt. Ist ja Grund zur Freude!
„Na, vielleicht bringen ja diese Flüchtlinge Leben ins Land. In Afrika, da komme ich gerade her, da hat jede Familie ihren eigenen Laden, der an den Straßen errichtet wird. Sie haben so viel Läden, dass die Konkurrenz erdrückend ist. Aber egal, Hauptsache, jeder hat sein Geschäft.“ Die letzten Worte kommen mit einem gleichzeitigen Lachen daher. „Vielleicht etablieren die Flüchtlinge neue Läden in der Stadt.“ „Ja, das wäre schön.“ Und die Abiturentin beugt sich wieder über den Tisch.
Einer der Flüchtlinge hat einen dicken, roten Koffer mit seinem Schild seiner Adresse darauf vor sich zwischen die Knie gezwängt. Er ist also gut markiert. Die Abiturentin ist gebeugt über ihre Schulbücher und markiert und markiert zukunftsorientiert einen Lehrsatz nach dem anderen. „Ich will Bauingenieurin werden. Einen Vertrag habe ich schon in der Tasche. Meine Firma zahlt mir das ganze Studium“, hat sie vorhin noch gesagt. Ist ja auch Grund zur Freude!
Ich erzähle ihr jetzt über die Zukunftsignoranz der Afrikaner. Machen Kinder ohne Ende, sobald sie nur können, scheren sich einen Dreck um das Morgen. Dort boomt die Menschenpopulation, wohingegen hierzulande kaum jemand noch ans Kindermachen denkt. „Ja, das versteh ich. So ist das bei denen“, und wendet sich wieder über ihr Buch und markiert und markiert. Wie das klang, bei denen, als ob die auf einem anderen Planeten leben würden. Ich schaue zu den Flüchtlingen hinüber, die sich angeregt und freudig unterhalten. Von denen kommen immer mehr und mehr. Aber sie freuen sich, hier zu sein.
Dann wende ich wieder meine Nase gerade. Auch wenn die Unterkünfte nicht die besten sein sollten, ich weiß, wie deren in ihren Herkunftsländer sind. Sie lachen. Sie haben allen Grund zur Freude! „Sie bräuchten doch eigentlich gar nicht so zu pauken, weil sie doch eh schon eine Anstellung sicher in der Tasche haben.“ „Ja, eigentlich nicht. Ich müsste das Abitur nur bestehen. Das genügte“, und sie beugt sich wieder wie besessen über ihr Buch und markiert und markiert. Ich lache. Sie hustet. „Rauchen Sie?“ „Nein. Aber ich habe Fieber, eine kleine Erkältung nur. Nicht weiter schlimm.“ „Ist vielleicht psychosomatisch.“ Sie lacht nicht und beugt sich wieder über ihre Arbeit. „Aber der Ehrgeiz, der Ehrgeiz, wenn der nicht wäre!“ Sie schaut auf und lacht mit mir wieder. „Stimmt!“ „Jeder macht sich halt sein Leben auf seine Art und Weise schwer.“ „Ja, das stimmt!“, wobei sie sich erneut über ihre Lehrsachen beugt und weitermarkiert. Ich lache. Ja, das ist mein Grund zur Freude!
Ich erzähle ihr von den Straßenverhältnissen in Afrika. Überall staubt es von dem Löschboden, der einer dringenden Asphaltierung bedarf. Die Abiturentin sagt nichts dazu.
Grund, aus dem Fenster zu gucken, wo wir sind. Überall sind Betonbauten, so gleichförmig angelegt, dass man oft nicht weiß, wo man sich befindet, nun kurz vor Fürth oder Nürnberg?
Das gibt mir Anlass zu folgender Bemerkung. „Eigentlich bräuchten wir hierzulande keine Betoningenieure. Soll das ganze Land zubetoniert werden?“ Die Gesprächpartnerin wendet den Kopf, sagt: „Eigentlich nicht!“ Es ist sehr zögerlich. „Aber ich werde sicherlich einmal ein Jahr im Ausland studieren!“ Ja, das wird sie. Danach wird sie schleunigst wieder zurückkommen und hier weiterbetonieren, was das Zeug hält gleich der Besessenheit, wie sie ihr Buch Zeile für Zeile markiert.
Einige Kilometer vorm Zielort hat sie doch ihre Schulsachen weggepackt und lernt nicht mehr, aber zieht ihr Smartphone heraus. Am Schluss scheint sie noch verschnupfter zu sein als vorhin.

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Kommentare zu diesem Text


 Regina (05.10.15)
Zukunftsignorant erscheinen hier die einen wie die anderen, nur auf andere Weise.
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