Verbrannte Heimat XIX - Entsorgung durch Urlaub

Erzählung zum Thema Andere Kulturen

von  pentz

„Wo kann man da den Abfall hintun?“, frage ich Andrew.
„Eh?“
Ich wiederhole den Satz.
„De!“ Pause. Mein afrikanischer Gastgeber kratzt sich am Kopf.
„Ich verstehe nicht.“ Erneutes Schweigen, während der sich seine Augen vergrößern und weiten und jetzt kommt’s: „Ach so! Nun verstehe ich. Klar. Gute Frage.“
Ich und er schauen einander an, dann sich um und nichts ist zu sehen, was dazu geeignet wäre, wo man diese Sorge des Abfallbeseitigens loswerden könnte. Im Rinnstein liegt Abfall, im Graben, auf dem Dach, überall. Aber nirgendwo ein gekennzeichneter Behälter, der genau für diese Zwecke bestimmt wäre. Man braucht das hier nicht.
Ich wage es nicht, ich traue mich nicht, ich stecke alles in meine sämtliche Taschen. Ich bin erst seit zwei Tagen hier.
Als ich alleine bin, schaue ich mich wieder um, hier- und dorthin. Ich sehe keinen Abfalleimer. Jetzt könnte ich es machen, keiner nimmt mich doch war, na!
Ich lass das Papier in der Seitentasche. Vorerst.
Ich greife in meine Tasche, als ich mich wieder unbeobachtet fühle. Da ist das Papier. Soll ich oder soll ich nicht? Sicherheitshalber schaue ich noch gründlicher in sämtliche Himmelsrichtungen. Ich sehe keinen Müllbehälter, -eimer, -tonne, -container, irgendetwas in der Art.
Ich drehe mich erneut um.
Gibt es das? Nirgendwo eine Möglichkeit der Entledigung des Abfalls.
„Entsorgung“, plötzlich fährt mir dieser komische Begriff durch den Kopf und macht Sinn. Überflüssige Dinge bereiteten einem Sorgen. Auf der Wegwerfgesellschaft, die eine Luxus- und größtenteils Ein-Personen-Haushaltsgesellschaft ist, lastet eine erdrückende Hypothek. Wie befreit man sich davon?
Indem man den Abfall fallen lässt – wie ich es mir nicht traue zu tue.
(„Müllabfuhr?“; auch so ein sinniges Wort. Isst der Mann den Abfall und lässt er danach einen fahren?)
Fährt er ihn weg?
Nein, er bereitet den „Abfall“ so vor, dass er ihn wegfahren lässt, halt, dass er weg-, ab-, losgefahren werden kann...
Warum heißt es denn nicht „Müllwegfuhr“?
Weil er schon so vorbereitet ist, dass er abgefahren werden kann?
Ich drehe mich wieder um mich, so viele Fragen, so wenige Antworten.
Die Todesängste schwächen sich zumindest ab und ich wage es mir vorzustellen: Er fällt, der Abfall. Ich sehe ihm zu, wie er fiele, fällt wie das Laub im Herbst, an den ich hier mitnichten denke.
Was ich hier nur denke, gleicht einer Todsünde.
Aber ich bin in einem anderen Land.
Denke ich daran, woher ich komme, wird mir schwindlig. – Würde ich irgendwo in jenem Land stehen und mich als Kavalier bei einer Dame, Frau oder Mädchen outen wollen, einer, der ich vorhin eine Zeitung weitergereicht habe und nachdem sie sie gelesen und durchgeblättert hat, ich mich nun verpflichtet fühle, zu entsorgen, würde ich mir niemals trauen zu sagen: „Geben Sie her, ich werfe die Zeitung weg.“ Nein, ich müsste mich schämen, nicht zu sagen: „Ich werde die Zeitung entsorgen.“, ein Ausdruck, über dessen Bedeutung ich mir aber bislang nicht im geringsten klar geworden bin und lächerlicher er nicht sein kann, denn ich weiß ja nicht, was dann mit dem Papier geschieht, dass ich in den Müllblech-Eimer werfen werde. Und doch muss ich es tun. Und doch muss ich es sagen: „Entsorgen!“
Aber ich bin in einem anderen Land. Ich darf ich es. Hier bleibt mir nichts anderes übrig, wenngleich in dem Land, woher ich komme, die Umstände die gleichen sind: weit und breit kein Abfallbehälter. Dort, woher ich komme - wie genervt ich da bin, wie oft ich da die Taschen vollgestopft habe von Einwickelpapier, das ich erst zuhause aus meinen Jacken- und Hosentaschen ziehe und entsorgen kann.
Noch fühle ich mich schlecht, ich stecke ihn mir ein, den Abfall, ich würde ansonsten erschossen werden, nachdem ich von einer Drohne entlarvt und aufgezeichnet worden bin, bilde ich mir ein. Nein, da trage ich ihn lieber mit mir herum, nervtötend.
Aber ich bin jetzt in Afrika.
Noch lächle ich, wenn ich die Menschen sehe, wie sie ihren Hausmüll einfach vor ihrer Haustüre in den Regen-Abzugs-Graben zwischen Grundstück und Straße werfen, ein ansehnlicher, bunter, stinkiger Berg, der sich dort über den Hügel die Rinne hinunterwölbt.
Ich bin halt in einem anderen Land, ich gewöhne mich daran, ich merke es bald gar nicht mehr, ich mache es genauso, irgendwohin, wirklich egal wohin werfe ich die Papiertüte, die Bananenschale, also bin ich diese Sorge los...


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  werner pentz

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Kommentare zu diesem Text


 franky (16.11.15)
Hi Pentz!

Bis auf die Philosophische Auseinandersetzung mit der Müllabfuhr, finde ich deinen Text ausgesprochen merkenswert. Wenn solche unbeschwerten Menschen unsere Regionen besuchen, wird halt gewohnheitsmäßig auch alles fallen gelassen, zum Ärger vieler Mitmenschen.

Herzliche Grüße

Von Franky

 pentz meinte dazu am 19.12.15:
hi franky-boy,

die sogenannten philosophischen auseinandersetzungen sind zum ersten keine, sondern sprachsemiotische klarstellungen und zum zweiten essentiell für das problem, da damit das gewissen angestachelt wird, aber das zu verstehen, muss auch nicht jeder, der text funzt offenbar auch ohne dieses verständnis - volá.

gr
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